Für Parteien auf Zeit!

Der Mensch ist ja ein soziales Wesen. Er gesellt sich gern mit Gleichgesinnten und gründet dann bisweilen Vereine und sogar Parteien. Sie dienen einem Ziel, das der vereinzelte Mensch allein gewiss nicht erreichen könnte. Erst mit der Etablierung der Menschenrechte wurden Menschenansammlungen, ohne die ja keine Partei auskommt, gesetzlich geschützt. Zuvor galten Ansammlungen jeder Obrigkeit als verdächtig, die konservative Ordnung durch Unfolgsamkeit zu gefährden.


Erinnerung aus Krähwinkels Schreckenstagen

Wir Bürgermeister und Senat,
Wir haben folgendes Mandat
Stadtväterlichst an alle Klassen
Der treuen Bürgerschaft erlassen.

Ausländer, Fremde, sind es meist,
Die unter uns gesät den Geist
Der Rebellion. Dergleichen Sünder,
Gottlob! sind selten Landeskinder.

Auch Gottesleugner sind es meist;
Wer sich von seinem Gotte reißt,
Wird endlich auch abtrünnig werden
Von seinen irdischen Behörden.

Der Obrigkeit gehorchen, ist
Die erste Pflicht für Jud und Christ.
Es schließe jeder seine Bude

Sobald es dunkelt, Christ und Jude.

Wo ihrer drei beisammen stehn,
Da soll man auseinander gehn.
Des Nachts soll niemand auf den Gassen

Sich ohne Leuchte sehen lassen.

Es liefre seine Waffen aus
Ein jeder in dem Gildenhaus;
Auch Munition von jeder Sorte

Wird deponiert am selben Orte.

Wer auf der Straße räsoniert,
Wird unverzüglich füsiliert;

Das Räsonieren durch Gebärden
Soll gleichfalls hart bestrafet werden.

Vertrauet Eurem Magistrat,
Der fromm und liebend schützt den Staat

Durch huldreich hochwohlweises Walten;
Euch ziemt es, stets das Maul zu halten.

Heinrich Heine


Organisationen sind an ein Ziel gebunden. Wenn man nun die Programme aller Parteien verdichtet, dann kommt man zu dem Ergebnis, dass sie allesamt glückliche Menschen in Frieden, Freiheit und Wohlstand anstreben. Sie werden sich also auflösen, wenn dieses Ziel erreicht ist. Sie gebärden sich also als eine Institution, die das Ziel in der eigenen Existenz sieht, die eine Bedeutung hat, die letztlich über Ziele erhaben ist. Das ist aber auch so, weil Parteien mit der Zeit ein Eigenleben entwickeln, das den Zielen übergeordnet ist. Man wird also die Zielbestimmung dynamisieren und aus der Tradition eine Unverzichtbarkeit ableiten. Krisen in politischen Parteien sind als ein Überlebenskampf zu deuten, weil alte Ziele nicht mehr tragen und das auf sich selbst gewendete Ziel, zu überleben, die Parteiressourcen auffrisst. Vernünftig wäre es, getrennte Wege zu gehen und sich zu verbesserten Parteien zusammenzuschließen. Ich erinnere an die bedeutungsvolle, große und geschichtsträchtige Partei Democrazia Cristiana in Italien, die schließlich mit ihrem maroden Innenleben und gepflegter Fassade im Jahr 1994 in kurzer Zeit rückstandslos implodiert ist.

Ich möchte nun aktuell keiner Partei eine Vorschrift machen. Wenn ich aber mitbekommt, dass so mancher Partei, die vor kurzem noch wie eine im Kern unwandelbare Institution gehandelt wurde, das Kerngeschäft verloren geht und dann über ihre ruhmreiche Geschichte berichten lässt, dann denke ich schon, dass den aktuellen gesellschaftlichen Herausforderungen nicht mehr wirksam begegnet werden kann. Alle Jahre wieder, wie in einem Kramladen sein Portfolio zu erweitert und jetzt ein Mittel gegen entfesselte Geldströme anzubieten, weil der Kunde Wähler das möglicherweise will, wirkt insgesamt doch sehr hilflos.

Neue Parteien haben freilich auch ihre Probleme und locken stets vagabundierende Politiker an, die sich schnell als Einzelgänger erweisen, weil ihre Positionen nicht parteifähig sind. Parteien haben meist einen langsamen Start und ein zähes Ende. Aber sie sichern die Vielfalt im politischen Spektrum und bilden die Bevölkerung besser ab, als traditionelle Platzhalter, die behaupten, „Wahlkampf zu können“. Und das ist doch wichtiger als alles andere.

Die Abtrünnigen werden nicht gemocht, aber man berichtet gern über sie

In Niedersachsen wechselt die politische Mehrheit im Parlament, weil eine Abgeordnete ihre Position jetzt in einer anderen Partei vertritt.

Politische Mandatsträger werden nicht in Parteien hinein geboren. Sie werden aus freien Stücken Mitglied, jedenfalls unter demokratischen Verhältnissen. Sie wechseln sogar auch ab und zu die Partei. Danach zeigt sich stets, dass die Partei eigentlich mit einer Leibeigenschaft kalkuliert hatte und mit jedem Abgeordneten deshalb auch ein Sicherheitsrisiko ins Rennen schickt. In der irgendwie beschädigten Partei ist nach so einem Parteiwechsel stets vom Verrat am Wählerwillen, von einem skandalösen, unwürdigen und schmutzigen Spiel und fehlendem Rückgrat die Rede. Das machen eigentlich alle Parteien so, während die jeweils gegnerischen Parteien Freude haben. Nur das Direktmandat schützt den Abtrünnigen noch etwas vor dem Vorwurf, er sei ja eigentlich gar nicht gewählt worden und solle sich deshalb auch nicht so aufführen.
Wenn es auf einen einzigen Mandatsträger ankommt, weil an ihm eine Mehrheit hängt, dann wird besonders dramatisch reagiert.
Dabei wird der Bürgerwille sehr gut und vollkommen emotionsfrei im Grundgesetz und den Verfassungen der Länder geregelt. Der Abgeordnete ist niemandem gegenüber verantwortlich. Es soll das ganz einfach so machen können und es zeigt sich danach stets, dass Parlamente insgesamt stets so gut sind, dass sie solche unvorhergesehenen Situationen gut bewältigen können. Für einen Wechsel gibt es keine Zeitvorgaben, keine moralischen Maßstäbe und nicht einmal eine grundlegende Vernunft, die vorgeschrieben wäre. Das will also der Wähler! Und er wird meistens nicht enttäuscht. Bei der nächsten Wahl wird er auch sein Votum im Licht von Parteiwechseln und deren Bewältigung abgeben. Dass der Souverän gewollt haben soll, dass ein Parteiwechsel nicht stattfindet und alte Mehrheiten im Sinn des Wählers erhalten werden sollen, ist viel zu kühn auf eine statische Machterhaltung bezogen. Man sollte darüber nicht ernsthaft reden wollen wenn man will, dass die Politik etwas bewegt und dass der freie Abgeordnete auf Zeit das machen kann, was er will.

Ganz nebenbei: Als Wähler würde mir jedenfalls sauer aufstoßen, dass die besagte Abgeordnete im sicheren Hafen der ausersehenen neuen Partei ihre gewandelte Position vorgetragen hat. Eine selbstverantwortliche, freie Abgeordnete hätte auch auf sich selbst gestellt eine Lautsprecheranlage finden müssen.


Nachtrag am 6. August 2017:
Wie die Presse jetzt berichtet, hat der mittlerweile ohne Mehrheit regierende Ministerpräsident Weil eine Regierungserklärung zur Korrektur dem für Niedersachsen besonders bedeutungsvollen Industriekonzern Volkswagen vorgelegt. Es ging wohl darum, den Abgasskandal „richtig“ darzustellen. Nun kann er zwar sagen, er habe trotzdem die Sichtweise der Regierung für die Endfassung durchgesetzt. Das wird ihm aber niemand abnehmen. Unter solchen Bedingungen ist eine Gefolgschaft einer Parlamentsmehrheit ohnehin mehr als fragwürdig.

Ein Schulz im Aufwind

Seit der verheerenden Sozialgesetzgebung in der Kanzlerschaft Schröders, die mit dem Namen Hartz verbunden ist, hat sich die SPD mutlos durch die Bundespolitik bewegt.

Ein deutlicher Widerspruch als Solidarität mit der betroffenen Mehrheit der traditionellen SPD-Wähler wurde durch kleine Rechtfertigungen im überschwänglichen Lob von CDU/CSU und FDP verspielt.

Seit dieser Zeit hat die SPD nichts mehr geliefert und sich als kompromisslerischer Juniorpartner angeboten und damit glänzen wollen, was die CDU auch ohne SPD  verwirklicht hätte.

Jetzt wirbt der neue, zur Lichtgestalt typisierte Spitzenkandidat Schulz für einen Vertrauensvorschuss der Wähler, weil er ja erst liefern kann, wenn er gewählt ist.

Nun ist der potentielle Wähler gerade bei den irgendwie mitregierenden Parteien anspruchsvoll. Er will erst die Politik sehen, die er wählen würde und nicht umgekehrt einen Vertrauensvorschuss in eine Wahlentscheidung legen, nur weil der Kandidat so nett ist und viel verspricht und sich damit einreiht in die vielen zurückliegenden Versprechungen, die hauptsächlich unerfüllt geblieben waren.

Das ist ein Dilemma: Der Kandidat kann nicht mehr, als versprechen, dass alles besser wird. Und seinem potenziellen Wähler ist das einfach zu wenig.

So kommt es, dass der Kandidat einfühlsam und individualisierend präsentieren muss, um wenigstens im Wettbewerb mit den Kandidaten der anderen Parteien die Nase vorn zu haben. Letztlich werden Sympathien für den Wahlausgang entscheidend sein, während die Partei der Kanzlerin Merkel zusätzlich auf ganz konservativ auf die setzen kann, die die bisherige Bundespolitik als Erfolg deuten und fortgesetzt haben wollen.

Der Herr Schultz ist ja wirklich nett. Er spricht auch deutlich. Es gibt viele Menschen, bei denen das auch so ist. Allerdings hängen die meisten nicht mit einer Partei zusammen, die selbstgefällig dahin schlummert und eigentlich nur gebraucht wird, die anfallenden Mandate zu besetzen. Es kann wohl sein, dass dabei ganz neue Talente nach oben gespült werden, die der sozialen Gerechtigkeit zum Durchbruch verhelfen. Sicher ist das allerdings nicht.

Keniakoalition

In Sachsen-Anhalt planen sie jetzt die Keniakoalition. Warum nicht einfach mal alles andersherum aufziehen?

Bisher sucht man die von den Parteien bevorzugten Farben und bastelt sich mit journalistischer Absicht denkbare Koalitionen zusammen und sucht dann in der Liste der Nationalflaggen die passende aus.

Suchen wir und doch einfach eine schöne Flagge eines schönen Landes aus und wählen danach die Parteien mit ihren Farben für eine Koalition nach dem Flaggenvorbild zusammen. Nach den Bikoloren und den Trikoloren sind jetzt auch die Multikoloren durchaus Anwärter darauf, so eine Koalition zu benennen. Es geht also von der Haitikoaliton über die Deutschlandkoalition zur Mauritiuskoalition.

Ach ist das schön, wenn man die Politik mit so viel Eine-Welt-Flair füttert und ganz nebenbei Begriffe schöpft.

Sie bleibt dabei – Die Volkspartei

In der Berichterstattung nach den jüngsten Landtagswahlen wird immer wieder darüber berichtet, diese oder jene Partei sei nun in diesem oder jenem Bundesland keine Volkspartei mehr. Aus dem Kontext ergibt sich meistens, dass die Berichterstattung Volksparteien für große Parteien hält die ihren Status mit fehlender Zustimmung des Wählers verlieren.

Damit wird außer Acht gelassen, dass der Begriff Volkspartei zur Abgrenzung von der Interessen- oder Klientel-Partei eingeführt wurde. Noch in der Weimarer Zeit herrschten Parteien vor, die einem bestimmten Thema folgten und hinter sich Wähler versammelten, die nur das jeweilige Thema bevorzugten. Nach dem 2. Weltkrieg entwickelte sich das Parteiensystem weiter. Es entstanden sogenannte Plattformparteien oder Volksparteien. Der politische Diskurs fand also zunächst nicht mehr allein zwischen den Parteien statt, sondern vorab innerhalb von Volksparteien. Volksparteien sprachen alle Bürger an und sahen sich für alle politischen Fragestellungen zuständig. Sie entwickelten deshalb innerparteiliche Strukturen zum Interessenausgleich und zur Abwägung politischer Schwerpunkte. Vor der parlamentarischen Auseinandersetzung ist also stets die Schärfe der bedingungslosen Interessenpolitik einzelner Gruppen bereits entschärft.

Für den Bürger entsteht deshalb oft der Eindruck: Die machen eh alle das Gleiche ohne den Bürger zu fragen. Er neigt dazu, zum Wechselwähler zu werden oder doch ganz auf die Wahl zu verzichten. Wenn neue Parteien auftauchen, die eine Interessenpolitik für ein ganz bestimmtes Segment der Politik anbieten oder Spitzenkandidaten auftreten, die sich dem Prozedere des ständigen Abstimmens verweigern und individuelles Profil zeigen, dann neigt der Bürger dazu, den Volksparteien mit ihrer systembedingten Softpolitik des ständigen Verhandelns zu kündigen.

Interessenparteien und Volksparteien sichern jede auf ihre Weise eine politische Vielfalt.

Volksparteien einfach nur zu großen Parteien zu machen und Interessenparteien möglicherweise auch noch zu kleinen Parteien wird einem differenzierten Verständnis der Parteipolitik wirklich nicht gerecht.