Alaaf 2016

Ich verkleide mich ganzjährig. Lediglich in der Karnevalszeit tut man so, als sei ich nur wenige Tage out of order.

Ich bin nun, aufgrund besonderer Konstellationen immer sehr nahe am karnevalistischen Treiben und treffe dort auf Karnevalisten und deren Gegner, die immer sagen, dass sie den Karneval hassen und an den bekannten Tagen das Weite suchen. Sie vertreten ihre Position unverrückbar, meist schon seit sehr vielen Jahren. Ganz anders ist es im Karneval! Trotz oder auch gegen die Traditionen hat sich an vielen Stellen ein ganz neuer Stil des Karnevals entwickelt. Man denke nur an die Stunkbewegung in KölnNeuss und anderenorts und die Kölner Musikszene, die an den Karnevalstagen alle Bühnen bespielt.

Es kann ja immer immer nur gut sein, wenn sich etwas entwickelt …

Alaaf und Helau

Jetzt, mit den ganzen Flüchtlingen in der Nähe, gibt es den nächsten Versuch, den Karneval verständlich zu erklären. Dabei ist uns immer schon klar, dass sogar intelligente Wesen aus fremden Galaxien bereits am oberflächlichen Verständnis des Karnevals scheitern werden und in die Tiefen des Karnevals wohl niemals vordringen können. Nicht einmal die Sprache der Karnevalisten ist grenzenlos verständlich: Sein Alaaf ist ihr Helau und zwischen ihnen liegen oft nur wenige Kilometer. Trotzdem bleiben wir missionarisch.
Als mir ein alter Bekannter aus den Niederlanden, in denen man den Karneval selbst für einen Horror aus fremden Galaxien hält, berichtete, ihm habe im Rheinland eine Horde wilder Frauen die Krawatte abgeschnitten, habe ich versucht, ihm gegen jede Vernunft einen Zugang zum Karneval zu vermitteln. Ich habe nur ungläubiges Staunen hervorgerufen. Ich habe dann noch einmal versucht, das karnevalistische Küssen, also das Bützen, einzuordnen, um zukünftigen Fehldeutungen vorzubeugen. Mein niederländischer Bekannter hat sich schief gelacht – aber ganz ohne Karneval.
Jetzt werden in den Karnevalshochburgen Lerneinheiten „Karneval für Flüchtlinge“ aufgelegt. Das ist ja rührend und gut gemeint. Wenn alles gut geht, bleibt aber nur der bekannte Vorschlag der Bläck Fööss:
„Drink doch ene met,
stell dich nit esu ann,
du stehs he die janze Zick erüm.
Hässt du och kei Jeld,
dat is janz ejal,
drink doch met unn kümmer disch net drümm.“

Helferleinsyndrom

Jetzt ist es soweit: Wir haben ein Helferleinsyndrom!
Ganz unabhängig davon, ob in Berlin ein Syrer daran gestorben ist, dass er von deutschen Behörden in eine menschenunwürdige Warteschlange getrieben wurde, ganz unabhängig davon, ob er auch ohne dies gestorben wäre, und ganz unabhängig davon, ob es diesen Syrer überhaupt gibt:
Ich finde es menschenunwürdig und geschmacklos, über Nacht so jemanden einfach mal ungeprüft und schnell zu instrumentalisieren und durch die sozialen Netze und die Presse zu treiben, und damit die Sorge um Flüchtling mit einer kriegerischen, emotionalen Speerspitze zur Aufwertung der freiwilligen Helfer gegen versagende Behörden auszustatten.
Es ist schon alles schlimm genug. Und zu tun gibt es auch ne Menge. Diese Zusatzausstattung braucht niemand, der wirklich helfen will!

Nachhilfe

Die Institution Schule hat den Auftrag, schülergerecht zu individualisieren.

Es gäbe keinen Nachhilfeunterricht außerhalb der Schule, wenn dieser Auftrag erfüllt würde.

Zudem verschiebt der Nachhilfeunterricht zur Freude der Lehrer mit der Hilfe finanzkräftiger Eltern das Leistungsniveau nach oben.

Das ist besonders bitter für weniger leistungsfähige Kinder armer Eltern.

Nachhilfeunterricht ist also ein Baustein sozialer Ungerechtigkeit.

Jetzt stellt die Bertelsmann-Stiftung fest, was wir schon immer wissen, dass es eben genau so ist. Impulse, daran etwas zu ändern, bleiben im Dunklen.

Das, was niemand braucht, lässt sich offenbar nicht selten bestens verkaufen.

Über die Freundschaft: Klick und weg

Wenn es um Freundschaften geht, dann hat die Onlinewelt ein einfaches Mittel parat: Klick und weg. Man kann sich der Freundschaften noch schneller entledigen als der Notdurft. Für die, die das nicht wahrhaben wollen, gibt es in der letzten Zeit viele Beiträge, online und sogar auch auf Papier, die Mut machen, es auch so zu tun.

Sie unterscheiden dabei wenig zwischen diesen und jenen Freundschaften, sondern predigen den Mut, einfach mal jemanden rauszuklicken, der einem auf die Nerven geht.

Mir ist schon klar, dass sich vor allem in sozialen Netzen die Freundschaft abweichend von der Freundschaft definiert, die wir vielleicht noch aus den Kindertagen kennen. Im Kern sind sie jedoch bis heute gleich.

Ich verzichte deshalb bis heute darauf, mir den Freundeskreis lediglich selbst zusammenzusuchen und mir eine gewisse Einsamkeit in homogenen Denkkreisen zu gestalten. Jeder kann also mit mir in sozialen Netzen und auch sonst befreundet sein, wenn er das will. Das führt nach aller Erfahrung mit der Zeit dazu, dass bestimmte Kontakte intensiver werden und andere bis in die Bedeutungslosigkeit abtauchen. Unter meinen Facebookfreunden befinden sich beispielsweise sehr viele sozial abgehängte Menschen, die gern Naziparolen vervielfältigen. Politisch habe ich mit ihnen nichts gemein. Der Ratschlag, sie nun einfach mal rauszuklicken halte ich nicht für besonders hilfreich!

Es trennt mich von ihnen zwar sehr viel. Ich kenne aber auch ihr Leben und ihre Sorgen und bin dann und wann gefragt, bei dem einen oder anderen Problem eine Lösung zu moderieren. Dass sie mit Defiziten durchs Leben gehen, haben sie mit allen anderen Menschen gemeinsam, auch wenn ihre Defizite manchmal beim ungeübten Betrachter dazu führen, dass er die Augen verdreht. Defizite erfordern eine Hilfe, das Defizit auszugleichen. Das gilt insbesondere für Defizite in der Intelligenz und im Sozialverhalten. Es ist nicht damit getan, Mindestansprüche zu markieren und diejenigen auszugrenzen, die sie nicht erfüllen.

Mir gehen gewaltig diese besserwissenden Bürger auf den Keks, die den rassistischen Wutbürgern mit gutem Grund entgegenstehen, sie dann aber mit elitärer Arroganz lächerlich machen und mit einer Socialmediashow „entfreunden“! Die Ressourcen des Menschen sind normalverteilt. Deshalb gibt es keinen politischen und auch keinen humanen Grund, überhaupt irgendjemanden auszugrenzen. Der Widerspruch bleibt das zu bevorzugende Mittel, mit denen umzugehen, die nicht geneigt sind, uns zu folgen. Also üben wir, zu widersprechen. Alles andere schneidet den letzten Faden zu den Abgehängten auf Dauer durch.

… und du bist raus!

Wenn Wahlen anstehen, dann geht es um die öffentliche Meinung und um künftige Politik.

Die öffentlich rechtlichen Fernsehanstalten haben zu diesem Anlass die Elefantenrunde erfunden: Die Meinungsführer der jeweils zur Wahl anstehenden und voraussichtlich chancenreichen Parteien erhalten eine moderierte Möglichkeit, in der Auseinandersetzung ihre Positionen vorzutragen. Es gibt keinen Zweifel daran, dass solche Runden vor der Wahl und auch unmittelbar danach erhellende Momente für den Wähler hervorbringen und ihm helfen, seine Wahlentscheidung zu fundieren. Zur Wahl gehen ist wichtig, eine fundierte Wahlentscheidung zu treffen ist allerdings noch wichtiger. Dem Format Elefantenrunde kommt deshalb im öffentlich-rechtliche Rundfunk eine hervorragende Bedeutung zu.

Nun ist das Spektrum der antretenden Parteien groß. Es sind immer auch welche dabei, die randständige Themen oder fragwürdige Ideologien vertreten. Das hält der demokratische Rechtsstaat aus. Folglich ist der Disput der Parteienvertreter auch dann sinnvoll, wenn sie sich nichts, oder aber auch nichts Gutes zu sagen haben. Dann ist zumindest der Wähler auch darüber im Bilde.

Die Fernsehanstalten bestimmen ihr Format und die Parteien entsenden ihre Vertreter. Das kann ja auch nicht anders sein.

Doch in diesem Jahr ist alles anders. In Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg verweigern die Parteien SPD und Grüne die Teilnahme, wenn die AfD ebenfalls dabei ist. Jetzt hat der zuständige SWR sein Format schnell umgestrickt und beabsichtigt nun, die AfD draußen vor zu lassen.

Dass die Arroganz der Macht, die ja auch nur vom Volk geliehen ist, leichtfertig die Widersacher aus der rassistischen Schmuddelecke ausgrenzt, ist ein Fehler, der diese Widersacher wahrscheinlich sogar aufwertet. Ein schlauer Satz in der Elefantenrunde wäre die bessere Variante gewesen.
Der Durchgriff auf den öffentlich rechtlichen Rundfunk durch Verweigerung mit einem Seitenblick auf die Machtverhältnisse im Rundfunkrat ist allerdings eine kleine Machtmusik zur Instrumentalisierung der Pressefreiheit. Damit gibt es auch einen Beleg für die fehlende Regierungsferne des SWR. Es ist zwar richtig, dass der SWR alles zu tun hat, um alle Parteienvertreter in das Studio zu holen, aber nicht mit dem Ergebnis, dass er nun als Regierungsfunk agiert und die Regeln einer freien Presse beiseite legt.

Ich bin erst einmal froh, dass ich nicht in den besagten Bundesländern wohne: Meine Wahlmöglichkeiten wären dort arg begrenzt.

Ich wünsche mir, dass die AfD immer dabei ist, aber niemals Regierungsverantwortung gewinnt. Ich wünsche mir einen weitestgehend unabhängigen Rundfunk. Und ich wähle nur Parteien, die nicht Opfer ihrer eigenen Spin-Doctors sind. — Das sind doch diese Meinungstechnokraten, die Tricks für den Machterhalt höher bewerten als das, was eine Partei wollen mag.

Händchenhalten im Park

Heute begegnete mir ein türkisches Paar jüngeren Alters in einem Park. Im Gespräch habe ich sie auch gefragt, ob sie auch der Fatwa aus der türkischen Staatsverwaltung alles Religiösen folgen. Sie haben nur gelacht.

So eine Fatwa ist ein islamisches Rechtsgutachten, das den praktischen Glauben in den Wechselfällen des Lebens verbindlich korrigieren soll. Wer so eine Fatwa lostreten kann, das wird immer fragwürdiger. Die Fatwa lebt von denen, die ihr kritiklos folgen. Gegen eine abschließende Interpretation geltenden islamischen Rechts mag ja ohnehin niemand etwas einwenden. Früher waren es hoch geachtete islamische Rechtsgelehrte, die diese Fatwas in die Welt setzten. Mittlerweile werden Fatwas häufig mit politischen Strömungen verbunden und damit so etwas wie geltendes Recht. Es gibt sogar auch rechtgläubige Regierungen, die für ihren Bereich so einen Fatwaweg gehen, weil sie auf ihr treues Klientel bauen, und auf diese Weise politische Absichten ohne eine breite Diskussion in politischen Gremien und in der Öffentlichkeit verwirklichen. In solchen Fällen wird die Politik also rückgebunden an ein normatives Religionsverständnis bei gleichzeitiger Instrumentalisierung der Religion selbst.

Die jungen Leute waren ganz entspannt und fernab des jüngsten Fatwaversuchs aus dem türkischen Religionsministerium, das ihre Dependancen auch in Deutschland unterhält: Es sind die DITIB-Moscheen. Es wird also nach den Regeln der Fatwa gesagt, Verlobte dürfen sich in der Öffentlichkeit nicht die Hand halten und sich in geschlossenen Räumen nur dann treffen, wenn eine dritte Person dabei ist. Dort sollen sie die selbstverständliche Möglichkeit haben, sich gegenseitig kennenzulernen.

Wie das mit den Händchenhalten so ist, habe ich ja bereits mitbekommen. Und ich fand es auch wirklich nicht anstößig.

Die vorgeschriebene Situation im geschlossenen Raum kann ich noch nicht so ganz erschließen und male sie mir aus:

Mustafa und Ayse sitzen auf Sesseln.
Zwischen ihnen steht ein Tisch. Ayses Bruder Ahmet sitzt scheinbar gelangweilt in der Ecke.

Ayse: Ich habe meine Abitur mit guten Noten gemacht.

Mustafa: Das ist ja toll! Ich werde in 2 Jahren – so Allah will – den Bachelor in Philosophie haben. Also, was ich damit im Leben anfangen soll, das ist mir völlig unklar. Aber wir Philosophen leben ja gern im Wagnis.

Ayse: Ich würde auch gern studieren. Im Moment unterstütze ich hauptsächlich meine Mutter bei der Hausarbeit. Ich war ganz stolz, als letztens mein Bruder (Es findet ein leichter Blickkontakt zwischen Ahmet und Ayse statt) meine Köfte so lecker gefunden hat.

Mustafa: Ich koche meistens Nudeln, das geht schnell. Und dabei denke ich an dich. (Es findet ein leichter Blickkontakt zwischen Ahmet und Mustafa statt.)

Ach — ich breche das hier einfach mal ab, weil ich es doch nicht herausfinde, wie sie sich kennenlernen, vermutlich gar nicht. Der gläubige Hindu ist ohnehin der Ansicht, dass alle Menschen gleich viel Wert sind. Wenn dann die Familie den Ehepartner allein aussucht, dann kann das ja nur besser sein, als die christlich-kapitalistische Bevorzugung von gestylten Äußerlichkeiten bei der höchst persönlichen Partnerwahl.

Ich möchte gar nicht wissen, wer so alles verlobt ist und sich händchenhaltend durch die Parks der Welt bewegt. Das Schlechteste scheint es mir nicht zu sein.

Allianzen

Mittlerweile gibt es Allianzen, an die früher niemand ernsthaft gedacht hat.

Sexismus und Gewalt gegen Frauen schweißen gerade Islamisten, Nazis und Feministinnen zu Geistesverwandtschaften und sogar zu wilden Aktionsbündnissen zusammen, sicher nicht alle, aber doch bemerkenswert viele. Sie finden sich in einem Aktionismus wieder, der mit der demokratischen Bewältigung anstehender Probleme nach den Ereignissen von Köln konkurriert. Das verschärft die Situation zusätzlich.

Am Bahnhof ist immer was los

Der Bahnhofsvorplatz war immer schon Ort der Begegnung und der Kriminalität, jeweils verbunden mit Freude und Enttäuschung, Freundschaft und Trennung.

Seit der Silvesternacht 2015 in Köln ist er in Windeseile zum Symbol für eine Übergriffigkeit und Hilflosigkeit geworden, die aus dem Nichts zu kommen scheint.

Das ist immer so schön, bei unaufgeklärten Kriminalfällen. Man kann alle Register der Phantasie ziehen, um vorübergehend die Weisheitslücken auszufüllen. Und dafür bleiben noch ein paar Tage Zeit, den die Ermittlungen laufen noch.

Und so erleben wir ohne Unterlass nun einen Armabstandsgag nach dem anderen. Wir hören auch tagtäglich die Empfehlung, dass der Staat sich nun mit harter Hand gegen kriminelle positionieren muss. Alle Medien sind voll davon und werden offenbar deshalb auch gern konsumiert. Ein wünschenswerte Phantasie ist uns allemal lieber als eine schnörkellose Faktenlage.

Verhaltensregeln für Frauen deutet jetzt auch das populistische Frauenmagazin Emma außer Rand und Band als einen weiteren Angriff auf alle Frauen. Dabei wird vollständig ausgeblendet, dass es ja mit den Verhaltensregeln in frühester Kindheit bereits an. Wir sind – Mädchen oder Junge, Mann oder Frau – schlecht beraten, ohne nach rechts und links zu sehen, die Straße zu überqueren. Wir können uns mit Bedacht über Regeln hinwegsetzen und sogar neue erfinden. Wenn es geht, ist oft ein Abstand zum anderen sinnvoll. Der erwachsene Mensch hat im Normalfall ein äußerst effektives Territorialverhalten erworben, das auf ein System überkommener und individueller Regeln zurück geht.

Das Reden von der „harten Hand“ vermittelt, es gäbe im Rechtsstaat ganz große Spielräume der Beliebigkeit, die man plötzlich auch ganz anders ausfüllen könnte. Das ist aber nicht so! Das ist weder in Gerichtsverfahren so, noch im Handeln von Behörden, weil letzteres auch gerichtlich überprüfbar ausgestaltet ist. Zudem wäre kein Richter daran gebunden, die Urteile und Beschlüsse härter auszugestalten. Vielmehr ist der Richter an die sachgerechte und begründete Einordnung konkreter Sachverhalte in die gesetzlichen Vorgaben gebunden. Sein Spielraum ist in jeden Fall sehr begrenzt und die spezifische Ausgestaltung dieses Spielraums ist zu begründen.

Der Verzicht auf solche Denkbewegungen ist vermutlich dem Bahnhofsvorplatzhype geschuldet.


 

Und dort agierte die Polizei in der Silvesternacht offenbar vollkommen hilflos.

Die deutsche Polizei gilt jedoch weltweit als vorbildlich. In kaum einem Land vertrauen die Menschen der Polizei mehrmals hier bei uns.

PolenteDie berechtigte Kritik an der Polizei erfordert unmittelbar, nicht unbedingt den Gewerkschaftsforderungen (mehr Personal und Geld) zu folgen, aber doch die versäumten Aufgaben nun auch zu erfüllen. Das geht allerdings nicht in einem Einheitsapparat, der zentralistisch ausgerichtet ist und nach außen dicht bleibt. Es sollte also darum gehen, neue Konzepte und Arbeitsmethoden zu entwickeln, Ideengeber und Kritiker zu loben und in maximal autonomen kleinen Einheiten zu arbeiten, die in ihren Köpfen nicht ständig herumschleppen, wie der Polizeipräsident dieses und jenes dem Innenminister am besten verkaufen kann.

Ich zweifle nicht daran, dass die Polizei zu der allseits geachteten Form zurück findet.

Migranten am Bahnhof

Bereits die Gastarbeiter der ersten Generation trafen sich gegen Ende der 50er Jahre in ihrer Freizeit am Bahnhof. Dafür gab es zwei Gründe.

Sie kannten den Bahnhof als Zentrum der Stadt und meistens auch noch von ihrer Anreise und hatten dort eine große Chance dem spartanischen Leben in Deutschland auszuweichen, sowie Landsleute und ein geschäftiges Leben anzutreffen.

Es gab damals kaum einen anderen Ort wo sie hätten hingehen können. Eine Infrastruktur für Gastarbeiter musste also erst noch aufgebaut werden.

Bis zum heutigen Tag hat sich daran nichts geändert. Dies gilt vor allem für Neuankömmlinge. Wenn nun in der Silvesternacht der Bahnhofsvorplatz voller Menschen aus anderen Ländern ist, dann ist das nicht verwunderlich. Dass sich in diesem Bahnhofsszenario auch eine Halbwelt etabliert und sogar professionalisiert, ist seit langem bekannt. Allerdings ist daran die Vielzahl der Menschen aus anderen Ländern nicht beteiligt. Dass die Szene der Diebe, Hehler und Drogenhändler sich gerade in Köln etabliert hat, ist unbestritten. Jeder Strafverteidiger in der Stadt kennt aus seiner Arbeit die Vielzahl der Delikte und Verurteilungen. Dass die Szene derart gewachsen ist, dass sie in der letzen Silvesternacht die Herrschaft auf dem Platz übernommen hat, deutet auf eine etablierte Koexistenz von Räuber und Gendarm hin, so dass die Polizei plötzlich auf verlorenem Posten stand. Es wäre schön, wenn nun bald wieder die Polizei die Platzhoheit übernimmt. Dazu reicht es allerdings nicht, wenn man öffentliche Gelder zur Polizei verschiebt, wie es die gern interviewten Vertreter der Polizeigewerkschaften immer so gern fordern. Es ist vor allem erforderlich, polizeiliche Konzepte und Strategien zu entwickeln und einzusetzen, die den Polizisten wie den Banditen zeigt, dass die Arbeit der Polizei wirksam ist und Straftaten bis zur Klagereife aufgeklärt werden. Das ist viel Arbeit, weil das eben nicht um ein gänzlich neues Phänomen geht, man hatte lediglich über lange Zeit eine unangemessene Polizeiarbeit.

Zudem bleibt die Aufgabe, eine Infrastruktur für Menschen aus anderen Ländern dezentral zu etablieren, damit von Angesicht zu Angesicht die etablierten und importierten Kultur- und Normen-Systeme neu sortiert werden können. Bei einem Kulturwechsel ist es immer so: Die mitgebrachte Kultur und ihre Normen sind eine Bereicherung und die vorgefundene Kultur mit ihren Normen bestimmt maßgeblich den Alltag. Man benötigt also keine homogenen Nischen für Menschen aus anderen Kulturen, sondern Orte, um mit vielen anderen alles Lebenswerte auf den Prüfstand zu stellen und neu zu sortieren. Das machen wir am besten nicht am Bahnhof.