Aschermittwochstext • It’s all over now

Der Karneval ist mit Recht stolz auf seine Tradition, obwohl sie ja von Land zu Land, oft auch von Ort zu Ort Eigentümlichkeiten herausgebildet haben, die gemeinsam kaum in ein Regelwerk passen. Auch historisch gibt es überall Brüche, die sich nicht so richtig als Entwicklung erklären lassen. Das liegt selten an eigenwillig regierenden Prinzen, sondern meist am Zeitgeist,  vollkommen außerkarnevalistischen Ereignissen und Zufällen. Sie gehören dann einfach großzügig dazu und werden aber auch oft irgendwann wieder dem Volkeswillen geopfert, wie die weibliche Jungfrau im Kölner Dreigestirn. Die Historiker der Narretei werden es schwer haben das Geschehen lückenlos zu erfassen. 

Zwei Eigenheiten des Karnevalswesens erscheinen mir so wenig traditionell, obwohl sie so gehandelt werden, dass ich sie erwähnen will.

Das ist zum einen das Ordenswesen. Die militärischen Orden standen da Pate. Als es aber technisch einfach und zudem preiswert wurde, Orden zu entwickeln und zu vervielfältigen, setzte eine Inflation der Orden ein. Aus Gold und Edelsteinen wurde Plastik und der Ausgestalter arbeitete bald an Computern und Maschinen, um die Rohstoffe immer wieder neu zu blinkenden Orden zu veredeln. Dementsprechend gab es eine Inflation der Ordensverleihung jeweils begleitet mit karnevalistischem Kuss. Die Contentkrise zur Zeit der aufblühenden New Wave des Karnevals (Stunksitzung usw.) wird vielfach so beschrieben, dass sich alles auf Formalitäten der Fröhlichkeit mit Ordensverleihung zurückgezogen und darin erschöpft hatte. Man redete gern von Tradition und berichtete darüber, aber viel davon war entleert.

Das sind zum anderen ganz kleine Besonderheiten, die Jahr für Jahr mittels der Presse großspurig als Tradition herausgehauen werden. Ein Beispiel: In einer mir bekannten Stadt hat eine blau eingekleidete Karnevalstruppe den Oberbürgermeister nach langer Inszenierung für ein paar Tage aus dem Amt gejagt, um danach alle Beteiligten zum „traditionellen Käseessen“ zu bitten. Beim besten Willen mag ich in solchen Spezialitäten keine Tradition erkennen. Es ist nur eine äußerst peripheres Ereignis ohne Bedeutung und durchaus vergleichbar mi der Familie X, die heuer zum zweiten Mal an Weihnachten einen Wildschweinbraten aß und nun das Familienoberhaupt als Traditionsbegründer und Geschichtsschreiber der Zukunft überantwortet.

Traditionen retten Vergangenes in die Gegenwart. Das kann vieles erklären. Aber das kann nicht alles gewesen sein.

Ich habe nur einen einzigen Karnevalsorden. Man sagt, er sei sehr selten. Zudem bin ich dem Käse sehr zugetan.

Orden und Ehrenzeichen

Verdienstorden passen nicht mehr in unsere Zeit. Solche Orden wurden von jeher als obrigkeitsstaatliches Mittel genutzt, eine heroische Elite zu basteln und mit dem Orden öffentliche Anerkennung und Privilegien, zu verteilen, sich irgendwie mit dem Verleihungskick moralisch an den Ordensverteiler zu binden und die vermeintlich „Guten“ im Leben vorbildhaft zu markieren. Orden geraten immer mehr in Vergessenheit, weil es in der aufgeklärten Welt keiner Belobigungen von oben Bedarf und die Mehrzahl der Guten leer ausgeht. Orden taugen vor allem für das Flohmarktgeschäft. Seit 60 Jahren ist das Bundesverdienstkreuz der einzige Nachfolger eines deutschen Ordensimperiums. Das Bundesverdienstkreuz ist mit einer grandiosen Staffelung von mehr oder weniger Ehrungsimpakt nach Vorschlagsrechten und Quoten ausgestattet. Der Karnevalsorden ist als leere Ehrung in der Inflation der Ehrungen noch am ehesten so bedeutungsleer wie das Bundesverdienstkreuz.
Der überzeugte Hanseat und ehemalige Bundeskanzler Helmut Schmidt hat sich übrigens nicht an fremden Mächten ausgerichtet, sondern das Bundesverdienstkreuz in hanseatischer Verfassungstradition abgelehnt.
Wenn man weiß, wie beispielsweise das Prozedere zur Verleihung des Bundesverdienstkreuz läuft und welche zweifelhaften Personen damit ausgezeichnet wurden (unter anderen die Diktatoren Ceausescu, Tito und Blatter und in jeder Legislaturperiode automatisch 30 Abgeordnete des Bundestages) und das Kreuz mit gutem Grund abgelehnt haben, dann wird spätestens klar, dass solche Orden immer noch das sind, was sie immer waren. Sie schminken das Land mit einem humanen Gesicht und sind bei höchster Werbewirksamkeit besonders billige Förderer einer fortgesetzten Lobpreisung der tradierten Obrigkeit.

Wenn nun eine Studentin beim Schlichten eines Streits zu Tode geprügelt wird, dann hat sie das Beileid aller mitfühlenden Menschen auf ihrer Seite. Sie lebt im Angedenken fort und stiftet auch posthum den Anlass, das Leben friedfertig zu gestalten.
Ich halte es allerdings für eine ganz üble Instrumentalisierung, wenn sie nun von ungebremsten Webaktivisten, selbsternannten Petitionsrechtunternehmern aufstrebenden Randpolitikern und Teilen der Presse als eine Kandidatin für das Bundesverdienstkreuz aufgebaut wird und damit anderen zur Beachtung und zum Geld verhilft.
Hoffentlich muss sie nicht mit weiteren Verdienstkreuzträgern ihren Platz im Jenseits teilen!
Wahrscheinlich wollte sie leben, wahrscheinlich wollte sie auch kein Bundesverdienstkreuz!