Da explodiert wieder einmal etwas!

Die Entwicklung der Sprache bringt Bedeutungsverschiebungen mit sich. Das ist ganz normal. Nach etlichen Jahrhunderten hat ein Wort scheinbar plötzlich eine ganz andere Bedeutung. Der kurzlebige Mensch merkt das meistens nicht. Es gibt aber Ausnahmefälle. In der modernen hyperdynamisierten Welt mit internationalen Verflechtungen kann es auch mal ganz schnell gehen.

Ein gutes Beispiel ist die Explosion. In wenigen Jahren haben wir es geschafft, die Explosion der Vergangenheit heftig zu entschärfen. Wer heute meine Kürbissuppe isst, erlebt mit einem Löffel Suppe im Mund direkt eine Vielfalt von Explosionen des Geschmacks. Wie muss man sich das vorstellen? Gerade in den Medien explodiert angeblich alles an allen Stellen und in allen Situationen. Der Effekt ist, dass in unserem Verständnis von der Explosion eine Verharmlosung jeder Explosion stattfindet. In friedlichen Zeiten wäre das ja noch zu verstehen.

Der Explosion von gestern wird der Schrecken genommen und das kleine Ereignis wird aufgewertet. Man findet sich da schwerlich zurecht und verliert schließlich das Wort und läuft der Explosion sehenden Auges fröhlich entgegen. Das Wort ist verloren, aber die Gefahr bleibt.

Im Libanon explodieren gerade massenweise manipulierte Pager und Walkie-Talkies. Das ist tödlich! Doch gleichzeitig darf man es lustig finden, weil ein Geheimdienst da eine wegweisende Idee hatte, den Gegner punktgenau und trotzdem massenhaft abzuräumen.

Mein Olympia IV: • Über den Reporter •

Während der klassische Rundfunkreporter in der gebotenen Geschwindigkeit alles in Sprache übersetzt hat, was er gesehen hat, führte das mitgelieferte Bild der audiovisuellen Medien vierzig Jahre später zu einer gewissen Verkommenheit in der Reporterpraxis, die ratlos macht. Man konnte ja nicht über etwas berichten, was jedermann viel besser im Bild selbst sehen konnte. Die ehemals hoch geschätzten Fußballreporter befanden sich zwischenzeitlich in einer Situation, in der sie stoisch etwa die Namen der ballführenden Spieler von vorn bis hinten emotionslos aneinander reihten.  Sprachinnovationen blieben in dieser Zeit bescheiden: „Er schlenzt das Leder!“. Mit zunehmender Qualität der Bilder war auch das Sprechen selbst weitgehend überflüssig. Fortan veranstalteten die Reporter jeweils eigene Huckepackshows und verknüpften erwartende Bilder mit gut recherchierten oder hilfreich fantasierten Hintergrundberichten und Fachsprachenschnipseln. Das brachte Hinweise hervor, dass der Protagonist im Bild bestimmt an seine Oma denkt, die auf dem heimischen Sofa mitfiebert und dass Geld keine Tore schießt.  Die argentinische Rückhand lag oft in der Luft. Solange es eine gedankliche Brücke zum Bild gab, war möglicherweise alles erlaubt, was den Zuschauer veranlasst, nicht abzuschalten. 

Es gibt heutzutage Reporter, die bereits jede Andeutung von Gefühlen in ein emotionales Drama übersetzen, das die ganze Welt mittels vorgeführter weinerlicher Schnappatmung in Schwingung versetzt und beispielsweise, das innigste Verhältnis von Reiter und Pferd in der aristokratischen Dressur zum Thema hat. Die Rücksichtslosigkeit gegenüber dem Bild macht sich breit. Das gesprochen Wort schickt sich an, die Bilder zu überlagern. Der Lucky Punch wird jetzt am Ende jedes Sportwettbewerbs vom Reporter ins Spiel gebracht. Und schließlich darf man rücksichtslos sagen, was man will, ohne dass die Bilder mitkommen. Man sagt dann beispielsweise, dass die Marathonläuferin gerade schwer zu kämpfen hat. Das Ergebnis sind immer mehr aus der Reporternot geborene Fakenews. Irgendwann können die Bildhersteller auch nicht mehr liefern, was die Reporter vorsprechen. Es wird am Ende mit reinen Symbolen bebilderte Hörspiele mit Zwischenexplosioneninszenierungen im Schwimmbecken geben. Die schnöde Wirklichkeit bleibt eine abgedunkelte Kulisse in der Abstellkammer. Bei der naiven Beobachtung bleibt das Glück, dass endlich jeder sagen kann, was er will, auch wenn es unerheblich ist. Dass Fakenews glücklich machen, ist unwahr. Es lässt sich aber empirisch belegen, etwa die „Emotionalexplosion am Eiffelturm“ (Zitat aus der ZDF-Berichterstattung am 3. 8. 2024)

Befeuerung

Tja, das passiert unweigerlich, wenn ein Symbol, wie die Notre Dame in Paris, abbrennt:

Die Süddeutsche floskelt los:
„Der Großbrand in dem Wahrzeichen Frankreichs kam aus dem Nichts und hielt die ganze Welt in Atem. Sechs Stunden später ist klar: Die Kathedrale ist gerettet, die Wunde ist dennoch tief.“

Und prompt wird die Süddeutsche noch im Kommentar getoppt:
„Funkenflug mitten ins Herz.“

Und der Tagesspiegel sowie die Welt beklagen voyeuristisch, dass die öffentlich-rechtlichen Medien gar das Ereignis verschlafen haben, weil keine Sondersendung nach Art des „Brennpunkts“ (sic!) ausgepackt wurde: „Notre-Dame brennt – und die ARD pennt.“

Und allerlei reiche Leute laden auch noch zu Spende ein:
Der ambitionierte CDUler Friedrich Merz tut das auch.

Dabei ist es ja so:
Floskeln verstopfen nur die Kommunikationskanäle und Spendenaufrufe gaukeln Solidarität vor, um den Abstand zwischen Arm und Reich zu vergrößern, wie bei jeder Sammelaktion und jeder Lotterie. – Unter gerechten Lebensbedingungen wäre das ja wirklich ganz okay. Floskeln könnten dann auch im Giftschrank bleiben.

Ich glaube aber fest, dass die mediale Berichterstattung ein Volk von Schaulustigen und Gaffern züchtet, die bei Verkehrsunfällen in ihrer Lebenswelt noch geächtet werden, aber gebraucht werden, um selbstredende endlose Flammen einer Kirche zu betrachten, denen kein Journalist etwas hinzu zu fügend vermag, damit die Trauerquote der Betroffenheit und Anteilnahme hoch gehandelt werden kann.

Die Entwicklung der Medien ist atemberaubend, aber zeitgeisttreu

Ich verdeutliche das einmal im Vergleich zweier Katastropheninszenierungen, nämlich zur Ermordung des US-Präsidenten Kennedy 1963 und zum Absturz eines Linienflugzeugs in diesen Tagen. Dazwischen liegen also mehr als 50 Jahre.

Damals war die Berichterstattung kurz und auf das wesentliche beschränkt. Nach etwa 5 Minuten wurde ohne Rücksicht auf das Publikum auf eine kollektive Trauer übergeleitet. Die öffentlich rechtlichen Anstalten hatten dazu die Hoheit. Es war also für den Rest des Tages „ernste Musik“ zu hören. So nannte man das damals. Die Information war zufriedenstellend, die Musik war mir ein Ärgernis.
Heute wird das eigentliche Ereignis, zu dem kaum mehr Erkenntnisse vorliegen als zu dem historischen Attentat, mit Wiederholungen, Perspektivwechseln, Mutmaßungen und Expertenbefragungen nahezu rund um die Uhr behandelt. Die Trauerarbeit wird dabei selbst zu einem Ereignis, über das die Presse inklusive berichtet und daran beteiligen sich Politiker in öffentlichen Auftritten vor Ort. Das Ereignis wird also letztlich medial zelebriert und mit nichtssagenden Floskeln so lange verdünnt, wie sich die Medienkonsumenten binden lassen. Der Klick ist im Zweifel wichtiger als die Information. Über die bereits gut eingeführte Secondscreennutzung ist der Medienkonsument aufgefordert, sich zur Verstärkung der tragenden Stimmung aller Berichte zu äußern. Dass kollektive Gefühl der Betroffenheit bleibt unecht, zeigt aber auf, dass das Thema so bald kein Ende haben wird.

Damals war das für mich auch nicht optimal mit der Berichterstattung in den Medien. Mittlerweile scheinen mir die Medien die Zeit mit einer eigenwilligen Unterhaltung zu stehlen, in der unbedeutende Dinge bis ins unendliche aufgefächert werden. – Oh, du schöne bunte Medienwelt!