Wer liest schon, was alles so geschrieben steht?
Es werden nur wenige sein. Meistens haben sie auch nichts verpasst. Zum Beispiel den Hinweis darauf, dass eine Firma umgezogen ist. Ich habe das heute in Neuß lesen müssen. Hinter dieser Mauer war also eine Spedition. Der Innenhof ist zugepflastert und trägt einen spärlichen Bewuchs hartnäckiger Grünpflanzen. Unsortiert stehen in dem Hof ein paar Personenkraftwagen rum. Alles wirkt trostlos und aus der Zeit gefallen. Jetzt nehme ich mir zum Zweck der Erkenntnis das Schild noch einmal vor: Wir leben im November 2024. Dem Umzug wird im nächsten Jahr ein 20-jähriges Jubiläum zustehen. Ich hätte das nicht lesen sollen, spiele aber doch mit dem Gedanken, der Firma zu gratulieren.
Die Einbahnstraße
Wenn man bestimmte Orte öfter anfährt, folgt die Parkplatzsuche meist bestimmten Ritualen. Heute bin ich dabei von der falschen Seite in eine Einbahnstraße gefahren. Die Einbahnstraße gab es bisher nicht. Ich hatte es also nicht für nötig gehalten, die Beschilderung zu überprüfen. Allerdings hätte ich mich vermutlich auch bei einer kognitiveren Aufnahme der neuen Beschilderung von der unzulässigen Seite in die Straße begeben. Mein Parkplatz war nämlich der erste hinter dem roten Schild mit dem weißen Balken. Der zugelassene Weg dorthin wäre ungefähr einen Kilometer weit gewesen. Niemand würde um einen Park und einen großen Wohnblock herumfahren, um einen vielleicht noch unbelegten Parkplatz zu ergattern.
Als ich wieder weg fuhr, dachte ich einen Moment daran, dass meine übliche Sorgfalt durch Alterserscheinungen ausgebremst wird. Da fühlte ich mich dann aber doch rehabilitiert und gut aufgehoben, als ich meine Parklücke nicht verlassen konnte, weil auf der Straße ordentlich Verkehr war. Direkt hintereinander fuhren insgesamt sieben Autos – alle in der verbotenen Richtung. Ich hätte gern den Verkehr dort noch weiter beobachtet. Ich habe mich dann aber doch gezwungen, diesen wilden Tatort nachdenklich zu verlassen.
Die Rheydter Hauptpost
Die Rheydter Post ist ein imposantes Baudenkmal der wilhelminischen Neorenaissance uns seit weit über 100 Jahren auch heute wirklich noch eine Post. Ihre Renovierung von vor zehn Jahren ist längst vergessene Geschichte. Allerdings benötigt die Post heutzutage nur noch einen verhältnismäßig kleinen Bereich des Gebäudes. Der Rest des Gebäudes wurde in den letzten Jahren wohl umgenutzt und erscheint mittlerweile ungenutzt. Das Haus ist äußerlich so wenig gepflegt, dass man schon gar nicht wissen will, wie es innen aussieht. Der Postbetrieb ist aus dem Standardgestaltungspaket des Postkonzerns hergerichtet und wirkt im Postgebäude insgesamt als Fremdkörper. An der Hauswand machten sich büschelweise offenbar ungewünschte Wildkräuter breit. Neben den Radständern Marke Felgenbrecher steht ein Kinderwagen voller sehr merkwürdiger Müllteile. Ein Regenrohr wurde teilweise behelfsmäßig durch eine Plastikschlauchfolie ersetzt. Dazu hat man dann pragmatisch den Blitzableiter, der wohl mit dem Rohr verbunden war, außer Funktion gesetzt und zur Wand hin weggebogen.
Die Post hat obendauf ein wunderschönes Türmchen, wahrscheinlich mit einem spektakulären Turmzimmer. Da würde man gern mal bei Kaffee und Kuchen einen Nachmittag verbringen.
Es ist zu befürchten, dass dereinst der Blitz einschlägt und das Gebäude anschließend von der Denkmalliste gestrichen wird.
Die Umverpackung
Die Entwicklung von Verpackungen haben mit Blick auf eine unbelastete Lebenswelt zur Unverpackung geführt. Es gibt Läden, in denen alle Waren unverpackt sind. Man sollte dorthin sinnvollerweise die Verpackung mitbringen, die weitgehend universell sind und dies und jenes aufnehmen können. Man ist dann aber nicht nur verpackungsarm, was der Umwelt dient, man ist aber auch dem Produkt mit allen Sinnen sehr nahe und frei, die gewünschte Menge zu wählen.
Ein gegenläufiger Trend ist die Weiterentwicklung der Umverpackung. Eine Umverpackung konkurriert im Material, in der Ästhetik und Passform und oft sogar im Preis mit der Ware, die darin verpackt ist. Erfahrungen im Marketing belegen, dass häufig für die Kaufentscheidung Umverpackungen einen großen Wert haben. Es gibt gar Umverpackungen, die auch ohne Inhalt vermarktet, gehandelt und genutzt werden. Wer ein neues Handy kauft, betrachtet die Verpackung nicht als Müll und erfreut sich an den funktionalen Designerteilen und bewahrt einen hohen Wiederverkaufswert seines Handys, wenn die Umverpackung dabei ist.
Gleich wohl ist die Umverpackung nur eine wertsteigernde Verpackung, die entbehrlich wäre, wenn man die Umwelt höher bewertet als die haptische Anmutung.
Einfach nur Verpackung zu sagen, das wäre angemessen. Stattdessen macht sich aber ein Unboxingkult breit. Es gibt sogar Auspackfilme, in denen der Käufer mit feuchten und bebenden Händen den eingekauften heißen Scheiß langsam aus der Verpackung löst, nicht ohne das Schlüsselwort unboxing in seine Sprache und seine Tags eingebaut zu haben.
Die kleine Ausgrenzung
Es ist ja gut und hilfreich, dass bei der Fernsehübertragung von Sportveranstaltungen die Namen der Sportler und andere wichtige Informationen eingeblendet werden.
Aber gerade deshalb hört das, was wir über Inklusion wissen, ganz eigenwillig und plötzlich auf. Ein denkwürdiges Beispiel geben die Paralympics 2024 in Paris ab. In der französischen Sprache gibt es ja keine Umlaute. Bei internationalen Veranstaltung wäre schlimmstenfalls ein winzigkleines technisches Problem zu bewältigen, um alles richtig zu schreiben. Trotzdem heißt die Sportlerin Müller plötzlich in der Einblendung Muller und der deutschsprachige Berichterstatter muss den Fehler ausgleichen. Heute gewann ein türkischer Schwimmer namens Unlu eine Goldmedaille. Und der deutschsprachige Reporter sagte tatsächlich Unlu. Nun habe ich keinen türkischen Reporter gehört. Ich weiß aber aus sicherer Quelle, dass er Ünlü gesagt hätte. In kaum einer Sportveranstaltung geht es angeblich so sehr um jede Sportlerin selbst, wie im Parasport. Ist das ernst gemeint?
Das Problem ist wohl, dass so eine Sportberichterstattung gedankenlos konfektionierten wird. Das Gebot der Achtsamkeit fällt durch das Raster. Wohl denen, die einen international konfektionierten Namen tragen – ohne irgendwelche Sonderzeichen. Respekt und Anerkennung bleiben aber ein wenig auf der Strecke.
Die Stadt und der Ball ⚽️
Nachdem Gelsenkörken von britischen Schlachtenbummlern der Fußballeuropameisterschaft 2024 als „Shithole“ aus der Riege sehenswerter Städte aussortiert worden ist, kontert nun die Oberbürgermeisterin der Stadt freundlich, dass das Beste an Gelsenkirchen die Menschen der Stadt sind.
Ist das nicht ein Angriff auf viele andere Städte, deren Bevölkerung unübersehbar ziemlich mies sein könnte?
Das erinnert mich an einen alten Stadtfilm aus dem benachbarten Oberhausen (der Filmstadt schlechthin). Wie der Film berichtet, ist dort ist wohl auch ein bodenständiger Menschenschlag zu Haus. Das beste an der Stadt sollen aber die vielfältigen Autobahnen ringsum sein – die beim Verlassen der Stadt verdammt dienlich sein können. Viele fahren von dort zwangsläufig Richtung Gelsenkirchen.
Ich bezweifle nicht, dass Gelsenkirchen – wie auch Oberhausen – einiges zu bieten hat. Vielleicht erfährt man ja einmal etwas davon.
Totholz
Im Holz ist der Tod des Baumes schon mitgedacht. Das Wort Holz steht besser für sich – ohne den Tod ins Spiel zu bringen, auch wenn der Förster mit seiner eigentümlichen Sprache nervt. Der Baum dagegen hat den eigenen Tod im Blick.
Regen im Bett
Mein gutes altes Dachfenster ist undicht, und zwar tropft es bei Regen an einer Stelle in mein Bett …
Ich sehe mich in romantischer Tradition schon als armen Poeten.
Der Dachdecker weiß Rat: Er hat über und neben dem Fenster – auch unter den Pfannen verdeckt – den Dreck der Jahre rausgeholt und gesagt: „Jetzt ist wieder alles okay!“ Ich hätte niemals geglaubt, dass die Lösung so einfach ist und bin schwer beeindruckt. Was will ich auch mit einem Schirm auf dem Söller …
Und heute sehe ich zur Freude etwas, was mein Dachdecker noch niemals gesehen hat – vermute ich.
Gewalt ist allerorten
Ich beklage ja seit langem die Invasion von Gewaltbegriffen zur Förderung unnötig gesteigerten Beachtung nebensächlicher bis vernachlässigungswerte Sachverhalte.
Wenn Gewalt im Spiel ist, dann kommen gemeinhin Redewendungen wie „Bombe geplatzt“ „Geschmacksexplosion“ zur Anwendung. Dies gehört sich aber vor allem nicht in kriegerischen Zeiten zur Bezeichnung friedlicher Angelegenheiten.
Vom 9.4.2024 [Sport1 online] gibt es ein ganz hässlichen Beispiel:
„Manchester Citys Trainer Pep Guardiola hat vor dem Duell gegen Real Madrid, das nach spektakulärem Verlauf 3:3 endete für einen kleinen Paukenschlag gesorgt – allerdings notgedrungen.“ — Einer der Stars hatte nämlich vor dem Spiel ein Unwohlsein und nahm deshalb nur auf der Bank Platz.
Nun ist ein betonter und isolierter Paukenschlag eine musikalische Übersetzung einer grässlichen Naturgewalt oder einem ähnlichen menschgemachten Desaster. Der Vorfall im Dunst eines Fußballspiels hat nun wirklich gar nichts damit zu tun. Aber der Paukenschlag war angeblich ja auch nur klein. Flötentöne wären vielleicht angemessener gewesen.
Die Jahreszeiten und die Osterformel
Ich habe mich ja schon vollkommen zu Recht künstlich aufgeregt, wenn es um den Beginn der Jahreszeiten geht. Noch mal kurz: Frühling und Herbst beginnen, an den Tagen an denen Tag und Nacht gleich lang sind. Der Sommer beginnt am längsten Tag und der Winter an der längsten Nacht. Die Meteorologen meinen, den Beginn der Jahreszeiten auf den jeweiligen ersten Tag des jeweiligen Monats legen zu dürfen. Das ist falsch – total falsch(!) – und spiegelt nur die antiquierte Statistik dieser Experten, die angeblich nur monatsweise errechnet und fortgeschrieben werden kann.
Aber aufgemerkt! Ich habe nun noch einen dritten Jahreszeitenbeginn, der aber nur für den Frühling gilt. Es ist der katholische Frühlingsbeginn, in dieser Gegend hier für die Westkirche. Der wird zur Berechnung des Osterfestes und weiterer nachfolgender Festtage benötigt. Dieser Frühlingsbeginn ist erst einmal unverrückbar der 21. März, auch wenn der Kalender zum Beispiel in Schaltjahren ein anderes Datum vorgibt. Man nimmt dann den nächstfolgenden Vollmond und am dann nächstfolgenden Sonntag ist Ostern. Wenn man die Ostkirche und Besonderheiten bestimmter Länder und Kalenderformate mit berücksichtigt und die vorherrschenden Berechnungsmethoden unterschiedlicher Mathematiker, dann will der oberflächlich osterinteressierte Mensch schon nicht mehr mitdenken wollen. Er guckt nur noch in den richtigen Kalender. Abweichende Berechnungsbesonderheiten evangelischer Art sind mir unbekannt.
Seit meiner Kindheit ist das für mich trotzdem alles sehr einfach und sogar ohne Kalender zu bewerkstelligen: Wenn Schnee fällt, dann ist Winter – meine Lieblingsjahreszeit. Im einem zeitlich vorgegebenen Tagesablauf, der ja für viele Menschen gilt, gibt es aber zwei weitere jahreszeitlich bedingte Stichtage, die uns nicht unbeeindruckt lassen. Das ist zum einen der Tag, an dem man keine Beleuchtung mehr braucht, wenn man morgens aufsteht und der Tag, an dem man dann wieder ohne Beleuchtung nicht mehr aus dem Bett steigen mag. Allerdings bringt die konventionelle Uhrumstellung zweimal im Jahr alles durcheinander. Sie ist der mißglückte Versuch, die Abläufe der Planeten mit einem primitiven Toolkit menschennützlich auszutricksen.
Ohne Jahreszeiten wäre das Leben sehr viel langweiliger. Wir hätten vermutlich nicht einmal so fragwürdige Erfindungen wie den Laubbläser und die Übergangskleidung.