Das Tier in mir

Das Tier sieht sich immer schon einer überlebensfeindlichen Welt ausgesetzt. Rechnen wir einmal die Naturgewalten und die andern Tiere raus, bleibt der Mensch als Verursacher des Leids im Fokus, obwohl er selbst ja durchaus das Leid aus eigener Erfahrung kennt. Es ist unmittelbar vernünftig, für Mensch und Tier das Leid zu teilen (Mitleid) und zu beseitigen. Die Beseitigung des Leids macht eine Nothilfe erforderlich, aber auch die Sicherung von individueller Autonomie, weil Tier wie Mensch traditionell zu wissen glaubt, war für den anderen gut ist.

Nun hat sich der Anspruch, dass Menschen auch die Autonomierechte der Tiere schützen, vorrangig auch dort etabliert, wo die Menschenrechte gesichert und nicht mehr tagtäglich umkämpft sind. In vielen Gegenden der Welt sind die Menschenrechte nachrangig und die Rechte der Tiere meist gänzlich unbekannt.

Und trotz aller Leiderfahrung setzt sich gerade bei den bekennenden Tierrechtsaktivisten ein Trend durch, das Tierrecht tiergerecht zu deuten und mangels verbaler Mitsprache der Tiere, für sie das Wort zu führen, und dabei den Kontakt zum Tier gänzlich aufzugeben. Sie können unwidersprochen ihre Hunde und Katzen bis in die Depression zerschmusen, sie als letzte treuen Weggefährten aufopferungsvoll als bessere Menschen stylen, die in zahllosen Videosequenzen als Lol-Cats oder sonst irgendwie dadurch scheinbar an Profil gewinnen, dass sie alles das tun, was dem Mensch als Vielfalt offen steht. Der Papagei, der singend einen Kinderwagen schiebt, wird fast unwidersprochen geliked. Das moderne Haustier ähnelt in dieser Form dem missbrauchten Internatsschüler, dem die fruchtbare Nähe des vermeintlich humanistischen Lehrpersonals aufgedrängt wird.
Auf der menschlichen Seite etabliert sich mehr und mehr eine tierschützerische Feindposition, die den nicht ausgewiesenen Tierschützern a priori die Rolle des menschlichen Schweins zuschreibt. Wer die Position eines selbsternannten Tierschützer kritisiert, sieht sich sehr schnell im Spalier zähnefletschender Ungeheuer, die sich nicht zu schade sind, mit ihrem Gehirn zu kokettieren, das sie in aller Solidarität mit dem Betriebssystem eines Sperlings laufen lassen. Sie verbreiten im Gegenzug tagtäglich Dokumentationen über die Verwertung des Tieres unter dem Primat der Geldvermehrung, notfalls auch in der Wiederholung und zwingen die ausgemachten Feinde zum Abschalten. Für eine gesteigerte Aufmerksamkeit und erst recht für eine Auseinandersetzung ist dieses Bombing ungeeignet.
An einem Beispiel des Zirkus:
Hätte ich einen Zirkus, würde ich gern bekannte oder vorübergehende Tiere fragen, ob sie da mitmachen wollen. Wenn sie, aus welchen Gründen auch immer, ein deutliches Ja unter herrschaftsfreien Bedingungen schuldig bleiben, dann wird mein Zirkus ohne sie stattfinden. Der Zirkus gestaltet, ganz allgemein, eine gegenwartstranszendierende Phantasie und ist als Kultur der Extraklasse zu markieren. Ich habe schon seit Jahren kein Tier im Zirkus gesehen. Und die von mir bevorzugten Zirkusse respektieren alle Tiere, die nicht mitmachen wollen.
Nun agitieren ganze Scharen von Tierrechtsaktivisten pauschal gegen den Zirkus und damit gegen eine unverzichtbare Kunstform. Sie geben sogar an, Eltern könnten ihre Kinder mit einem Verzicht auf den Zirkus vor dem Anblick missbrauchter Tiere schützen. Jetzt gehen sie noch einen Schritt weiter [Die Tierbefreier Düsseldorf]: Sie fordern dazu auf, Zirkusplakate  zu prüfen, ob denn an Ort und Stelle eine kostenpflichtige Plakatiergenehmigung vorliegt, um den Zirkus fehlendenfalls bei der Gemeinde mit kostspieligen Folgen zu denunzieren. Tiere kommen in der Argumentation nicht mehr vor.
Spätestens an dieser Stelle merkt man ganz deutlich, dass der designierte Denunziant den Blick auf die Freiheitsrechte eingebüßt hat und mit primitivsten und pauschalen Mitteln das Tier zur Pflege der zerrissenen Seele des Menschen instrumentalisiert. – Die Freiheit der Kreatur rückt damit in weite Ferne!
Zum guten Schluss wird mir nach einem Widerspruch manchmal sogar eine Folter gewünscht, damit ich auch etwas mit den Tieren gemeinsam habe. Und dann wendet sich der sorgende Tierfreund hoffentlich von mir ab – und begibt sich auf den Weg zur herzstärkenden Therapie für seinen alten Hamster.

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