Gefahr im Vollzug …

Meine Großeltern väterlicherseits wohnten in dem abgebildeten Haus (Parterre links). Mein Opa war zu meiner Zeit, in den 50er Jahren, Rentner, wie sehr viele andere mit „Steinstaublunge“. Das war das Schicksal der Bergleute. Mein Opa hatte links vom Haus einen Garten und Hühner. Das war sein ein und alles. Er war lustig und den Kindern im Haus zugewandt. Ich war gern dort, hatte Freunde und einen Sandkasten. Manchmal hat mein Opa die Kinder zu ihren Müttern geschickt, Persil zu holen, weil der Onkel Ortmann ja die Hühner waschen muss. Ich aß immer von der Brotkruste die man Opa für die Hühner abschnitt und freute mich sehr, als ich eines Tages zum Geburtstag einer Riesentüte mit Brotkrusten bekam. Für die Erwachsenen war das auch einer seiner üblichen Scherze. Aber ich habe mich tatsächlich sehr gefreut.

Zwanzig Jahre vor meiner Zeit gab es dort ein fürchterliches Unglück. Das war wohl der Anlass für das Foto. Auf dem Bild sieht man das Loch und eine Absperrung.

Auf der Rückseite des Bilder schreibt der Chronist:

„Der Erdrutsch in der Helmholtzstr. am Donnerstag den 19/6 1930 Abend 8 1/4 Uhr.“

Infolge des Bergbaus war die Fahrbahn eingebrochen. Bei näherer Betrachtung sehe ich auch einen Polizisten mit Tschako, einer merkwürdigen Mischung aus Mütze und Helm. Diese Kopfbedeckung kenne ich auch noch aus den 50er Jahren. Von dem Ereignis wurde zu meiner Zeit immer noch so erzählt, als ob es gestern gewesen wäre. In meiner Fantasie und in meinen Träumen sind ganze Fuhrwerke in dem Loch verschollen.

Was ich gehört und was ich gedacht habe, kann ich heute nicht mehr auseinander halten. Als Kinder haben wir aber immer wieder in alle möglichen Deckel und Löcher geguckt um zu sehen, was da so in der Unterwelt los ist. Mein Opa mütterlicherseits war „Zechenbeamter“ und in der Bergschädenabteilung von Stinnes für die Regelung solcher Schäden zuständig. Bei anderen Schäden konnte es sein, dass man im Bett liegend plötzlich Sterne durch die Zimmerwand sehen konnte.

Hatte Tante Emma einen Laden?

Heutzutage meinen wir zu wissen, dass es damals noch Tante-Emma-Läden gegeben hat. Wir sind mit solchen Erkenntnissen aber unwillkürlich im Bereich des Postfaktischen.

Es gab bis tief in die 50er Jahre die kleinen, vom Inhaber geführten Lebensmittelläden. Für den täglichen Bedarf waren sie in der Nähe. Für lebende Hummer und Trüffel und Hase, musste man schon weitere Wege in Kauf nehmen.

Die kleinen Lebensmittelläden hatten keinen Namen, der in Leuchtbuchstaben oben drüber stand. In nachbarschaftlicher Verbundenheit kannte man den Inhaber oder die Inhaberin persönlich. Deshalb sprach man sie auch mit Namen an. Die häufigsten Namen waren damals für erwachsene Menschen vermutlich Lotte und Horst. Die Mutter sagte, wenn sie das Kind einkaufen schickte: „Geh mal eben zur Lotte, Sauerkraut holen!“ Meistens wurde das auch erst einmal ohne Geld geregelt. Bezahlt wurde dann am Monatsende. Kinder sagten, wenn sie ihren persönlichen Groschen in Brause und Nappos umsetzen wollten: „Ich geh mal eben nach Tante Lotte.“

Die Bezeichnungen Tante und Onkel wurden zudem in dieser Zeit für alles mögliche gebraucht. Mein Onkel Matthis beispielsweise war stadtbekannt und zudem bei allen Kindern höchst beliebt. Wenn die Kinder ihn mit seinem Hund Purzel auf der Straße sahen, liefen sie zu ihm hin und sagten: „Hallo Onkel Matthis!“ Der gab dann jedem Kind frei aus der Jackentasche so flache, runde Schokoladenstücke mit Liebesperlen drauf, die er eigentlich für Purzel dabei hatte. Manchmal gab es auch ein Fünfpfennigstück. Wenn ich dann mal sagte: „Das ist aber mein richtiger Onkel!“, dann habe ich nur Unverständnis geerntet. Der Onkel war zum Gemeingut geworden, wie auch die Ladenbesitzerin Lotte. Eine Emma war mir unbekannt. Unter den beliebtesten Namen wurde Emma ohnehin erst 30 Jahre später mit einem Anklang Emanzipation gehandelt.

Wenn also vom Tante-Emma-Laden die Rede ist, dann ist Emma nur ein unzureichender Platzhalter für alle möglichen Namen und Tante ein Rückblick auf das Kind als Kunde.

Es bleibt nur das kleine, inhabergeführte Lebensmittelgeschäft, das in den 50er Jahren ausstarb, weil es der grenzenlosen Auffächerung und Bewerbung meist sinnloser Produkte in Einkaufsparadiesen nicht folgen könnte. Kioske und Tankstellen haben einen kleinen Teil der Funktionen übernommen.