Meine Selbstbedienung

Ich kenne noch die meist inhabergeführten Kolonialwarenläden, in denen ich vor allen Dingen mit meiner Oma in den 50er Jahren einkaufen ging. Dort durften die vielen meist männlichen Lehrlinge ab dem dritten Lehrjahr sogar über die Theke bedienen, wenn sie nicht im weißen Kittel und mit einem geflochtenen Korb die Einkäufe auslieferten, wie ihre Kollegen in den ersten beiden Lehrjahren. In diesen Läden gab es nahezu alles, was man sich vorstellen kann, lebende Krebse, die auf Wunsch gern in kochendem Wasser zur Verspeisung vorbereitet wurden. Es gab eine Wurstschneidemaschine, die mit einer Bewegung gleich eine ganze Lage der von mir geliebten Zervelatwurst aufs Papier zauberte. Lediglich frische Milchprodukte gab es dort nicht. Die gab es auf der anderen Straßenseite beim Milchbauer mit der geeichten zentralen Hebelpumpe für Milch auf der Theke. Eine Selbstbedienung wurde in dieser Zeit nicht herbeigesehnt. Im Gespräch mit dem Personal wurden auch spontan formulierte Wünsche erfüllt und alle Fragen fachkundig beantwortet. Es gab also insgesamt überhaupt keine Sehnsucht nach einer Selbstbedienung. 

Ich beobachtete die sukzessive Verbreitung der Selbstbedienungsläden ab dem Ende der 50er Jahre. Damals war ich der Chefeinkäufer der Familie, der allein schon an den obligatorischen zwei Litern Milch in Glasflaschen ordentlich zu tragen hatte. Der erste Selbstbedienungsladen interessierte mich vor allem, weil er neu war. Er lag in einer eher unbedeutenden Straße im Stadtteil und war gerade so groß wie ein Wohnzimmer mit Regalen an den Wänden und in der Mitte dann noch mit einem freistehenden Regal, das ringsum gefüllt war. Man konnte einmal rumlaufen und dann stand da die Kasse mit einer Abstellfläche für Einkaufskorb und Tasche. Es gab eher kleine Einkaufskörbe und in den Regalen noch keine Großpackungen. Alle mussten den Laden mal sehen. Deshalb war da zunächst viel Betrieb. Ich ging aber weiterhin zur „Hilde“, auf halber Strecke zum Selbstbedienungsladen. Was dort einzukaufen war, stand in einer fortlaufend geführten Kladde. Meine Mutter bezahlte dann nach Kladdenlage einmal in der Woche. 

Die zentral geführten Konsumläden (in meinem damaligen Umfeld der Firma Krupp und der Konsumgenossenschaft, die als Coop endete) hatten die rational ausgerichtete Marktmacht, nach und nach Selbstbedienungsläden einzurichten, deren Einkaufskörbe aber mit den Jahren größer wurden und folgerichtig auf Rädern landeten. Zum gezielten Einkauf nahm man eine robuste Einkaufstasche, die allerdings heftig störte, bis dann am Ende des Kaufs alles umgepackt war. Für die kleinen Einkäufe auf dem Weg von der Arbeit nach Hause, hatte die pfiffige Frau vorsorglich ein Einkaufsnetz in der Handtasche. Wie Männer einkaufen, das habe ich nicht erfassen können. Die nächste Entwicklung war, dass man mit zweifelhaftem Preisvorteil Großpackungen anbot, die beispielsweise bei Waschmitteln und Toilettenpapier und erst recht bei Getränken, das Maß der Einkaufswagen und erst recht der Einkaufstaschen überforderte. Die zunächst kostenlos und mit aufgedruckter Werbung angebotenen Plastiktüten boten zunächst mehr Stauraum als Einkaufstaschen und verdrängten diese vollständig. Die Folge war schließlich, dass die Einkaufswagen bis an die Grenze der Rangierbarkeit vergrößert wurden und dass man ihnen auf extra eingerichteten Parkplätzen entgegen kam. Der outgesourcte Getränkemarkt stand separiert auf dem Gelände. Fortan waren ziemlich viele Männer an den Einkäufen beteiligt. Sie steuerten ja meist das Familienauto und bewegten dann die Einkaufsmengen. Man brauchte plötzlich weniger Supermärkte, die dann aber wohl autogerecht ausgestaltet waren und der Kunde brachte anstatt der Einkaufstasche eben sein Auto mit. Wer kein Auto hatte, musste lange mühsame Wege in Kauf nehmen oder jemanden kennen, der ein Auto hatte. Mit Blick auf die Umwelt wurde dann die kostenlose Plastiktüte geächtet und kostenpflichtig. Dann war es so weit, dass man in der Gegend rund um die Selbstbedienungsläden, die dann Supermärkte hießen, überall diese Einkaufswagen rumstehen sah. Das lag an zu kleinen Parkplätzen und der Gewohnheit beim fußläufigen Einkauf, den Einkaufswagen möglichst nahe an die eigne Wohnung zu bugsieren. Anwohner beschwerten sich immer häufiger über vagabundierende Einkaufswagen, die Gehwege und Einfahrten verstellten.  In den 80er Jahren beobachtete ich kleine Fahrzeuge mit Warnlampen, mit denen Mitarbeiter der Supermärkte das Eigentum des Marktbetreibers im Stadtteil einsammelten und im Pack zum Eingangsbereich des Marktes vor sich herschoben. Insbesondere die Feststellung, dass der Eigentümer für das haftet, was seine Gegenstände verursachen, hat zu einer besonderen Innovation geführt. Man musste fortan einen Einkaufswagen vor der Benutzung mit Hilfe einer bestimmten Geldmünze zunächst von einer Kette befreien und schließlich wieder an einer bestimmten Stelle anketten, um die Münze zurück zu bekommen. Das funktioniert nun schon sehr gut seit Jahrzehnten. Zunächst unbemerkt wurden die Geldstücke durch wertlose Metall- oder Kunststoffplättchen ersetzt. Aber auch deren Wert reicht offenbar dafür aus, dass der Verlust ganzer Wagen doch sehr selten geblieben ist. Sehr viele dieser Chips sind als Werbung gefertigt und auch wohl wirksam. Man trägt sie ja ständig mit sich rum. Ab und zu geht mal einer verloren oder überschreitet die Toleranz des Sperrmechanismus – sie funktionieren dann nicht.

Gern habe ich die Werbechip eines Zigarettenblättchenproduzenten, einer Gewerkschaft und meines Zahnarztes. Die funktionieren immer. Die zentral geführten Konsumläden (in meinem damaligen Umfeld der Firma Krupp und der Konsumgenossenschaft, die als Coop endete) hatten die rational ausgerichtete Marktmacht, nach und nach Selbstbedienungsläden einzurichten, deren Einkaufskörbe aber mit den Jahren größer wurden und folgerichtig auf Rädern landeten. Zum gezielten Einkauf nahm man eine robuste Einkaufstasche, die allerdings heftig störte, bis dann am Ende des Kaufs alles umgepackt war. Für die kleinen Einkäufe auf dem Weg von der Arbeit nach Hause, hatte die pfiffige Frau vorsorglich ein Einkaufsnetz in der Handtasche. Wie Männer einkaufen, das habe ich nicht erfassen können. Die nächste Entwicklung war, dass man mit zweifelhaftem Preisvorteil Großpackungen anbot, die beispielsweise bei Waschmitteln und Toilettenpapier und erst recht bei Getränken, das Maß der Einkaufswagen und erst recht der Einkaufstaschen überforderte. Die zunächst kostenlos und mit aufgedruckter Werbung angebotenen Plastiktüten boten zunächst mehr Stauraum als Einkaufstaschen und verdrängten diese vollständig. Die Folge war schließlich, dass die Einkaufswagen bis an die Grenze der Rangierbarkeit vergrößert wurden und dass man ihnen auf extra eingerichteten Parkplätzen entgegen kam. Der outgesourcte Getränkemarkt stand separiert auf dem Gelände. Fortan waren ziemlich viele Männer an den Einkäufen beteiligt. Sie steuerten ja meist das Familienauto und bewegten dann die Einkaufsmengen. Man brauchte plötzlich weniger Supermärkte, die dann aber wohl autogerecht ausgestaltet waren und der Kunde brachte anstatt der Einkaufstasche eben sein Auto mit. Wer kein Auto hatte, musste lange mühsame Wege in Kauf nehmen oder jemanden kennen, der ein Auto hatte. Mit Blick auf die Umwelt wurde dann die kostenlose Plastiktüte geächtet und kostenpflichtig. Dann war es so weit, dass man in der Gegend rund um die Selbstbedienungsläden, die dann Supermärkte hießen, überall diese Einkaufswagen rumstehen sah. Das lag an zu kleinen Parkplätzen und der Gewohnheit beim fußläufigen Einkauf, den Einkaufswagen möglichst nahe an die eigne Wohnung zu bugsieren. Anwohner beschwerten sich immer häufiger über vagabundierende Einkaufswagen, die Gehwege und Einfahrten verstellten.  In den 80er Jahren beobachtete ich kleine Fahrzeuge mit Warnlampen, mit denen Mitarbeiter der Supermärkte das Eigentum des Marktbetreibers im Stadtteil einsammelten und im Pack zum Eingangsbereich des Marktes vor sich herschoben. Insbesondere die Feststellung, dass der Eigentümer für das haftet, was seine Gegenstände verursachen, hat zu einer besonderen Innovation geführt. Man musste fortan einen Einkaufswagen vor der Benutzung mit Hilfe einer bestimmten Geldmünze zunächst von einer Kette befreien und schließlich wieder an einer bestimmten Stelle anketten, um die Münze zurück zu bekommen. Das funktioniert nun schon sehr gut seit zig Jahren. Zunächst unbemerkt wurden die Geldstücke durch wertlose Metall- oder Kunststoffplättchen ersetzt. Aber auch deren Wert reicht offenbar dafür aus, dass der Verlust ganzer Wagen doch sehr selten geblieben ist. Sehr viele dieser Chips sind als Werbung gefertigt und auch wohl wirksam. Man trägt sie ja ständig mit sich rum. Ab und zu geht mal einer verloren oder überschreitet die Toleranz des Sperrmechanismus – sie funktionieren dann nicht. Gern habe ich die Werbechip eines Zigarettenblättchenproduzenten, einer Gewerkschaft und meines Zahnarztes. Die funktionieren immer.

Heute fand ich nach dem Einkauf einen Wagen, der nicht angeschlossen war. Ich habe das dann mal nachgeholt. Es erschien ein merkwürdiges Gebilde: Auf der Oberseite war eine Abbildung der D-Mark aus der Voreurozeit, auf der Unterseite war die Werbung eine rechtsradikalen, menschenverachtenden Partei. Und so spiegeln sich Anteile der Tagespolitik zum Anfassen im Einkaufswagen. 

Mittlerweile arbeitet man daran, die Einkaufswagen GPS-gestützt zu verfolgen und erforderlichenfalls zu blockieren. Es entsteht ein neues Wunderwerk der Technik, das sich dann selbstredend mit anderen Überformungen eines Kaufgeschäfts koppeln lassen. Je mehr der Verkäufer von uns weiß, um so besser kann er uns Dinge verkaufen, von denen wir bis heute nicht wissen, warum wir sie überhaupt haben wollen.

Die Selbstbedienung suggeriert individuelle Freiräume, die sich aber  immer mehr als ferngesteuert erweisen. Optimiert werden Waren und Käufer und allen voran der Gewinn.

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