Die Flucht scheitert meist an den Nichtflüchtigen

Die Flucht gehört immer schon, und wohl auch auf absehbare Zeit, zur Menschheitsgeschichte.
Im 17. Jahrhundert flohen beispielsweise die Hugenotten von Frankreich durch ganz Europa. Die de Maizières gehörten dazu. Sie wurden als Flüchtlinge aufgenommen. In Hugenotten wurde sogar erfolgreich investiert. Es regte sich damals auch ein Widerstand der Einheimischen, der dann aber einsichtig und schnell aufgegeben wurde.
Der deutsche  Bundesinnenminister de Maizière steht also in einer bemerkenswerten Tradition, wenn er Flüchtlinge vor der Tür warten lässt und anstatt der Hilfe mit populistischen Argumenten Regelungen einfordert, um die Flüchtlinge nach scheinheiligen Kriterien einer kategorialen Sonderbehandlungen zuführen.
Flüchtlinge haben gemeinsam, dass ihre Lebenswelt mit nahezu allen Bestandteilen des humanen Lebens zerbrochen ist und ihnen in einer extremen Belastungssituation nur noch der Tod, die Flucht und das tagtäglich unkalkulierbare Überlebensrisiko zur Wahl stehen.
Die konstruierten Sonderbehandlungen machen in Deutschland zunächst aus allen Flüchtlingen Asylbewerber, weil es das rechtliche Öhr ist, in Deutschland einen Status zu bekommen, damit sie materiell versorgt und als Rechtsperson behandelt werden.
Im Verfahren werden aus ihnen Menschen, die Asyl erhalten, weil sie nachweislich politisch verfolgt werden (2%).
Alle andren nutzen dieses Verfahren notgedrungen. Sie wissen in der Regel überhaupt nicht, was Asyl bedeutet und finden sich danach als Kontingentflüchtlinge wieder, denen die Regierung mit humanitärem Anspruch für die Zeit einer lebensfeindlichen Situation im Herkunftsland den vorübergehenden Aufenthalt gestatten oder  genießen einen anderen subsidiären Aufenthaltsschutz  (46%). Oder sie werden als sogenannte Wirtschaftsflüchtlinge zur Abschiebung frei gegeben. Das ist also ungefähr jeder zweite.
Damit wird die erforderliche Gleichbehandlung von Flüchtlingen vermieden. Verfahrenstechnisch angewandt suggeriert das beliebte Wort Asylbewerber, hier würden sich Menschen, wie bei der Bewerbung um eine Stelle, einem Wettbewerb stellen, bei dem 98% durchfallen. Dieser Gedanke ist bereits menschenunwürdig und ungerecht, wenn man die gemeinsame Grundlage der Flucht zur Grundlage nimmt.
Hinzu kommt, dass sich ein gesellschaftspolitischer Druck an Staatsgrenzen aufbaut, weil die koloniale und dann die neokoloniale Ausbeutung eine gleiche Verteilung von Rechten, Chancen und Wohlstand in der Welt bis heute vermieden hat. Selbst die rechtzeitige Vorbereitung auf den Ansturm der ungerecht behandelten Menschen galt als derart kostspielig, dass stattdessen eine Grenzsicherung favorisiert wurde.
Getrennt von der Flüchtlingsfrage versucht man allerdings die Eliten jenseits der Grenze an der Grenze vorbei zu locken, weil im selbstgewählten reichen Ghetto die Völker drohen, an einer Vergreisung zugrunde zu gehen. Wäre dieser Versuch erfolgreich, würden die Länder hinter dem Zaun bei einem Exodus der Experten ebenfalls weiteren Schaden nehmen und der Weltfrieden würde weiter entrücken.
Herr de Maiziėre und allen anderen Rettern des Abendlandes sei empfohlenen, die Grenze abzubauen und die Vielfalt und den Umgang mit ihr vor Ort zuzulassen, einzuüben und als gut zu bewerten. Mit den Hugenotten hat es ja geklappt. Warum sollte das nicht auch mit anderen Menschen möglich sein?
Ganz nebenbei schlage ich das Wort Asylbewerber als Unwort des Jahrhunderts vor und rate an, bei Flüchtling zu bleiben.

Wortwahl Flüchtling

Die Robert-Bosch-Stiftung hat erforscht, warum die Leute nach Deutschland kommen. Die wenigstens kommen jedenfalls mit dem Vorsatz, als politisch Verfolgte dort um Asyl zu bitten. Die meisten kommen aus einer Notlage, die sich ohne eine Flucht nicht bewältigen ließ. Sie kommen einfach nur als Flüchtlinge. Wenn man sie fragt, sind die Einzelheiten ihres Motivs jeweils einzigartig kombiniert. Das, was sich in Politik und Verwaltung um den Begriff Asyl rankt, spielt für sie eigentlich keine Rolle.

Dennoch werden Flüchtlinge mit der Ankunft in Deutschland zu Asylbewerbern. Das ist zunächst unverständlich, weil sie gar keine sind und auch weitestgehend keine Chance haben, also solche anerkannt zu werden.
Der Hintergrund ist die fälschlicherweise gleichbedeutende Verwendung der Begriffe Flüchtling und Asylbewerber ausgehend von der Presseberichterstattung. Der Hintergrund ist aber auch eine spezifische Gesetzeslage, die den Flüchtling in den Status des Asylbewerbers zwingt: Er wird ungefragt, geradezu automatish zu einer Antragstellung als Asylbewerber geleitet. Er hat zwar keine Chance als Asylbewerber anerkannt zu werden – lediglich jeder 20. wird anerkannt – hat aber für die Dauer des Verfahrens erst einmal etwas Geld und eine sichere Bleibe. Was Asyl tatsächlich ist, wird er auf Wunsch eventuell hinterher erfahren.
Es ist schon eine starke Portion Gewalttätigkeit im Spiel, vom Flüchtling zum Asylbewerbern gestempelt zu werden. Aber so friedfertig wie gewünscht sind die Deutschen ja nicht, auch nicht in Parlamenten und Behörden.
Mein Wunsch ist es, dieses gewalttätige Wort Asylbewerber für diejenigen Leute wieder abzuschaffen, die einfach nur Flüchtlinge sein wollen – und um die wir uns selbstverständlich auch so zu kümmern haben. Die Genfer Flüchtlingskonvention sagt, wie das geht. Und wir wissen das wahrscheinlich auch ganz gut.

Protest der Bewahrer

Ein paar Typen spielen islamophorb, geben sich das als Akronym beeindruckende Label #PEGIDA und sammeln alle naiv angstgeschüttelten Widersacher jeder Innovation gegen andere „Rassen“ um sich, um sie gegen die kulturelle Vielfalt öffentlich zu platzieren. Die meisten aus der versammelten Menge haben aber noch nie einen Ausländer näher erlebt. Mit gutem Grund können sie also nichts Schlechtes und nichts Gutes über Ausländer sagen. Sie sind geprägt durch die unaufhörliche Orientierung am Staus quo einer homogenen Gesellschaft, in der der eine so denkt wieder andere und deshalb das Fremde stört und verunsichert.
Dagegen steht der Einzelne, der immer nur der Erste ist in einer bunten vielfältigen Welt, die sie stets neu erfindet und entwickelt und ihren Mitgliedern abverlangt, dass sie sich für ein erfülltes Leben ebenfalls täglich neu orientieren. Sie treibt es nicht zur Vereinigung unter ein Akronym.

Ich warne davor, große Mengen gleichgerichteter Menschen für eine soziale Bewegung zu halten. Sie behindern lediglich Entwicklungen durch Verweigerung und scheitern über kurz oder lang als Werkzeuge ihrer Wortführer an vernünftigen Entwicklungen, die sich nicht aufhalten lassen. Es erinnert an zahlreiche Aufmärsche in der Geschichte, in denen der Wille sortierter Individuen als scheinbarer Volkswillen mit schlechten Erfahrungen zur Stimmungsmache ins Feld geführt wurde.