Die Tagesschau reformiert die Begrüßungsformel und streicht darin „… meine Damen und Herren“.
Die Sprache lebt von ihrer Vielfalt, also von ihren Möglichkeiten.
Nur in seltenen Fällen ist es ratsam, bestimmte Redewendungen verbindlich zu machen. Man sollte sich dabei aber im klaren sein, dass sie damit aus der Zeit fallen, weil sie der Vielfalt und der Entwicklung beraubt wurden. Gerade Nachrichtensprecher werden derart mit Vorgaben überhäuft, dass sie gern den Job wechseln, bevor es zu spät ist und sie in der Bedeutungslosigkeit verschwinden und nur noch für ihre schöne Stimme bezahlt werden. Sprechvorschriften folgen meist der Idee, dass man irgendetwas derart richtig sagt, dass Missverständnisse ausgeschlossen sind. Man unterdrückt damit aber, dass das Missverständnis existenziell mit der Sprache und dem Verständnis des Gesprochenen verbunden ist. Wer mit scheinbar richtigen Formeln eingedeckt wird, verlernt schon bald, gesprochene Worte mit einer Bedeutung und Bewertung in Eigenleistung auszustatten. Reformen fester Redewendungen erübrigen sich, wenn man der Sprache, den Sprechenden und den Zuhörenden zutraut und zumuten, sich in Kontexten zu entwickeln und ziemlich viel zu verstehen, sogar Missverständnisse.
In der Praxis kommt mir die abendliche Ansprache nun sehr gezwungen vor: Früher wurde zumindest der Mainstream angesprochen, jetzt niemand mehr so direkt. Früher waren die Nachrichtensprecher sehr geschätzt. Das war in der Zeit, als es noch keine Nachrichtensprecherinnen gab. Sie gehörten zuverlässig zur Familie und wurden sehr geschätzt. Heute sind Anchorman und Anchorwoman fast verzichtbar. Sie folgen den Fernsehansagerinnen ins Altenheim und sitzen dort vor der Glotze.