Neopatriotismus

Der aktuell beliebte blinde Patriotismus nach Art der Türkei bringt eine endlose Vervielfältigung eines rigide und dümmlich konstruierten Begründungszusammenhangs hervor, nach dem „die Deutschen“ „die Türken“ beleidigen und so weiter. Ich weigere mich mittlerweile, zu diesem Thema zuzuhören oder zu lesen. Damit jeder weiß, was ich meine, habe ich eine Kostprobe angefügt. Die Wiederholung aus allen Rohren ohne Rücksicht auf alle Gegenreden sorgt ja nicht dafür, dass die Grundaussage richtiger oder besser wird. Sie sorgen lediglich dafür, dass mir die Protagonisten von Tag zu Tag suspekter werden. Eine Diskursbereitschaft kann ich in dieser Gemeinschaft der vorgeschobenen Klone nicht erkennen.

Lassen wir doch einmal alle ausgegrenzten Menschen in der Türkei und anderswo zur Sprache kommen, damit Vielfalt, Schönheit und Ideen wieder blühen können.

Einstweilen stecke ich zum Selbstschutz den einen oder anderen in meine digitale Quarantäne – bis ich Töne der Verständigung höre.

Zuerst war der Mensch

Zuerst war der Mensch und dann kam der Staat. So ein Staat, wenn er erst einmal begründet ist, zeigt die Tendenz, den Spieß umzudrehen und dem Menschen Vorschriften zu machen. Bert Brecht wies deshalb bereits 1953 darauf hin, dass die Regierung ja ein Volk wählen könne, das ihr genehm ist.

"Nach dem Aufstand des 17. Juni
 Ließ der Sekretär des Schriftstellerverbands
 In der Stalinallee Flugblätter verteilen
 Auf denen zu lesen war, daß das Volk
 Das Vertrauen der Regierung verscherzt habe
 Und es nur durch verdoppelte Arbeit
 Zurückerobern könne. Wäre es da
 Nicht doch einfacher, die Regierung
 Löste das Volk auf und
 Wählte ein anderes?"

in: Bert Brecht, Ausgewählte Werke in sechs Bänden. Dritter Band: Gedichte 1. Frankfurt am Main: Suhrkamp Verlag, 1997. S. 404

Aktuell gibt es zwei Diskussionsstränge in der Öffentlichkeit, die das Verhältnis des Menschen und des Staates thematisieren, die Diskussion um das bedingungslose Grundeinkommen und die Diskussion um das in Gesetze implementierte „Fördern und Fordern“ von Hilfebedürftigen.

1 Das bedingungslose Grundeinkommen
Es geht vielerorts um ein bedingungsloses Grundeinkommen. In der Schweiz gab es dazu gerade eine Volksabstimmung. Das hat zunächst für viel Aufmerksamkeit gesorgt. Die Idee hört sich einfach an, schafft allerdings bei der Verwirklichung eine neue Gesellschaftsordnung, die den Vorrang des Individuums vor dem Staat betont. Die Kritiker kommen dem entsprechend eher aus der Welt der Garanten des gesellschaftlichen status quo, den Parteien, der Industrie und auch der Gewerkschaften, die sich auf einen rituellen Interessenausgleich mit phantasievollen Rechtfertigungsressourcen für Armut und Reichtum geeinigt haben. Gefragt, warum sie dagegen sind, hört man meist, das Individuum würde sich bei einem garantierten Grundeinkommen unmittelbar zur Ruhe setzen wird. Dabei deutet nichts darauf hin, dass es so sein wird. Es schimmert aber unübersehbar durch, dass die Gegner dem Individuum immer nur alles Schlechte zutrauen und den Staat benutzen, es zum Glück bestehender Besitzstände zu zwingen und ihm zu vermitteln, dass es sein eigenes Glück ist. Aus Feldexperimenten mit dem bedingungslosen Grundeinkommen wissen wir dagegen, dass die Nutznießer meistens gern arbeiten und das auch noch mehr als je zuvor und sich in der Arbeit mit guten und kontroversen Ideen einbringen und zu einer hervorragenden Produktivität beitragen. Sie gewinnen nämlich eine neue Freiheit und damit neue Möglichkeiten, neue Erfahrungen und neue Zuversichten.

2 Das Fördern und Fordern
Das unsägliche Reden von „Fördern und Fordern“ gehört unmittelbar in diesen Zusammenhang. Es hat seinen Ursprung in der hartzgesteuerten sozialdemokratischen Sozialpolitik in der Kanzlerzeit Schröders und zieht sich quer durch alle damals neu verabschiedeten Sozialgesetzbücher. Es war zuvor bereits ein Kernelement der Personalpolitik in Firmen. Der Herr Hartz ist ein mittlerweile rechtskräftig verurteilter Verbrecher aus dem VW-Konzern. Von ihm wurde dieses Spiel aus ähnlichen Wörter in die Politik geschleust, das dann nachdrücklich noch einmal mit dem ständigen Wechsel der Worte, also „Fordern und Fördern“ und so weiter, vorgetragen wird. Seit dieser Ära Schröder zeigen eigentlich die Erfahrungen, die von allen Wohlfahrts- und Sozialverbänden auch so bestätigt werden, dass der als Fordern titulierte Anteil einer Hilfe die Ausgestaltung der Vermutung öffnet, dass der einzelne sich lediglich ohne Gegenleistung beim Staat bedienen will. Nach aller Erfahrung ist das aber nicht so. Der Einzelne will durchaus aktiv und autark sein Leben gestalten, vorausgesetzt er hat gelernt, das dann auch zu tun. Trifft er dann im Behördenkontext auf das Druckmittel Fordern, wird er nicht nur als Faulpelz gebrandmarkt, er wird auch systematisch mit Forderungen, deren es gar nicht bedarf, weil er selbst weiß, was zu tun ist, oder die ihn überfordern, weil sie meist im Pauschalverfahren ohne Ansehen der Person eingesetzt werden. Anstelle des Forderns muss also ein Fördern stehen, das individuell bei den Talenten des Einzelnen ansetzt und zur Grundlage hat, dass die materiellen Ressourcen zur Gewährleistung von Grundbedürfnissen nicht angetastet werden. Was die Bezieher des Arbeitslosengeldes I und II zum abgehängten Proletariat gemacht hat, liefert nun den Rahmen für die Flüchtlinge in Deutschland. Ihre Eigeninitiative wird jäh gestoppt, wenn sie in einem oft gänzlich unbekannten kulturellen Kontext erst einmal mit Erwartungen und unverständlichen Pflichten eingedeckt werden. Die moderierenden ehrenamtlichen Helfer haben derzeit alle Hände voll zu tun, den unerklärlichen Behördenanspruch interkulturell zu vermitteln und kaum eine Chance, den Involvierten Behörden und dem Gesetzgeber zu vermitteln, was der Staat wirklich zu tun hat. Er hat zu fördern. Sonst hat er nichts zu tun. Wenn sich Förderungen als wirkungslos erweisen, dann würden sie sich als ungeeignet erweisen und müssen durch angemessenere ersetzt werden. Mit Forderungen wird die Sache nur noch schlimmer. So zeigen die weböffentlichen Texte umständlicher Behörden ein Potpourri von Rechten und Pflichten, während der Hilfebedürftigen weder an das eine noch an das andere denken mag und sich über jede Form von Zuwendung freut.

3 Das Ergebnis
MenschDas Grundübel bleibt eben, dass der Mensch an sich gut ist und die älteren und grundlegenderen Rechte hat als der Staat, der allerdings sehr schnell den Spieß umdreht und sich den Bürger gefügig macht, wie der Arbeitgeber den Mitarbeiter. Das gilt es zu verhindern.

Links zum Thema:
http://www.grundeinkommen.de
http://de.m.wikipedia.org/wiki/Bedingungsloses_Grundeinkommen
http://www.mein-grundeinkommen.de

Zur Unsterblichkeit der politischen Parteien

An so einer Partei hängen Heimatgefühle und Herzblut, manchmal sogar Familientraditionen. Es ist für den Einzelnen kaum auszudenken, dass gerade seine Partei zwecklos geworden ist.

Dabei leben Parteien so, dass sie zunächst einem drängenden Anliegen in der Gesellschaft folgen und damit ihren Zuspruch erfahren. Nun gibt es Anliegen, bei denen es schon eine Weile dauert, bis man sie zum besten gewendet hat. Für diese Zeit beansprucht so eine Partei dann auch den Zuspruch. Danach gäbe es eigentlich keinen besonderen Grund, eine Partei fortzuführen, zumal ihr mit der Erreichung des Ziels auch der Zuspruch abhanden kommt.

Es gibt mehrere Lösungen für dieses Problem, obwohl man vernünftigerweise raten würde, die Partei aufzulösen. Irgendwann bei Bedarf könnte man ja eine neue gründen. Beliebter sind aber andere Lösungen. Man kann so tun, als sei das Ziel noch nicht oder unzureichend erreicht oder man müsse jetzt das erreichte Ziel noch irgendwie für die Dauer festigen. Am beliebtesten ist es aber, der Partei ihren Zweck ganz wegzunehmen und sie zur überdauernden Institution zu erklären, die ihren Zweck also in der eigenen Existenz hat. So eine Partei hat von der Konstruktion her einen Ewigkeitswert, wie ihn auch Religionsgemeinschaften beanspruchen. Man sagt dann parteiintern gern, dass die gesellschaftlichen Errungenschaften ihre Ursachen und ihre Zukunft ausschließlich in dieser Partei haben. Die Partei bildet übermäßig irgendwelche Symbole aus, die sie unverwechselbar machen und kümmern sich mit ihrem spezifischen Geist um nahezu alle gesellschaftlichen Aufgaben. Solche Parteien sind dann auch die  Erfinder der Volkspartei, die intern eine Plattform anbieten, Interessengegensätze ausgleicht und im Ergebnis niemanden davon ausschließt, genau diese Partei zu wählen. Die Wechselfälle des Lebens und der Politik spülen immer neue Themen in die Partei, die stets kompetent auftritt.

Das Problem ist allerdings, dass Parteien auf den Weg in die Unsterblichkeit des Institutionellen abgleiten und die Bewältigung konkreter Politiklagen gern auf die lange Bank der Willensbildung verschieben.

Der Bürger will allerdings keinen politischen Fossilzoo, sondern schnelles und wirksames Handeln mit einem transparenten und guten Preis-Leistungs-Verhältnis.

Die Verdinglichung der Parteien zu Marken führt langsam aber direkt zur Ablehnung durch den Bürger, insbesondere wenn er merkt, dass die Verfassungsversprechen Wohlstand, Gesundheit, Gerechtigkeit und Kalkulierbarkeit in der herrschenden politischen Kultur nur noch rhetorisch vorkommen.

Die Parteienlandschaft wird sich wohl oder übel auf Parteien einlassen müssen, die in alter Tradition etwas ganz bestimmtes erreichen wollen, aber auch nicht mehr. Sie sollten ihre Zeit bekommen.

Die unbeweglichen Volksparteien werden an Bedeutung verlieren. Wenn sie es erkennen, lösen sie sich vernünftigerweise sofort auf. Sie wären ein gutes Beispiel für  Verbände, wie zum Beispiel im Sport, die, weil sie nicht sterben wollen, die Fehlentwicklungen ihres Managements bis hin zur Korruption bis in alle Zukunft verschleppen.

Die SPD, als überdauernde Partei der Arbeiterklasse, überzeugt beispielsweise den Arbeiter, sofern es ihn überhaupt noch gibt, nicht mehr wirklich. Das Geschäftsmodell ist aus der Zeit gefallen. Es ist höchste Zeit, sich ohne Wehmut als Partei aufzugeben, bevor der Wähler ganz undankbar das Kommando für andere freigibt, ohne dass das ein Ende der Politik bedeutet. Die SPD wäre ein Vorbild für einige andere Parteien.

Der immerwährende Aufstieg und den kurzen tödlichen Kollaps der Democrazia Cristiana 1993 in Italien zeigt beispielhaft, wie es im Extremfall gehen kann.

Das TTIP und die Öffentlichkeit

TTIP2
Es ist ein Freihandelsabkommen namens TTIP zwischen den USA und der EU geplant.

Die Kritik daran kann ich bis zum heutigen Tag nicht nachvollziehen, weil man nicht kritisieren kann, was es noch gar nicht gibt. In den aktuellen Entwürfen stehen die meist unvereinbaren Positionen der Verhandlungspartner nebeneinander. Das habe ich aus so erwartet. Dass beide Verhandlungspartner ihre Interessen durchsetzen wollen, das ist immer so und nicht besonders erwähnenswert. Die Verhandlungspapiere machen aber auch deutlich, was der eine oder andere nicht will. Was dabei heraus kommen wird, wissen im Moment nur die Götter.

Wenn man denn nun berichten will, bietet sich als Ausgangspunkt ein Szenario an, in dem es Gewinner und Verlierer gibt und die Befürchtung besteht, dass die Anderen sich – wieder einmal – durchsetzen werden. Und weil man den Händlern für die eigene Position nicht die Absicht unterstellen will, dass sie gern verlieren, schwimmen in Gedanken ganze Armeen von Lobbyisten mit, die nicht anderes wollen als reich zu werdend andere übers Ohr zu hauen.

Die Verhandlungen bekommen auch einen ganz und gar mysteriöse Einschlag, weil die Verhandlungen äußerst geheim sind. [Und die Rechtschreibkorrekter beharrt darauf, dass geheim „gemein“ geschrieben wird.]

Wenn wir darüber sprechen, ob und wann wir heiraten, dann machen wir das auch hinter verschlossenen Türen. Einen Roman schreibe ich auch erst einmal für mich allein und ich wäre schlecht beraten, meine Übungen für ein alternativlos geniales Kleinkunstprogramm rücksichtslos in der Öffentlichkeit zu veranstalten.

Wenn ein Freihandelsabkommen ansteht, bei dem man sich den Handel miteinander wechselseitig erleichtert, dann ist erst einmal nichts dagegen einzuwenden. Das hat es zum Wohl aller Beteiligten schon sehr oft gegeben.

Allerdings muss das Ergebnis des ganzen Prozederes der öffentlichen Stellungnahme und der parlamentarischen Zustimmung zugeführt werden. Es besteht Grund zur Annahme, dass das Ergebnis irgendwann so verhandelt worden ist, das es dem Wohl des Volkes usw. entspricht. Wenn das nicht so ist, wird der Auftrag sinnvoll sein, das Ergebnis in weiteren Verhandlungen zu verbessern.

Ich hielte es beispielsweise für höchst verfehlt, wenn – wie es derzeit diskutiert wird – private Schiedsgerichte vermeintliche Verletzungen des Abkommens mit hohen Geldstrafen und ohne demokratische Zuständigkeit bereinigen und mit die Institutionen ausgeschaltet würden, die unter demokratischen Verhältnissen für Recht und Gesetz zuständig sind. Aber noch steht so etwas ja nicht zur öffentlichen Debatte, nur weil die Gegenseite es so in die Verhandlungspapiere geschrieben hat.

Die Veröffentlichung der Verhandlungspapiere durch Greenpeace bringt in der Sache nichts Unerwartetes, zeigt aber doch, dass so manch einer das kurz bevorstehende Ende der Verhandlungen gewünscht oder befürchtet hat, obwohl es noch gar nicht abzusehen ist.

Offenbar sind etliche NGOs – also die weltweit operierenden Organisationen außerhalb der traditionellen internationalen Politik  – gerade damit befasst, zur eigenen Beachtung und Wertschätzung das fies zurecht gemachte TTIP durch die Medien zu treiben. Dagegen hilft offenbar nur Gelassenheit und eine öffentliche Diskussion, wenn es etwas zu diskutieren gibt. Jetzt gilt es, den Vertretern im EU-Parlament und Länderparlamenten zu vertrauen und demnächst besser zu wählen, wenn sie das Vertrauen nicht rechtfertigen. Ihnen im Vorfeld die schlechteste aller möglichen Ergebnisse zuzutrauen, weil sie wahrscheinlich einknicken, ist nichts als eine Variante des Wutbürgertums, in dem jeder Akteur tausendmal besser zu agieren glaubt, als die Volksvertreter, die er im Zweifelsfall nicht gewählt haben will.

Wo kommen die Wähler her?

Die sozialen Milieus, in denen herkömmliche Parteien ihre Wähler rekrutieren, lösen sich auf. Das kann man nicht bedauern, wenn man die Entwicklung der Gesellschaft gut findet.

Wenn solche Parteien sich neu erfinden, ist das eine grundlegende Anpassungsleistung an den Wandel der Gesellschaft und eigentlich eine Neugründung mit Mitnahmeeffekt. Man nimmt die Wählerstimmen der Traditionalisten die der Partei treu gefolgt waren noch für eine Weile mit. Die SED hat das nach der Wiedervereinigung so gemacht. Deren alten Kader sind mittlerweile dahingeschmolzen und neuerdings sogar zu rechtssortierten Parteien übergelaufen, weil sie dort geachtet werden, wenn sie die alte doktrinäre Parteilichkeit behalten.

Vor allem die alte SPD und dann bald auch die CDU kommen an der Neugründung wohl nicht vorbei. Allerdings werden Parteien glaubwürdiger in Erscheinung treten, weil sie ohne den Mitnahmeeffekt auskommen. Sie sind stets das Original. Sie nehmen keine alten Parteikader mit, keine Infrastruktur zur Parteiverwaltung und auch keine Parteiressourcen, nicht einmal bekannte, vertrauenswürdige Gesichter. Sie entwickeln ihre Themen und deren politische Bewältigung aus einem politischen Selbstverständnis und erwarten dafür eine Zustimmung. Bisher hatten solche Parteien es schwer, wie zum Beispiel die Grünen oder die Piraten. Die Auflösung der sozialen Parteimilieus wird es ihnen zukünftig aber leichter machen und die Parteienlandschaft blühen lassen. Wer sich im sichern Besitz der richtigen Politik wähnt, wird sich darauf nicht mehr ausruhen können. Die Bürgerverdrossenheit der Parteien, die sich  mit deren Institutionalisierung irgendwann einstellt, wird der Bürger verantwortungsvoll mit einer geänderten Wahlentscheidung quittieren.

Über die verspätete Anwendung eines vergessenen Paragrafen

Der türkische Präsident Erdoğan wendet sich gegen den Kulturschaffenden Böhmermann, der am Beispiel dieses Herrn Erdoğan in einem Reimwerk vorgetragen hat, was man im Rahmen der Pressefreiheit eigentlich nicht sagen darf 💡. Er soll damit Herrn Erdoğan beleidigt haben. Die entsprechende deutsche Strafrechtsnorm setzt voraus, dass die Bundesregierung eine Ermächtigung zur Strafverfolgung erteilt.

Wenn so ein vergessener Paragraf von Herrn Erdoğan genutzt wird, dann hat der Gesetzgeber zuvor verschlafen, diesen Paragrafen außer Kraft zu setzen. Die Bundesregierung arbeitet zwar im Namen des Volkes, die rechtliche Entscheidung hat das Volk in seinem Grundgesetz aber auf die Gerichte übertragen. Deshalb ist die Entscheidung Merkels sehr vernünftig, die Entscheidung auch an die Gerichte durchzulassen und ihre Mutmaßung über ein Gedicht für sich zu behalten. Ganz anders, als im Wirkungsbereich Erdoğans gibt es hier in Deutschland keinen zentralen Macher, der sich mit einem Handstreich über alles hinwegsetzt und einmal eben nur macht, was er will, also eben nicht im Namen des Volkes. Nach aller Erfahrung ist das Anliegen Erdoğans  bei deutschen Gerichten gut aufgehoben. Die Freiheitsrechte werden gerade von deutschen Gerichten bisher immer vor den Begehrlichkeiten auch der deutschen Politik geschützt. Das ist auch ihre Aufgabe. Das wird auch im Fall Erdoğan gegen Böhmermann nicht anders sein. Eine Gerichtsentscheidung kann für Herrn Böhmermann schließlich sehr viel mehr sein, als eine opportunistisch zusammengewuselte, abgekürzte Entscheidung aus der Stimmungszentrale der Republik.

Deutungen, die Kanzlerin habe sich aus der Verantwortung entfernt und Böhmermann einer gedeihlichen Zusammenarbeit mit dem Neokalifen Erdoğan geopfert, sind bisher von einer Stimmung getragen, die jetzt den Böhmermann kurzfristig retten will. Aber ihm droht ja nicht der Tod im stürmischen Meer. Er kann sich auf viele Freunde und Unterstützer verlassen – und höchstwahrscheinlich auch auf die Gerichte.

Warnung vor Erdoğan!

Ali Gator
Herr Gator blogt up!

Vorsicht! – Der türkische Präsident Erdoğan macht Anstalten, die Satire als Waffe seiner Gegner ausschalten. Seine Warnung auf der Achse der Diplomatie sind im Gelächter verhallt. Jetzt arbeitet er wohl an einer Achse der Dummheit. Seine Waffen haben bisher keine große Reichweite, auch wenn seine Leibwächter in Washington gerade die Kritiker mit Stimmbandlärm attackieren. Die Satiremanufakturen Europas arbeiten autonom und dezentral und sind obendrein durch gelebte Freiheitsrecht gut geschützt. Da bleibt Herrn Erdoğan nur noch, die 2,5 Millionen Flüchtlinge ähnlich einer Armee nach Europa zu schicken, um den Europäern die Lust auf Satire auszutreiben. Aber auch damit wird er sein Ziel verfehlen. Denn seine Gegner sind nicht nur freiheitsliebend, sondern auch gegen jede Politik überwiegend human.

 

Armut währt am längsten

Wenn Rechtspopulisten nach den Terroranschlägen in Brüssel daraus Kapital in eigener Sache schlagen, dann ist das menschenverachtend.
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Keniakoalition

In Sachsen-Anhalt planen sie jetzt die Keniakoalition. Warum nicht einfach mal alles andersherum aufziehen?

Bisher sucht man die von den Parteien bevorzugten Farben und bastelt sich mit journalistischer Absicht denkbare Koalitionen zusammen und sucht dann in der Liste der Nationalflaggen die passende aus.

Suchen wir und doch einfach eine schöne Flagge eines schönen Landes aus und wählen danach die Parteien mit ihren Farben für eine Koalition nach dem Flaggenvorbild zusammen. Nach den Bikoloren und den Trikoloren sind jetzt auch die Multikoloren durchaus Anwärter darauf, so eine Koalition zu benennen. Es geht also von der Haitikoaliton über die Deutschlandkoalition zur Mauritiuskoalition.

Ach ist das schön, wenn man die Politik mit so viel Eine-Welt-Flair füttert und ganz nebenbei Begriffe schöpft.

Sie bleibt dabei – Die Volkspartei

In der Berichterstattung nach den jüngsten Landtagswahlen wird immer wieder darüber berichtet, diese oder jene Partei sei nun in diesem oder jenem Bundesland keine Volkspartei mehr. Aus dem Kontext ergibt sich meistens, dass die Berichterstattung Volksparteien für große Parteien hält die ihren Status mit fehlender Zustimmung des Wählers verlieren.

Damit wird außer Acht gelassen, dass der Begriff Volkspartei zur Abgrenzung von der Interessen- oder Klientel-Partei eingeführt wurde. Noch in der Weimarer Zeit herrschten Parteien vor, die einem bestimmten Thema folgten und hinter sich Wähler versammelten, die nur das jeweilige Thema bevorzugten. Nach dem 2. Weltkrieg entwickelte sich das Parteiensystem weiter. Es entstanden sogenannte Plattformparteien oder Volksparteien. Der politische Diskurs fand also zunächst nicht mehr allein zwischen den Parteien statt, sondern vorab innerhalb von Volksparteien. Volksparteien sprachen alle Bürger an und sahen sich für alle politischen Fragestellungen zuständig. Sie entwickelten deshalb innerparteiliche Strukturen zum Interessenausgleich und zur Abwägung politischer Schwerpunkte. Vor der parlamentarischen Auseinandersetzung ist also stets die Schärfe der bedingungslosen Interessenpolitik einzelner Gruppen bereits entschärft.

Für den Bürger entsteht deshalb oft der Eindruck: Die machen eh alle das Gleiche ohne den Bürger zu fragen. Er neigt dazu, zum Wechselwähler zu werden oder doch ganz auf die Wahl zu verzichten. Wenn neue Parteien auftauchen, die eine Interessenpolitik für ein ganz bestimmtes Segment der Politik anbieten oder Spitzenkandidaten auftreten, die sich dem Prozedere des ständigen Abstimmens verweigern und individuelles Profil zeigen, dann neigt der Bürger dazu, den Volksparteien mit ihrer systembedingten Softpolitik des ständigen Verhandelns zu kündigen.

Interessenparteien und Volksparteien sichern jede auf ihre Weise eine politische Vielfalt.

Volksparteien einfach nur zu großen Parteien zu machen und Interessenparteien möglicherweise auch noch zu kleinen Parteien wird einem differenzierten Verständnis der Parteipolitik wirklich nicht gerecht.