Selfies aus der Holocaustgedenkstätte

Es mehrt sich die Kritik an der Respektlosigkeit in den touristischen Auftritte breiter Besuchergruppen in den Gedenkstätten gegen die Massenmorde in der Zeit des deutschen Nationalsozialismus. Der Hang zum Selfie ist respektlos an so einem Ort. Dass so ein Selfie der kollektiven Erinnerung dient, wird in diesem Zusammenhang meistens bestritten, ist aber doch nicht so einfach von der Hand zu weisen. Denn wer weiß schon schlüssig, welchen Weg solche Bilder nehmen?

Mit der Zeit wird jedes historische Ereignis auch dann zu Episode, wenn es ganz besonders einmalig und zunächst unvergesslich ist und bleiben soll. Die Geschichtsbücher sind voll davon. Wir haben Gedenkstätten, um den Prozess der gegenwartsfernen Geschichtswerdung durch eine überdauernde Gegenwart in den Gedenkstätten und ihren Besuchern aufzuhalten. Nach aller Erfahrung funktioniert das für eine gewisse Zeit. Bereits im Gespräch mit Menschen unterschiedlicher Generationen und Kulturen merkt man aber bereits heute, über 70 Jahre danach, ganz deutlich die zunehmende Distanz zum Völkermord, der dem Gedenken zugrunde liegt. Dass Deutsche nicht mehr unter dem belastenden Überbau von Schuld und Sühne ins Ausland fahren, wird ja auch als gesunde Entwicklung gesehen. Dass sich kulturelle Ereignisse in jedem Fall besser als Freizeitpark verkaufen lassen, liegt zudem auch nicht am Besucher einer Gedenkstätte, sondern an der weltumspannenden herrschenden Idee, alles in der Welt markttauglich herzurichten.

Ich weiß, dass würdevolle Besuche in Gedenkstätten möglich sind, heutzutage in Israel, vor 30 Jahren in Europa, und wenn man sich Mühe gibt, letzteres auch heute noch.

Dass trotzdem alles zum Spektakel verkommt, zeigt sich in der Betrachtung einzelner Menschen in Gedenkstätten. Sie spiegeln aber eben auch nur den Zeitgeist, nur hoch gehandelte Marken zu bevorzugen und den unaufhaltsamen Prozess historisches Einebnung und Relativierung.

All das spiegelt sich im Handel mit NS-Devotionalien. Sie erzielen Höchstpreise. Das im KZ-Dachau entwendete Eingangstor mit der Schrift „Arbeit macht frei“ im Jahr 2014 war kein Einzelfall. Er zeigt aber, welche Geschmacklosigkeiten den Handel antreiben. Es war ja kein Einzelfall. Im Jahr 2016 ist das Tor in Norwegen aufgetaucht. Gottseidank hat die Lust auf Abgründe aber auch Widersacher. Die Polizei arbeitet jedenfalls daran.

Hatte Tante Emma einen Laden?

Heutzutage meinen wir zu wissen, dass es damals noch Tante-Emma-Läden gegeben hat. Wir sind mit solchen Erkenntnissen aber unwillkürlich im Bereich des Postfaktischen.

Es gab bis tief in die 50er Jahre die kleinen, vom Inhaber geführten Lebensmittelläden. Für den täglichen Bedarf waren sie in der Nähe. Für lebende Hummer und Trüffel und Hase, musste man schon weitere Wege in Kauf nehmen.

Die kleinen Lebensmittelläden hatten keinen Namen, der in Leuchtbuchstaben oben drüber stand. In nachbarschaftlicher Verbundenheit kannte man den Inhaber oder die Inhaberin persönlich. Deshalb sprach man sie auch mit Namen an. Die häufigsten Namen waren damals für erwachsene Menschen vermutlich Lotte und Horst. Die Mutter sagte, wenn sie das Kind einkaufen schickte: „Geh mal eben zur Lotte, Sauerkraut holen!“ Meistens wurde das auch erst einmal ohne Geld geregelt. Bezahlt wurde dann am Monatsende. Kinder sagten, wenn sie ihren persönlichen Groschen in Brause und Nappos umsetzen wollten: „Ich geh mal eben nach Tante Lotte.“

Die Bezeichnungen Tante und Onkel wurden zudem in dieser Zeit für alles mögliche gebraucht. Mein Onkel Matthis beispielsweise war stadtbekannt und zudem bei allen Kindern höchst beliebt. Wenn die Kinder ihn mit seinem Hund Purzel auf der Straße sahen, liefen sie zu ihm hin und sagten: „Hallo Onkel Matthis!“ Der gab dann jedem Kind frei aus der Jackentasche so flache, runde Schokoladenstücke mit Liebesperlen drauf, die er eigentlich für Purzel dabei hatte. Manchmal gab es auch ein Fünfpfennigstück. Wenn ich dann mal sagte: „Das ist aber mein richtiger Onkel!“, dann habe ich nur Unverständnis geerntet. Der Onkel war zum Gemeingut geworden, wie auch die Ladenbesitzerin Lotte. Eine Emma war mir unbekannt. Unter den beliebtesten Namen wurde Emma ohnehin erst 30 Jahre später mit einem Anklang Emanzipation gehandelt.

Wenn also vom Tante-Emma-Laden die Rede ist, dann ist Emma nur ein unzureichender Platzhalter für alle möglichen Namen und Tante ein Rückblick auf das Kind als Kunde.

Es bleibt nur das kleine, inhabergeführte Lebensmittelgeschäft, das in den 50er Jahren ausstarb, weil es der grenzenlosen Auffächerung und Bewerbung meist sinnloser Produkte in Einkaufsparadiesen nicht folgen könnte. Kioske und Tankstellen haben einen kleinen Teil der Funktionen übernommen.

Am 9. November ist was los …

Nur wird allerorts gesammelt, was der Deutsche denn so am 9. November vor 25 Jahren gemacht hat. Wenn er nicht gerade die Berliner Luft geatmet hat, dann wird er wohl am Fernsehgerät verfolgt haben, wie die Bürger den tödlich überregelten Staat mit einfach formulierten Interessen in Windeseile überfordert haben. Die Geschichte lehrt, dass die Überforderungen dieser Art über kurz oder lang alle Verfassungen zum Einsturz bringen, wenn ihnen menschliche Interessen entgegen stehen.
Ich lag an diesem Tag vor 25 Jahren nach einer Knieoperation zu Hause auf dem Sofa und mit dem linken Bein zur Entlastung hoch auf der Lehne. Dazu gab es nett dekorierte Häppchen und ein kleines Glas Rotwein. Es war mein Geburtstag!
Heute kommuniziert mein Computer, dass ich damit nicht allein bin.

NOgeb

Ein gewisser Norbert Ortmann soll auch Geburtstag haben.

Ich zweifele nicht daran, dass jener auch mal hinter der Mauer auf den Putz gehauen hat, wie auch damals am 9. November gegen die Naziangriffe auf die Bürger jüdischen Glaubens und damals am 9. November gegen den Hitler-Ludendorffs-Putsch an der Münchener Feldherrnhalle, am 9. November für die Abdankung des Kaisers und am 9. November für die Märzrevolution, die eine demokratische Verfassung hätte bringen können.

Heute sitze ich da, mit einer Tasse Tee und genieße den für ein Menschenleben immerwährenden Frieden wie eben auch diesen Tee. Die Freiheit in Frieden will gewagt werden, täglich neu. Wenn man sie im sicheren Besitz wähnt, verändert sie unter Beibehaltung ihres Namens ihre Eigenschaften und schlägt als Bevormundung übel auf uns ein. Diese Wendungen werden immer spitzfindiger: Die Bevormundung begegnet uns gerade sehr stark im Mainstream bis hin zum Mainstream in Subkulturen.
Das Essen ist gut! –– und ein Doppelleben wäre nicht von schlechten Eltern!