Die Fahne flattert

Fahnen stiften Identität und die Identität bringt verbindende Symbole hervor, vor allem die Fahne. Als Flagge verlässt sie das Einzeldasein und wird zur unendlich reproduzierbaren Massenware.

Länderwettbewerbe im Sport sind die Stunde der Flaggen, aber auch Ereignisse, in denen dem Nationalen eine hervorragende Bedeutung zugesprochen wird. Wenn beispielsweise nach einem politischen Attentat an irgendeiner Stelle behauptet wird: „Ganz Frankreich trauert!“, dann wird dazu automatisch als Bild die französische Flagge angeboten. Weil die Trauer ja allgemein ein individuelles Gefühl ist, das sich nicht kollektiv einstellt und im Idealfall auch auf einer persönlichen Verbindung von Opfer und Trauerndem basiert, sind kollektive Emotionen mit Flaggenbeiwerk kritisch zu betrachten. Sie sind in der Regel lediglich die bewusst überhöht inszenierte Darstellung eines einfachen Sachverhalts, dem eine hohe Bedeutung zugesprochen wird.

Deutschland

Immer dann, wenn eine Identität in Frage gestellt wird, wird gern die dazugehörige Flagge (re-) aktiviert. In einer globalisierten Welt, die die Vielfalt gern einebnet, haben vor allem kleine Kulturen und Nationen einen Nachteil in der Beachtung, manchmal sogar in der Bestandssicherung. Ein erhöht Nationalismus und die Darbietung der Flagge und Ihrer Farben ist die Folge. Große Nationen hätten das nicht so sehr nötig, zeigen aber auch Flagge, wenn es drauf ankommt, im Sport. Sie zeigen aber auch  im gesellschaftlichen Leben Flagge, wenn die kulturelle Vielfalt zur Debatte steht und die kulturelle Einfalt der Nation dagegen gesetzt wird. Über all dort, wo Minderheiten um ihre Anerkennung besorgt sind, sehen sie sich mit nationalen Überhöhungen konfrontiert, sie unter der gegebenen Fahne nicht vereint haben zu wollen.

siehe auch: Ausgeflaggt

 

Finaler Kick!

Dass die Weltmeistermannschaft bei ihrem finalen Auftritt am Brandenburger Tor Helene Fischer zum musikalischen Mittelpunkt ihrer Welt inszenieren lässt, mag ja noch als ein unbedeutendes Nebenprodukt des vieldiskutierten Teambuilding in der Abgeschiedenheit toleriert werden. Dass die Mannschaft im Shirt uniformiert auftritt, dann aber die Individualität der diversen Protagonisten über Beinkleider, Brillen und Mützen zur Show stellt, mag noch als fußballnahe Ästhetik gedeutet werden können. Dass und wie die Mannschaft aber die „Deutschen“ von den „Gauchos“ in einer Darbietung optisch und akustisch absetzen, erinnert jedoch allzu deutlich an die in der Interpretation umstrittene erste Strophe des Deutschlandliedes. Die Darbietung war dann doch zu sehr am rücksichtslosen nationalistischen Massengeschmack ausgerichtet. Mich erschreckt, dass so etwas anstandslos durch läuft.

1 Nachtrag:

Ich habe in den letzten Tagen an verschiedenen Stellen in den sozialen Netzwerken meine Verwunderung zum Ausdruck gebracht, dass der nationalistische Hype der WM-Trunkenheit die Stellungnahme scheut. Dass das Kollektiv der Nationalmannschaft in tumben Tänzen ihre Überlegenheit so zeigt, dass sie auch die unterlegenen Argentinier parodiert ist mir dabei nebensächlich, wenn auch beispielhaft dafür, dass der Fan das rücksichtslos gut zu finden hat.  Interessant finde ich aber die Reaktionen auf meinen Text. Überwiegend werde ich ganz am Text vorbei so gelesen, als würde ich den Spaß am Fußball nationalsozialistisch deuten und Verfehlungen im Freudentaumel bestrafen wollen. Es wuchern sogar Mutmaßungen über mein Seelenleben in der ideologischen Einsamkeit, meine fußballferne Bitternis und es gibt den Wunsch, ich möge der Meinungsbildung erspart bleiben. Kurz: Nahezu alle Kommentare orientieren sich an Mutmaßungen, die keinen Anker in meinem Text beanspruchen können und schweifen unter die Gürtellinie ab. Alles in allem gewinne ich den Eindruck, dass das archaische Kulturverständnis von einem im Kampf überlegenen Protagonisten auf Deibel komm raus mental und kollektiv gestärkt und über den legitimen Ort des Sports hinaus verlängert wird. Die Fußballkultur hat sich so etabliert, dass sie notfalls sogar auf den Sport verzichten kann. Sie sucht Bündnisse mit einer Popkultur und zeigt die Tendenz, abweichende Kultursegmente grundsätzlich anzufeinden und dabei auf die Mittel des Kampfes zu setzen, die ja nie zimperlich ausgerichtet werden und die die Verständigung als unsportlich ausschließen.   Damit werde ich in meiner Ausgangsthese bestärkt, dass nationalistische Überhöhungen zum Massengeschmack werden und keinen Widerspruch dulden.   Dabei muss man sich den Widersprechenden als einen fröhlichen, zugewandten und kreativen Menschen vorstellen. Die öffentlich rechtlichen Massenmedien sparen bisher in der Berichterstattung meistens den „Gaucho -Tanz“ aus. 

2 Nachtrag:   Ohne Gegner wäre der Fan hilflos. Deshalb sucht er einen. Dabei ist es letztlich gleichgültig, ob dieser überhaupt mitmachen will … Das erinnert an einen kleinen Kampfhund, der „einfach nur spielen“ will …       Wenn man Angst auslösen will, dann sagt man: „Du brauchst keine Angst zu haben!“   Wenn man eine Debatte anheizen will, dann sagt man: „Hört auf, ich will davon nichts mehr hören!“   Weniger ist mehr!