Was ist schon so schön, wie es aussieht …

Das Fanwesen trägt dazu bei, die Vereine reich zu machen. Es hat sich vor allem im Fußball über die Jahrzehnte immer mehr mit Gewalttätigkeit angereichert und geht vielfach auch Verbindungen mit rechtsradikalen Strömungen ein. Beachtet wird diese unheilige Allianz erst dann, wenn es unübersehbare Exzesse gibt. Die Fans sind bisweilen schlimm, das begünstigende Umfeld aber wohl noch etwas schlimmer.
Die UEFA, der Dachverband des europäischen Fußballspiels, gibt anlässlich der gerade ausgespielten Europameisterschaft, Schützenhilfe: Unter seiner Regie werden alle Filmaufnahmen in den Stadien aufgenommen und für den Gebrauch aller Fernsehanstalten zurecht geschnitten. Zumindest ARD und ZDF sehen darin eine Zensur, die eine sachgerechte Berichterstattung unmöglich macht. Es hat den Anschein, dass es nackte Flitzer, Pyromanen, Räuchermännchen, Werfer von Gegenständen und Großangriffe auf vermeintlich gegnerische Fans nicht gibt. Doch das ist falsch. Auch alle was fies ist, muss der Mensch sehen dürfen, um sich ein Bild zu machen. Alles schön zu reden bleibt der Phantasie des einzelnen überlassen – wenn er das will.

Hurensöhne

Der Fußballspieler „Schweini“ Schweinsteiger singt vor einer Kamera über Dortmunder Hurensöhne, entschuldigt sich dann aus dem Urlaub per Video dafür und die Dortmunder finden das ganz ok so und bieten Gesangsunterricht an —

Das erinnert doch stark an den rheinische Katholizismus: Man darf im Suff alles ungestraft machen, wenn man anschließend nur ordentlich beichtet und zur Strafe etwas von Helene Fischer singt.
Warum ist die Fankultur auch für Weltmeister in der Kreisklasse stecken geblieben?

Finaler Kick!

Dass die Weltmeistermannschaft bei ihrem finalen Auftritt am Brandenburger Tor Helene Fischer zum musikalischen Mittelpunkt ihrer Welt inszenieren lässt, mag ja noch als ein unbedeutendes Nebenprodukt des vieldiskutierten Teambuilding in der Abgeschiedenheit toleriert werden. Dass die Mannschaft im Shirt uniformiert auftritt, dann aber die Individualität der diversen Protagonisten über Beinkleider, Brillen und Mützen zur Show stellt, mag noch als fußballnahe Ästhetik gedeutet werden können. Dass und wie die Mannschaft aber die „Deutschen“ von den „Gauchos“ in einer Darbietung optisch und akustisch absetzen, erinnert jedoch allzu deutlich an die in der Interpretation umstrittene erste Strophe des Deutschlandliedes. Die Darbietung war dann doch zu sehr am rücksichtslosen nationalistischen Massengeschmack ausgerichtet. Mich erschreckt, dass so etwas anstandslos durch läuft.

1 Nachtrag:

Ich habe in den letzten Tagen an verschiedenen Stellen in den sozialen Netzwerken meine Verwunderung zum Ausdruck gebracht, dass der nationalistische Hype der WM-Trunkenheit die Stellungnahme scheut. Dass das Kollektiv der Nationalmannschaft in tumben Tänzen ihre Überlegenheit so zeigt, dass sie auch die unterlegenen Argentinier parodiert ist mir dabei nebensächlich, wenn auch beispielhaft dafür, dass der Fan das rücksichtslos gut zu finden hat.  Interessant finde ich aber die Reaktionen auf meinen Text. Überwiegend werde ich ganz am Text vorbei so gelesen, als würde ich den Spaß am Fußball nationalsozialistisch deuten und Verfehlungen im Freudentaumel bestrafen wollen. Es wuchern sogar Mutmaßungen über mein Seelenleben in der ideologischen Einsamkeit, meine fußballferne Bitternis und es gibt den Wunsch, ich möge der Meinungsbildung erspart bleiben. Kurz: Nahezu alle Kommentare orientieren sich an Mutmaßungen, die keinen Anker in meinem Text beanspruchen können und schweifen unter die Gürtellinie ab. Alles in allem gewinne ich den Eindruck, dass das archaische Kulturverständnis von einem im Kampf überlegenen Protagonisten auf Deibel komm raus mental und kollektiv gestärkt und über den legitimen Ort des Sports hinaus verlängert wird. Die Fußballkultur hat sich so etabliert, dass sie notfalls sogar auf den Sport verzichten kann. Sie sucht Bündnisse mit einer Popkultur und zeigt die Tendenz, abweichende Kultursegmente grundsätzlich anzufeinden und dabei auf die Mittel des Kampfes zu setzen, die ja nie zimperlich ausgerichtet werden und die die Verständigung als unsportlich ausschließen.   Damit werde ich in meiner Ausgangsthese bestärkt, dass nationalistische Überhöhungen zum Massengeschmack werden und keinen Widerspruch dulden.   Dabei muss man sich den Widersprechenden als einen fröhlichen, zugewandten und kreativen Menschen vorstellen. Die öffentlich rechtlichen Massenmedien sparen bisher in der Berichterstattung meistens den „Gaucho -Tanz“ aus. 

2 Nachtrag:   Ohne Gegner wäre der Fan hilflos. Deshalb sucht er einen. Dabei ist es letztlich gleichgültig, ob dieser überhaupt mitmachen will … Das erinnert an einen kleinen Kampfhund, der „einfach nur spielen“ will …       Wenn man Angst auslösen will, dann sagt man: „Du brauchst keine Angst zu haben!“   Wenn man eine Debatte anheizen will, dann sagt man: „Hört auf, ich will davon nichts mehr hören!“   Weniger ist mehr!  

Et hät noch emmerjootjejange – doch der Fan an sich ist behandlungsbedürftig

Nun ist das Sportgeschäft schon lange nicht mehr der Händler mit den Trainingshosen. Der Sport ist selbst ein Geschäft und pflegt Produkte, die sich blendend vermarkten lassen. Wer hätte damals gedacht, dass allein der Fussball das Geld sprudeln läßt? Allein Bayern München machte 2011 einen Umsatz von über  321 Millionen Euro und der Jahresverdienst der Fussballer ist mehr als ein Inflationsausgleich. Lionel Messi erhält im Jahr 31 Millionen Euro, das sich aus Gehalt und Werbeeinnahmen zusammen setzt.

Der Fan spielt jedoch ebenfalls eine große Rolle im Marketing aller Ligen und Vereine. Er füllt die Stadien, füttert die Presse, futtert Würste, kauft Devotionalien, Bier und Bengalos, macht Stimmung und wird genutzt, das gewünschte Image des Vereins zu leben und zu bestätigen. Er ist eigentlich unbezahlbar, zahlt aber selbst noch drauf und die Bettwäsche in den richtigen Farben bekommt er zum Geburtstag. Er merkt nicht mehr, dass die „Raute im Herzen“ auch in Mönchengladbach kein empirischer  Befund ist.

So lange der Fan mitspielt, werden keine Sorgen markiert. An dieser Stelle wird es brenzlig: Wir erwischen immer wieder Fans, die dem strategisch vorgegebenen Wunsch-Image einen Bärendienst erweisen, weil sie sich partout nicht an die Regeln halten. Sie werden deshalb kategorisiert. Für die Polizei sind Fans der „Kategorie C“ die schlimmste Sorte. Sie erfüllen aber trotzdem ihren Zweck und füttern sogar die Presse mehr als uns lieb sein kann.

Nun ist der Fan – gleichgültig welcher Kategorie – von vornherein bereit, sich in die Situation einer sozialen Masse zu begeben, in der tendenziell die Individualität aufgegeben wird und in der das ganz große Gefühl der Gemeinsamkeit über Rituale und Symbole auf die Spitze getrieben wird. Es bedarf nur kleinster, auch zufälliger Impulse und die Restindividualität geht den Bach runter und es kommt zu kollektiven und unkalkulierbaren Grenzüberschreitungen und Stimmungswechseln. Wenn also Fans vor dem Ende des Spiels die Wiese stürmen und sogar auch den Elfmeterpunkt als Devotionalie in Sicherheit bringen — wie am 15. Mai 2012  beim Relegationsspiel zwischen den Fußballmannschaften aus Berlin und Düsseldorf — dann sieht man doch klar, dass hier der Verstand aussetzt und man zur Norm des Handelns lediglich das zur Verfügung hat, was die Masse gerade macht. Alles andere ist ausgeblendet. Das Massenverhalten ist archaisch geprägt und läuft einfach so ab.

Dem Einzelnen gegenüber, der sich in solchen Situationen befindet, ist es also ungerecht, ihn als dumm, blöd, egoistisch und als Totengräber des lustigen Fussballs und der Fankultur zu bezeichnen, wie es in der veröffentlichen Meinung dominierend ist. Es ist auch nicht sinnvoll, ihn individuell zur Rechenschaft zu ziehen, wenn er überhaupt nicht individuell gehandelt hat. Der Fan kann nicht anders!

Er kann allerdings vor den Ereignissen, an denen er als Fan üblicherweise beteiligt ist, darüber nachdenken, ob er sich Situationen aussetzen will, in denen seine Individualität in der Masse aufgeht und in denen er sein Steuerungsvermögen einbüßt. Wendet er sich nicht ab, könnten spitzfindige Juristen über seine Gefährdungshaftung für Massenphänomene nachdenken.

Es ist nichts dagegen einzuwenden, wenn jemand über den Durst trinkt. Es ist allerdings bedenklich, wenn er nicht aus der Erfahrung lernt. In der Fankultur ist es nicht anders. Die Fans werden mit sehr vielen Annehmlichkeiten  bei der Stange gehalten und für das Wirtschaftsunternehmen Sport ausgenutzt. Und sie werden allein gelassen, wenn sie in Situationen in und vor dem Stadion so viel Individualität einbüßen müssen, dass es zu unvertretbaren Übergriffen kommt.

Dem leidenden Fan sollte vom Nutznießer des Fanwesens eine günstige Therapiemöglichkeit vermittelt werden. — Wat wells de maache?