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Die Tagesschau reformiert die Begrüßungsformel und streicht darin „… meine Damen und Herren“. 

Die Sprache lebt von ihrer Vielfalt, also von ihren Möglichkeiten.

Nur in seltenen Fällen ist es ratsam, bestimmte Redewendungen verbindlich zu machen. Man sollte sich dabei aber im klaren sein, dass sie damit aus der Zeit fallen, weil sie der Vielfalt und der Entwicklung beraubt wurden. Gerade Nachrichtensprecher werden derart mit Vorgaben überhäuft, dass sie gern den Job wechseln, bevor es zu spät ist und sie in der Bedeutungslosigkeit verschwinden und nur noch für ihre schöne Stimme bezahlt werden. Sprechvorschriften folgen meist der Idee, dass man irgendetwas derart richtig sagt, dass Missverständnisse ausgeschlossen sind. Man unterdrückt damit aber, dass das Missverständnis existenziell mit der Sprache und dem Verständnis des Gesprochenen verbunden ist. Wer mit scheinbar richtigen Formeln eingedeckt wird, verlernt schon bald, gesprochene Worte mit einer Bedeutung und Bewertung  in Eigenleistung auszustatten. Reformen fester Redewendungen erübrigen sich, wenn man der Sprache, den Sprechenden und den Zuhörenden zutraut und zumuten, sich in Kontexten zu entwickeln und ziemlich viel zu verstehen, sogar Missverständnisse.

In der Praxis kommt mir die abendliche Ansprache nun sehr gezwungen vor: Früher wurde zumindest der Mainstream angesprochen, jetzt niemand mehr so direkt. Früher waren die Nachrichtensprecher sehr geschätzt. Das war in der Zeit, als es noch keine Nachrichtensprecherinnen gab. Sie gehörten zuverlässig zur Familie und wurden sehr geschätzt. Heute sind Anchorman und Anchorwoman fast verzichtbar. Sie folgen den Fernsehansagerinnen ins Altenheim und sitzen dort vor der Glotze.

Gute Missverständnisse – oder was ich eigentlich sagen will

Es ist ja bekannt, dass sich Sprachen weiterentwickeln so lange sie genutzt werden. Sprachen sind zur überdauernden Sicherheit aller Sprechenden sowohl beständig als auch innovativ. Es geht dabei um gegenläufige Bewegungen, die trotzdem unmittelbar zusammengehören. Manche Menschen halten – je nachdem, wo sie sich in der Gesellschaft verorten – das eine oder das andere trotzdem für einen Graus.

In der Welt des errechneten Durchschnittsbürgers, wird in der Kultur ganz besonders die Sprache bewahrt und zu diesem Zweck sehr vieles als richtig und falsch markiert. Der errechnete Außenseiter hat dagegen eine bevorzugte Freude an Neuerfindungen im Sprachgebrauch. 

Ich nenne einmal einige unbedeutende Beispiele: Ein Neffe, ein „waschechter“ (?!) Deutscher, ist durch eine Fügung in den Niederlanden groß geworden. Er war bereits als Kind ein Autofan und gleichzeitig ein doppelter Nativspeaker mit notgedrungen reduziertem deutschen Wortschatz. Das merkte man im Alltag aber nur sehr selten. Eines Tages erzählte er mir etwas von Bändern. Er meinte damit die Autoreifen, die auf niederländisch Banden heißen. Als Freizeitgrenzgänger vom Niederrhein konnte ich damit etwas anfangen. Es war aber im Mittelpunkt des deutschen Sprachgebrauchs wohl ziemlich unverständlich und unbrauchbar. Gestern sagte in den deutschen Medien ein deutscher Däne völlig akzentfrei „in der Beginnung“ und ich dachte für einen Moment, es müsste „am Anfang“ heißen, bis ich mich damit anfreundete. Oft sind auch Kinder in der Zeit ihres frühen Spracherwerbs die innovativen Außenseiter der Sprache. So hat eine enge Verwandte von mir in der Grundschulzeit ihre selbstverfassten Textstücke lange Zeit als eine Literaturgattung namens „Nachdenkung“ überschrieben. Für mich sind das alles Geschenke, die ich hin und wieder in meinen Sprachgebrauch übernehme, sofern ich denke, dass ich trotz aller Widerstände verstanden werden kann.  Ich spreche also niemals ausschließlich allgemeinverständlich. Das Sprachprinzip Fuzzylogic nimmt nicht nur den Sprechenden, sondern auch jeden Zuhörer in die Pflicht. Verstanden werden und verstehen gehören also zusammen. – Sprache funktioniert schließlich nur mit Missverständnissen und ohne sprachpolizeilichen Allüren richtig. Das ist doch eine gute Aussicht – auch gegen alle cancelkultürlichen Bestrebungen.

Gerade lese ich, dass Busfahrende in Berlin sehr wenig verdienen. Vielleicht sollte ich auch öfter mal Bus fahren. Schüler sind dort aber wohl auch Busfahrende im Nebenjob.

Da capo: Volkspartei

Dieser Bedeutungsverschiebung der letzten Jahre, dass Parteien mit abnehmender Wählerschaft irgendwann keine Volksparteien sein sollen, folge ich nicht. 

Der Begriff Volkspartei ist in der soziologischen Würdigung von Parteien entstanden, die keine Klientelparteien (mehr) sind und drauf ausgerichtet sind, für alle Gruppen der Gesellschaft politische Antworten zu liefern. Volksparteien können klein oder groß sein, beides ist aber nebensächlich. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gab es nämlich hauptsächlich reine Klientelparteien. Sie bedienten ihre Zielgruppe ohne gesamtpolitische Verantwortung. Heute sind Klientelparteien die Ausnahme, obwohl – oder gerade weil – ihre Programme vergleichsweise scharfgezeichnet und besonders verständlich sind, aber die Vielfalt auf der Strecke bleibt.

Okay – das Thema hatte ich schon – aber ich werde nicht müde …

Fritteusenfett

Die Tagesschau berichtet am 16.10.24, dass Flugzeuge zukünftig verpflichtend mit „Fritteusenfett“ fliegen werden. 

Weil mir das Wort Frittenfett (früher Fritenfett) geläufig ist, habe ich zunächst einen üblen Gendertrick vermutet. Ich weiß, dass das Fett ja irgendwo hin muß, wenn es eine Weile zum frittieren benutzt wurde. Vieles wird frittiert, vor allem die „Stäbchenkartoffeln“, wie ich sie von DDR-Speisekarten kenne und selbst als Fritten bezeichne. Das Frittenfett geht meistens zunächst ein Speiseöl an den Start, das auf hohe Temperaturen ausgelegt ist. In Belgien – dem Mutterland der Fritte – ist allerdings Rinderfett die erste Wahl.

Aber warum soll denn das bekannte Frittenfett jetzt Fritteusenfett heißen, nur weil es ein Flugzeug antreibt? Mir fällt dazu nichts ein. Ich freue mich schon darauf, wenn die Flughäfen so lecker riechen, wie der Diesel meines Nachbarn. Seine Frau ist Friseuse.

Meine Erinnerungskultur

Das Erinnern hat Konjunktur. Fast alles in der modernen Welt ist so vielfältig und schnell, dass es ab und zu der Erinnerung bedarf. Dazu gehört auch, dass man sich selbst erinnert. Zweckgerichtet verstreut man überall Symbole, die antriggern. Und dann erinnert man sich plötzlich daran, dass man doch noch den Stimmungsaufheller nehmen wollte. Findig, aber nicht sprachdienlich ist es, das Reflexivpronomen einfach wegzulassen.

Dass die Erinnerungsarbeit offenbar keine Zeit für das Reflexivpronomen hat, trifft mich täglich hart, also immer dann, wenn jemand „ich erinnere“ sagt und ich ein lautes „mich“ hinüber schreie. Ich höre danach immer eine unerfüllte Leere.  Nun kann es ja sein, dass der eine oder die andere das so aus einer fremden Sprache übersetzt und dann entlehnt hat. Aber fast alle, die sich in letzter Zeit um mich herum in dieser Richtung auffällig bewegen, könnten getrost als modebewusste Mitläufer kategorisiert werden.

MitleserIch sage das nur, weil tagtäglich ganze Horden von Eltern „haben“ brüllen, wenn deren Kinder mal wieder so etwas fragen wie: „Mama, darf ich ein Eis?“ – Das erinnert doch der aufmerksame Mitleser sofort.

Sem

Es ist nicht selten, dass dem Guten auch das Böse folgt. Die französische Revolution war der Anlass für eine beispiellose Demokratiebewegung in ganz Europa. Der Bürger wurde zum Souverän. Die grenzenlose Offenheit des Denkens machte die ungeübten Bürger jedoch skeptisch, ob denn wirklich jederman geeignet sei, zu wählen oder sich gar wählen zu lassen. Ihren ideologischen Überbau gewährleisten alle Dichter und Denker, die schon lange zuvor Andersdenkende und Andersausehende markiert hatten und nun mit Macht den praktischen Rassismus mit einer Theorie bekleideten und diese in den Bereich wissenschaftlicher Anerkennung bugsierten. Es folgte eine Rassentheorie samt Rassenlehre, die auch dem einfachen Menschen zur Rückversicherung diente. Man arbeitete in der Rassenforschung und nannte die vertretene Position Antisemitismus. Die unbarmherzige Verfolgung anders denkender und anders aussehender Menschen war mit der französischen Revolution zwar absichtlich beendet, wurde aber ideologisch nachgearbeitet und führte zu einer scheinbar wissenschaftlichen Begründung, warum bestimmte Menschen einfach nicht dabei sein sollten. Zunächst wurden arme Leute, Frauen und Kinder, Juden, Homosexuelle, Kriminelle und natürlich Menschen mit auffälliger Hautfarbe oder Kleidung ausgegrenzt. Bis zum heutigen Tag wurde die Demokratie weiterentwickelt und gefestigt, ist aber nicht beendet. Demokratie kann nie im sicheren Besitz sein, denn sie muss tagtäglich gewagt werden.

In der Anfangszeit des pseudowissenschaftlichen Rassismus prägte man zunächst den ausgedachten Begriff Antisemitismus. Man hatte also begriffsgetreu alle Gruppen als auszugrenzende Rasse markiert, die semitische Merkmale hatten. Sie gehen alle auf Sem, einen Sohn Noahs zurück, sprechen eine semitische Sprachen. Hauptsächlich waren es Araber, Juden, Aramäer, die sich seit dem Urvater Sem bei aller Gemeinsamkeit höchst unterschiedlich entwickelt hatten. Die Diskussion führte am Ende des 19. Jahrhunderts dazu, dass man mit den traditionell verhassten Juden eigentlich doch nicht die Araber ausgrenzen wollte. Die Ideologen des Judenhasses behielten den für diese Zeit der Rassentheorien den Begriff Antisemitismus bei, wandten ihn aber nur auf die Gruppe der Juden an. Das hörte sich weitaus seriöser an als Rassismus und hat sogar bis in die heutige Zeit überdauert. Wer heute den Weg zurück in die Anfänge des Redens über den Antisemetismus macht, kommt nicht daran vorbei, dass auch Araber selbst in Bibel und Koran Semiten sind und dass ein forcierter Angriff auf Juden eben auch die gleichrassigen Araber treffen müsste. Das denkt man aber nicht mehr und untermauert eine realpolitisch liebsame manifestierte Bedeutungsverschiebung. Die Definition heißt: Judenfeindschaft bedeutet in Fachdiskursen Antisemitismus. Man behält also das an sich als Rassismus enttarnte Wort Antisemitismus bei, sieht darin aber nicht mehr einen Segen für das deutsche Volk, sondern einen Spezialrassismus, der andere verfolgte Minderheiten nicht mitbedenkt. 

Unter Freunden

Meine Freundin K. (11 Jahre alt) sagt heute beim Frühstück: „Und gleich werde ich erstmal Skin Care machen!“

Meine Frage, was das denn sei, wird zunächst mit einem mitleidsvollen „Vergisses!“ quittiert. Ich hatte das schon deshalb nicht verstanden, weil ein englisches Wort meist in meinem Hörkonzept keinen Ankerpunkt findet. Meine Beharrlichkeit führte dann zu einem Diskurs in der englischen Sprache. Too much on the nose. Danach soll es dem Vernehmen nach für die Schule um das lyrische Ich gehen.

Conclusio:
With the sentence „Die in hell!“ you can  buy shoes in Germany.

Da explodiert wieder einmal etwas!

Die Entwicklung der Sprache bringt Bedeutungsverschiebungen mit sich. Das ist ganz normal. Nach etlichen Jahrhunderten hat ein Wort scheinbar plötzlich eine ganz andere Bedeutung. Der kurzlebige Mensch merkt das meistens nicht. Es gibt aber Ausnahmefälle. In der modernen hyperdynamisierten Welt mit internationalen Verflechtungen kann es auch mal ganz schnell gehen.

Ein gutes Beispiel ist die Explosion. In wenigen Jahren haben wir es geschafft, die Explosion der Vergangenheit heftig zu entschärfen. Wer heute meine Kürbissuppe isst, erlebt mit einem Löffel Suppe im Mund direkt eine Vielfalt von Explosionen des Geschmacks. Wie muss man sich das vorstellen? Gerade in den Medien explodiert angeblich alles an allen Stellen und in allen Situationen. Der Effekt ist, dass in unserem Verständnis von der Explosion eine Verharmlosung jeder Explosion stattfindet. In friedlichen Zeiten wäre das ja noch zu verstehen.

Der Explosion von gestern wird der Schrecken genommen und das kleine Ereignis wird aufgewertet. Man findet sich da schwerlich zurecht und verliert schließlich das Wort und läuft der Explosion sehenden Auges fröhlich entgegen. Das Wort ist verloren, aber die Gefahr bleibt.

Im Libanon explodieren gerade massenweise manipulierte Pager und Walkie-Talkies. Das ist tödlich! Doch gleichzeitig darf man es lustig finden, weil ein Geheimdienst da eine wegweisende Idee hatte, den Gegner punktgenau und trotzdem massenhaft abzuräumen.

Ziemlich para

Das olympische Feuer hat Tradition. Es ist ein weit sichtbares Zeichen dafür, dass der Sport für die Zeit der Spiele einen Vorrang hat und weltweite Friedfertigkeit einfordert. Am Ende der Spiele erlischt es.

Dass es seit einiger Zeit auch paraolympische Spiele gibt, hat die fortschreitende Gerechtigkeit von Vielfalt und Teilhabe  zur Grundlage.

Wer jetzt – wie so mancher Sportreporter – vom Paraolympischen Feuer spricht, hat wohl nicht viel davon verstanden. Es gibt keine zwei Olympischen Feuer.

PS • Die Eröffnung der parapoympischen Spiele war auch nicht  auf der Place de la Concorde, sondern auf dem Place de la Concorde, wenn man es als Berichterstatter in deutscher Sprache vorträgt.