Keine PkW-Maut! –

Ich hatte es immer schon erwartet. Und nun hat der EU-Gerichtshof so entschieden.

Vorbei sind mehrere Jahre irrsinniger Diskussion, aus der man auch nichts lernen konnte, weil es dem Protagonisten Dobrindt, ausgeführt von seiner Partei CSU immer nur darum ging, seine Duftmarken in die ganze Republik zu kacken. Er hat uns Zeit und Arbeitskraft gestohlen und die politischen Gesprächskanäle verstopft.  Allein 128 Millionen Euro wurden für die Vorbereitung in den Sand gesetzt (Tagesspiegel).

Dass so manche etablierte Partei ihren Kredit verspielt hat, zeigt die Maut-Affäre beispielhaft. Ein profilsüchtigere Politiker, von dem man gar nicht wissen mag, wer ihn wählen würde, sucht sich ein irrwitziges Thema, spinnt sich eine passende Rechtsnorm zurecht und behauptet gegen jede Sachkunde, es sei stark genug, das von ihm benannte Problem gegen jeden Widerstand zu lösen.

Was er jetzt tun wird, das wissen wir nicht. Er sollte die von ihm geführte Landesgruppe der CSU im Bundestag zum Beerdigungskaffee einladen. – Das hätte meine Zustimmung.

Zur Pflege der Parteienlandschaft: Klientelpartei, Volkspartei und dann?

In der politischen Diskussion kommt immer wieder das Wort Volkspartei vor, obwohl nach meiner Einschätzung stets einfach nur Partei gemeint ist. Damit wertet man wohl Parteien auf, die gerade prinzipiell ins Gerede gekommen sind. Man tut so, als seien das Parteien mit Sternchen, also etwas höherwertiger und unverzichtbarer. Man vermeidet auch ganz schlau jeden Hinweis darauf, was denn eine Volkspartei überhaupt zu sein hat. Lediglich die Grünen verzichten darauf und können das, wenn sie befragt werden, auch begründen.

Für alle anderen hier noch einmal mein traditioneller Schnellkursus!

Also: Volksparteien sind weder große Parteien, noch alte Parteien und schon gar nicht Parteien, die das Volk vertreten.

Volksparteien wurden historisch betrachtet so benannt, weil sie im Gegensatz zu Parteien mit besonderem Schwerpunkt für besondere Zielgruppen in ihrem Selbstverständnis die Interessen aller Bevölkerungsgruppen gebündelt haben. So, wie vor 100 Jahren die Klientelparteien fragwürdig wurden, werden heute offenbar auch die Volksparteien fragwürdig, weil sie in gewisser Weise unterschiedliche Interessen programmatisch ausgleichen und dabei oft bis zu Unkenntlichkeit verstecken. Ihre Auseinandersetzung darüber findet also ohne viel Aufsehen innerparteilich statt und dann eben nicht mehr zwischen Parteien im Parlament. Klientelparteien sind eindeutiger und glaubwürdiger, aber eben nur für Ihr Klientel.

Aber die gibt’s eigentlich nicht mehr. Im Bundestag sehe ich keine Partei, die nicht Volkspartei ist — mehr oder weniger. Bei der AfD allerdings eher weniger …

Je stärker sich Gesellschaften differenzieren, um so schwieriger wird die damit verbundene Aufgabe der Integration dessen, was sich gerade differenziert hat. Das gilt gerade auch für politische Parteien, die stark dem Volksparteiparadigma folgen. In einer bewusst auf Vielfalt und Inklusion angelegten Welt, werden die Interessengruppen politisch Gleichgesinnter in immer kleinere Einheiten aufgelöst und mit der Inklusion ganz neue Skills auf den Weg gegeben, um sich als Individuum in der Gesellschaft teilnahmsvoll inszenieren zu können. Die favorisierte Politik von Volksparteien kommen also immer schwerer zu dem von ihnen propagierten Konsens aller Bevölkerungsgruppen. Sie gehen vielfach auch hilflos dazu über, demoskopische Algorithmen zu bemühen, festzustellen, was der Bürger denn so will. Damit gehen auch die Unterschiede der Volksparteien sukzessive verloren. Der Bürger kann die politischen Parteien kaum noch unterscheiden und traut allen gemeinsam alles mögliche zu, aber nicht das, was er sich wünschen würde.

Damit ist das Ende einer Entwicklung der Volksparteien erreicht. Klientelparteien wirken dagegen plötzlich aussagestark, wenn sie das begleitende Gefühl vermitteln, dass diese Partei sich für den Einzelnen und Gleichgesinnte engagiert und die Frage nach dem leitenden Interesse der Partei, Ihrem Menschen- und Gesellschaftsbild unterbleibt.

Mit der Globalisierung der Welt ist es allerdings so, dass die Ressourcen der lebenswerten Welt immer besser erforscht und beschrieben werden und allerorten die Welt selbst Themen setzt, die herkömmliche Parteiprogramme ersetzen oder ihnen doch zumindest den Rahmen vorgeben. Grenzenloses Wachstum, zunehmend unbeherrschbarer Klimawandel, globale Ungerechtigkeiten und das ungeheure Potential, die Welt zu vernichten, sind nur Beispiele für universelle Themen, die zur Rettung der Welt anstehen und empirisch zudem gut erforscht sind. Politische Parteien, gleichgültig ob sie sich für ein bestimmtes Klientel oder allen Klientels verpflichten, sind künftig daran zu messen, wie und in welchen Zeiträumen sie Abhilfe versprechen. Sich Zeit zu lassen, um erst noch einmal alles zu besprechen, ist wohl ein Ausschlusskriterium im Spektrum wählbarer Parteien. Beschleunigte Politik wird im Vorteil sein.

Siehe aber auch:
Zur Unsterblichkeit der politischen Parteien

Fakenewsig

Ein Minister der CDU schließt sich der vermeintlichen Erkenntnis der AfD an, die Tagesschau würde die Wetterkarte zunehmend rot darstellen, um die Klimakatastrophe zu dramatisieren und auch noch die typische Farbe der SPD und der Linken hervorzuheben.

Man muss gelernt haben, zu versuchen, sich irgendwie aufdrängende Hypothesen zu widerlegen, um zu Erkenntnissen zu kommen. Wenn man nur Bestätigungen sucht, dann bleibt man dumm.

Der Minister und seine Vasallen werden das offenbar nicht gelernt haben, denn sonst hätten sie die Hypothese, dass auf der Wetterkarte alles immer roter wird, lediglich beiseite gelegt.

Eine Nachfrage bei der Tagesschau hätte auch gereicht. Das Farbschema folgt nämlich den Jahreszeiten, um mit den Farben die Temperaturen hinreichend differenzieren zu können. Sehr warm ist also sehr rot. Das ist ja auch in der Hölle so. Was aber im Winter sehr warm ist, wird im Sommer oft als sehr kalt bezeichnet. Wenn der geneigte AfD-ler eine alte Sommerwetterkarte mit hohen Temperaturen nimmt und eine aktuelle Winterwetterkarte mit weitaus geringeren Temperaturen daneben legt, dann erscheint es ihm so, als sei der neue Winter der alte Sommer.

Das ist der Stoff, aus dem Fakenews sind. Und schon kommt die Wetterkarte vom politischen Widersacher.

„Die Jugend“

Der Autor trimmt sich jugendlich, ohne jeden Anspruch darauf, ernst genommen zu werden

Seitdem mit einem Schwerpunkt jüngere Menschen andere Parteien wählen als zuvor und damit die über Jahrzehnte geübte Wahlpraxis durcheinander bringen, fühlen sich mal wieder viele Leute veranlasst, über „die Jugend“ Mutmaßungen anzustellen.
Bei allem, was ich da bisher gelesen habe, sind es wohl ausnahmslos Besserwisser, die sich für die Beweggründe Jugendlicher nicht interessieren, aber krampfhaft überlegen, welches subkulturelle Produkt so hergerichtet werden kann, dass „die Jugend“ keinen Mist macht und sich für einen leblosen Mainstream einfangen lässt.

Das war nie anders. Es war bereits in der katholischen Jugendarbeit der 60er Jahre so, dass das wirklichkeitsfremde Konstrukt „Jazzmesse“ Heilwirkung entfalten sollte, obwohl nur billiger Softpop dabei herauskam. Es war ein Graus und alle versuchten sich gutgläubig daran, mit so einem schmalen Kunsthauch von Freiheit zu locken. Die Jeans aus der DDR war auch so ein kläglicher Versuch fehlgeleiteter Strategen.

Mein Rat ist, das ganze Ding ohne Erwachsene, aber mit Menschen zu machen und Mutmaßungen über die Jugend einzustellen.

Der Rezo und die Fridays-for-Future-Bewegung leuchten die Leerstellen aus

Es gibt ja immer wieder Sachen, die man beiseite schiebt oder erst gar nicht wahrhaben will. Das macht die eine und der andere. Es werden damit Leerstellen produziert. Sie sind irgendwie da, aber man sieht sie so wenig, wie das Chaos im Wäscheschrank. Es ist wie mit Bielefeld oder wie mit dem Dornröschenschloss: Die Hecke gehört zum Alltag und das dahinter ist außerhalb aller Denkhorizonte praktisch ausgelöscht. Die Welt ist dann so, wie sie gefällt, aber eben teilweise unsichtbar. Astrid Lindgren und Andrea Nahles haben schon frühzeitig darauf hingewiesen, dass es so etwas in Pippi-Langstrumpf-Manier geben sollte oder auch nicht. Leerstellen sind jedenfalls Altlasten nach dem Badbank Modell, die das  Leben scheinbar schöner machen. Es werden alle medialen Verfahren eingesetzt, dass es auch so bleibt. Das Ergebnis ist eine ritualisierte Politik mit inszenierten Auseinandersetzungen und Lösungen, die so stark propagiert werden, dass man auch einen Entscheidungsstau als dynamische Politik verkaufen kann wie ein E-Auto. So wird endlos über die Erfolge der Klimapolitik berichtet, obwohl sie sträflich vernachlässigt wird.

Der YouTuber Rezo mit seinem Film „Die Zerstörung der CDU“ und mit seiner bemerkenswerten Reichweite ist in die Welt der Politik ohne Vorahnung und Vorwarnung eingebrochen. Obwohl – man hätte wissen können, dass so etwas kommen kann. Rezo ist der lang erwartete, liebende Prinz, der mit zurückbebender Leidenschaft und scharfem Schwert die Leerstellen offenlegt und großartige Denkgebäude hinter den Hecken offenlegt. Die FFF-Bewegung hatte bereits in den letzten Monaten fachlich und emotional vorgearbeitet. Die Zeit war reif. Die Politik kann weder den FFF-Aktivisten noch dem Rezo etwas entgegensetzen. Darauf sind die meisten Parteien nicht vorbereitet. Aber der Bürger freut sich über die verlorengegangene Themen und Blickpunkte auf die Welt. Es kann also nicht mehr so weitergehen und Rezo ist das Aufbruchssymbol, so wie die FFF-Bewegung auch. Die Chancen stehen gut wie lange nicht mehr, dass die tradierte Politik nicht mehr selbst die Themen wählt oder verschüttet.

Die Wahl zum Europaparlament 2019 zeigt jedenfalls überdeutlich, dass der Stolz auf Besitzstände vom Wähler nicht mehr honoriert wird, auch nicht die Aufrechnung konstruierter Erfolge und ihre Verlängerung in Pläne, die den Weg ihrer eigenen Realisierung verstopfen. Es zählt allein die Umsetzung in erlebbare politische Ergebnisse und ein kleiner Vertrauensvorschuss, den es bei schlechten Erfahrungen einfach nicht gibt. Mit den Stimmanteilen kann es also, schneller als bisher gedacht, ganz scharf nach oben oder nach unten gehen. Die Demokratie lebt!

Impfpflicht als Politshow

Ich habe mir mal die Statistik beim Robert Koch Institut (RKI) angeguckt. Dort wird akribisch die Impfstatistik geführt. Die Impfquote gegen Masern steigt über viele Jahre – wenigstens seit 2004 – bis zum heutigen Tag kontinuierlich und liegt bei 97,1% bzw. 92,8% für die 2. Impfung. Beide Impfungen sind für einen dauerhaften Schutz erforderlich.

Das bedeutet zunächst, dass es überhaupt keinen Grund für den Gesundheitsminister Spahn gibt, das Thema überhaupt, und dann auch noch gerade jetzt, in die Öffentlichkeit zu tragen.

Man kann zwar stets mit einer Quote von unter 100% unzufrieden sein, wird sich ihr annähern, aber sie letztlich nicht erreichen können. Die Quote der 1. Impfung zeigt, dass das System zur Werbung und Unterstützung für das Impfen nahezu lückenlos funktioniert. Der angestrebte Herdenschutz wird bei 95% angenommen. Wenn also die Quote der 2. Impfung etwas unter dem Herdenschutzniveau liegt, dann liegt das offenbar daran, dass das enge Betreuungssystem von Kinderärzten und Erziehern, das zur erfolgreichen Impfung beiträgt, bei älteren Kindern etwas gelockerter ist. Es gibt keinen Grund anzunehmen, dass – bis auf unvermeidbare Einzelfälle – Eltern die erste Impfung der Kinder durchführen lassen, die zweite aber plötzlich verweigern. Die 2. Impfung geht wahrscheinlich oft einfach nur in der Alltagsgestaltung als wichtiges Thema verloren. Gerade deshalb ist es aber wichtig, durch eine gezielte Wertschätzung betroffener Kinder und Eltern neue Wege zur 2. Impfung einzurichten und verlässlich zu etablieren. Bei ca. 6 Millionen funktionalen Analphabeten in Deutschland reichen dann auch Werbebroschüren und Briefe zur Werbung nicht aus.

Der aktuelle Hype um die Impfpflicht ist jedenfalls ein politisch aufgeblasenes Medienmonster ohne sachliche und aktuelle Bedeutung.

Es gibt allerdings eine nicht zu unterschätzende punktuelle Ideologisierung rund um bestimmte Einrichtungen, die Impfungen ablehnen. So gibt es Freundeskreise und Subkulturen, in denen die Impfquote bei der 2. Impfung bei 25% liegt. Das wurde wohl auch einmal in der Freien Waldorfschule Erftstadt so ausgezählt. Und das ist gefährlich! Es trifft nicht die Volksgesundheit, sondern auch die Menschen in der jeweiligen Einrichtung.
Aber in solchen Fällen hilft auch keine Impfpflicht, sondern eine deutliche Ansprache der jeweiligen Ideologieträger und ihrer Gefolgschaft, ohne dass man dazu ein spezielles Gesetz mit Sanktionspotential benötigt. Die Experten fordern so ein Gesetz ja wohl auch nicht, sondern nur ein Minister.

Dass der Hype je nach Medium auch noch von dämlichen Symbolbildern und Symbolfilmen der Kategorie „Spritze sticht im Fleisch“ begleitet wird, verursacht zudem Schmerzen.

Konsultative Bürgerbefragung oder die Mehrheit der Deutschen

In der vorherrschenden Demokratie gilt der Bürger als Souverän. Er sagt letztlich, was zu tun und zu lassen ist. Dem Demokratietheoretiker Rousseau ist bereits im 18. Jahrhundert aufgefallen, dass der einzelne Bürger zwar für die Meinungsbildung wichtig ist, aber nicht über ein Hochrechnungsverfahren die Politik bestimmen sollte. Rousseau unterscheidet deshalb den Willen vieler Einzelner (volonté de tous) vom Gemeinwillen (volonté générale), der schließlich als ausschlaggebend dafür angesehen wird, was politisch verwirklicht werden soll und dann auch nur sehr komplex zustande kommt. Es geht also um weit mehr als das, was einer sagt oder mehrere Menschen sagen. Und erst recht um viel mehr als das, was einer sagt, der behauptet, für das Volk zu sprechen.

Wir haben deshalb nach vielen Experimenten mit der Demokratie herausgearbeitet, dass in Verbindung mit einer zuverlässigen Rechtsstaatlichkeit die Auseinandersetzung mit politischen Positionen noch am ehesten einen Gemeinwillen hervorbringt.

In der direkten Demokratie, in der sich alle Akteure von Angesicht zu Angesicht sehen, geht es ursprünglich um das Palaver, die Debatten im Vorfeld. Die Abstimmung ist also nur der Schluss, also weit mehr als ein individuelles Handheben. Sie ist an das Erfordernis zum Gemeinwohl rückgebunden und behält beispielsweise auch schützenswerte Minderheitspositionen im Blick. Die direkte Demokratie ist unverzichtbarer Standard, so lange die Zahl der Bürger überschaubar ist. Man wählt mit diesem Verfahren auch gern Klassensprecher und Vereinsvorsitzende.

In demokratischen Rätesystemen, die bisher nur selten ausprobiert werden konnten, gab es stets Probleme mit einem mehr oder weniger imperativen oder gewissensbasierten Mandat auf dem Weg durch die Räte und der Entscheidung darüber, welche Mehrheit entscheidend sein soll.

Das parlamentarische Demokratiessystem hat sich, was Staaten und ihre regionalen Untergliederungen betrifft, bewährt und wird ständig weiterentwickelt.

Gewählte Volksvertreter bilden ein Parlament auf Zeit. Der Bürger greift nur bei den Wahlen ein, und bringt seine vordiskutierten Erfahrungen mit den Volksvertretern und politischen Herausforderungen auf den Punkt. Politische Debatten werden also nicht nur ins Parlament verlagert, die allgemeine Auseinandersetzung behält ihre Priorität. Der Mandatsträger ist nicht mächtig.

Die Parteien bieten nun ein in Programme verlängertes und konkretisiertes Welt- und Menschenbild den potentiellen Wählern an. Gleichzeitig nehmen sie im Idealfall an politischen Diskursen zu priorisierten Fragestellungen teil, die dann ins Konzept passen, oder eine Erweiterung oder Umgestaltung des Programms erfordern. Politische Parteien haben also einen Markenkern, an dem man sie auch über lange Zeit wiedererkennen kann und folgen dennoch irgendwie dem Zeitgeist.

Bisweilen fällt es ihnen schwer, ihren Markenkern hochzuhalten, wenn damit parlamentarische Mehrheiten schwinden. Sie sind dann geneigt, sich mit argumentativer Spitzfindigkeit als konservativ und gleichzeitig flexibel zu inszenieren. Der Bürger folgt dem oft nicht so gern, wenn es als Rechtfertigung ankommt.

Die Fortschritte in der Wissenschaft rund um die Demoskopie macht den Parteien allerdings ebenfalls zu schaffen. Die Demoskopie spiegelt, kulminiert in der beliebten Sonntagsfrage – „Wenn Sonntag gewählt würde … “ -, den Willen der vielen Einzelnen (volonté de tous) in die öffentliche Auseinandersetzung und zeigt den Parteien auf, wie sie – auch abseits des eigenen Profils – zu Mehrheiten kommen oder doch zumindest Verluste vermeiden können. Die parlamentarische Mehrheit ist ein bevorzugtes Ziel zur Politikgestaltung aller Parteien. Sie verstricken sich in Kämpfen um Anteile und verlieren den Gemeinwillen (volonté générale) dabei nicht selten aus dem Blick. Bisweilen büßen die Parteien dabei ihren Wiedererkennungswert bis zur Existenzkrise ein.

In solchen Situationen erinnern sie sich gern daran, was der Wähler eigentlich will und neigen dazu, mit der überlegenen Demoskopie zu konkurrieren und das Volk zu befragen. Sie offenbaren also eine fehlende Volksnähe und zeigen, dass ihre politische Diskurse nur noch in Schonräumen ablaufen. Eine Krise des parlamentarischen Systems ist offen sichtlich. Die Bürgerverdrossenheit der Parteien deuten sie um in eine Politikverdrossenheit der Bürger und planen eine Inszenierung und Instrumentalisierung der Bürgernähe. Volksbefragungen sind neuerdings angesagt, vielleicht auch deshalb, weil allein populistisch ausgerichtete neue Parteien mit dem Thema Volksbefragung punkten. Dabei sind Volksbefragungen in der parlamentarischen Demokratie systemfremd, denn der Bürger hat ja für eine festgelegte Zeit, sein Mandat an Abgeordnete weitergegeben, die ja eigentlich wissen müssen, was ihre Wähler wollen. Bürgerentscheide in parlamentarischen Demokratien sind meistens ein Eingeständnis der Hilflosigkeit und werden dann zur Instrumentalisierung des Wählers und zur Simulation einer Bürgernähe eingesetzt oder gar zur Erziehung des Bürgers zu einer Partei hin. Nicht selten sind Volksbefragung aber nur ein Fuß in der Tür für ansonsten machtlose Sonderlinge, wie das Brexitverfahren zeigt.

Die jetzt diskutierte „konsultative Bürgerbefragung“ – vorwiegend in der SPD in Berlin – wäre die Spitze der Bürgerfeindlichkeit, weil man die Bedeutungslosigkeit direkt mitliefern würde. Sie ist dann eben nur konsultativ, also ein unverbindlicher Ratschlag. Sie würde zudem viel Geld kosten, während Demoskopen mit einem Bruchteil der Kosten viel schneller zum gleichen Ergebnis kommen würden. Offenbar ist dabei auch das Ergebnis für die Parteien sehr viel interessante, als das Zustandekommen, sonst wären Gespräche mit Bürgern im Parteialltag das Mittel der Wahl und nicht das Schielen nach der Zahl. 

Sollen Muslime besteuert werden?

Seit den 70er Jahren wird der historische Webfehler des Grundgesetzes beklagt, in dem der Staat eine Kirchensteuer ermöglicht und bei der Eintreibung hilft. Nur die wenigsten Religionsgemeinschaften, die Körperschaften des öffentlichen Rechts sind, machen davon Gebrauch. Das sind vor allem die großen Religionsgemeinschaften. Die anderen haben auch gute Gründe, es nicht zu tun.

Nun ist der Islam derart vielschichtig und uneinheitlich verfasst, dass es ohnehin keine islamische Religionssteuer im überkommenen Rahmen geben kann. Wie sich die unübersehbare Zahl einzelner Moscheevereine positionieren wird, das weiß niemand so recht. Ob sie eine Anerkennung als Körperschaft des Öffentlichen Rechts bekommen werden, steht in den Sternen. Die meisten werden die Voraussetzung zunächst auch gar nicht erfüllen.

Würden sie allerdings an „deutsche“ Steuermittel kommen, würde das erst einmal bedeuten, dass die bisherigen Zuwendungen der jeweiligen Mitglieder, das Zakat, hauptsächlich zu den Steuern umgeleitet würden. Es gäbe also eine erhebliche Bürokratisierung fundamentaler Hilfen und eine Entfremdung zu den irgendwie Gläubigen, die jetzt noch den direkten Zahlweg haben und deshalb noch am ehesten prüfen können, ob ihr Geld auch in ihrem Sinn verwendet wird. Sie werden nicht unbedingt über die Steuern ein zweites Mal zahlen. Die heutigen Finanzierungsströme aus muslimisch ausgerichteten Ländern können danach noch effektiver für den jeweils ideologischen Ausbau von Moscheen genutzt werden. Dass Steuergelder solche Zuwendungen ersetzen und Geberländer entlasten, ist also kaum zu erwarten. Nichts fließt dort so locker, wie das Geld zur Verbreitung des Glaubens.
Es wäre besser, das überalterte und verzopfte Kirchensteuersystem abzuschaffen. Die gläubigen Franzosen wissen beispielsweise seit der französischen Revolution, dass Kirchen auch ohne Steuern gut und ehrlicher leben können. Eine Ausweitung des System auf islamische Religionsverbände wäre nur rückwärtsgewandt und ohne eine irgendwie hilfreiche Wirkung.

Geschichten aus Schnullerbü

Der urplötzlich jetzt nicht mehr „Spiegel“-Redakteur Claas Relotius hat in großem Umfang Geschichten gefälscht.
Der Spiegel ist nun irgendwie untröstlich und folgt einer aufdeckenden Strategie, nachdem er bei ersten Auffälligkeiten eher zudeckend gearbeitet hatte. Ein aufdeckender Journalist des Spiegel hatte zunächst um seinen Job fürchten müssen.

Ich finde, die Fälschungen waren wohl nicht in der Absicht des Nachrichtenmagazins, aber trotzdem ohne eine besonders große Dramatik.

Es ist nie anders: Ein Ereignis begegnet uns stets mit einem Schleier von Fantasie. Der Mensch ist ja so neugierig. Er will unbedingt wissen, was selbst der beste Berichterstatter nicht weiß. Der Mensch will sogar wissen, wie eine Geschichte weitergeht, obwohl das in der Zukunft liegt. Deshalb hat sich eine Belletristik entwickelt, die die Fantasie höher bewertet als belegbare Fakten und häufig sogar ganz auf Fakten verzichtet. Man ist geneigt, die Belletristik einerseits und die wissenschaftliche Fachpublikation andererseits als Schreibergebnisse zu verstehen, die überhaupt nichts miteinander zu tun haben. Aber das Lebendige in der Welt geht über solche kategorisierenden Vereinfachungen hinweg. Ob Dokusoap oder Journalismus, wir finden bei näherer Betrachtung immer nur Mischformen, manchmal hart an der Wirklichkeit, aber auch manchmal noch härter an der Fantasie. Alles ist „faction“ – wie J. M. Stimmel seine Romane bezeichnete – eine Mischung aus Facts – am 13. Mai 1950 schien die Sonne … – und Fiction – … und er schwitzte beim Verzehr des Zigeunerschnitzels sehr.

Es ist also kein Wunder, wenn jemand über Hitlertagebücher berichtet, die es nicht gibt (Sternaffäre 1983) oder jetzt beim Spiegel, der über enttarnte Erfindungen des Redakteurs Claas Relotius berichtet. Dieser Redakteur hat damit seine Faktenbasis verlängert und sogar das journalistische Handwerk befördert. Seine Arbeiten waren gerade dadurch besonders eingängig glaubwürdig und sogar häufig preiswürdig. Er wurde mehrfach geehrt. Der Leser war geneigt, der speziell performen Dynamik zu folgen und eben nicht in eingeschliffener Lesermanier mitten im Text abzubrechen, um sich in knapper Zeit anderen Ereignissen und Texten zuzuwenden. Das gerade beim Spiegel sehr hochentwickelte System des Faktenchecks hatte versagt. Aber musste es nicht ohnehin selbstgefällig an der Fuzzylogic der Lebensvollzüge scheitern? Wir haben ja das gleiche Problem in der Wissenschaftstheorie: Wir mögen alle denkbaren Dimensionen und ihre Wechselwirkungen abbilden können, dennoch schwebt über allem ein erkennnisleitendes Interesse, das trotzdem Schwerpunkte setzt und auswählt. Die Welt ist eben zu komplex, um empirisch ausgemessen und abgebildet werden zu können.

Wenn der Mensch sich die Welt aneignet, dann arbeitet er ja nicht allein faktenorientiert. Die Zeitung „Die Welt“ am 23.12.18: „Am fünften November erzählte Donald Trump laut „Washington Post“ 139 Unwahrheiten, also eine alle zehn Minuten. In seiner Amtszeit Zeit waren 7546 seiner Aussagen entweder irreführend oder schlichtweg falsch.“ Offenbar gibt es einen großen Markt dafür, Fakten zu vernachlässigen und aufzuhübschen. Es fällt nicht schwer, eine Menge Länder aufzuzählen, in denen die regierende Politik völlig abseits aller Erkenntnisse gestaltet wird und bei der man vermuten muss, dass es dafür immer auch ein Volk gibt, das mitspielt. Ein bißchen hat die Politik also auch etwas von einem Roman, der sich allerdings an der harten Welt der Fakten mit inszeniertem Selbstbewusstsein locker vorbei schmuggelt.
Was machen wir denn da? Wir fragen ohne Unterlass nach dem erkenntnisleitenden Interesse. Ist das nicht langweilig und frustrierend zugleich? Und wenn wir müde werden, überholt uns lächelnd und ausgeruht so ein Messias der alternativen Fakten. Alle rennen hinter ihm her und an mir vorbei, weil es zu schön ist, um wahr zu sein. Die ewigen Kritiker aber werden als ewige Nögler an den „einfachen, guten Sache“ beiseite gestellt. Mit ihren angefallenen Daten wird schnell noch ihr „customer lifetime value“ gerechnet, um sie einer neuen Bestimmung zuzuführen. Den Job als Mit-Souverän sind sie los. Also dieser Claas Relotius hat uns „nur“ klar gemacht, was wirklich für uns zu erwarteten ist. Es läuft auch schon.

Früher war der Gipfel oben

Wir haben ja eine repräsentative Demokratie. Wir wählen Parteien und Abgeordnete, die für eine gewisse Zeit für uns das Geschäft der Politik betreiben. Wenn uns das nicht gefällt, dann wählen wir andere.

Mittlerweile hat sich eine Mode der Gipfeltätigkeit herausgebildet, international und national. Während noch vor kurzem Horden von Wirtschaftslobbyisten einen Ausweis zum Betreten des Bundestages hatten, wurden mittlerweile die gern gesehenen Gäste der Abgeordneten kurz umgelegt. Denn die Volksvertreter versuchen nun mehrheitlich den Sachverstand der Wirtschaftsvertreter in sogenannten Gipfeln zu nutzen. Da treffen sich dann an gut bewirteten Orten Dieselgipfel, Digitalgipfel, Kohlegipfel, Islamgipfel und so weiter. Der Gipfel gilt als Inbegriff des Ziels, und wird manchmal sogar noch, surrealistisch überhöht, wenn sich beim Gipfeltreffen gleich mehrere Gipfel treffen.

Nun ist es so, dass dort die Wirtschaftsmächtigen auf Regierungsvertreter treffen, mittlerweile gern auch etwas angereichert durch fröhlich wirkende Vielfalt von Interessenverbänden, die nichts mit der Wirtschaft gemein haben. Weitere Widersacher stehen meist ganz vor der Tür.
Die Konstellation ist, wenn man von den unbeachteten Positionen absieht die, dass die Regierung in allen Gipfeln die Lebensqualität verbessern will, sich dann aber von der Wirtschaftsvertretern leider vorrechnen lassen muss, dass das so einfach nicht geht und dass es geradezu in einem Horrorszenario enden wird, wenn man nicht dem guten Weg der Wirtschaft folgt und politisch anders entscheidet. Gleichwohl gibt es geschickte Formulierungen, die eine Annäherung beider Seiten beinhalten und als Gipfel des Prozederes sogar einen Abschlussbericht zulassen, der nicht nur beide Positionen versöhnt, sondern auch den Volksvertretern die Arbeit abnimmt, nämlich Entscheidungen zu treffen, die meistens als Gesetze wirksam werden. Gipfel sind also auch so etwas wie das Outsourcen der Parlamentsarbeit. Man ist sich bei diesem Verfahren sicher, dass der kritische Ruf der sonstigen Experten bald verhallen wird. Wenn nämlich, wie fast jedes Mal, der nicht unbedeutende Verlust von Arbeitsplätzen zum Szenario gehört, dann sind Konzerne und die mit ihnen befassten Gewerkschaften ganz, ganz nahe beieinander und die Mitarbeiter für Sie demonstrierend unterwegs.

Ich würde mir wünschen, dass die Abgeordneten ihre Arbeit machen, frei überlegen, wie und wo sie sich sachkundig machen und dann im vorgesehenen Parlamentsbetrieb Entscheidungen treffen.

Ich werde Ihnen jetzt mal etwas mehr auf die Finger gucken. Gipfelgänger haben es schwer, von mir gewählt zu werden. Und die Gipfelergebnisse wären ja auch nicht erwähnenswert, wenn sie nicht selbst beinhalten würden, dass sie den Wert einer Etappe zum Gipfel, also bereits den Gipfel in sich haben und auch sonst unheimlich beachtenswert wären.