Da capo: Volkspartei

Dieser Bedeutungsverschiebung der letzten Jahre, dass Parteien mit abnehmender Wählerschaft irgendwann keine Volksparteien sein sollen, folge ich nicht. 

Der Begriff Volkspartei ist in der soziologischen Würdigung von Parteien entstanden, die keine Klientelparteien (mehr) sind und drauf ausgerichtet sind, für alle Gruppen der Gesellschaft politische Antworten zu liefern. Volksparteien können klein oder groß sein, beides ist aber nebensächlich. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gab es nämlich hauptsächlich reine Klientelparteien. Sie bedienten ihre Zielgruppe ohne gesamtpolitische Verantwortung. Heute sind Klientelparteien die Ausnahme, obwohl – oder gerade weil – ihre Programme vergleichsweise scharfgezeichnet und besonders verständlich sind, aber die Vielfalt auf der Strecke bleibt.

Okay – das Thema hatte ich schon – aber ich werde nicht müde …

Fritteusenfett

Die Tagesschau berichtet am 16.10.24, dass Flugzeuge zukünftig verpflichtend mit „Fritteusenfett“ fliegen werden. 

Weil mir das Wort Frittenfett (früher Fritenfett) geläufig ist, habe ich zunächst einen üblen Gendertrick vermutet. Ich weiß, dass das Fett ja irgendwo hin muß, wenn es eine Weile zum frittieren benutzt wurde. Vieles wird frittiert, vor allem die „Stäbchenkartoffeln“, wie ich sie von DDR-Speisekarten kenne und selbst als Fritten bezeichne. Das Frittenfett geht meistens zunächst ein Speiseöl an den Start, das auf hohe Temperaturen ausgelegt ist. In Belgien – dem Mutterland der Fritte – ist allerdings Rinderfett die erste Wahl.

Aber warum soll denn das bekannte Frittenfett jetzt Fritteusenfett heißen, nur weil es ein Flugzeug antreibt? Mir fällt dazu nichts ein. Ich freue mich schon darauf, wenn die Flughäfen so lecker riechen, wie der Diesel meines Nachbarn. Seine Frau ist Friseuse.

Die Rheydter Hauptpost

Die Rheydter Post ist ein imposantes Baudenkmal der wilhelminischen Neorenaissance uns seit weit über 100 Jahren auch heute wirklich noch eine Post. Ihre Renovierung von vor zehn Jahren ist längst vergessene Geschichte. Allerdings benötigt die Post heutzutage nur noch einen verhältnismäßig kleinen Bereich des Gebäudes. Der Rest des Gebäudes wurde in den letzten Jahren wohl umgenutzt und erscheint mittlerweile ungenutzt. Das Haus ist äußerlich so wenig gepflegt, dass man schon gar nicht wissen will, wie es innen aussieht. Der Postbetrieb ist aus dem Standardgestaltungspaket des Postkonzerns hergerichtet und wirkt im Postgebäude insgesamt als Fremdkörper. An der Hauswand machten sich büschelweise offenbar ungewünschte Wildkräuter breit. Neben den Radständern Marke Felgenbrecher steht ein Kinderwagen voller sehr merkwürdiger Müllteile. Ein Regenrohr wurde teilweise behelfsmäßig durch eine Plastikschlauchfolie ersetzt. Dazu hat man dann pragmatisch den Blitzableiter, der wohl mit dem Rohr verbunden war, außer Funktion gesetzt  und zur Wand hin weggebogen.

Die Post hat obendauf ein wunderschönes Türmchen, wahrscheinlich mit einem spektakulären Turmzimmer. Da würde man gern mal bei Kaffee und Kuchen einen Nachmittag verbringen.

Es ist zu befürchten, dass dereinst der Blitz einschlägt und das Gebäude anschließend von der Denkmalliste gestrichen wird.

Pandas unter unseresgleichen

Jetzt sind auch schon die Pandamädchen im Berliner Zoo explodiert. So habe ich das gelesen. Dabei sind sie so richtig chillige Couchpotatoes. Wahrscheinlich können sie das Wort süß schon lange nicht mehr hören. Aber sie sind ihm schutzlos ausgeliefert.

Ich sag mal so …

Wenn du etwas zu Ende erzählt hast und du meinst, dass du trotzdem irgendwie weiterreden musst, dann sag einfach: „So zu sagen!“ Alle machen das so. Besser wäre es freilich damit: „Noch einmal!“ Dann hat du nämlich eine unendliche Möglichkeit, deine Botschaft irgendwo einzuhämmern.

Trotzdem: Ich habe kein Interesse, dir zuzuhören.

Ich spiele gern Treibholz

Heute habe ich einen ungesteuerten Stadtspaziergang durch Rheydt gemacht. Das ist mir zur Erkundung sozialer Räume manchmal unverzichtbar. Ich lasse mich treiben. Vieles sieht anders aus, wenn man ohne Auto unterwegs ist, aber keinesfalls besser.

Im Kern der Stadt, wo die meisten Städte ja auch ihren Ursprung haben, wurde der Einzelhandel bis zum Kollaps entwickelt. Der Wohnraum wurde knapp und teuer. Jetzt ist er spottbillig und die Hauseingänge findet man versteckt zwischen riesigen, blind gewordenen Schaufensterscheiben hinter denen nichts mehr zur Show gestellt. In den  Nischen der Haustüren  befinden sich meist die Nachtlager der Obdachlosen und viel vergessener Müll. Weit abseits der Innenstadt wohnen jetzt die gut situierten Bürger und der Weg zurück wirkt wie verbaut und sinnlos. Stadtrand und Stadtzentrum haben sich vertauscht und bleiben es auch, so lange die Mobilität und die Lieferdienste funktionieren.

Auf dem Bürgersteig trottet an langer Leine ein dicker Schäferhund mit seiner Nase auf mein Hosenbein zu. Da sage ich zum fleischgesichtigen Hundebesitzer mittleren Alters: „Würden Sie bitte den Hund etwas kürzer halten!“. Da sagt der: Der Hund ist ganz brav, der weiß nicht einmal, dass sie ein Arschloch sind.“ Ich hätte da sagen müssen: „Sie sehen aber blendend aus!“ – Das ist mir aber leider erst jetzt eingefallen. 

KI oder was?

Ich wollte gerade „haptisch“ schreiben.

Und dann stand da „Hauptsicherung“.

Ein Hoch auf die vagabundiernde Intelligenz zur automatischen Worterkennung –

bevor mir die Sicherung durchbrennt.

Die Umverpackung

Die Entwicklung von Verpackungen haben mit Blick auf eine unbelastete Lebenswelt zur Unverpackung geführt. Es gibt Läden, in denen alle Waren unverpackt sind. Man sollte dorthin sinnvollerweise die Verpackung mitbringen, die weitgehend universell sind und dies und jenes aufnehmen können. Man ist dann aber nicht nur verpackungsarm, was der Umwelt dient, man ist aber auch dem Produkt mit allen Sinnen sehr nahe und frei, die gewünschte Menge zu wählen.

Ein gegenläufiger Trend ist die Weiterentwicklung der Umverpackung. Eine Umverpackung konkurriert im Material, in der Ästhetik und Passform und oft sogar im Preis mit der Ware, die darin verpackt ist. Erfahrungen im Marketing belegen, dass häufig für die Kaufentscheidung Umverpackungen einen großen Wert haben. Es gibt gar Umverpackungen, die auch ohne Inhalt vermarktet, gehandelt und genutzt werden. Wer ein neues Handy kauft, betrachtet die Verpackung nicht als Müll und erfreut sich an den funktionalen Designerteilen und bewahrt einen hohen Wiederverkaufswert seines Handys, wenn die Umverpackung dabei ist.

Gleich wohl ist die Umverpackung nur eine wertsteigernde Verpackung, die entbehrlich wäre, wenn man die Umwelt höher bewertet als die haptische Anmutung.

Einfach nur Verpackung zu sagen, das wäre angemessen. Stattdessen macht sich aber ein Unboxingkult breit. Es gibt sogar Auspackfilme, in denen der Käufer mit feuchten und bebenden Händen den eingekauften heißen Scheiß langsam aus der Verpackung löst, nicht ohne das Schlüsselwort unboxing in seine Sprache und seine Tags eingebaut zu haben.

Meine Erinnerungskultur

Das Erinnern hat Konjunktur. Fast alles in der modernen Welt ist so vielfältig und schnell, dass es ab und zu der Erinnerung bedarf. Dazu gehört auch, dass man sich selbst erinnert. Zweckgerichtet verstreut man überall Symbole, die antriggern. Und dann erinnert man sich plötzlich daran, dass man doch noch den Stimmungsaufheller nehmen wollte. Findig, aber nicht sprachdienlich ist es, das Reflexivpronomen einfach wegzulassen.

Dass die Erinnerungsarbeit offenbar keine Zeit für das Reflexivpronomen hat, trifft mich täglich hart, also immer dann, wenn jemand „ich erinnere“ sagt und ich ein lautes „mich“ hinüber schreie. Ich höre danach immer eine unerfüllte Leere.  Nun kann es ja sein, dass der eine oder die andere das so aus einer fremden Sprache übersetzt und dann entlehnt hat. Aber fast alle, die sich in letzter Zeit um mich herum in dieser Richtung auffällig bewegen, könnten getrost als modebewusste Mitläufer kategorisiert werden.

MitleserIch sage das nur, weil tagtäglich ganze Horden von Eltern „haben“ brüllen, wenn deren Kinder mal wieder so etwas fragen wie: „Mama, darf ich ein Eis?“ – Das erinnert doch der aufmerksame Mitleser sofort.

Sem

Es ist nicht selten, dass dem Guten auch das Böse folgt. Die französische Revolution war der Anlass für eine beispiellose Demokratiebewegung in ganz Europa. Der Bürger wurde zum Souverän. Die grenzenlose Offenheit des Denkens machte die ungeübten Bürger jedoch skeptisch, ob denn wirklich jederman geeignet sei, zu wählen oder sich gar wählen zu lassen. Ihren ideologischen Überbau gewährleisten alle Dichter und Denker, die schon lange zuvor Andersdenkende und Andersausehende markiert hatten und nun mit Macht den praktischen Rassismus mit einer Theorie bekleideten und diese in den Bereich wissenschaftlicher Anerkennung bugsierten. Es folgte eine Rassentheorie samt Rassenlehre, die auch dem einfachen Menschen zur Rückversicherung diente. Man arbeitete in der Rassenforschung und nannte die vertretene Position Antisemitismus. Die unbarmherzige Verfolgung anders denkender und anders aussehender Menschen war mit der französischen Revolution zwar absichtlich beendet, wurde aber ideologisch nachgearbeitet und führte zu einer scheinbar wissenschaftlichen Begründung, warum bestimmte Menschen einfach nicht dabei sein sollten. Zunächst wurden arme Leute, Frauen und Kinder, Juden, Homosexuelle, Kriminelle und natürlich Menschen mit auffälliger Hautfarbe oder Kleidung ausgegrenzt. Bis zum heutigen Tag wurde die Demokratie weiterentwickelt und gefestigt, ist aber nicht beendet. Demokratie kann nie im sicheren Besitz sein, denn sie muss tagtäglich gewagt werden.

In der Anfangszeit des pseudowissenschaftlichen Rassismus prägte man zunächst den ausgedachten Begriff Antisemitismus. Man hatte also begriffsgetreu alle Gruppen als auszugrenzende Rasse markiert, die semitische Merkmale hatten. Sie gehen alle auf Sem, einen Sohn Noahs zurück, sprechen eine semitische Sprachen. Hauptsächlich waren es Araber, Juden, Aramäer, die sich seit dem Urvater Sem bei aller Gemeinsamkeit höchst unterschiedlich entwickelt hatten. Die Diskussion führte am Ende des 19. Jahrhunderts dazu, dass man mit den traditionell verhassten Juden eigentlich doch nicht die Araber ausgrenzen wollte. Die Ideologen des Judenhasses behielten den für diese Zeit der Rassentheorien den Begriff Antisemitismus bei, wandten ihn aber nur auf die Gruppe der Juden an. Das hörte sich weitaus seriöser an als Rassismus und hat sogar bis in die heutige Zeit überdauert. Wer heute den Weg zurück in die Anfänge des Redens über den Antisemetismus macht, kommt nicht daran vorbei, dass auch Araber selbst in Bibel und Koran Semiten sind und dass ein forcierter Angriff auf Juden eben auch die gleichrassigen Araber treffen müsste. Das denkt man aber nicht mehr und untermauert eine realpolitisch liebsame manifestierte Bedeutungsverschiebung. Die Definition heißt: Judenfeindschaft bedeutet in Fachdiskursen Antisemitismus. Man behält also das an sich als Rassismus enttarnte Wort Antisemitismus bei, sieht darin aber nicht mehr einen Segen für das deutsche Volk, sondern einen Spezialrassismus, der andere verfolgte Minderheiten nicht mitbedenkt.