Wer liest schon, was alles so geschrieben steht?
Es werden nur wenige sein. Meistens haben sie auch nichts verpasst. Zum Beispiel den Hinweis darauf, dass eine Firma umgezogen ist. Ich habe das heute in Neuß lesen müssen. Hinter dieser Mauer war also eine Spedition. Der Innenhof ist zugepflastert und trägt einen spärlichen Bewuchs hartnäckiger Grünpflanzen. Unsortiert stehen in dem Hof ein paar Personenkraftwagen rum. Alles wirkt trostlos und aus der Zeit gefallen. Jetzt nehme ich mir zum Zweck der Erkenntnis das Schild noch einmal vor: Wir leben im November 2024. Dem Umzug wird im nächsten Jahr ein 20-jähriges Jubiläum zustehen. Ich hätte das nicht lesen sollen, spiele aber doch mit dem Gedanken, der Firma zu gratulieren.
Gute Missverständnisse – oder was ich eigentlich sagen will
Es ist ja bekannt, dass sich Sprachen weiterentwickeln so lange sie genutzt werden. Sprachen sind zur überdauernden Sicherheit aller Sprechenden sowohl beständig als auch innovativ. Es geht dabei um gegenläufige Bewegungen, die trotzdem unmittelbar zusammengehören. Manche Menschen halten – je nachdem, wo sie sich in der Gesellschaft verorten – das eine oder das andere trotzdem für einen Graus.
In der Welt des errechneten Durchschnittsbürgers, wird in der Kultur ganz besonders die Sprache bewahrt und zu diesem Zweck sehr vieles als richtig und falsch markiert. Der errechnete Außenseiter hat dagegen eine bevorzugte Freude an Neuerfindungen im Sprachgebrauch.
Ich nenne einmal einige unbedeutende Beispiele: Ein Neffe, ein „waschechter“ (?!) Deutscher, ist durch eine Fügung in den Niederlanden groß geworden. Er war bereits als Kind ein Autofan und gleichzeitig ein doppelter Nativspeaker mit notgedrungen reduziertem deutschen Wortschatz. Das merkte man im Alltag aber nur sehr selten. Eines Tages erzählte er mir etwas von Bändern. Er meinte damit die Autoreifen, die auf niederländisch Banden heißen. Als Freizeitgrenzgänger vom Niederrhein konnte ich damit etwas anfangen. Es war aber im Mittelpunkt des deutschen Sprachgebrauchs wohl ziemlich unverständlich und unbrauchbar. Gestern sagte in den deutschen Medien ein deutscher Däne völlig akzentfrei „in der Beginnung“ und ich dachte für einen Moment, es müsste „am Anfang“ heißen, bis ich mich damit anfreundete. Oft sind auch Kinder in der Zeit ihres frühen Spracherwerbs die innovativen Außenseiter der Sprache. So hat eine enge Verwandte von mir in der Grundschulzeit ihre selbstverfassten Textstücke lange Zeit als eine Literaturgattung namens „Nachdenkung“ überschrieben. Für mich sind das alles Geschenke, die ich hin und wieder in meinen Sprachgebrauch übernehme, sofern ich denke, dass ich trotz aller Widerstände verstanden werden kann. Ich spreche also niemals ausschließlich allgemeinverständlich. Das Sprachprinzip Fuzzylogic nimmt nicht nur den Sprechenden, sondern auch jeden Zuhörer in die Pflicht. Verstanden werden und verstehen gehören also zusammen. – Sprache funktioniert schließlich nur mit Missverständnissen und ohne sprachpolizeilichen Allüren richtig. Das ist doch eine gute Aussicht – auch gegen alle cancelkultürlichen Bestrebungen.
Gerade lese ich, dass Busfahrende in Berlin sehr wenig verdienen. Vielleicht sollte ich auch öfter mal Bus fahren. Schüler sind dort aber wohl auch Busfahrende im Nebenjob.
Ich spiele gern so rum
Im Studiengang Schauspiel bieten sich nach Medienlage Studiengänge für Fachschauspieler an. Diese Idee basiert auf der Erfahrung, dass unverhältnismäßig viele Schauspieler in Fernsehserien mit vielen Polizisten und Ärzten landen. Ein Fachschauspieler Polizei entspricht zum Beispiel selbstverständlich nicht der Grundausrichtung der Studienanfängerinnen, bietet sich aber über kurz oder lang in der Schauspielpraxis an. Wenn man die Gesetze kennt, Handschellen anlegen kann und den fürsorglichen Druck auf den Kopf des Delinquenten beim Einstieg in den Streifenwagen beherrscht, sieht es am Set doch gleich sehr viel besser aus. Man könnte mit dem Studium sogar eine Doppelqualifikation im Sinn eines dualen Studiums verbinden und die Berufsmöglichkeiten von Schauspielern erweitern und ganz nebenbei sogar zur Entlastung des Arbeitsmarktes beitragen. In der Fachdisziplin Schauspieler in der Medizin wäre das auch möglich. Man könnte professionelle Spritzen setzen, spektakuläre Wundversorgungen vorführen und die Abrechnung mit der Krankenkasse verantworten sowie den kranken Hilfspfleger zur Extraschicht motivieren. Man könnte sogar folgende ärztlich Zweitmeinung kultivieren: „Sie sehen Scheiße aus.“
Ich schreibe das nur, weil ich mit Vorliebe den eingebildeten Kranken spiele, um ärztlich Fähigkeiten auszutesten und die Polizei mit den vorgespielten Straftaten eines SchLauspielers hinters Licht zu führen. Das bildet ungemein. Mein Spezialgebiet ist es, Gefühle zu zeigen, die ich überhaupt nicht habe. – Nehmen Sie die Waffe runter!!!
Die Einbahnstraße
Wenn man bestimmte Orte öfter anfährt, folgt die Parkplatzsuche meist bestimmten Ritualen. Heute bin ich dabei von der falschen Seite in eine Einbahnstraße gefahren. Die Einbahnstraße gab es bisher nicht. Ich hatte es also nicht für nötig gehalten, die Beschilderung zu überprüfen. Allerdings hätte ich mich vermutlich auch bei einer kognitiveren Aufnahme der neuen Beschilderung von der unzulässigen Seite in die Straße begeben. Mein Parkplatz war nämlich der erste hinter dem roten Schild mit dem weißen Balken. Der zugelassene Weg dorthin wäre ungefähr einen Kilometer weit gewesen. Niemand würde um einen Park und einen großen Wohnblock herumfahren, um einen vielleicht noch unbelegten Parkplatz zu ergattern.
Als ich wieder weg fuhr, dachte ich einen Moment daran, dass meine übliche Sorgfalt durch Alterserscheinungen ausgebremst wird. Da fühlte ich mich dann aber doch rehabilitiert und gut aufgehoben, als ich meine Parklücke nicht verlassen konnte, weil auf der Straße ordentlich Verkehr war. Direkt hintereinander fuhren insgesamt sieben Autos – alle in der verbotenen Richtung. Ich hätte gern den Verkehr dort noch weiter beobachtet. Ich habe mich dann aber doch gezwungen, diesen wilden Tatort nachdenklich zu verlassen.
Da capo: Volkspartei
Dieser Bedeutungsverschiebung der letzten Jahre, dass Parteien mit abnehmender Wählerschaft irgendwann keine Volksparteien sein sollen, folge ich nicht.
Der Begriff Volkspartei ist in der soziologischen Würdigung von Parteien entstanden, die keine Klientelparteien (mehr) sind und drauf ausgerichtet sind, für alle Gruppen der Gesellschaft politische Antworten zu liefern. Volksparteien können klein oder groß sein, beides ist aber nebensächlich. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gab es nämlich hauptsächlich reine Klientelparteien. Sie bedienten ihre Zielgruppe ohne gesamtpolitische Verantwortung. Heute sind Klientelparteien die Ausnahme, obwohl – oder gerade weil – ihre Programme vergleichsweise scharfgezeichnet und besonders verständlich sind, aber die Vielfalt auf der Strecke bleibt.
Okay – das Thema hatte ich schon – aber ich werde nicht müde …
Fritteusenfett
Die Tagesschau berichtet am 16.10.24, dass Flugzeuge zukünftig verpflichtend mit „Fritteusenfett“ fliegen werden.
Weil mir das Wort Frittenfett (früher Fritenfett) geläufig ist, habe ich zunächst einen üblen Gendertrick vermutet. Ich weiß, dass das Fett ja irgendwo hin muß, wenn es eine Weile zum frittieren benutzt wurde. Vieles wird frittiert, vor allem die „Stäbchenkartoffeln“, wie ich sie von DDR-Speisekarten kenne und selbst als Fritten bezeichne. Das Frittenfett geht meistens zunächst ein Speiseöl an den Start, das auf hohe Temperaturen ausgelegt ist. In Belgien – dem Mutterland der Fritte – ist allerdings Rinderfett die erste Wahl.
Aber warum soll denn das bekannte Frittenfett jetzt Fritteusenfett heißen, nur weil es ein Flugzeug antreibt? Mir fällt dazu nichts ein. Ich freue mich schon darauf, wenn die Flughäfen so lecker riechen, wie der Diesel meines Nachbarn. Seine Frau ist Friseuse.
Die Rheydter Hauptpost
Die Rheydter Post ist ein imposantes Baudenkmal der wilhelminischen Neorenaissance uns seit weit über 100 Jahren auch heute wirklich noch eine Post. Ihre Renovierung von vor zehn Jahren ist längst vergessene Geschichte. Allerdings benötigt die Post heutzutage nur noch einen verhältnismäßig kleinen Bereich des Gebäudes. Der Rest des Gebäudes wurde in den letzten Jahren wohl umgenutzt und erscheint mittlerweile ungenutzt. Das Haus ist äußerlich so wenig gepflegt, dass man schon gar nicht wissen will, wie es innen aussieht. Der Postbetrieb ist aus dem Standardgestaltungspaket des Postkonzerns hergerichtet und wirkt im Postgebäude insgesamt als Fremdkörper. An der Hauswand machten sich büschelweise offenbar ungewünschte Wildkräuter breit. Neben den Radständern Marke Felgenbrecher steht ein Kinderwagen voller sehr merkwürdiger Müllteile. Ein Regenrohr wurde teilweise behelfsmäßig durch eine Plastikschlauchfolie ersetzt. Dazu hat man dann pragmatisch den Blitzableiter, der wohl mit dem Rohr verbunden war, außer Funktion gesetzt und zur Wand hin weggebogen.
Die Post hat obendauf ein wunderschönes Türmchen, wahrscheinlich mit einem spektakulären Turmzimmer. Da würde man gern mal bei Kaffee und Kuchen einen Nachmittag verbringen.
Es ist zu befürchten, dass dereinst der Blitz einschlägt und das Gebäude anschließend von der Denkmalliste gestrichen wird.
Pandas unter unseresgleichen
Jetzt sind auch schon die Pandamädchen im Berliner Zoo explodiert. So habe ich das gelesen. Dabei sind sie so richtig chillige Couchpotatoes. Wahrscheinlich können sie das Wort süß schon lange nicht mehr hören. Aber sie sind ihm schutzlos ausgeliefert.
Ich sag mal so …
Wenn du etwas zu Ende erzählt hast und du meinst, dass du trotzdem irgendwie weiterreden musst, dann sag einfach: „So zu sagen!“ Alle machen das so. Besser wäre es freilich damit: „Noch einmal!“ Dann hat du nämlich eine unendliche Möglichkeit, deine Botschaft irgendwo einzuhämmern.
Trotzdem: Ich habe kein Interesse, dir zuzuhören.
Ich spiele gern Treibholz
Heute habe ich einen ungesteuerten Stadtspaziergang durch Rheydt gemacht. Das ist mir zur Erkundung sozialer Räume manchmal unverzichtbar. Ich lasse mich treiben. Vieles sieht anders aus, wenn man ohne Auto unterwegs ist, aber keinesfalls besser.
Im Kern der Stadt, wo die meisten Städte ja auch ihren Ursprung haben, wurde der Einzelhandel bis zum Kollaps entwickelt. Der Wohnraum wurde knapp und teuer. Jetzt ist er spottbillig und die Hauseingänge findet man versteckt zwischen riesigen, blind gewordenen Schaufensterscheiben hinter denen nichts mehr zur Show gestellt. In den Nischen der Haustüren befinden sich meist die Nachtlager der Obdachlosen und viel vergessener Müll. Weit abseits der Innenstadt wohnen jetzt die gut situierten Bürger und der Weg zurück wirkt wie verbaut und sinnlos. Stadtrand und Stadtzentrum haben sich vertauscht und bleiben es auch, so lange die Mobilität und die Lieferdienste funktionieren.
Auf dem Bürgersteig trottet an langer Leine ein dicker Schäferhund mit seiner Nase auf mein Hosenbein zu. Da sage ich zum fleischgesichtigen Hundebesitzer mittleren Alters: „Würden Sie bitte den Hund etwas kürzer halten!“. Da sagt der: Der Hund ist ganz brav, der weiß nicht einmal, dass sie ein Arschloch sind.“ Ich hätte da sagen müssen: „Sie sehen aber blendend aus!“ – Das ist mir aber leider erst jetzt eingefallen.