Die kolportierten Divergenzen zwischen Nikolaus und Weihnachtsmann beruhen auf einer einprägsamen Irreführung.
Hier der Katholische Bischof mit Mitra und Stab, der Kinder beschenkt. Dort der von Coca-Cola eingefärbte Weihnachtsmann, der das Weihnachtsgeschäft ankurbelt.
Aber so ist das nicht.
Bereits in den Alltagsbegegnungen mit den beiden überwiegen die Überschneidungen. Kinder verwenden die beiden Namen wahllos und das, was damit verbunden ist, geht praktisch wild durcheinander. Lediglich den Begleiter für den Nikolaus sieht man beim Weihnachtsmann so nicht. Er ist weitaus softer und könnte bestenfalls gestylte Engel und Rentiere vertragen, während der Nikolaus mit dem Zwarte Piet, dem Knecht Ruprecht oder dem Krampus kollaboriert, die nicht selten Angst und Schrecken verbreitet, wenn der Nikolaus sie nicht zur Ordnung ruft. Aber im oberflächlichen Erleben sind auch solche Unterschiede unbedeutend für eine Unterscheidung zwischen den beiden Herren.
Mit der Reformation wurde das traditionelle Wirken des Nikolaus erstmalig beschädigt. Weil die Welt der Heiligen in vielen Teilen Europas in die Kritik geraten war, wurde das Christkind als Geschenkebringer kultiviert und der Nikolaus in seiner Aufgabe erheblich zurechtgestutzt. Seitdem heißt es vielerorts, aber nicht überall: An Nikolaus gibt es kleine, an Weihnachen große Geschenke. Mit der Besiedlung der USA durch Europäer kam auch das Brauchtum und damit der Nikolaus dort hin. Der Nikolaus musste, so wie die anderen Einwanderer auch, eine länger Integrationsanpassung durchlaufen, um sich für alle Amerikaner empfehlen zu können. Dazu gehörte, dass er in den Metropolen interkulturell fit gemacht wurde und schließlich seine Einbindung in industrielle Produktions-, Werbe- und Verkaufsabläufe erfuhr, ohne dass er danach gefragt wurde, ob das in seinem Interesse ist. Die Bibel als Urgrund des nikolausischen Selbstverständnisses hatte nach und nach eine eher marginale Bedeutung. Um selbst zur Ware zu werden und seinerseits für Konsumwaren zu werben, eroberte er die Geschenkanteile des Christkindes zurück und wurde vollends zum Vehikel des umfassenden Weihnachtsmarketings: Er stand in grellem rot überall vor Kaufhäusern. Daran knüpfte die Mär an, der Weihnachtsmann sei eine Erfindung des Konzerns Coca-Cola. Richtig daran ist nur, dass Coca-Cola einer der aufstrebenden Konzerne war, die den Nikolaus ausgeschlachtet und für ihre Zwecke wieder gefüllt und hergerichtet haben. Mit der Expansion Coca-Colas hatte man direkt auch einen Weihnachtsmann für die ganze Welt.
Um das Schenken selbst dann auch noch rational an die christliche Familien heran zu führen hat man nach englischem Vorbild die amerikanischen Hauskamine in Szene gesetzt. Durch die Kamine werden bis heute – wie auch immer – alle vom Weihnachtsmann geförderten grellen Geschenkpakete in die gute Stube transferiert.
Wenn nun der amerikanisierte Weihnachtsmann über internationale Konzerne nach Europa reimportiert wird, dann stehen sich plötzlich Nikolaus und Weihnachtsmann gegenüber und finden es einfach unglaublich, dass einer wie der andere dem ursprünglichen Nikolaus entstammt. Seit 1950 ist der Weihnachtsmann in Europa auf dem Vormarsch. Das, was die amerikanische Variante durchgemacht hat, trifft die europäische Variante hart. Er beugt sich einfach nicht einem entfesselten Konsum. Lediglich sein Pferd hat sich im urbanen Lebensraum als unpraktisch erwiesen und wurde durch einen himmelsgängigen Schlitten mit allerlei Rentieren ersetzt, wie wir es vom Weihnachtsmann kennen.
Kinder sehen das sehr pragmatisch. Sie können mit diesem und jenem gut und widerspruchsfrei leben und sehen beide gut sozio-kulturell integriert. Sie bauen Ihnen sogar Brücken und weichen die Trennschärfe bereits im Sprachgebrauch auf.
Ich mag den Nikolaus mit Mitra und Stab sehr, weil er zur Gesellschaftskritik weitaus fähiger ist und damit auch zur Kindergerechtigkeit. Brav, dick und schrill, ist mir zu langweilig.