Nachschlag in Nepal

Wäre das Nachbeben ein Vorbeben, würde heute die Weltpresse wieder in Nepal einfallen. Die Mitleidskonzerne würden ihre Fahne raushängen und das steigende Spendenaufkommen heimlich bejubeln. Die Hilfsorganisationen würden mit Ärzten, schwerem wie leichtem Gerät und Hunden über Nacht anreisen. Das ist ihr Geschäft.
Aber es ist ein Nachbeben. Es hilft möglicherweise beim Abbruch wackliger Mauern.
Die Presse hat gezeigt, was zu zeigen war und bleibt daheim. Die Mitleidskonzerne sind froh, dass sie ohne Zweckbindung gesammelt haben. Die Hilfsorganisationen sind mangels Infrastruktur abgereist und konnten nicht einmal zeigen, wie effektiv sie wirklich hätten helfen können.
Jetzt sind die Alteingesessenen in Nepal alle wieder mit den traditionellen Unzulänglichkeiten in der Infrastruktur und der Politik allein und es würde nicht überraschen, wenn sie diese Tradition fortsetzen. Die Hilfe von Außen ist ja lediglich für Katastrophen gedacht und auch nur in solchen Fällen manchmal wirksam.
Alle hatten etwas von der Katastrophe, nur die Menschen in Nepal nicht. Sie werden nun notgedrungen vermehrt als Sklaven in Katar im Fußballstadienbau ihr Leben für ein paar Kröten riskieren, anstatt die Demokratie zu bewegen und die Einnahmen in eine Infrastruktur zu investieren. Die betuchten Bergbezwinger sind mit Geld und einem blauen Auge davon gekommen und sehen sich den Nepalesen wie dem Himmel noch näher als vordem und sind doch in Wirklichkeit weiter weg als sie es je waren.

Und jetzt noch eine interessante Denkbewegung, die mir gerade zugetragen worden ist: Experten halten das besagte Nachbeben für ein Hauptbeben, das also selbst Nachbeben auslöst.
Offenbar ist die Abfolge der Katstrophen so schnell, dass sie sich nicht mehr gesondert vermarkten lassen. Da drängt sich das Reden vom Nachbeben geradezu auf.

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Salutderivat

Eigentlich schreibe ich das hier für die Werkszeitung von Heckler&Koch. Vorsorglich poste ich es aber schon einmal hier.

Die Salutschüsse für verdiente wie unverdiente Würdenträger sind von jeher nach Status und Anlass gestaffelt. Der König kriegt 100 Kanonenböller, sein Deputy lediglich eine schmale Gewehrsalve zur Ehre.
Wenn nun der nordkoreanische Verteidigungsminister – weiß der Deibel, wie er an den Job gekommen ist – hingerichtet wird, dann gilt eine Analogie, die sich aus dem gleichen Begründungsmuster speist: Ein ausgewachsenes Flugabwehrgeschütz hat ihn stehenden Fußes unter seiner Dienstmütze pulverisiert.
Mir fallen gerade die Momentaufnahmen von deutschen Spitzenpolitikern ein, die mitten im politischen Geschäft gedöst haben. Sie fallen mir ein, weil der jetzt ehemalige nordkoreanische Verteidigungsminister auch gedöst haben soll. Er soll auch an entscheidender Stelle Widerworte gegeben haben. So weit ist es Gott sei Dank bei deutschen Spitzenpolitikern noch nicht gekommen.

Leidgeprüft

Der türkische Ministerpräsident Ahmet Davutoğlu sprach in Dortmund die deutsche Haltung zum Völkermord an den Armeniern an.
Die Welt schreibt heute:
Da ist es wieder:
Das Beleidigtsein ohne vorausgegangene Beleidigung.

Das ist Betroffenheit ohne betroffen zu sein.
Es wird ja oft zu wenig beachtet:
Man neigt gern einmal dazu, Gefühle zu zeigen, die man gar nicht hat, um jedem Argument vorzubeugen. Denn geäußerte Gefühle zweifeln wir fast nie an, weil es der Respekt vor dem anderen so vorgibt.
Ob man überhaupt die Geschichte beleidigen kann, das glaubt der Sprecher wohl selbst nicht. Er zieht sich das Beleidigtsein an und spricht so, als sei nur die Geschichte beleidigt worden.

Rumgriechen …

Die Presseberichte scheinen ein neues Lieblingsthema zu haben. Die Zeitungen sind voll davon, dass die griechischen Regierung gern zu Drohungen greift und aber auch erpresst
Beispielsweise twittert heute die ZEIT:
28.04.15 04:17
Griechenlands Regierungschef Alexis #Tsipras droht mit einem Referendum über umstrittene Sparmaßnahmen. (nd) zeit.de/wirtschaft/201…

Ich vermag in solchen Zusammenhängen allerdings weder eine Drohung noch eine Bedrohung erkennen. Mit den Zitaten, die Erpressung erwähnen, geht es mir ebenso. Eine Erpressung mag ich nicht erkennen.. Wenn die in anderen Ländern manchmal unbeliebte Regierung Griechenlands eine offensichtlich volksnahe Politik ankündigt, dann ist es doch genau das, was man von ihr erwarten muss. Man muss sogar erwarten, dass sie das auch umsetzt. Sollten solche Ankündigungen außerhalb der Internationalen Erwartungen liegen, dann steckt ein Drohpotential offenbar in solchen Erwartungen und ihrer Vermarktung, weil ihnen Machtverhältnisse zu Grunde liegen. Entgegen allen herrschenden Erwartungen liegt der Fortschritt zudem niemals im Mainstream, sondern in der begründeten Abweichung davon.

Politik im Mainstream erstirbt in ihren Ritualen.

Nepal ist überall

Nichts funktioniert so gut, wie die Spendensammlung im Katastrophenfall.

Die Hilfsorganisationen bitten schon um zweckungebundene Spenden, weil sie das Geld anderenfalls nicht sinnvoll verwerten können. Die Nothilfe ist nun auch in Nepal gesichert. Langfristige Hilfen – in Nepal beispielsweise für die Infrastruktur und sichere Gebäude – funktionieren dagegen nicht. Es wäre schon gut, Fischern nicht ihre Fanggründe leerzufischen, mit unseren abgelegte Textilien und Schlachtabfällen nicht ferne Märkte zu verstopfen und über private Rechte an Saatgut die Landwirtschaft zu erschweren …

Ganz nebenbei wäre damit der Umzug übers Mittelmeer nicht mehr die letzte Chance zur Menschenwürde.

Es verwischt nur die Fronten für ein gutes Gefühl, wenn man aus seinem Überfluss spendet. Es ist obendrein ungerecht, weil die eher ärmeren Leute zum Spendenaufkommen überproportional beitragen, während dieser reicheren Menschen ihr aktives Spenden auch wirtschaftlich nutzen.
Zu raten ist, eine Entscheidung dafür zu treffen, keine Märkte auszubeuten und historische Ausbeutungen weitestmögliche auszugleichen. Daran kann jeder allein schon durch bedachte Kaufentscheidungen mitarbeiten.

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Über das V-Wort

Das Leben wäre in diesen Tagen auch für manchen Türken einfacher, wenn er aufnehmen würde, dass der Sprachgebrauch frei ist und beispielsweise das Wort Völkermord wie jedes andere Wort auch zur freien Auswahl steht. Auch in dem Verhältnis von Türken und Armeniern kann und darf also selbstverständlich Völkermord thematisiert werden. Eine Gegenrede ist jederzeit möglich. Möglich ist es aber nicht, für andere verbindlich den Sprachgebrauch über die Deklaration von Tabuwörtern zu regeln.
Das widerspricht grundlegenden Freiheitsrechten und bewirkt eine Selbstisolation im Bad kruder Verschwörungstheorien.

Das Gute an der Sprache ist, dass sie an die Gemeinschaft der Sprechenden gebunden ist. Der Versuch, Vorschriften für den Sprachgebrauch zu machen, wird also unweigerlich scheitern.

Studideldumm …

DieWirtschaftskonzerne und ihre Verbände sprechen neuerdings davon, dass Hochschulabsolventen für die Praxis schlecht ausgebildet sind und fordern, daran etwas zu ändern.

Sie verwechseln offenbar aus Eigeninteresse ein Studium mit einer Berufsausbildung. Während in einer Berufsausbildung feststeht, welche Kenntnisse und Fertigkeiten zur Berufstauglichkeit gehören, ist das Studium voraussetzungslos darauf ausgerichtet, selbstverantwortlich um der Erkenntnis willen die Einzelheiten des jeweiligen Fachbereichs – durchaus auch mit Erkenntnissen und Methoden anderer Fachbereiche – in Frage zu stellen.
Nun ist es in dem umstrittenen Bolognaprozess der EU mit Anfeuerung der Wirtschaftskonzerne gelungen, alle Studiengänge mit Studienordnungen so zu verschulen, dass es unter Beibehaltung des Namens Studium zur Berufschulausbildung verkommen ist. Studenten beklagen das, doch sie wissen bald nur noch über historische Dokumente, wie ein Studium sein könnte und spielen die Fortsetzung der Schule mit, denn das können nach einem langen Schülerleben.
Die aktuelle Initiative der Wirtschaftskonzerne ist offenbar darauf ausgerichtet, ihre Investitionen in die Berufsausbildung einzusparen und sie auf Kosten der Allgemeinheit auf die Hochschulen zu verlagern. Der Bachelor ersetzt folgerichtig den Facharbeiter und er ist auch finanziell nicht besser gestellt. Die hohe Zahl der Hochschulabsolventen deutet also nicht unbedingt auf ein hohes Bildungsniveau hin. Arme und reiche Menschen trennt immer mehr, der Hochschulabschluss vereint sie aber alle. Die Wirtschaftskonzerne wollen mit gleicher Zielsetzung auch keine Arbeitslosen oder Flüchtlinge ausbilden, sondern die Zuwanderung ausgewiesener Experten aus anderen Ländern, in denen diese selbstverständlich vorrangig gebraucht werden.
Die Wirtschaft steuert ihre Gewinne über die Herrichtung von Märkten und Konsumenten, die speziell für den erwarteten Konsum sozialisiert sind, damit auch noch die letzten Armutsgroschen zu Ihnen zurück fließen. Abweichendes Verhalten, Verweigerungen und Überforderungen sind nicht gern gesehen. Ein richtiges Studium könnte so etwas jedoch fördern. Deshalb geben sich die Wirtschaftskonzerne auch mit Halbheiten nicht zufrieden. Es zählen bereits diverse Gesundheitsapps unsere Schritte, um uns so zu optimieren. Nur noch über das Zeitgeistsyndrom Burnout finden wir einen Ausstieg hin zur großen Freiheit.
Es bleibt daran zu erinnern, dass der Fortschritt nur über abweichendes Verhalten möglich ist. Alles andere endet in einem geschlossenen System, in dem die Superreichen ihr Vermögen im Investitionsnotstand gern auch mit wohltätiger Attitüde immer wieder weitergeben und der Ausgebildete sich dem Kanon der für ihn gruppierten Inhalte und Verfahren auf ewig beugt.

Wortwahl Flüchtling

Die Robert-Bosch-Stiftung hat erforscht, warum die Leute nach Deutschland kommen. Die wenigstens kommen jedenfalls mit dem Vorsatz, als politisch Verfolgte dort um Asyl zu bitten. Die meisten kommen aus einer Notlage, die sich ohne eine Flucht nicht bewältigen ließ. Sie kommen einfach nur als Flüchtlinge. Wenn man sie fragt, sind die Einzelheiten ihres Motivs jeweils einzigartig kombiniert. Das, was sich in Politik und Verwaltung um den Begriff Asyl rankt, spielt für sie eigentlich keine Rolle.

Dennoch werden Flüchtlinge mit der Ankunft in Deutschland zu Asylbewerbern. Das ist zunächst unverständlich, weil sie gar keine sind und auch weitestgehend keine Chance haben, also solche anerkannt zu werden.
Der Hintergrund ist die fälschlicherweise gleichbedeutende Verwendung der Begriffe Flüchtling und Asylbewerber ausgehend von der Presseberichterstattung. Der Hintergrund ist aber auch eine spezifische Gesetzeslage, die den Flüchtling in den Status des Asylbewerbers zwingt: Er wird ungefragt, geradezu automatish zu einer Antragstellung als Asylbewerber geleitet. Er hat zwar keine Chance als Asylbewerber anerkannt zu werden – lediglich jeder 20. wird anerkannt – hat aber für die Dauer des Verfahrens erst einmal etwas Geld und eine sichere Bleibe. Was Asyl tatsächlich ist, wird er auf Wunsch eventuell hinterher erfahren.
Es ist schon eine starke Portion Gewalttätigkeit im Spiel, vom Flüchtling zum Asylbewerbern gestempelt zu werden. Aber so friedfertig wie gewünscht sind die Deutschen ja nicht, auch nicht in Parlamenten und Behörden.
Mein Wunsch ist es, dieses gewalttätige Wort Asylbewerber für diejenigen Leute wieder abzuschaffen, die einfach nur Flüchtlinge sein wollen – und um die wir uns selbstverständlich auch so zu kümmern haben. Die Genfer Flüchtlingskonvention sagt, wie das geht. Und wir wissen das wahrscheinlich auch ganz gut.

Veganismus als Weltanschauung

In der Presse wird gerade darüber diskutiert, welche Zukunftsaussicht der Veganismus hat. Experten sind skeptisch.

Weltanschauungen überdauern für längere Zeit, wenn sie sich erst etabliert haben. Sie unterliegen aber trotzdem dem Wandel in der Geschichte. Viele Weltanschauungen sind längst begraben. Der Veganismus selbst ist allerdings noch gar nicht zu Weltanschauung gereift. Vegan lebende Menschen vernetzen sich immer mehr und missionieren aktiv wie passiv als Lobby für Tiere und gehen als personifiziertes Beispiel voran. Viele Erscheinungen auf dieser Welt werden aber gar nicht veganideologisch erfasst, weil in ihnen Tiere nicht vorkommen. Die Inflation der als Weltraumfahrer oder Nachrichtensprecher verkleidete Tiere in Filmen und auf Fotos wird als süß markiert, vermutlich um die Missionstätigkeit in der großen Welt fehlgeleiteter Tierfreunde nicht zu erschweren. Hundekotkontaminierte Stadtlandschaften bleiben ebenso außerhalb de Betrachtung wie die pferdeverrückten Kinder und Reitsportler, die ihr Sportgerät des Überflusses derart vervielfältigen, das es mehr Pferde gibt als zur Zeit der Kutschen. Gnadenhöfe werden in die Infrastruktur eingebaut und bisweilen aufgelöst, weil die Tierliebe auch auf Kosten der Tiere zum lukrativen Geschäftsmodell taugt.
Vielleicht ist es ja das kapitalistische Wirtschaften, das sich zur beherrschenden Ideologie entwickelt hat und letztlich alle ideologischen Konkurrenten gleich mit instrumentalisiert: Man wendet sich zu Recht dagegen, das Tier als Ware zu verwursten und nutzt gleichzeitig das kapitalistische Grundparadigma, sich zu etablieren. Ein gutes Beispiel dafür ist, dass die Tierrechtsorganisation PETA in den USA Gift und Waffen einsetzt, um die Tiere zu entsorgen die für die lebende Wiederverwertung nicht schön genug sind und die sich das Land in einer Gefühlstrunkenheit an Feiertagen und so weiter immer wieder leistet. PETA entlässt damit den Staat aus seiner Verantwortung. Die Glaubwürdigkeitskrise des kapitalistischen Wirtschaftens infiziert also auch eine Speerspitze der veganer Bewegung. Rechtfertigungsversuche gehören dazu und machen die Sache nur noch schlimmer.

Jaja – die Welt ist ungerecht und sie wird es auch bleiben. Wir werden daran aber nicht zugrunde gehen, nur der eine und der andere. Wir werden Freude haben, auch wenn unmittelbar daneben Menschen und Tiere sterben. Da helfen eben nur Toleranz und unbelastete Gespräche, um die Welt nie endend zum  guten zu wenden. Die Depression für alle wird dagegen kein Erfolgsmodell werden!