Händchenhalten im Park

Heute begegnete mir ein türkisches Paar jüngeren Alters in einem Park. Im Gespräch habe ich sie auch gefragt, ob sie auch der Fatwa aus der türkischen Staatsverwaltung alles Religiösen folgen. Sie haben nur gelacht.

So eine Fatwa ist ein islamisches Rechtsgutachten, das den praktischen Glauben in den Wechselfällen des Lebens verbindlich korrigieren soll. Wer so eine Fatwa lostreten kann, das wird immer fragwürdiger. Die Fatwa lebt von denen, die ihr kritiklos folgen. Gegen eine abschließende Interpretation geltenden islamischen Rechts mag ja ohnehin niemand etwas einwenden. Früher waren es hoch geachtete islamische Rechtsgelehrte, die diese Fatwas in die Welt setzten. Mittlerweile werden Fatwas häufig mit politischen Strömungen verbunden und damit so etwas wie geltendes Recht. Es gibt sogar auch rechtgläubige Regierungen, die für ihren Bereich so einen Fatwaweg gehen, weil sie auf ihr treues Klientel bauen, und auf diese Weise politische Absichten ohne eine breite Diskussion in politischen Gremien und in der Öffentlichkeit verwirklichen. In solchen Fällen wird die Politik also rückgebunden an ein normatives Religionsverständnis bei gleichzeitiger Instrumentalisierung der Religion selbst.

Die jungen Leute waren ganz entspannt und fernab des jüngsten Fatwaversuchs aus dem türkischen Religionsministerium, das ihre Dependancen auch in Deutschland unterhält: Es sind die DITIB-Moscheen. Es wird also nach den Regeln der Fatwa gesagt, Verlobte dürfen sich in der Öffentlichkeit nicht die Hand halten und sich in geschlossenen Räumen nur dann treffen, wenn eine dritte Person dabei ist. Dort sollen sie die selbstverständliche Möglichkeit haben, sich gegenseitig kennenzulernen.

Wie das mit den Händchenhalten so ist, habe ich ja bereits mitbekommen. Und ich fand es auch wirklich nicht anstößig.

Die vorgeschriebene Situation im geschlossenen Raum kann ich noch nicht so ganz erschließen und male sie mir aus:

Mustafa und Ayse sitzen auf Sesseln.
Zwischen ihnen steht ein Tisch. Ayses Bruder Ahmet sitzt scheinbar gelangweilt in der Ecke.

Ayse: Ich habe meine Abitur mit guten Noten gemacht.

Mustafa: Das ist ja toll! Ich werde in 2 Jahren – so Allah will – den Bachelor in Philosophie haben. Also, was ich damit im Leben anfangen soll, das ist mir völlig unklar. Aber wir Philosophen leben ja gern im Wagnis.

Ayse: Ich würde auch gern studieren. Im Moment unterstütze ich hauptsächlich meine Mutter bei der Hausarbeit. Ich war ganz stolz, als letztens mein Bruder (Es findet ein leichter Blickkontakt zwischen Ahmet und Ayse statt) meine Köfte so lecker gefunden hat.

Mustafa: Ich koche meistens Nudeln, das geht schnell. Und dabei denke ich an dich. (Es findet ein leichter Blickkontakt zwischen Ahmet und Mustafa statt.)

Ach — ich breche das hier einfach mal ab, weil ich es doch nicht herausfinde, wie sie sich kennenlernen, vermutlich gar nicht. Der gläubige Hindu ist ohnehin der Ansicht, dass alle Menschen gleich viel Wert sind. Wenn dann die Familie den Ehepartner allein aussucht, dann kann das ja nur besser sein, als die christlich-kapitalistische Bevorzugung von gestylten Äußerlichkeiten bei der höchst persönlichen Partnerwahl.

Ich möchte gar nicht wissen, wer so alles verlobt ist und sich händchenhaltend durch die Parks der Welt bewegt. Das Schlechteste scheint es mir nicht zu sein.

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