Arbeitsplätze für Ganoven

Polizisten und Ganoven arbeiten in artverwandten Tätigkeitsfeldern. Es war immer schon mal so, dass jemand bei der Polizei keine Chance hatte und dann ins Ganovenmilieu wechselte, weil das für ihn die zweitbeste Wahl war. In Wach- und Sicherheitsdiensten tummeln sich immer schon Leute, die alles mit übertriebener Selbstgefälligkeit besser machen wollen als die Polizei. Bei den unattraktiven Arbeitsbedingungen in dieser Branche melden sich solche Leute mit Vorliebe. Sie treffen dort auf diejenigen, die im Berufsleben nichts mehr zu verlieren haben. Sie finden sich dann allesamt in einer Brutstätte für rechtes Gedankengut wieder, mit naivem, aber starkem Selbstbewusstsein und der Mission, für Recht und Ordnung nach Art des Outlaws zu sorgen, weil sie sich unvermittelt in einer Situation wiederfinden, in der es anderen schlechter geht als ihnen selbst. Es ist also begründet, wenn Wachleute nun verstärkt überprüft werden sollen.
Es ist hinreichend bekannt, das in den Wach- und Sicherheitsdiensten, die Fehlgeleiten dieser Welt überrepräsentiert sind. Und bei den Arbeitsbedingungen verzichtet man auch ganz darauf, die Eignung der Mitarbeiter zu prüfen und sie wenigstens mit einem Grundgerüst an Merksätzen auszurüsten, wie das Ganze human gestaltet werden kann. Das Arbeitsangebot übertrifft die Nachfrage bei weitem. Da kann man auch nicht wählerisch sein.
Es ist also kein Wunder, dass die privaten Dienstleister der Branche trotz großer Unternehmergewinne sehr schnell ins Gerede kommen, seitdem sie nun auch Unterkünfte von Flüchtlingen bewachen sollen.
Offenbar fehlen aber auch Maßstäbe bei den meist öffentlichen Auftraggebern, die nur allzu leichtfertig ihre Aufträge erteilen. Sie tragen die Verantwortung für die outgesourcten Sicherheitsarbeit und sollten deshalb auch zur Rechenschaft gezogen werden, wenn der Wachdienst einmal wieder über die Strenge schlägt.
Zum Glück gibt es in Flüchtlingsunterkünften nicht nur Wachdienste, sondern auch haupt- und nebenamtliche Mitarbeiter und ehrenamtliche Helfer, die den Flüchtlingen mit anderer Ausrichtung begegnen. Wenn der Rahmen so eines Projekts für eine Flüchtlingsunterkunft stimmt, dann wird es also rechtzeitig einen wirksamen Widerspruch gegen die Wach- und Sicherheitsdienst geben. Aber offenbar stimmt der Rahmen nicht immer, weil der Wach- und Sicherheitsdienst mit einer falschen Kompetenz ausgerüstet ist.

… und du bist raus!

Wenn Wahlen anstehen, dann geht es um die öffentliche Meinung und um künftige Politik.

Die öffentlich rechtlichen Fernsehanstalten haben zu diesem Anlass die Elefantenrunde erfunden: Die Meinungsführer der jeweils zur Wahl anstehenden und voraussichtlich chancenreichen Parteien erhalten eine moderierte Möglichkeit, in der Auseinandersetzung ihre Positionen vorzutragen. Es gibt keinen Zweifel daran, dass solche Runden vor der Wahl und auch unmittelbar danach erhellende Momente für den Wähler hervorbringen und ihm helfen, seine Wahlentscheidung zu fundieren. Zur Wahl gehen ist wichtig, eine fundierte Wahlentscheidung zu treffen ist allerdings noch wichtiger. Dem Format Elefantenrunde kommt deshalb im öffentlich-rechtliche Rundfunk eine hervorragende Bedeutung zu.

Nun ist das Spektrum der antretenden Parteien groß. Es sind immer auch welche dabei, die randständige Themen oder fragwürdige Ideologien vertreten. Das hält der demokratische Rechtsstaat aus. Folglich ist der Disput der Parteienvertreter auch dann sinnvoll, wenn sie sich nichts, oder aber auch nichts Gutes zu sagen haben. Dann ist zumindest der Wähler auch darüber im Bilde.

Die Fernsehanstalten bestimmen ihr Format und die Parteien entsenden ihre Vertreter. Das kann ja auch nicht anders sein.

Doch in diesem Jahr ist alles anders. In Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg verweigern die Parteien SPD und Grüne die Teilnahme, wenn die AfD ebenfalls dabei ist. Jetzt hat der zuständige SWR sein Format schnell umgestrickt und beabsichtigt nun, die AfD draußen vor zu lassen.

Dass die Arroganz der Macht, die ja auch nur vom Volk geliehen ist, leichtfertig die Widersacher aus der rassistischen Schmuddelecke ausgrenzt, ist ein Fehler, der diese Widersacher wahrscheinlich sogar aufwertet. Ein schlauer Satz in der Elefantenrunde wäre die bessere Variante gewesen.
Der Durchgriff auf den öffentlich rechtlichen Rundfunk durch Verweigerung mit einem Seitenblick auf die Machtverhältnisse im Rundfunkrat ist allerdings eine kleine Machtmusik zur Instrumentalisierung der Pressefreiheit. Damit gibt es auch einen Beleg für die fehlende Regierungsferne des SWR. Es ist zwar richtig, dass der SWR alles zu tun hat, um alle Parteienvertreter in das Studio zu holen, aber nicht mit dem Ergebnis, dass er nun als Regierungsfunk agiert und die Regeln einer freien Presse beiseite legt.

Ich bin erst einmal froh, dass ich nicht in den besagten Bundesländern wohne: Meine Wahlmöglichkeiten wären dort arg begrenzt.

Ich wünsche mir, dass die AfD immer dabei ist, aber niemals Regierungsverantwortung gewinnt. Ich wünsche mir einen weitestgehend unabhängigen Rundfunk. Und ich wähle nur Parteien, die nicht Opfer ihrer eigenen Spin-Doctors sind. — Das sind doch diese Meinungstechnokraten, die Tricks für den Machterhalt höher bewerten als das, was eine Partei wollen mag.

Allianzen

Mittlerweile gibt es Allianzen, an die früher niemand ernsthaft gedacht hat.

Sexismus und Gewalt gegen Frauen schweißen gerade Islamisten, Nazis und Feministinnen zu Geistesverwandtschaften und sogar zu wilden Aktionsbündnissen zusammen, sicher nicht alle, aber doch bemerkenswert viele. Sie finden sich in einem Aktionismus wieder, der mit der demokratischen Bewältigung anstehender Probleme nach den Ereignissen von Köln konkurriert. Das verschärft die Situation zusätzlich.

Am Bahnhof ist immer was los

Der Bahnhofsvorplatz war immer schon Ort der Begegnung und der Kriminalität, jeweils verbunden mit Freude und Enttäuschung, Freundschaft und Trennung.

Seit der Silvesternacht 2015 in Köln ist er in Windeseile zum Symbol für eine Übergriffigkeit und Hilflosigkeit geworden, die aus dem Nichts zu kommen scheint.

Das ist immer so schön, bei unaufgeklärten Kriminalfällen. Man kann alle Register der Phantasie ziehen, um vorübergehend die Weisheitslücken auszufüllen. Und dafür bleiben noch ein paar Tage Zeit, den die Ermittlungen laufen noch.

Und so erleben wir ohne Unterlass nun einen Armabstandsgag nach dem anderen. Wir hören auch tagtäglich die Empfehlung, dass der Staat sich nun mit harter Hand gegen kriminelle positionieren muss. Alle Medien sind voll davon und werden offenbar deshalb auch gern konsumiert. Ein wünschenswerte Phantasie ist uns allemal lieber als eine schnörkellose Faktenlage.

Verhaltensregeln für Frauen deutet jetzt auch das populistische Frauenmagazin Emma außer Rand und Band als einen weiteren Angriff auf alle Frauen. Dabei wird vollständig ausgeblendet, dass es ja mit den Verhaltensregeln in frühester Kindheit bereits an. Wir sind – Mädchen oder Junge, Mann oder Frau – schlecht beraten, ohne nach rechts und links zu sehen, die Straße zu überqueren. Wir können uns mit Bedacht über Regeln hinwegsetzen und sogar neue erfinden. Wenn es geht, ist oft ein Abstand zum anderen sinnvoll. Der erwachsene Mensch hat im Normalfall ein äußerst effektives Territorialverhalten erworben, das auf ein System überkommener und individueller Regeln zurück geht.

Das Reden von der „harten Hand“ vermittelt, es gäbe im Rechtsstaat ganz große Spielräume der Beliebigkeit, die man plötzlich auch ganz anders ausfüllen könnte. Das ist aber nicht so! Das ist weder in Gerichtsverfahren so, noch im Handeln von Behörden, weil letzteres auch gerichtlich überprüfbar ausgestaltet ist. Zudem wäre kein Richter daran gebunden, die Urteile und Beschlüsse härter auszugestalten. Vielmehr ist der Richter an die sachgerechte und begründete Einordnung konkreter Sachverhalte in die gesetzlichen Vorgaben gebunden. Sein Spielraum ist in jeden Fall sehr begrenzt und die spezifische Ausgestaltung dieses Spielraums ist zu begründen.

Der Verzicht auf solche Denkbewegungen ist vermutlich dem Bahnhofsvorplatzhype geschuldet.


 

Und dort agierte die Polizei in der Silvesternacht offenbar vollkommen hilflos.

Die deutsche Polizei gilt jedoch weltweit als vorbildlich. In kaum einem Land vertrauen die Menschen der Polizei mehrmals hier bei uns.

PolenteDie berechtigte Kritik an der Polizei erfordert unmittelbar, nicht unbedingt den Gewerkschaftsforderungen (mehr Personal und Geld) zu folgen, aber doch die versäumten Aufgaben nun auch zu erfüllen. Das geht allerdings nicht in einem Einheitsapparat, der zentralistisch ausgerichtet ist und nach außen dicht bleibt. Es sollte also darum gehen, neue Konzepte und Arbeitsmethoden zu entwickeln, Ideengeber und Kritiker zu loben und in maximal autonomen kleinen Einheiten zu arbeiten, die in ihren Köpfen nicht ständig herumschleppen, wie der Polizeipräsident dieses und jenes dem Innenminister am besten verkaufen kann.

Ich zweifle nicht daran, dass die Polizei zu der allseits geachteten Form zurück findet.

Migranten am Bahnhof

Bereits die Gastarbeiter der ersten Generation trafen sich gegen Ende der 50er Jahre in ihrer Freizeit am Bahnhof. Dafür gab es zwei Gründe.

Sie kannten den Bahnhof als Zentrum der Stadt und meistens auch noch von ihrer Anreise und hatten dort eine große Chance dem spartanischen Leben in Deutschland auszuweichen, sowie Landsleute und ein geschäftiges Leben anzutreffen.

Es gab damals kaum einen anderen Ort wo sie hätten hingehen können. Eine Infrastruktur für Gastarbeiter musste also erst noch aufgebaut werden.

Bis zum heutigen Tag hat sich daran nichts geändert. Dies gilt vor allem für Neuankömmlinge. Wenn nun in der Silvesternacht der Bahnhofsvorplatz voller Menschen aus anderen Ländern ist, dann ist das nicht verwunderlich. Dass sich in diesem Bahnhofsszenario auch eine Halbwelt etabliert und sogar professionalisiert, ist seit langem bekannt. Allerdings ist daran die Vielzahl der Menschen aus anderen Ländern nicht beteiligt. Dass die Szene der Diebe, Hehler und Drogenhändler sich gerade in Köln etabliert hat, ist unbestritten. Jeder Strafverteidiger in der Stadt kennt aus seiner Arbeit die Vielzahl der Delikte und Verurteilungen. Dass die Szene derart gewachsen ist, dass sie in der letzen Silvesternacht die Herrschaft auf dem Platz übernommen hat, deutet auf eine etablierte Koexistenz von Räuber und Gendarm hin, so dass die Polizei plötzlich auf verlorenem Posten stand. Es wäre schön, wenn nun bald wieder die Polizei die Platzhoheit übernimmt. Dazu reicht es allerdings nicht, wenn man öffentliche Gelder zur Polizei verschiebt, wie es die gern interviewten Vertreter der Polizeigewerkschaften immer so gern fordern. Es ist vor allem erforderlich, polizeiliche Konzepte und Strategien zu entwickeln und einzusetzen, die den Polizisten wie den Banditen zeigt, dass die Arbeit der Polizei wirksam ist und Straftaten bis zur Klagereife aufgeklärt werden. Das ist viel Arbeit, weil das eben nicht um ein gänzlich neues Phänomen geht, man hatte lediglich über lange Zeit eine unangemessene Polizeiarbeit.

Zudem bleibt die Aufgabe, eine Infrastruktur für Menschen aus anderen Ländern dezentral zu etablieren, damit von Angesicht zu Angesicht die etablierten und importierten Kultur- und Normen-Systeme neu sortiert werden können. Bei einem Kulturwechsel ist es immer so: Die mitgebrachte Kultur und ihre Normen sind eine Bereicherung und die vorgefundene Kultur mit ihren Normen bestimmt maßgeblich den Alltag. Man benötigt also keine homogenen Nischen für Menschen aus anderen Kulturen, sondern Orte, um mit vielen anderen alles Lebenswerte auf den Prüfstand zu stellen und neu zu sortieren. Das machen wir am besten nicht am Bahnhof.

Rechtsruck

Ohhh, wie war der Erdkundelehrer böse, als wir Schweden oben und Italien unten auf der Landkarte gefunden haben und er hat uns für alle Zeiten die Himmelsrichtungen ins aktive Vokabular geschrieben.

Jetzt lese ich, dass ganz Frankreich nach rechts gerückt ist (Der Spiegel). Ich bin erstaunt.
Ist das nicht Osten?
Mit Erziehung und Bildung wäre das sicher nicht passiert.

Irrtum

Wenn es darum geht, dem Gebilde IS – islamischen Staat – den Krieg zu erklären, ist immer wieder die Frage zu beantworten, ob es sich dabei tatsächlich um einen Staat oder um eine Verbrecherorganisation handelt. Das Völkerrecht macht unter Umständen zur Legitimation eines Kampfeinsatzes zur Voraussetzung, dass es ein Staat ist. Daraus leitet so mancher Politiker eine windige Definition ab, in dem er gern von Kampfeinsatz, nicht jedoch von Krieg spricht, weil angeblich Kriege nur zwischen Staaten geführt werden.
Damit macht er der Gemeinschaft der Sprechenden nicht nur das Privileg streitig, über Wortbedeutungen selbst zu entscheiden. Er verfolgt zudem eine eigenwillig fehlgeleitete Rechtsinterpretation.
Ob also dieser IS ein Staat ist, hängt tatsächlich nicht vom Belieben der Widersacher ab. Ein formaler Akt der Anerkennung ist also ebenso unbedeutend, wie eine de facto Anerkennung durch schlüssiges Handeln, wie also die Verwendung des Wortes Krieg. Vielmehr ist von einem Staat die Rede, wenn das in Frage stehende Gebilde bestimmte Eigenschaften aufweist. Diese Eigenschaften sind nicht normiert. Nach allgemeinem Verständnis gehören aber wohl ein Staatsvolk, ein Staatsgebiet und eine Staatsmacht auf alle Fälle dazu. Es ist also auch völkerrechtlich nicht unwahrscheinlich, dass der IS ein Staat ist, ohne dass jemand daran etwas ändern kann. Man kann es nur feststellen.
Wichtig ist mir also, der Sichtweise bestimmter Widersacher entgegen zu treten, sie könnten über die Rechtshandhabung selbst bestimmen und auch noch die Wortwahl vorschreiben.
Um es einmal relativ zu formulieren: Eigentlich merkt ja der Dümmste, dass der militärische Einsatz von Truppen immer sehr viel mehr Krieg ist, als der Frieden.

Frage mich besser nicht!

Ein Teil meiner Antwort würde dich verunsichern. – So lautet die gerade vielbeachtete Kernaussagen des Innenministers de Maizière.

Üblicherweise hilft der Umgang mit Fragen und Antworten, um etwas Neues zu erfahren. Es ist der tiefere Sinn einer Frage, dass man die Antwort nicht kennt und deshalb nicht vollständig auf sie vorbereitet ist. Unsere Lehrer haben jedoch unverständlicherweise immer gegen diese grundlegende Weisheit gearbeitet und Fragen gestellt, deren Antworten Ihnen vermutlich bekannt waren. Allein deshalb kann ich fragende Lehrer nicht leiden. Es wäre gerechtfertigt, aber auch ziemlich sensationell gewesen, wenn ich in der Schule gesagt hätte: „Ein Teil meiner Antwort würde sie verunsichern!“ Und trotzdem steht mir der Herr Minister nicht nahe. Er weicht nämlich nur einer Frage samt einer erhellenden Antwort aus, indem er Angst verbreitet. In seiner Unbeholfenheit erinnert er mich an die Übergriffigkeit gegenüber Kindern mit dem Standardsatz: „Du brauchst keine Angst zu haben!“ Kaum ist es ausgesprochen, stellt sich auch schon eine Angst ein, die das Vertrauen ablöst.

Weil es – wie gesagt – der Sinn jeden Fragens ist, zu neuen Erkenntnissen zu kommen, gibt es auch keine guten und schlechten und schon gar keine bestellten Antworten. Mit jeder Frage gehen wir das Risiko ein, von der Antwort mehr oder weniger überrascht zu werden. Ja, eine Antwort kann uns tief treffen. Das Leben mit einer bestimmten Antwort kann sich sogar entscheidend ändern.

Der Wohlfühlbürger, der sein bisheriges Leben kritiklos für die Zukunft hochrechnen will, kann getrost auf Fragen und möglicherweise verunsichernde Antworten verzichten. Der Umgang mit Fragen und Antworten gehört allerdings zur Grundqualifikation, um die Wechselfälle des Lebens und eine bereichernde Vielfalt zum Wohl und zur Freude entwicklungsoffen zu gestalten. Schwierig wird es für den gerade aufgestandenen Typus des Wutbürgers. Er hat erlebt, dass es als Wohlfühlbürger nicht überleben kann, weil ihm die Ressourcen abhanden kommen und ihm das Gestaltungswerkzeug für eine offene Gesellschaft fehlen. Ihm bleibt vor allem die fundamentale Emotion der Wut. Schenken wir ihm doch das, was man mit Fragen und Antworten so alles machen kann. Aber das ist leicht gesagt, wenn schon ein Minister vor Antworten warnt, weil sie verunsichern könnten.

„Es ist schon so:  Die Fragen sind es, aus denen das, was bleibt, entsteht. 
Denk an die Frage deines Kindes: „Was tut der Wind, wenn er nicht weht?“
Erich Kästner

Flüchtlinge sind immer mal wieder leidtragend

Government is the Entertainment division of the military-industrial complex.
Frank Zappa

Mit der EU fing alles 1957 als EWG an, der europäischen Wirtschaftsgemeinschaft. Es ging dabei um das reibungslose Geldverdienen. Das ist bis heute so geblieben.

Damit auch der Wähler so eine Sache unterstützt, wird die EU so angeboten, dass dabei auch wirtschaftliche Vorteile für den ganz normalen Bürger herausspringen sollen. Edel ummantelt wird die EU mit der großen Idee der Völkerverständigung nach den traumatischen Ereignissen der zurückliegenden Kriege in Europa. Die EU wird als Instrument angeboten, friedliebende Völker zu versöhnen und europäische Werte der Demokratie und der unbedingten Solidarität zu verwirklichen. Als die EU zur Erfolgsgeschichte wurde, ging es eigentlich nur um das entgrenzte Wirtschaften. Pizza von Lissabon bis Tallinn wurde zur Wirklichkeit, so dass der reisende Bürger der EU noch am ehesten den Freiheitszuwachs selbst erleben konnte. Die Freiheit des Reisens wurde deshalb auch genutzt, die Idee Europa in die Welt zu tragen.

Wenn Ideen Gestalt annehmen, wird selbstverständlich wenig überlegt, was dagegen spricht oder woran sie scheitern können. Alles wird viel lieber zur Erfolgsgeschichte ausgestaltet. Auf Bewährungsproben ist man deshalb kaum vorbereitet. Widersprüche im System werden in sturer Regelmäßigkeit mit dem Hinweis auf den steigenden Wohlstand einfach so stehen gelassen. Wenn in kleineren Ländern beispielsweise die Sorge besteht, dass die Einführung des Euro und die vorgegebene Verregelung ganzer Lebensbereiche, die sensible Kultur im Land existenziell bedroht, dann bleibt sie unbeachtet und wird durch den Schein eines glänzenden Wohlstandsgewinns in den Städten überlagert. Das Elend bleibt außen vor und das Image bleibt tadellos.

Die offenen Grenzen Europas und das Europaparlament, das sich erst langsam aus der Fernsteuerung der Mitgliedsländer und ihrer egoistischen Interessen befreit, zeigen allerdings, dass nebensächlich inszenierte Schauplätze an Dynamik gewinnen können, die das reine Wirtschaften überschreiten. Der EU wurde sogar der Friedensnobelpreis verliehen.

Aber offenbar werden die offenen Grenzen bei der ersten großen Bewährungsprobe nicht als Stärke der EU interpretiert und genutzt, sondern als Bedrohung des herrschenden Selbstverständnisses der EU. Der Andrang von Flüchtlingen aus aller Welt, die nichts mehr zu verlieren haben, werden in Politik und Gesellschaft gern populistisch als kollektive Grenzverletzung gehandelt und münden in der Forderung, durch Reaktivierung und Verteidigung aufgegebener Grenzen weitere Hürden aufzubauen. Auch ohne die zurückgelassenen Bedrohungen an Leib und Leben in der Heimat wird ein menschenunwürdiger Hindernislauf veranstaltet. Die hochgehängte Wurst wird damit zur Herausforderung für physikalische Leistungen. Die Humanität veröden.

Es wird höchste Zeit, dass sich die EU als Wirtschaftsvereinigung verabschiedet, oder aber die Ethik der Grenzenlosigkeit als höchstes Kulturgut ernst nimmt und pflegt.

Offenbar gibt es zahlreiche EU-Länder, in denen nicht mehr angekommen ist, als die Bereitschaft, den Reichtum der EU abzuschöpfen. Sie zeigen deutlich, dass es auch in der EU etliche versteckte Wartelisten auf dem Weg zur grenzenlos vielfältigen und humanen Gesellschaft gibt. Sie lassen sich auch nicht verstecken, wenn man einen Grenzzaun als „Tür mit Seitenteil“ ins Spiel bringt.

Es ist national überhöht, menschenrechtsleer und sogar abseits des lange gepflegten gemeinschaftlichen Wirtschaftens, wenn  Grenzen gefördert werden, andere EU-Länder mit Grenzen allein gelassen werden und immer wieder Kapazitätsgrenzen ins Feld geführt werden, anstatt das logistisch und finanziell notwendige zu tun, um den Flüchtlingen die Flucht am Ende zu vereinfachen und an ihrem Zielort für Sie und mit ihnen ein humanes Leben einzurichten.

Der Friedensnobelpreis ist ja immer schon eine fragwürdige Sache, weil er mit guten Grund nicht nur für das Ende einer Entwicklung belohnt, sondern auch Ausgangspunkt und Ansporn dafür ist, an einer friedfertigen Idee weiterzuarbeiten.

Aktuelle Entwicklungen befeuerte die Idee, dass man so einen Preis wieder zurückgeben kann. Aber gerade in der EU wird das bureaukratisch vermutlich nicht zu entscheiden sein.

 

Wer hat dem Attentäter von Köln das Messer geführt?

In der Presse werden in diesen Zeiten des Flüchtens und der faschistischen Weltdeutung alle aufgezählt, die das Messer geführt haben, das ein vermeintlich stark beeinträchtigter Mensch aus der Neonaziszene ins Ziel geführt hat. Das Attentat hat die aussichtsreiche Kandidatin bei der Oberbürgermeisterwahl in Köln getroffen. Ich bin mit diesen Aufstellungen sehr einverstanden.

Sie haben aber zwei Mängel:

  1. Offenbar agieren die Brandstifter in einer unspezifischen Nähe zum Problem. Während die Wutbürger und geächtete Autoren, wie Sarrazin und Konsorten schnell genannt werden, werden die Namen der auffälligen Leute aus den etablierten Parteien schon sehr viel seltener genannt und zum Schluss bleibt es beispielsweise ziemlich unklar, ob der bayrische Ministerpräsident Seehofer dazu gehört oder doch nur ein humoristischer Selbstdarsteller ist. Selbst die Polizeigewerkschaft, die jetzt Grenzzäune gegen Flüchtlinge fordert, müsste als Institution der Brandstiftung gebrandmarkt werden. Anstatt die ewig Verdächtigen zu benennen, wäre es sinnvoll, sich gedanklich langsam in die konzentrische Ferne zum Problem zu bewegen und auszumachen, was wirklich gespielt wird. Offenbar entwickelt sich ein umfassender Zeitgeist, der klammheimlich gerufen wurde und die Ideen von Vielfalt und Demokratie verstopft und  ab und zu aufsehenerregend über konkrete Menschen in Erscheinung tritt.
  2. Es gibt eine sehr große Gruppe vor allem auch prominenter, sachgerechter Kritiker gegen Nazis und gegen Gewalt an Flüchtlingen. Sie liegen mit ihrer Kritik meistens richtig, richten aber ihre öffentliche Präsenz mit viel Zuspruch an der Idee vom sehr, sehr dummen Nazi aus. Dieser Kunstgriff macht die Kritik einfach und lustig. Er hat aber den Haken, dass man Dummheit niemandem vorwerfen kann. Der Effekt ist, dass dem abgehängten Proletariat im Dunstkreis der Naziideologie der Rückweg in demokratische Vollzüge damit gänzlich abgesperrt wird. Was machen wir mit dummen Menschen, die sich nicht radikal betätigen? Wir fördern sie!!! Es ist angesichts der skizzierten Brandstifterszene zugegebenermaßen schwer – aber alles andere verschärft nur die Distanz. Und das kann auch so gedeutet werden, dass hier den Nazis in der Aussichtslosigkeit einmal mehr das Messer geführt wird.