Zur Integration fällt uns nicht mehr sehr viel ein

Die Integrationsdebatte vergangener Jahrzehnte war sehr intensiv und aber auch differenziert. In der Nähe zur Forschung hat sich dabei ein Bestimmungsrahmen herausgebildet, der dann in der öffentlichen Diskussion nicht aufgegriffen und politisch weitergeführt wurde. Das Modell der Inklusion, das heutzutage fälschlicherweise auf die schulische Teilhabe behinderter Kinder begrenzt wird, zeigt auf, wie es geht. Es wurde über die UNO für viele Länder verbindlich und gründet auf der bekannten Idee aus übersichtlichen Kulturen, dass man zur Erziehung eines Kindes ein ganzes Dorf benötigt. Inklusion verzichtet vollständig darauf, jemanden auf einen verbindlichen Standard einer vorgegebenen Gemeinschaft zu prägen, sondern Vielfalt als eine Bereicherung für alle lebbar zu machen. Das geht am besten von Angesicht zu Angesicht. Das ist allerdings auch für uns nicht vollständig neu. Die ersten Gastarbeiter erfuhren mangels Infrastruktur, die auf Integration ausgerichtet war, zunächst die Arbeitsplätze und in der Freizeit die Bahnhöfe als Orte, an den Inklusion möglich und auch notwendig war. Dort wurde in der Begleitung der Arbeit die Sprache vermittelt, Normen und kulturelle Vorlieben ausgetauscht und Beziehungen geknüpft. Kein aufgelegtes Programm wäre im Ergebnis dem überlegen gewesen. Die Vielfalt hat sich durchgesetzt und unser Leben berechnet, nicht nur in der Gastronomie.
In der aktuellen Debatte bleibt man dem Inklusionsgedanken gegenüber rücksichtslos und der einschlägig guten Erfahrung damit auch. Man sagt Integration und meint damit alles Mögliche, was in den zurückliegenden Jahrzehnten als unmöglich aussortiert wurde. Die Integration der Politikerkaste ist die standardisierte Vermittlung der deutschen Sprache. Viel mehr hört man da nicht. Dabei ist es seit langem klar, dass der Spracherwerb ein Hilfsmittel zur Integration sein kann, aber selbst überhaupt so wenig Integration ist, wie ein Sprachkurs Arabisch an der Volkshochschule.
Diese Bescheidenheit, die Integration als Spracherwerb zu verkaufen, ist dabei parteipolitisch äußerst effizient: Man gibt dem Bürger die Hoffnung, dass sich der Flüchtling ihm annähert, ohne dass er etwas dazu tun muss. Das stiftet Vertrauen. Zumal jeder ja selbst Erfahrungen mit dem schulischen Lernen hat: Man muss sich anstrengen, wenn man ein Schüler ist. Zudem kann der Bürger bei den Integrationstheorien bleiben, die sich bei ihm schon festgesetzt haben. Sie beinhalten sehr häufig, dass die Flüchtlinge einem Regelwerk folgen, das die Lebenskreise des Ureinwohners nicht stört oder einen Sauerkrautkochkurs, der die Flüchtlinge herrichtet, sich bald auch in deutschen Dorfgemeinschaften als Gleicher unter Gleichen einzurichten. Schließlich ist es auch so, dass der Spracherwerb als Premiumintegrationsleistung in einer Zeit volle Wagnisse für einen wohl zweifelhaften Erfolg bis hin zum Zertifikat planbar ist. Die Riege der Sprachinstitute wittert schon das große Geld und dem Bürger fällt im Normalfall auch nicht ein, was daran schlecht sein soll.
Ich möchte dagegen gern die Inklusion für einen Paradigmenwechsel, also als abweichendes Denkmuster anbieten, um der Vielfalt von vornherein eine Chance zu geben. Das ist die preiswertere Abkürzung, die alle einbindet, die irgendwie da sind.

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Sprachvermittlung nach Regeln ist wie Malen nach Zahlen

In der schulischen Vermittlung einer Sprache wird oft so getan, als Folge die Sprache einem Regelwerk. Das Gegenteil ist der Fall. Das Regelwerk entsteht bei dem Versuch, den alltäglichen Sprachgebrauch zu analysieren. Wir sprechen also im allgemeinen richtig und scheren uns dabei nicht um die Regeln. Es ist also ein guter Rat, sich am Kreis der Sprechenden zu orientieren, anstatt Regelwerke zu bemühen. Sprachwissenschaftler arbeiten also auch nicht an Konstrukten, sondern respektieren vor allem den sprechenden Menschen und hören genau zu.

Eigentlich ist es doch schön, dass wir sprechen können, wie wir wollen, wenn wir nur verstanden werden.

Über die Sprachlosigkeit

Die Linguistik und die Entwicklungspsychologie wissen mittlerweile viel darüber, wie der Mensch die Sprache erwirbt. Aber die deutsche Politik weiß es vermeintlich besser. Das wundert nicht, weil die Politik immer auch ein Wettbewerb der Besserwisser um die Gunst des Publikums ist. Wenn nun die Politik falsch liegen würde, bedeutete das ja, dass der Mensch, wenn er Probleme beim Spracherwerb hat, also beispielsweise bei einer nichtdeutschen Zielsprache, in die falsche Richtung geschickt wird oder dass gar sein gelungener Erwerb einer Sprache erst gar keine Anerkennung findet, wenn es nicht die deutsche Sprache ist. Es ist aber so: Die politische Debatte über die Migration kreist seit Jahrzehnten ohne Fortschritt um politische Annahmen, denen die fachliche Grundlage fehlt.

Es lohnt sich also, die linguistischen und entwicklungspsychologischen Erkenntnisse für die Politik aufzubereiten. Ob es gelingt, sie dort auch einzuschleusen, bleibt zweifelhaft. Die Zielsprache, das ist die erste Sprache, die ein Mensch erwirbt und keine zweite, kann man sich nicht frei aussuchen. Sie ist bereits vorgeburtlich in Ansätzen vermittelt und schon festge- legt. Es ist die Sprache der Mutter und ihrer unmittelbaren Lebenswelt. Diese Zielsprache wird also nicht unterrichtet sondern in einem höchst individuellen Entwicklungstempo von Kindern erworben. Eine insgesamt förderliche Umgebung erleichtert den Spracherwerb. Die erworbene Zielsprache führt zu Begriffen, Begriffe ermöglichen das Denken und das Denken führt zur Bildung. Ist der Spracherwerb erfolgreich, dann ist es auch für Kinder kein Problem, sogar mehrere weitere Sprachen zu lernen. Diese Sprachen zu lernen, setzt aber stets den Erwerb der Zielsprache voraus. Die Kehrseite der so beschriebenen gelungenen Entwicklung ist, dass ein fehlerhafter oder unvollständiger Erwerb der Zielsprache nicht nur das Denken und die Bildung behindert, sondern dass die weiteren Sprachen nur mühsam und mit Paukelementen gelernt werden. Das erlernen einer weiteren Sprache kann das Defizit beim Erwerb der Zielsprache auf alle Fälle nicht ausgleichen. An der Zielsprache führt also kein Weg vorbei.

Nun ist auch politisch richtig erkannt, dass die Sprache grundsätzlich ein gutes Werkzeug ist, in der Welt zurecht zu kommen. In Deutschland ist man nun gut beraten, auch die deutsche Sprache zu nutzen, weil damit der Austausch zwischen den Menschen am einfachsten gelingen wird. Deutsch sprechen die meisten. Man ist aber nicht gut beraten, Anforderungen zu formulieren, in denen die deutsche Sprache zur unumgänglichen Zielsprache deklariert wird. Trotzdem sind politische Programme zum Thema Migration voll davon. Es bleibt trotzdem so: Kinder mit Eltern, die eine nichtdeutsche Zielsprache haben, werden die deutsche Sprache eben nur als Fremdsprache lernen können. Dies wird allerdings mit sehr gutem Erfolg gelingen, wenn der Erwerb der Zielsprache dem voraus geht.

Wenn man nun das Werkzeug „Deutsche Sprache“ verfügbar machen will, ist es also kontraindiziert, Deutschkurse zu protegieren, wenn die Zielsprache Probleme macht. Kontraindiziert ist es vor allem, die Zielsprache zu unterdrücken und „Deutsch“ zur einzig zulässigen Sprache zu machen. Wenn also auf Berliner Schulhöfen das Türkische als Sprache verboten wird (die Presse berichtete darüber), dann ist der Applaus aus der Politik sicher. Der Sinn des Spracherwerbs und der Verständigung, also die Bildung, ist allerdings ad absurdum geführt. Der Gebrauch der deutschen Sprache in der Schule ist verhaltenstherapeutisch nicht zu bewirken, wenn man von kleinen Paukerfolgen absieht.

Wenn der türkische Ministerpräsident Edogan wieder einmal 90 Minuten in großen Hallen vor Landsleuten spricht, dann formuliert er die Essenz linguistischer und entwicklungspsychologischer Erkenntnisse: „Türken sollen zunächst türkisch lernen und dann deutsch“. Auf der deutschen politischen Bühne wirkt so eine Festlegung abstrus. Deutsche Politiker antwortet dann auch für viele andere: „Kinder, die in Deutschland groß werden, müssen zu allererst deutsch lernen.“ Pointiert wird die ganze Vorstellung dadurch, dass der Patriotismus der Türken das ganze Szenario auch noch emotional einkleidet. Dabei gehört der Patriotismus zu einer grundsätzlich unkritisierbaren kulturellen Besonderheit, an der man Türken häufig erkennt. Sie halten im türkischen Selbstwertgefühl bisweilen neben der türkischen sogar auch die deutsche Fahne mit überbordender Leidenschaft hoch.

Ob Herr Erdogan seine Position linguistisch und entwicklungspsychologisch begründet, das ist bisher nicht bekannt. Aber irgendwie hat er trotzdem recht. Hoffentlich ergeht es ihm besser als es ihm in der deutschen Politik gehen würde. Dort wurde unlängst die Wertschätzung der Wissenschaft ganz und gar aufgegeben und ein Verteidigungsministers Guttenberg für außergewöhnlich gut befunden, nachdem er eine Dissertation versucht hatte, die zusammengestohlen war. Für eine Ministerin Schavan, die ebenfalls plagiiert hatte und Amt und Titel nun los ist,  haben gar Spitzenwissenschafter in ihren Verbänden für eine unbegründete Milde insistiert.

In der Politik, sogar in der Wissenschaftspolitik ist es also ausdrücklich gefragt, die Wissenschaft zur Marginalie zu machen. Denn sonst gingen ja alle Argumente verloren, denen die Wissenschaft entgegen steht. Eigentlich sollte es darum gehen, den Zielspracherwerb zu fördern. Dann ist der Umgang zwischen den Kulturen ein Kinderspiel und die Vielfalt zwischen den Kulturen ist einfach nur reichhaltig und gut. Schließlich kann man mittels der Sprache darüber befinden. Die verschrobenen Vorstellungen hinter dem völlig randunscharf gebräuchlichen Wort Integration verlieren ihren Gegenstand aus den Augen.

Aber: Es passiert einfach! Es ist alles schon da. Es gibt einen Grund zu sprechen: „Diversity and Inklusion“.