Die Kundenabfrage

Der Heinemann ist überregional beliebt für den erstklassigen Kuchen. Mir schmeck er auch. Die Filialen haben exquisite Standorte und man zahlt dort auch gern einmal einen Euro mehr.

Heinz-Richard H. kommt überall und tagtäglich vorbei, um am Puls der Zeit die neuesten Depeschen zu lesen. Den Schlüssel hat er ganz allein und gut in der Kleidung versteckt. Da kommt sonst niemand ran, wenn nicht gerade das Publikum – gern etwas älter und mit Hut – etwas abseits sitzt. Wenn einmal wieder die Preiserhöhung von einer Kuchenstückverkleinerung abgelöst wird, soll der Kasten schon mal überquillen. Ich habe das aber noch nie gesehen. Also: Ich hab den Herrn auch noch nie gesehen. Meine Hand passt sehr gut in den Lüftungsschlitz.

Denk mal!

Die Skulptur des ersten Ruhrbischofs Hengsbach will das Bistum von einem öffentlichen Ort in der Stadt Essen entfernen, weil es posthum ernsthafte Hinweise gibt, dass der Bischof sich des sexuellen Missbrauchs schuldig gemacht hatte.

Für derart skurrile Kunstwerke kenne ich kein passendes Museum. Gleichwohl ist es gerade jetzt sammelwürdig. Es wird mutmaßlich in einer heimlichen und gottverlassenen Privatkapelle landen, wenn es nicht unhistorisch in aller Öffentlichkeit geschleift wird. Es würde gegebenenfalls und bedauerlicherweise nur die öffentliche Berichterstattung von einem finalen Ereignis überdauern.

Die Künstlerin Silke Rehberg hatte die Auftragsarbeit geschaffen und hat sie urheberrechtlich zu vertreten. Ihr Vorschlag ist es nun, die Skulptur als Folge der aktuellen Diskussion zu verdrehen und auf den Kopf zu stellen. Man würde, wenn man der Künstlerin folgt, aus einem immer schon kultig-fragwürdigen Denkmal ein echtes „Denk mal“ machen, ohne abermals etwas unter den Teppich zu kehren.

Nachtrag am 25. September 2023:

Damit bloß niemand eine bessere Lösung findet: Gut verzurrt wird das Denkmal auf einen Lastwagen verfrachtet. Aus den Augen, aber nicht aus dem Sinn.

Der große Diktator

Im September 2023: Außenministerin Baerbock hat den chinesischen Präsidenten Xi einen Diktator genannt. Nun wird ihr entgegen gehalten, dass sie das nicht hätte sagen dürfen.

Die Diplomatensprache kennt so etwas wie Diktator nicht, eigentlich nur freundliche Worte. Außerhalb des Wirkbereichs der Diplomatensprache hat Frau Baerbock recht und könnte das sogar begründen. 

Diese standardisierte Diplomatensprache ist aber nicht der Weisheit letzter Schluss. Letztlich wird eine Sprache immer durch Regelverstöße fortgeschrieben. Das ist auch hier so. Etwas Diktator muss beim Diktator selbst schon ankommen. Wir spielen ja kein Theaterstück, wir verbessern die Welt.

Die lustige Presse

Als am 26. Juni 2023 der Frachter mit dem Namen Fremantle Highway, vollgeladen mit fabrikfrischen Autos, auf der Nordsee gebrannt hat und samt Ladung vermutlich zum Totalschaden verschmort ist, fiel mir ein, dass früher die Schiffe meistens den Namen von Schwiegermüttern hatten. Damals hätte in der Zeitung etwas von der heißen Erika oder dem flammenden Käthchen gestanden. Jetzt lese ich nur: Auf dem Fremantle Highway ist die Hölle los.

Aus der Traum

Da kommt wieder per Post so eine unbestellte Offerte für eine Traumreise.

Da will ich nur mal richtigstellen: Traumreisen gehören einfach nur in den Bereich der Träume. Dabei ist es selten, dass man im Traum durchkonfektioniert reist. Man erlebt viel im Traum, aber ohne Garantie und meist auch gar nicht so sehr weit weg, wie es die Welt ermöglichen würde. In der Wirklichkeit gibt es also keine Traumreisen – schon gar nicht gegen Geld und auch nicht mit großem Rabatt.

Und gerade anschließend kommt jetzt auch noch ein unbestelltes Geschenk mit einem aus der Not geborenen fiesen Briefpapier, unverbindlichem Überweisungsträger und zwei Kugelschreibern von einer Tierschutzorganisation. Erzählt wird eine Geschichte mit dem Foto von einen Hund, der nur etwas Fleisch essen wollte und dem dem der Schlachter dann mit dem Beil mehrere Zentimeter vom Kopf abgehackt hat. Ich zeige das Bild aus guten Gründen nicht.

Das emotionale Lovebombing geht in beiden Fällen gottzeidank unberührt an mir vorbei. Ob Traum oder Antitraum, ich bleibe dann doch lieber auf meinen Geldbündeln sitzen.

Bienen im Hotel

«Da es dem König aber wenig gefiel, dass sein Sohn, die kontrollierten Strassen verlassend, sich querfeldein herumtrieb, um sich selbst ein Urteil über die Welt zu bilden, schenkte er ihm Wagen und Pferd. ‚Nun brauchst du nicht mehr zu Fuss zu gehen‘, waren seine Worte. ‚Nun darfst du es nicht mehr‘, war deren Sinn. ‚Nun kannst du es nicht mehr‘, deren Wirkung.» (Günter Anders, Die Antiquiertheit des Menschen, 1956)

Grab auf Maulwurfshügel

Und nun bieten sogar die für ihren Schotter bekannten Baumärkte allesamt Bienenhotels als fernöstliche Bastelarbeit an. Und die Biene selbst denkt nicht einmal an Hotels, da hat der voreilige Naturfreund schon ein Pauschalangebot hergerichtet, damit die bienenfeindliche und kultivierte Naturwüchsigkeit fortleben kann, während die Gräber der Menschen mit Kunstrasen oder Marmorplatten abgedeckelt sind und das Wort Hotel auf alle Fälle und sinnlos überlebt.

MOMENT MAL • Wahlbeteiligung: NRW 55,5% •

Das bedeutet ja, dass man die Stimmanteile der Parteien halbieren muss, wenn man wissen will, welcher Anteil aller Wahlberechtigten hinter ihnen steht. Jedenfalls wird die Legitimation der Politik durch den Bürger – „Er hat uns den Regierungsauftrag gegeben“ – immer fragwürdiger. Zumal ja auch nirgendwo steht, dass die stärkste Partei die Regierung bildet und den Kanzler stellt. Akteure sind allein die gewählten Volksvertreter.

Der „Politikverdrossenheit“ der Bürger geht meist eine Bürgerverdrossenheit vieler Politiker voraus. 

Den Interviews der Nichtwähler merkt man in diesen Tagen deutlich an, dass es an politischer Bildung mangelt. Es gäbe möglicherweise sogar gute Gründe, nicht zu wählen. Aber man hört sie nie.

Es ist ein Griff ins Klo der werbewirksam agierenden Spindoctoren, wenn man dem Bürger billige Ersatzmotivationen zur Wahl anbietet und zum Beispiel das Wahlalter senkt, Kinder in Pseudoparlamente verschiebt, bei Kindern in der Kindergartengruppe ein Votum einfordert, die Leute in Parlamenten schnuppern lässt und für die fragwürdige Briefwahl  auch noch wirbt, allein um die Wahlbeteiligung wieder etwas hoch zu treiben. Die Bewährungsprobe für den Politiker ist, wenn er in seiner Arbeit auf Menschen trifft und nicht Kontakt zum Bürger sucht und dann auch noch Kugelschreiber mitbringt.

Das alte Aufrüsten ist jetzt neu

Wer Putin nicht so richtig kannte, wird ihn in den ersten Wochen des Krieges auch nicht so richtig kennengelernt haben. Okay – er geht über Leichen. Was ihn dazu anregt oder davon abhält weiß nur der Teufel. Sein letztes konventionelles Kapital ist, dass die Öffentlichkeit im Bereich seiner Gegner gegensätzlich spekuliert, wie man seine Gefräßigkeit unterbinden kann. Wenn man dagegen hält, dann schielt er vermutlich auf die Atombombe, wenn man ihn besänftigt, dann frisst er generalstabsmäßig alle konventionell auf. In dem Dilemma hat er alle Humanisten und Demokraten als Widersacher. Er wird sich jedenfalls freuen, wenn die einen so und die anderen anders sagen. Dazwischen würde er vermutlich gern ungestört weiter machen.

Der fundamentale Paradigmenwechsel der letzten Wochen, dass nämlich die Humanisten und Demokraten selbst äußerst streitbar auftreten müssen, wenn sie nicht eine nach dem anderen zur Schlachtbank geführt werden wollen, ist unumgänglich. Boykott und Kampf sind neuerdings angesagt, auch wenn man die Werkzeuge für Boykott und Kampf eingemottet hatte. Alles andere ist nur Briefeschreiben für einen Berg ehrenwerter Texte, der darauf wartet, zu gegebener Zeit als entartet verbrannt zu werden.

Aus einem Heldenleben

Da geht nun der Held von Wimbledon am heutigen Tag für eine Weile ins Gefängnis. Sein Leben geht jetzt nicht mehr so recht weiter, wie er es bisher gestaltet hat. Wer den Insolvenzverwalter auf verlorenem Posten mit unzureichenden Angaben dilettantisch linken will, der hat auch nichts besseres verdient. Da lacht der Profi.

Auf die Strafmaßverkündigung musste das Publikum entgegen der Ankündigung des Gerichts ein paar Stunden warten. Ein Gerichtsreporter meinte, das Strafmaß zeige, dass es vor Gericht eben keinen Promibonus gebe. Das sehe ich anders: Der Rechtsstaat unterscheidet von vornherein nicht nach der jeweilen Prominenz des Angeklagten. Diese stundenlange Verzögerung ist dann aber doch ein Promibonus, und wird für die Weltöffentlichkeit standesgemäß zelebriert. 

Wenn der Held nach guter Führung vorzeitig aus der Haft entlassen wird, werden wohl viele Talkshows auf den Helden Boris Becker warten und sein Privatierskonto für die Wechselfälle des Lebens wieder auffüllen. Eigentlich sollte ja jeder Sträfling irgendwann in eine Talkshow entlassen werden. Aber daran besteht wohl kein wirtschaftliches Interesse. – Schade!