Fragwürdige Regelwerke

In meiner Kindheit spielte meine Oma gern in geselliger Runde Rommé. Sie hatte dabei stets eine Sonderrolle, die ihr bereits in meiner damaligen Einschätzung nicht Zustand. Sie legte ihre Spielkarten in ein quer aufgeschlagenes großes Buch. Kein anderer machte das, zumal die Karten von der Seite wohl doch einsehbar waren. Die Begründung für das Konstrukt meiner Oma war, dass ihre Hände zu klein seien, um alle Karten in der Hand zu halten, wie andere es tun. Meine Oma war 1,55 cm groß und hatte bereits beim Schuhkauf groß Probleme, weil sie verständlicherweise keine Kinderschuhe haben wollte. Mit den Händen war sie aber tatsächlich nicht behindert. Man gruppiert ja alle Spielkarten um einen einzigen Punkt herum wie ein Fächer. Die kleinste Hand kann das bewältigen. Die von ihr selbst formulierte Sonderrolle – klein aber oho – gab meiner Oma zeitlebens viele Möglichkeiten, sich die Welt zurecht zu legen, wie ihr es in den Kram passte. Eine Aufklärung zum Halten von Spielkarten hätte sie zeitlebens nie geduldet.

Me and my Selfie

Die meisten Erfindungen werden ja mehrmals gemacht. Da spielt es keine Rolle, wer der Erste war, zumal das nur zu Streitereien führt, wenn man behauptet der Erste gewesen zu sein.

Leider gehöre ich auch dazu. _ Ich habe das Selfie erfunden!

Hier mein Beweisfoto mit meiner ersten Langspielplatte „The freewheelin` Bob Dylan“ im elterlichen Wohnzimmer im Jahr 1964 … Mittlerweile habe ich die Platte für Archivzwecke weitervererbt und höre digital – und fotografiere digital.

Cool …

Gefahr im Vollzug …

Meine Großeltern väterlicherseits wohnten in dem abgebildeten Haus (Parterre links). Mein Opa war zu meiner Zeit, in den 50er Jahren, Rentner, wie sehr viele andere mit „Steinstaublunge“. Das war das Schicksal der Bergleute. Mein Opa hatte links vom Haus einen Garten und Hühner. Das war sein ein und alles. Er war lustig und den Kindern im Haus zugewandt. Ich war gern dort, hatte Freunde und einen Sandkasten. Manchmal hat mein Opa die Kinder zu ihren Müttern geschickt, Persil zu holen, weil der Onkel Ortmann ja die Hühner waschen muss. Ich aß immer von der Brotkruste die man Opa für die Hühner abschnitt und freute mich sehr, als ich eines Tages zum Geburtstag einer Riesentüte mit Brotkrusten bekam. Für die Erwachsenen war das auch einer seiner üblichen Scherze. Aber ich habe mich tatsächlich sehr gefreut.

Zwanzig Jahre vor meiner Zeit gab es dort ein fürchterliches Unglück. Das war wohl der Anlass für das Foto. Auf dem Bild sieht man das Loch und eine Absperrung.

Auf der Rückseite des Bilder schreibt der Chronist:

„Der Erdrutsch in der Helmholtzstr. am Donnerstag den 19/6 1930 Abend 8 1/4 Uhr.“

Infolge des Bergbaus war die Fahrbahn eingebrochen. Bei näherer Betrachtung sehe ich auch einen Polizisten mit Tschako, einer merkwürdigen Mischung aus Mütze und Helm. Diese Kopfbedeckung kenne ich auch noch aus den 50er Jahren. Von dem Ereignis wurde zu meiner Zeit immer noch so erzählt, als ob es gestern gewesen wäre. In meiner Fantasie und in meinen Träumen sind ganze Fuhrwerke in dem Loch verschollen.

Was ich gehört und was ich gedacht habe, kann ich heute nicht mehr auseinander halten. Als Kinder haben wir aber immer wieder in alle möglichen Deckel und Löcher geguckt um zu sehen, was da so in der Unterwelt los ist. Mein Opa mütterlicherseits war „Zechenbeamter“ und in der Bergschädenabteilung von Stinnes für die Regelung solcher Schäden zuständig. Bei anderen Schäden konnte es sein, dass man im Bett liegend plötzlich Sterne durch die Zimmerwand sehen konnte.

Kleiner Memesalat

Wenn man etwas zum Meme zurechtkürzt, dann muss man vorsichtig zu Werk gehen.

Das Wort Hass unterliegt sehr stark dem Bedeutungswandel und wird vollkommen unspezifisch eingesetzt. Es hat jedenfalls gerade Konjunktur und wird liebend gern in volkstümlichen Texten zur Politik verwandt. Welchen Hass es in NRW gab, gibt und geben wird, ist noch völlig unerforscht.

Beim Rassismus ist es anders: Auch im Bereich des heutigen NRW hat Rassismus eine jahrhundertealte Tradition, die insbesondere in NRW bis in die jüngste Gegenwart vor der Thematisierung bewahrt wurde.

Wenn man sich gegen Rassismus ausspricht, wäre es eigentlich der erste Schritt, den real existierenden Rassismus zu markieren. Erst damit wird man wissen, was zu tun ist.

Fazit: Ich halte den Text (offenbar einer ungenannten Werbeabteilung) für unseliges Gequatsche. Selbst der Rassist wird wissen, dass er hier eine Heimat hat. Man kann das ändern, muss es dann aber auch tun …

Und anstatt „hat“ muss es „haben“ heißen. Das merkt man spätestens, wenn man überlegt, was man denn da geschrieben hat.

Kennste den?

Jetzt habe ich erfahren, dass ich im Jahr 2024 ein Klassentreffen haben werde. Es wird ein Jubiläum sein. Also vor bald 60 Jahren habe ich die „Realschule für Jungen Essen-West“ mit der „mittleren Reife“ abgeschlossen. Der damalige Direktor der Schule war vor dem Krieg der Klassenlehrer meines Vaters an dieser Schule. Irgendwie hängt man daran. Weil die Schule – immer schon an der Wickenburg gelegen – nun Helmut-Rahn-Realschule heißt, kommt mir unweigerlich etwas in Erinnerung. Wenn man heutzutage über die A40 in unmittelbarer Nähe zur Schule fährt, die zu meiner Zeit noch die kreuzungsreiche B1 war, sind mehrere Brückenüberführungen hintereinander auf 1,4 Kilometer so etwas wie ein Denkmal zum „Wunder von Bern 1954“. Zitiert wird fortlaufend über die Brücken der ARD-Reporter Herbert Zimmermann mit der gebotenen Steigerung im Tonfall: „Rahn müsste schießen, Rahn schießt und TOOOR! TOOOR!!“ – Und kurz danach war Deutschland Weltmeister. Rahn spielte in seiner Glanzzeit bei Rot-Weiß-Essen und dann noch mit sichtbarer Körperfülle bis in die Zeit der Bundesliga. Dann ließ er sich im Essener Stadtteil Frohnhausen nieder und machte irgendwas mit Anhängern. Wenn es da etwas zu schweißen gab, kam er oft zu uns. Mein Vater betrieb damals eine Kunst- und Bauschlosserei und ich war nach der Schule für drei Jahre sein Lehrling. Den Gesellenbrief – geklappt im reisetauglichen Schuber – habe ich noch – aber niemals mehr gebraucht. Meine Episode in Essen war vorbei. Dass ich nun an der heutigen Helmut-Rahn-Realschule war, macht ja doch etwas stolz. Wir haben damals lange Zeit mit gefundenen Pfirsichkernen in der Pause Fußball gespielt und die Kerne dann für die Zeit des Unterrichts  gut versteckt. 

Wenn Geschichte stattfindet, dann sind stets irgendwelche Menschen dabei. Es ertönt auf dem Schulfilm die fette und seichte sowie schwermütige und hoffnungsfrohe von Fußballfans adaptierte Hymne „You‘ll never walk alone“ mit der Stimme von Gerry Marsden, der damit auch vor 60 Jahren die allgemeine Öffentlichkeit betrat, während zahlreiche Schüler und Schülerinnen und die Riege der Lehrenden im Schulfilm das Gebäude nutzen. Das Gebäude hat sich kaum verändert. Aber Schülerinnen und Lehrerinnen gab es damals dort nicht.

Auch nicht uninteressant: Allerdings gab es die „Realschule für Mädchen Essen-West“ die mangels eigenem Schulgebäude in unserer Schule zu Gast war und einen wöchentlichen Wechsel  zwischen Vormittagsunterricht und Nachmittagsunterricht erzwang. An einem Wochentag war der Stundenplan so, dass ich im Herbst oft erst in der fortgeschrittenen Abenddämmerung zur Schule ging. Und als ich einmal ein Schulheft unter der Bank vergessen hatte, das ich für die Hausaufgaben brauchte, musste ich tatsächlich den traumatisierenden Gang in eine Mädchenklasse antreten, die mir bei aller Nähe völlig unbekannt war. Wahrscheinlich hatte die halbe Schule bereits mein Heft gelesen.

Meine Selbstbedienung

Ich kenne noch die meist inhabergeführten Kolonialwarenläden, in denen ich vor allen Dingen mit meiner Oma in den 50er Jahren einkaufen ging. Dort durften die vielen meist männlichen Lehrlinge ab dem dritten Lehrjahr sogar über die Theke bedienen, wenn sie nicht im weißen Kittel und mit einem geflochtenen Korb die Einkäufe auslieferten, wie ihre Kollegen in den ersten beiden Lehrjahren. In diesen Läden gab es nahezu alles, was man sich vorstellen kann, lebende Krebse, die auf Wunsch gern in kochendem Wasser zur Verspeisung vorbereitet wurden. Es gab eine Wurstschneidemaschine, die mit einer Bewegung gleich eine ganze Lage der von mir geliebten Zervelatwurst aufs Papier zauberte. Lediglich frische Milchprodukte gab es dort nicht. Die gab es auf der anderen Straßenseite beim Milchbauer mit der geeichten zentralen Hebelpumpe für Milch auf der Theke. Eine Selbstbedienung wurde in dieser Zeit nicht herbeigesehnt. Im Gespräch mit dem Personal wurden auch spontan formulierte Wünsche erfüllt und alle Fragen fachkundig beantwortet. Es gab also insgesamt überhaupt keine Sehnsucht nach einer Selbstbedienung. 

Ich beobachtete die sukzessive Verbreitung der Selbstbedienungsläden ab dem Ende der 50er Jahre. Damals war ich der Chefeinkäufer der Familie, der allein schon an den obligatorischen zwei Litern Milch in Glasflaschen ordentlich zu tragen hatte. Der erste Selbstbedienungsladen interessierte mich vor allem, weil er neu war. Er lag in einer eher unbedeutenden Straße im Stadtteil und war gerade so groß wie ein Wohnzimmer mit Regalen an den Wänden und in der Mitte dann noch mit einem freistehenden Regal, das ringsum gefüllt war. Man konnte einmal rumlaufen und dann stand da die Kasse mit einer Abstellfläche für Einkaufskorb und Tasche. Es gab eher kleine Einkaufskörbe und in den Regalen noch keine Großpackungen. Alle mussten den Laden mal sehen. Deshalb war da zunächst viel Betrieb. Ich ging aber weiterhin zur „Hilde“, auf halber Strecke zum Selbstbedienungsladen. Was dort einzukaufen war, stand in einer fortlaufend geführten Kladde. Meine Mutter bezahlte dann nach Kladdenlage einmal in der Woche. 

Die zentral geführten Konsumläden (in meinem damaligen Umfeld der Firma Krupp und der Konsumgenossenschaft, die als Coop endete) hatten die rational ausgerichtete Marktmacht, nach und nach Selbstbedienungsläden einzurichten, deren Einkaufskörbe aber mit den Jahren größer wurden und folgerichtig auf Rädern landeten. Zum gezielten Einkauf nahm man eine robuste Einkaufstasche, die allerdings heftig störte, bis dann am Ende des Kaufs alles umgepackt war. Für die kleinen Einkäufe auf dem Weg von der Arbeit nach Hause, hatte die pfiffige Frau vorsorglich ein Einkaufsnetz in der Handtasche. Wie Männer einkaufen, das habe ich nicht erfassen können. Die nächste Entwicklung war, dass man mit zweifelhaftem Preisvorteil Großpackungen anbot, die beispielsweise bei Waschmitteln und Toilettenpapier und erst recht bei Getränken, das Maß der Einkaufswagen und erst recht der Einkaufstaschen überforderte. Die zunächst kostenlos und mit aufgedruckter Werbung angebotenen Plastiktüten boten zunächst mehr Stauraum als Einkaufstaschen und verdrängten diese vollständig. Die Folge war schließlich, dass die Einkaufswagen bis an die Grenze der Rangierbarkeit vergrößert wurden und dass man ihnen auf extra eingerichteten Parkplätzen entgegen kam. Der outgesourcte Getränkemarkt stand separiert auf dem Gelände. Fortan waren ziemlich viele Männer an den Einkäufen beteiligt. Sie steuerten ja meist das Familienauto und bewegten dann die Einkaufsmengen. Man brauchte plötzlich weniger Supermärkte, die dann aber wohl autogerecht ausgestaltet waren und der Kunde brachte anstatt der Einkaufstasche eben sein Auto mit. Wer kein Auto hatte, musste lange mühsame Wege in Kauf nehmen oder jemanden kennen, der ein Auto hatte. Mit Blick auf die Umwelt wurde dann die kostenlose Plastiktüte geächtet und kostenpflichtig. Dann war es so weit, dass man in der Gegend rund um die Selbstbedienungsläden, die dann Supermärkte hießen, überall diese Einkaufswagen rumstehen sah. Das lag an zu kleinen Parkplätzen und der Gewohnheit beim fußläufigen Einkauf, den Einkaufswagen möglichst nahe an die eigne Wohnung zu bugsieren. Anwohner beschwerten sich immer häufiger über vagabundierende Einkaufswagen, die Gehwege und Einfahrten verstellten.  In den 80er Jahren beobachtete ich kleine Fahrzeuge mit Warnlampen, mit denen Mitarbeiter der Supermärkte das Eigentum des Marktbetreibers im Stadtteil einsammelten und im Pack zum Eingangsbereich des Marktes vor sich herschoben. Insbesondere die Feststellung, dass der Eigentümer für das haftet, was seine Gegenstände verursachen, hat zu einer besonderen Innovation geführt. Man musste fortan einen Einkaufswagen vor der Benutzung mit Hilfe einer bestimmten Geldmünze zunächst von einer Kette befreien und schließlich wieder an einer bestimmten Stelle anketten, um die Münze zurück zu bekommen. Das funktioniert nun schon sehr gut seit Jahrzehnten. Zunächst unbemerkt wurden die Geldstücke durch wertlose Metall- oder Kunststoffplättchen ersetzt. Aber auch deren Wert reicht offenbar dafür aus, dass der Verlust ganzer Wagen doch sehr selten geblieben ist. Sehr viele dieser Chips sind als Werbung gefertigt und auch wohl wirksam. Man trägt sie ja ständig mit sich rum. Ab und zu geht mal einer verloren oder überschreitet die Toleranz des Sperrmechanismus – sie funktionieren dann nicht.

Gern habe ich die Werbechip eines Zigarettenblättchenproduzenten, einer Gewerkschaft und meines Zahnarztes. Die funktionieren immer. Die zentral geführten Konsumläden (in meinem damaligen Umfeld der Firma Krupp und der Konsumgenossenschaft, die als Coop endete) hatten die rational ausgerichtete Marktmacht, nach und nach Selbstbedienungsläden einzurichten, deren Einkaufskörbe aber mit den Jahren größer wurden und folgerichtig auf Rädern landeten. Zum gezielten Einkauf nahm man eine robuste Einkaufstasche, die allerdings heftig störte, bis dann am Ende des Kaufs alles umgepackt war. Für die kleinen Einkäufe auf dem Weg von der Arbeit nach Hause, hatte die pfiffige Frau vorsorglich ein Einkaufsnetz in der Handtasche. Wie Männer einkaufen, das habe ich nicht erfassen können. Die nächste Entwicklung war, dass man mit zweifelhaftem Preisvorteil Großpackungen anbot, die beispielsweise bei Waschmitteln und Toilettenpapier und erst recht bei Getränken, das Maß der Einkaufswagen und erst recht der Einkaufstaschen überforderte. Die zunächst kostenlos und mit aufgedruckter Werbung angebotenen Plastiktüten boten zunächst mehr Stauraum als Einkaufstaschen und verdrängten diese vollständig. Die Folge war schließlich, dass die Einkaufswagen bis an die Grenze der Rangierbarkeit vergrößert wurden und dass man ihnen auf extra eingerichteten Parkplätzen entgegen kam. Der outgesourcte Getränkemarkt stand separiert auf dem Gelände. Fortan waren ziemlich viele Männer an den Einkäufen beteiligt. Sie steuerten ja meist das Familienauto und bewegten dann die Einkaufsmengen. Man brauchte plötzlich weniger Supermärkte, die dann aber wohl autogerecht ausgestaltet waren und der Kunde brachte anstatt der Einkaufstasche eben sein Auto mit. Wer kein Auto hatte, musste lange mühsame Wege in Kauf nehmen oder jemanden kennen, der ein Auto hatte. Mit Blick auf die Umwelt wurde dann die kostenlose Plastiktüte geächtet und kostenpflichtig. Dann war es so weit, dass man in der Gegend rund um die Selbstbedienungsläden, die dann Supermärkte hießen, überall diese Einkaufswagen rumstehen sah. Das lag an zu kleinen Parkplätzen und der Gewohnheit beim fußläufigen Einkauf, den Einkaufswagen möglichst nahe an die eigne Wohnung zu bugsieren. Anwohner beschwerten sich immer häufiger über vagabundierende Einkaufswagen, die Gehwege und Einfahrten verstellten.  In den 80er Jahren beobachtete ich kleine Fahrzeuge mit Warnlampen, mit denen Mitarbeiter der Supermärkte das Eigentum des Marktbetreibers im Stadtteil einsammelten und im Pack zum Eingangsbereich des Marktes vor sich herschoben. Insbesondere die Feststellung, dass der Eigentümer für das haftet, was seine Gegenstände verursachen, hat zu einer besonderen Innovation geführt. Man musste fortan einen Einkaufswagen vor der Benutzung mit Hilfe einer bestimmten Geldmünze zunächst von einer Kette befreien und schließlich wieder an einer bestimmten Stelle anketten, um die Münze zurück zu bekommen. Das funktioniert nun schon sehr gut seit zig Jahren. Zunächst unbemerkt wurden die Geldstücke durch wertlose Metall- oder Kunststoffplättchen ersetzt. Aber auch deren Wert reicht offenbar dafür aus, dass der Verlust ganzer Wagen doch sehr selten geblieben ist. Sehr viele dieser Chips sind als Werbung gefertigt und auch wohl wirksam. Man trägt sie ja ständig mit sich rum. Ab und zu geht mal einer verloren oder überschreitet die Toleranz des Sperrmechanismus – sie funktionieren dann nicht. Gern habe ich die Werbechip eines Zigarettenblättchenproduzenten, einer Gewerkschaft und meines Zahnarztes. Die funktionieren immer.

Heute fand ich nach dem Einkauf einen Wagen, der nicht angeschlossen war. Ich habe das dann mal nachgeholt. Es erschien ein merkwürdiges Gebilde: Auf der Oberseite war eine Abbildung der D-Mark aus der Voreurozeit, auf der Unterseite war die Werbung eine rechtsradikalen, menschenverachtenden Partei. Und so spiegeln sich Anteile der Tagespolitik zum Anfassen im Einkaufswagen. 

Mittlerweile arbeitet man daran, die Einkaufswagen GPS-gestützt zu verfolgen und erforderlichenfalls zu blockieren. Es entsteht ein neues Wunderwerk der Technik, das sich dann selbstredend mit anderen Überformungen eines Kaufgeschäfts koppeln lassen. Je mehr der Verkäufer von uns weiß, um so besser kann er uns Dinge verkaufen, von denen wir bis heute nicht wissen, warum wir sie überhaupt haben wollen.

Die Selbstbedienung suggeriert individuelle Freiräume, die sich aber  immer mehr als ferngesteuert erweisen. Optimiert werden Waren und Käufer und allen voran der Gewinn.

Der Petent –  Kummerkasten under Fire

Dieser flapsige Umgang mit dem Petitionsrecht stiftet lediglich Verwirrung und ist Petenten gegenüber mißachtend und unwürdig.

Das Petitionrecht ist in Artikel 17 Grundgesetz und in den Länderverfassungen geregelt. Es steht jedem Bürger offen. Viele Unterschriften und Klicks braucht man dazu nicht, sondern eine Beschwernis, die sich weder juristisch noch administrativ bewältigen lässt. Dass das globale Altruismusgewebe für jedes beliebige Thema  Klickmaschinen bereitstellt und das alles „Petition“ nennt, ist nicht das, was der Gesetzgeber gewollt hat. Dass man Onlinemöglichkeiten eröffnet, das ist okay, dass aber Konzerne ihre Marktmacht damit festigen, ist eine Entgleisung. Ich kenne Petenten, die ganz allein mit einer Petition und gutem Grund und der Unterstützung eines Petitionausschusses (das ist ein Parlamentsausschuss) kirchliche Einrichtungen in die Knie gezwungen haben. Das ist eine Erfolgsgeschichte, die bis heute sogar ganz ohne Klickbaiting auskommt. Es hat ja nicht derjenige ein berechtigtes Anliegen, der viele hinter sich versammelt, sondern der, der ins Abseits gestellt wird, obwohl man ihm nichts vorwerfen kann.

Dass man eine Betroffenheit mitfühlt, das sagt man schnell daher. Eine wirkliche Betroffenheit ist etwas anderes.

Aschermittwochstext • It’s all over now

Der Karneval ist mit Recht stolz auf seine Tradition, obwohl sie ja von Land zu Land, oft auch von Ort zu Ort Eigentümlichkeiten herausgebildet haben, die gemeinsam kaum in ein Regelwerk passen. Auch historisch gibt es überall Brüche, die sich nicht so richtig als Entwicklung erklären lassen. Das liegt selten an eigenwillig regierenden Prinzen, sondern meist am Zeitgeist,  vollkommen außerkarnevalistischen Ereignissen und Zufällen. Sie gehören dann einfach großzügig dazu und werden aber auch oft irgendwann wieder dem Volkeswillen geopfert, wie die weibliche Jungfrau im Kölner Dreigestirn. Die Historiker der Narretei werden es schwer haben das Geschehen lückenlos zu erfassen. 

Zwei Eigenheiten des Karnevalswesens erscheinen mir so wenig traditionell, obwohl sie so gehandelt werden, dass ich sie erwähnen will.

Das ist zum einen das Ordenswesen. Die militärischen Orden standen da Pate. Als es aber technisch einfach und zudem preiswert wurde, Orden zu entwickeln und zu vervielfältigen, setzte eine Inflation der Orden ein. Aus Gold und Edelsteinen wurde Plastik und der Ausgestalter arbeitete bald an Computern und Maschinen, um die Rohstoffe immer wieder neu zu blinkenden Orden zu veredeln. Dementsprechend gab es eine Inflation der Ordensverleihung jeweils begleitet mit karnevalistischem Kuss. Die Contentkrise zur Zeit der aufblühenden New Wave des Karnevals (Stunksitzung usw.) wird vielfach so beschrieben, dass sich alles auf Formalitäten der Fröhlichkeit mit Ordensverleihung zurückgezogen und darin erschöpft hatte. Man redete gern von Tradition und berichtete darüber, aber viel davon war entleert.

Das sind zum anderen ganz kleine Besonderheiten, die Jahr für Jahr mittels der Presse großspurig als Tradition herausgehauen werden. Ein Beispiel: In einer mir bekannten Stadt hat eine blau eingekleidete Karnevalstruppe den Oberbürgermeister nach langer Inszenierung für ein paar Tage aus dem Amt gejagt, um danach alle Beteiligten zum „traditionellen Käseessen“ zu bitten. Beim besten Willen mag ich in solchen Spezialitäten keine Tradition erkennen. Es ist nur eine äußerst peripheres Ereignis ohne Bedeutung und durchaus vergleichbar mi der Familie X, die heuer zum zweiten Mal an Weihnachten einen Wildschweinbraten aß und nun das Familienoberhaupt als Traditionsbegründer und Geschichtsschreiber der Zukunft überantwortet.

Traditionen retten Vergangenes in die Gegenwart. Das kann vieles erklären. Aber das kann nicht alles gewesen sein.

Ich habe nur einen einzigen Karnevalsorden. Man sagt, er sei sehr selten. Zudem bin ich dem Käse sehr zugetan.

Positionierte Kinder

Auf einer obskuren Fanpage sehe ich demonstrierende Kinder auf Plastiklandmaschinen vor dem Kölner Dom. Die Parolen auf den Fahrzeugen kann ich mangels Bildqualität nicht entziffern.

Das, was dem Bürger ein Verfassungsrecht ist, für oder gegen etwas zu demonstrieren, gilt nicht für Kinder.

Der Gesetzgeber weiß es sehr wohl – wie die Eltern aller Kinder eigentlich auch – dass Kinder erst einen an die Entwicklung gekoppelten Schutzraum brauchen, bevor sie mit den Rechten und Pflichten des Bürgers belastet werden. Das eigenständige Demonstrieren hat eine erste Grundlage, wenn man sich aus der engen Bindung an die Eltern gelöst hat. Dann ist man – je nach Entwicklungsstand – aber schon 12 Jahre alt oder älter. Dann kann man zu bestimmten Themen seine Position auch auf Demonstrationen selbst vertreten.

Was ich auf dem Foto sehe, ist das Ergebnis eines generalstabsmäßigen und instrumentalisierenden Missbrauchs von Kindern für die Interessen Erwachsener. Kinder teilen ursprünglich und entwicklungsbedingt die Positionen der Eltern ohnehin – bis sie eben erwachsen werden.