Hatte Tante Emma einen Laden?

Heutzutage meinen wir zu wissen, dass es damals noch Tante-Emma-Läden gegeben hat. Wir sind mit solchen Erkenntnissen aber unwillkürlich im Bereich des Postfaktischen.

Es gab bis tief in die 50er Jahre die kleinen, vom Inhaber geführten Lebensmittelläden. Für den täglichen Bedarf waren sie in der Nähe. Für lebende Hummer und Trüffel und Hase, musste man schon weitere Wege in Kauf nehmen.

Die kleinen Lebensmittelläden hatten keinen Namen, der in Leuchtbuchstaben oben drüber stand. In nachbarschaftlicher Verbundenheit kannte man den Inhaber oder die Inhaberin persönlich. Deshalb sprach man sie auch mit Namen an. Die häufigsten Namen waren damals für erwachsene Menschen vermutlich Lotte und Horst. Die Mutter sagte, wenn sie das Kind einkaufen schickte: „Geh mal eben zur Lotte, Sauerkraut holen!“ Meistens wurde das auch erst einmal ohne Geld geregelt. Bezahlt wurde dann am Monatsende. Kinder sagten, wenn sie ihren persönlichen Groschen in Brause und Nappos umsetzen wollten: „Ich geh mal eben nach Tante Lotte.“

Die Bezeichnungen Tante und Onkel wurden zudem in dieser Zeit für alles mögliche gebraucht. Mein Onkel Matthis beispielsweise war stadtbekannt und zudem bei allen Kindern höchst beliebt. Wenn die Kinder ihn mit seinem Hund Purzel auf der Straße sahen, liefen sie zu ihm hin und sagten: „Hallo Onkel Matthis!“ Der gab dann jedem Kind frei aus der Jackentasche so flache, runde Schokoladenstücke mit Liebesperlen drauf, die er eigentlich für Purzel dabei hatte. Manchmal gab es auch ein Fünfpfennigstück. Wenn ich dann mal sagte: „Das ist aber mein richtiger Onkel!“, dann habe ich nur Unverständnis geerntet. Der Onkel war zum Gemeingut geworden, wie auch die Ladenbesitzerin Lotte. Eine Emma war mir unbekannt. Unter den beliebtesten Namen wurde Emma ohnehin erst 30 Jahre später mit einem Anklang Emanzipation gehandelt.

Wenn also vom Tante-Emma-Laden die Rede ist, dann ist Emma nur ein unzureichender Platzhalter für alle möglichen Namen und Tante ein Rückblick auf das Kind als Kunde.

Es bleibt nur das kleine, inhabergeführte Lebensmittelgeschäft, das in den 50er Jahren ausstarb, weil es der grenzenlosen Auffächerung und Bewerbung meist sinnloser Produkte in Einkaufsparadiesen nicht folgen könnte. Kioske und Tankstellen haben einen kleinen Teil der Funktionen übernommen.

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