Meine Rechtschreibung

Rechtschreibung ist geschichtsvergessene Konvention – nicht mehr. Alles, was neu ist, kommt nicht aus der Rechtschreibung selbst, sondern aus der Missachtung der Rechtschreibung. Zum Glück ist eine gezielte Missachtung ab und zu auch dabei.

Mit der Rechtschreibung habe ich zudem noch ein nicht unbedeutendes Problem: Manchmal gibt es Wörter in zwei „richtigen“ Ausführungen, von denen ich aber meist nur eine Ausführung für richtig annehmen mag. Deshalb gehöre ich beispielsweise zu jenen, die dafür in Frage kommen, auf dem beliebten Schild „Türe bitte schließen“ mit einem x die Türe zur Tür zu machen. Denn genug ist genug. Türe würde ich lediglich in einer dem Reim verpflichtenden Lyrik als vollwertig akzeptieren, wenn es sich eben nur dadurch reimt. Aber das macht der Dichter schon autonom, auch ohne sich um die Rechtschreibung zu kümmern. Dieses Ausdenken von Reimen hat beispielsweise Heinrich Heine perfektioniert, ohne die Rechtschreibung oder die Verständlichkeit zu schädigen, weil er aus seinen Findungen keine Allgemeingültigkeit ableitet, aber die Verständlichkeit trotzdem im Blick behält.

Duell zu dritt

Duellum (lateinisch) ist nichts anderes als Krieg. Weil Kriege nicht prinzipiell, aber ab und zu mit zwei Kontrahenten stattfinden, hat ein oberflächlicher Volksmund eine Zwei (lateinisch duo –  italienisch due)  im Wort Duell vermutet und zur praktischen Gewissheit werden lassen. Aber das ist so eine Geschichte, die etymologisches völlig falsch ist. Wenn nun die Medien – allen voran die öffentlich rechtlichen Anstalten – ein „Triell“ aus der Taufe heben, arbeiten sie derart blindpopulistisch, dass es mit ihrem öffentlich-rechtlichen Auftrag beim besten Willen nicht zu vereinbaren ist. Wenn einmal mehr als zwei Kanzlerkandidaten aufeinander losgelassen werden, bleibt es stets ein Duell, wenn man es überhaupt so martialisch ausdrücken will.

Lucky Punsh

Wenn ein Fußballspiel unansehnlich wird und dann möglicherweise so auch noch in die Verlängerung geht, überhöht der an sich gelangweilte bis schläfrige Reporter das Geschehen auf dem Platz und träumt dann vom möglichen lucky Punsh, den er oft beiden Mannschaften als finale Lösung anbietet.

Wechseln wir in die Endphase eines beliebigen Boxkampfes. Dort wird der lucky Punsh nämlich als eigene Erfindung vermarktet. Einer der Kontrahenten trifft am Ende seiner Kräfte eher zufällig als gezielt einen der Knock-out-Punkte seines Gegner. Dieser geht zu Boden und bleibt liegen. Dann ist der Kampf zu Ende.

Zurück zum Fußball: Ein Tor erlöst das ganze Spiel aus der deprimierenden Erfolglosigkeit mit einem lucky Punsh im Stil eines angeschlagenen Boxers. Der Sieg ist zum Greifen nahe, aber eben noch nicht sicher. Die zurückliegende Mannschaft nutz die letzten Sekunden des Spiels für einen letzten Angriff. Tor! Das war  offenbar auch ein lucky Punsh. Die Jubelszenen auf beiden Seiten lässt den Schiedsrichter nachspielen. Der dritte lucky Punch liegt in der Luft. 

Ich frage mich immer schon: Wie viele lucky Punches verträgt ein Fußballspiel? Oder: Ist  die Anzahl auf einen lucky Punch beschränkt. Mir tun die Reporter leid, die immer wieder auf das Gespenst lucky Punsh zurück geworfen werden.

Newsnews 

Die Tagesschau reformiert die Begrüßungsformel und streicht darin „… meine Damen und Herren“. 

Die Sprache lebt von ihrer Vielfalt, also von ihren Möglichkeiten.

Nur in seltenen Fällen ist es ratsam, bestimmte Redewendungen verbindlich zu machen. Man sollte sich dabei aber im klaren sein, dass sie damit aus der Zeit fallen, weil sie der Vielfalt und der Entwicklung beraubt wurden. Gerade Nachrichtensprecher werden derart mit Vorgaben überhäuft, dass sie gern den Job wechseln, bevor es zu spät ist und sie in der Bedeutungslosigkeit verschwinden und nur noch für ihre schöne Stimme bezahlt werden. Sprechvorschriften folgen meist der Idee, dass man irgendetwas derart richtig sagt, dass Missverständnisse ausgeschlossen sind. Man unterdrückt damit aber, dass das Missverständnis existenziell mit der Sprache und dem Verständnis des Gesprochenen verbunden ist. Wer mit scheinbar richtigen Formeln eingedeckt wird, verlernt schon bald, gesprochene Worte mit einer Bedeutung und Bewertung  in Eigenleistung auszustatten. Reformen fester Redewendungen erübrigen sich, wenn man der Sprache, den Sprechenden und den Zuhörenden zutraut und zumuten, sich in Kontexten zu entwickeln und ziemlich viel zu verstehen, sogar Missverständnisse.

In der Praxis kommt mir die abendliche Ansprache nun sehr gezwungen vor: Früher wurde zumindest der Mainstream angesprochen, jetzt niemand mehr so direkt. Früher waren die Nachrichtensprecher sehr geschätzt. Das war in der Zeit, als es noch keine Nachrichtensprecherinnen gab. Sie gehörten zuverlässig zur Familie und wurden sehr geschätzt. Heute sind Anchorman und Anchorwoman fast verzichtbar. Sie folgen den Fernsehansagerinnen ins Altenheim und sitzen dort vor der Glotze.

Gute Missverständnisse – oder was ich eigentlich sagen will

Es ist ja bekannt, dass sich Sprachen weiterentwickeln so lange sie genutzt werden. Sprachen sind zur überdauernden Sicherheit aller Sprechenden sowohl beständig als auch innovativ. Es geht dabei um gegenläufige Bewegungen, die trotzdem unmittelbar zusammengehören. Manche Menschen halten – je nachdem, wo sie sich in der Gesellschaft verorten – das eine oder das andere trotzdem für einen Graus.

In der Welt des errechneten Durchschnittsbürgers, wird in der Kultur ganz besonders die Sprache bewahrt und zu diesem Zweck sehr vieles als richtig und falsch markiert. Der errechnete Außenseiter hat dagegen eine bevorzugte Freude an Neuerfindungen im Sprachgebrauch. 

Ich nenne einmal einige unbedeutende Beispiele: Ein Neffe, ein „waschechter“ (?!) Deutscher, ist durch eine Fügung in den Niederlanden groß geworden. Er war bereits als Kind ein Autofan und gleichzeitig ein doppelter Nativspeaker mit notgedrungen reduziertem deutschen Wortschatz. Das merkte man im Alltag aber nur sehr selten. Eines Tages erzählte er mir etwas von Bändern. Er meinte damit die Autoreifen, die auf niederländisch Banden heißen. Als Freizeitgrenzgänger vom Niederrhein konnte ich damit etwas anfangen. Es war aber im Mittelpunkt des deutschen Sprachgebrauchs wohl ziemlich unverständlich und unbrauchbar. Gestern sagte in den deutschen Medien ein deutscher Däne völlig akzentfrei „in der Beginnung“ und ich dachte für einen Moment, es müsste „am Anfang“ heißen, bis ich mich damit anfreundete. Oft sind auch Kinder in der Zeit ihres frühen Spracherwerbs die innovativen Außenseiter der Sprache. So hat eine enge Verwandte von mir in der Grundschulzeit ihre selbstverfassten Textstücke lange Zeit als eine Literaturgattung namens „Nachdenkung“ überschrieben. Für mich sind das alles Geschenke, die ich hin und wieder in meinen Sprachgebrauch übernehme, sofern ich denke, dass ich trotz aller Widerstände verstanden werden kann.  Ich spreche also niemals ausschließlich allgemeinverständlich. Das Sprachprinzip Fuzzylogic nimmt nicht nur den Sprechenden, sondern auch jeden Zuhörer in die Pflicht. Verstanden werden und verstehen gehören also zusammen. – Sprache funktioniert schließlich nur mit Missverständnissen und ohne sprachpolizeilichen Allüren richtig. Das ist doch eine gute Aussicht – auch gegen alle cancelkultürlichen Bestrebungen.

Gerade lese ich, dass Busfahrende in Berlin sehr wenig verdienen. Vielleicht sollte ich auch öfter mal Bus fahren. Schüler sind dort aber wohl auch Busfahrende im Nebenjob.

Da capo: Volkspartei

Dieser Bedeutungsverschiebung der letzten Jahre, dass Parteien mit abnehmender Wählerschaft irgendwann keine Volksparteien sein sollen, folge ich nicht. 

Der Begriff Volkspartei ist in der soziologischen Würdigung von Parteien entstanden, die keine Klientelparteien (mehr) sind und drauf ausgerichtet sind, für alle Gruppen der Gesellschaft politische Antworten zu liefern. Volksparteien können klein oder groß sein, beides ist aber nebensächlich. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gab es nämlich hauptsächlich reine Klientelparteien. Sie bedienten ihre Zielgruppe ohne gesamtpolitische Verantwortung. Heute sind Klientelparteien die Ausnahme, obwohl – oder gerade weil – ihre Programme vergleichsweise scharfgezeichnet und besonders verständlich sind, aber die Vielfalt auf der Strecke bleibt.

Okay – das Thema hatte ich schon – aber ich werde nicht müde …

Fritteusenfett

Die Tagesschau berichtet am 16.10.24, dass Flugzeuge zukünftig verpflichtend mit „Fritteusenfett“ fliegen werden. 

Weil mir das Wort Frittenfett (früher Fritenfett) geläufig ist, habe ich zunächst einen üblen Gendertrick vermutet. Ich weiß, dass das Fett ja irgendwo hin muß, wenn es eine Weile zum frittieren benutzt wurde. Vieles wird frittiert, vor allem die „Stäbchenkartoffeln“, wie ich sie von DDR-Speisekarten kenne und selbst als Fritten bezeichne. Das Frittenfett geht meistens zunächst ein Speiseöl an den Start, das auf hohe Temperaturen ausgelegt ist. In Belgien – dem Mutterland der Fritte – ist allerdings Rinderfett die erste Wahl.

Aber warum soll denn das bekannte Frittenfett jetzt Fritteusenfett heißen, nur weil es ein Flugzeug antreibt? Mir fällt dazu nichts ein. Ich freue mich schon darauf, wenn die Flughäfen so lecker riechen, wie der Diesel meines Nachbarn. Seine Frau ist Friseuse.

Meine Erinnerungskultur

Das Erinnern hat Konjunktur. Fast alles in der modernen Welt ist so vielfältig und schnell, dass es ab und zu der Erinnerung bedarf. Dazu gehört auch, dass man sich selbst erinnert. Zweckgerichtet verstreut man überall Symbole, die antriggern. Und dann erinnert man sich plötzlich daran, dass man doch noch den Stimmungsaufheller nehmen wollte. Findig, aber nicht sprachdienlich ist es, das Reflexivpronomen einfach wegzulassen.

Dass die Erinnerungsarbeit offenbar keine Zeit für das Reflexivpronomen hat, trifft mich täglich hart, also immer dann, wenn jemand „ich erinnere“ sagt und ich ein lautes „mich“ hinüber schreie. Ich höre danach immer eine unerfüllte Leere.  Nun kann es ja sein, dass der eine oder die andere das so aus einer fremden Sprache übersetzt und dann entlehnt hat. Aber fast alle, die sich in letzter Zeit um mich herum in dieser Richtung auffällig bewegen, könnten getrost als modebewusste Mitläufer kategorisiert werden.

MitleserIch sage das nur, weil tagtäglich ganze Horden von Eltern „haben“ brüllen, wenn deren Kinder mal wieder so etwas fragen wie: „Mama, darf ich ein Eis?“ – Das erinnert doch der aufmerksame Mitleser sofort.