In dieser Zeit ist das Trinkgeld umkämpft und deshalb umstritten, vor allem in der Gastronomie. Anlass ist wohl die schlechte wirtschaftliche Lage in einigen Bereichen der Gastronomie. Hinzu kommt, dass das zunehmend bargeldlose Zahlen eine Auswirkung auf die Trinkgelder hat, weil traditionelle Abläufe – „stimmt so …“ – durchbrochen werde.
Das Argument der Gastronomen und ihrer Verbände ist, dass das Trinkgeld als Betriebseinkommen voll eingepreist und damit in alter Höhe unverzichtbar ist. Die niedrigen Löhne der Branche würden mit Trinkgeldern aufgestockt und damit Arbeitsplätze und der Betrieb an sich gesichert. Bei zurückgehender Wirtschaftskraft und steigenden Preise sind Restaurantbesuch sehr viel seltener geworden. Da nutzt es nichts, wenn man die Bereitschaft hat, gutes Essen auch gut zu bezahlen. Das Geld ist meist einfach nicht da. Und wenn Restaurants in der Krise mit Convenienceprodukten eine sehr schlanke Küche riskieren, dann ist der Konsument ohnehin gut beraten, das gute Essen in die eigenen vier Wände zu verlegen und Freunde selbst zu bekochen, anstatt einen kostspieligen Restaurantbesuch zu riskieren. Damit ist dann die Hochzeit der Restaurantkultur vorbei und die Szene wird derart exklusiv, dass man sie nur noch selten belebt oder aber kleine Nischen der Fastfoodküche aufsucht, die stoisch gute Qualität zu kleinem Preis anbieten und damit auch noch überleben können.
Was als Kombination aus Verarmung breiter Schichten und normaler Entwicklung gedeutet werden kann, deuten Verbandsvertreter der Gastronomen ganz anders: Sie wollen einen Ausfallentschädigung vom Staat, der ihr Überleben sichern soll und sie reklamieren einen Anspruch auf ein Trinkgeld, über das sie den Kunden fast nicht mehr allein entscheiden lassen wollen. Sie setzen auch dauerhaft auf einen reduzierten Mehrwertsteuersatz, der ihnen in der Coronakrise eigentlich nur vorübergehend zugestanden worden war. Dass der Gastronom vor allem dem Geld nachjagd, das kann man im Einzelfall verstehen, wird und soll aber auch nicht das Zurechtschrumpfen der aufgeblasenen auswärtigen Speisekultur verhindern.
Das Trinkgeld ist schon vor langer Zeit in Ungnade gefallen, nämlich seitdem es betriebswirtschaftlich verwurstet wurde. Damit wurde die Gastronomie so gewinnanfällig, dass der Kellner mit allen Höflichkeiten auf das Trinkgeld angesetzt wurde, das im günstigen Fall den Mitarbeitern zugute kommt, dem Gewinn des Unternehmers oder aber dem Einkauf des Küchenchefs. Man weiß es nie so genau.
Ursprünglich war das Trinkgeld eine voll und ganz vom Kunden abhängige Wertschätzung der Bedienung. Dass das Trinkgeld in Kanäle geleitet wird und fest eingepreist wird, dass es mit Höflichkeitsregeln – mindestens 10% – ausgestattet wird und zum Siegeszug auch durch branchenfremde Unternehmen geleitet wird, war niemals so gewollt. Es gibt kaum noch ein Ladengeschäft in dem nicht ein originelles Geldbehältnis aufgestellt ist, um für den Service auch dann etwas zu geben, wenn erst überhaupt keinen Service gibt.
Was bleibt ist – wenn man drüber nachdenkt – dass die Geldbörse des Kunden weiterhin in dessen Besitz ist und dass er uneingeschränkt auch darüber verfügt. Was auch bleibt, ist der Vertrag, ein bestimmtes Essen ohne wenn und aber zu einem ausgewiesenen Betrag zu zu liefern. So gesehen ist der Kunde frei und sein Trinkgeld ist wieder eine Freundlichkeit außerhalb der Geschäftsbeziehung. Wenn er irgendwie seltsam gemustert wird, weil er kein Trinkgeld gibt, dann wird er sinnvollerweise demnächst woanders essen. Er darf auch wirksam dem Kellner sagen, dass das Trinkgeld nur für ihn persönlich ist.
Dass der Trend zum bargeldlosen Zahlen zunächst oft keine Lücke für ein Trinkgeld hatte, wurde mittlerweile aufgearbeitet. Wenn man speziell für das Trinkgeld nicht auf Bargeld zurückgreift, das sich im persönlichen Kontakt mit dem kassierenden Kellner übermitteln lässt, dann ist es an einer Zentralkasse schon ungleich hürdiger, ein Trinkgeld als Anerkenntnis für den Kellner zu übermitteln. Man wird aber mittlerweile gefragt, ob und gegebenenfalls wie viel Trinkgeld man geben möchte. Es wird dann mit der Rechnung abgezogen und verschwindet im Bankensystem. Das ist für den Kunden dann doch ziemlich unangenehm. Noch unangenehmer ist es, wenn über das Trinkgeld in Prozenten vom Rechnungsbetrag entschieden wird. Und noch unangenehmer ist es, wenn mehrere Prozentsätze zur Auswahl gestellt werden. Dann riecht der Kunde nur noch den Angriff auf seine Geldbörse im Raum und neigt final dazu solchen Ansprüchen einfach nur auszuweichen. Ein Überfall ist es geradezu dann, wenn es – wie in vielen Schnellrestaurants – niemanden gibt, der einen Service leistet und trotzdem ein Trinkgeld über das Kassensystem abgefragt wird.
Also meine Hemmungen sinken, bei schlechtem Service oder bei maschinengestütztem Abkassieren eines Trinkgelds überhaupt nichts zu geben. Ich bleibe dann ganz cool, ohne besonders arm oder geizig in Erscheinung zu treten. Ich gehe nur sinnvoll und überlegt mit meinem höchst eigenen Geld um.