Bei den Auftritten des Kanzlerkandidaten Merz habe ich von jeher eine selbstgefällige und rücksichtslose Arroganz gesehen. Es war auch über die Jahre nicht zu merken, dass er beeindruckt war, wenn es Widerspruch gab. Lediglich kurz vor der angestrebten Kanzlerschaft hat er kleine Taktiken installiert, anderen den Glauben zu machen, er sei nahe an den Menschen dran und würde für Verfehlungen irgendeine Buße tun – um dann weiter zu machen wie bisher.
Die Widersacher in den Reihen der jetzt neuen Koalition sahen sich angesichts der bedrohlichen Rechtsradikalität im Parlament bei der Kanzlerwahl zunächst genötigt, eine konstruktive Mine zum bösen Spiel des Merz zu machen. Das hat nicht zuletzt dazu geführt, dass die angestrebte Koalition durch zahlreiche Probeabstimmungen in beiden Parteien die Gewissheit herbei gearbeitet haben, dass die Mehrheit schon zustande kommen wird und auch alle der erfundenen Agenda glauben, dass die Weltlage urplötzlich Schulden erforderlich macht, die zuvor brüsk abgelehnt wurden.
Letztendlich haben die abgegebenen Stimmen im ersten Wahlgang für Merz aber trotzdem nicht gereicht. Beide Koalitionsparteien sind sich sicher, dass die fehlenden Stimmen nicht von ihnen zu verantworten sind. Die große Einigkeit ist also perdu. Nun suchen die beiden Parteien in alter Tradition intern und mutmaßend bei den Partnerpartei nach den Abweichlern. Diese Abweichler sind gut beraten, ihre geheime Stimme auf keinen Fall zu offenbaren. Denn würden sie das tun, würde nicht über das Talent und die Zukunft von Merz nachgedacht, sonders die Abweichler würden selbst zu Sündenböcken. Das Grundgesetz sieht für das Wahlverfahren gottzeidank nur die geheime Abstimmung vor und schützt die Abgeordneten vor An- und Übergriffen, nur weil sie eine abweichende Position vertreten.
Auch der verdorbene Teil der Presse fragt ohne Unterlass, wer die „Schuldigen“ sind. Die öffentliche Antwort ist immer ein Hinweis auf große bevorstehende Aufgaben, die wichtiger sind, als aussichtslos zu fahnden. Der Idee der Demokratie würde an dieser Stelle Respekt und Dankbarkeit für jede Stimme beinhalten, die in ihrer Gesamtheit ausdrücken, dass der Merzweg und seine Taktiken äußerst befremdlich bleiben und durch ein neues Narrativ nicht geheilt werden können.
Nun hat es durch den punktuellen Verzicht auf die Unterscheidung von Regierung und Opposition flugs eine Entscheidung gegeben, die die erfolgreiche Kanzlerwahl möglich machte und für einen Moment gegenseitige Beschuldigungen außer Kraft gesetzt haben. Aber nur für einen kurzen Moment war man den Grünen und den Linken dankbar. Der politische Alltag beendete das sofort wieder. Der Tagespolitik fehlt fortan wieder die Luft zum Atmen, weil Unvereinbarkeitsbeschlüsse über Jahre mit Beschimpfungen gerechtfertigt und fortgesetzt werden und weit weniger zur Debatte gestellt werden, als scheinbar hinderliche Vorgaben des Grundgesetzes. Die vielgescholtene Vorgängerregierung hatte den Start besser hingelegt, was den Protagonisten der neuen Regierung nur dazu bringt, ganz, ganz viel Gutes für die Zukunft zu versprechen — alles nur Schall und Nebel!