Journalismus anno 2025

Früher war der Journalismus mit dem Qualitätsmerkmal „Neutralität“ ausgestattet. Diese Idee wirkt bis heute fort. In der Praxis des Journalismus hat sich aber nach und nach ein vollkommen anderes Qualitätsmerkmal durchgesetzt, nämlich die „Allparteilichkeit“, die die emotionale Distanz durch eine einfühlsame Nähe zu allen Protagonisten ersetzt und damit beobachtbaren Sachverhalten eine humane Tiefe hinzufügt und insgesamt das Rezipientenverständnis erweitert.

Es ist wie im Theater, in dem der gute Vortrag durch das Erleben in der Rolle zu einem vertieften Erleben führt. Und es ist sogar wie in der Psychotherapie, in der der Therapeut erst durch eine Allparteilichkeit den beteiligten Menschen zu einem erweiterten und neuen Erleben tradierter Muster verhilft.

Ich sage das nur als kleinen Beitrag zu der Debatte um die jetzt mit dem Hanns-Joachim-Friedrichs-Preis ausgezeichnete ZDF-Korrespondentin Sophie von der Tann. Sie wird in einer Medienkampagne als „nicht neutral“ abgewertet, weil im Nahostkonflikt in ihrer Berichterstattung die Palästinenser bevorzugt werden und Israel zu kurz kommt. Dies alles mit dem Tenor, dass die Berichterstattung früher besser war. Diese Kritik entbehrt der Grundlage und hat die Idee der Allparteilichkeit nicht verstanden. Sie folgt einem überholten Deutungsmuster. Die journalistischen Beiträge von Frau von der Tann erweisen sich mir als wirklich rundum preiswürdig.

Israel lebt am Miteinander vorbei

Aus zurückliegenden Erfahrungen weiß ich, dass Israel über viele Jahrzehnte eher sozialdemokratisch, also wirklich demokratisch ausgerichtet war. Ich erinnere mich gar an ungezwungene Geselligkeit mit Juden und Moslems am gleichen Tisch mit gleichem Essen und gleichen Getränken. Mit den massiven Einwanderungen in der Zeit nach Gorbatschow und dem ideologischen Interesse wohlhabender Juden aus den USA, gab es eine Willensbildung, die die Schulen und die Armee als wichtige Sozialisationsinstanzen in Israel nicht mehr so richtig bewältigen konnten. Der immer schon rechtsextreme Netanjahu nutzte die sich daraus ergebenden Freiräume und Subkulturen in der Politik mit wechselnden Mehrheiten dubioser selbstgefälliger Parteien. Mittlerweile wird der israelische Rechtsstaat geschleift und der Politik angepasst. Die eher humansozialistischen Ideen aus der Kibbuzbewegung spielen kaum eine Rolle mehr.

Die Selbstverpflichtung Deutschlands, Israel bedingungslos beizustehen, ist historisch und praktisch sehr vernünftig. Mit der Politik im Fahrwasser Netanjahus ist allerdings die Voraussetzung nach und nach weggefallen, Israel beizustehen. Israel hat mit einer rassistischen und menschenverachtenden Innen- und Außenpolitik mittlerweile alle Kredite aufgebraucht. Aus dem Beistand ist eine Mitverantwortung geworden, die eine deutliche Sprache und deutliche Entscheidungen erforderlich macht, um eine gebotene Menschenfreundlichkeit für Israel insgesamt wieder herzustellen. Ob das gelingt, das ist mehr als fragwürdig.

Überraschend macht es Kanzler Merz richtig

In diesen Tagen, im August 2025, hat Kanzler Merz unerwartet doch noch geliefert, was sich alle Welt wünscht, nämlich einen Stop deutscher Waffenlieferungen an Israel ohne Federlesen. 

Ich bin übrigens auch der Meinung, dass der rechtsradikale israelische Ministerpräsident Netanjahu die Basis einer gedeihlichen Zusammenarbeit verlassen hat und wohl aus Eigennutz Katastrophen und den Tod  für bestimmte Menschen in seinem Einflussbereich heraufbeschwört.

Nun hat der Kanzler Merz das einfach so gemacht und es nicht einmal für nötig gehalten, mit mir zuvor über seine Absicht zu sprechen. Da dürfte ich nicht der Einzige sein. Er hat aber etwas Glück, denn ich teile – erstmalig übrigens – seine Entscheidung und sogar seine Erklärung. Da habe ich also nichts zu meckern. Sein politisches Umfeld ist da aber nachtragender. Da wollen sehr viele gefragt worden sein. Sie hätten ihn nicht zum Kanzler wählen sollen. Sie wollen ihn vermutlich gern an ihren Strippen durch die Richtlinienkompetenz des Kanzlers führen und selbst das Gefühl haben, den Souverän würdig zu vertreten. Wenn einmal etwas läuft, dann fühlt sich der Abgeordnete in seiner Selbstgefälligkeit so fürchterlich nutzlos, dass der Souverän selbst an der Mitverantwortung des Abgeordneten zweifelt.

Ich fühle in diesen Tagen geradezu meine innere Verbundenheit mit dem Souverän – und grüße Jean-Jaques Rousseau!

Israeli und Palästinenser

Israeli und Palästinenser haben sehr viel miteinander zutun:

Sie teilen nicht nur in kultureller Nähe eine Vorliebe für Falafel und viele andere Speisen und Getränke. Sie teilen auch das Land. Sie teilen sogar ihre Geschichte seit Sem, einem Sohn des Urvaters Noah, wie die jüdischen, islamischen und auch christlichen verbindlichen Texte es darstellen. Wenn man so will, sind Juden und Moslems also allesamt Semiten. Insofern wäre der immer wieder aggressiv polarisierend diskutierte Antisemitismus als ein Angriff auf Israeli wie auch auf Palästinenser zu verstehen.
Der Staat Israel ist aus einer langen Sehnsucht der Juden nach ihrem eigenen Land auf historischem Boden entstanden, dann aber schließlich aus der Not anlässlich des Holocaust in Deutschland auch eingerichtet worden. Die ursprünglich entspannte Situation zwischen den Völkern in Palästina zum Beginn des 20. Jahrhunderts findet man auch heute noch in vielen nachbarschaftlichen Begegnungen. In Jugendbegegnungen und Kulturprojekten wachsen Freundschaften.
Die Situation hat sich trotzdem zugespitzt in einem Kampf um Ressourcen. Der verfasste jüdische Staat Israel hatte dabei die wirksamen Mittel, das Leben der Juden im eigenen Staat mit Ressourcen auszustatten und zu etablieren. Die soziale Lage war schließlich der Anlass, mit Widerstand für die Rechte und den Wohlstand der Palästinenser zu sorgen. Erfolgreich war dieser Widerstand eigentlich trotz aller Radikalisierungen nie. Die Strategie Israels war es immer, mit unmittelbarer Vergeltung das an sich doch sehr kleine Staatsgebiet zu sichern und in gewaltreduzierten Zeiten und Gebieten die Infrastruktur so herzurichten, dass eine autonome Entwicklung eines palästinensischen Gemeinwesens nicht möglich war. Wenn also – um es an einem Beispiel deutlich zu manchen – ein Palästinenser Gemüse für den europäischen Markt anbaut, braucht lediglich sein Weg zum Flughafen aus vermeintlich übergeordneten Interessen blockiert werden, damit er nach sehr hohen Investitionen kurzfristig in der Insolvenz endet.
Die israelische Politik hat auf internationalen Druck Zugeständnisse in der Autonomie gemacht, aber stets die Infrastruktur so kontrolliert, dass sich autarke palästinensischen Gemeinwesen nicht entwickeln konnten. Irgendwann wurde dann die militärisch-politische Palästinenservertretung Fatah nach einer Wendung zur Friedfertigkeit zum akzeptablen Gesprächspartner, dies aber freilich nicht unter Aufgabe der israelischen Militärdoktrin und der wirtschaftlichen Infrastrukturkontrolle. Hamas füllte das Vakuum und setzte den grundlegenden Widerstand der Fatah fort, während sich die politische Spitze der Fatah irgendwie mehr oder weniger wohlständig etablierte, ohne allerdings die Mehrzahl der Palästinenser auf diesem Weg mitzunehmen. Das Konkurrenzverhältnis von Fatah und Hamas entwickelte sich immer extremer. Es verbirgt sich allerdings häufig hinter einer gemeinsamen Feindschaft gegenüber Israel, die mittlerweile als kleinster Nenner aller Moslems der Region gilt. Die Konkurrenz ist so extrem, dass sich die Parteien sogar die für Palästinenser reservierten Autonomiegebiete teilen. Auf diese Weise wurde Hamas zur herrschenden Kraft im Gazastreifen, einem sehr kleinen und völlig überbevölkerten Landstrich. Eine Gemeinsamkeit der beiden Bewegungen zur Ausgestaltung Palästinas zum Staat findet trotz vieler Versuch bisher nicht statt. Im Gazastreifen geht es nicht demokratisch zu, weil eine Vielfalt politischer Meinungen und Parteien bisher nicht entwickelt ist und sich wohl auch nicht entwickeln kann, wenn Hamas die Szene militärisch beherrscht und das militärische Handeln zudem allein schon räumlich unmittelbar mit dem Leben der Menschen verbunden ist.
In der zugespitzten aktuellen Situation erfährt Israel deutlich, dass die Doktrin der durchgreifenden Kampfhandelns bei Angriffen die Verhältnisse nicht zum Besseren wendet. Hamas kann nach alledem auch nicht überrascht sein, dass Israel mit aller Kraft zurückschlägt. Hamas erzwingt die Toleranz und Zustimmung der Bevölkerung, die einfach nur den menschenwürdigen Frieden haben will, aber ausweglos gebunden und ausgeliefert ist. Hamas sollte sich allererst für ein vielfältiges Gemeinwesen mit politischer Willensbildung stark machen und damit eine Selbstbestimmung der Palästinenser auf den Weg geben. Angesichts des beidseitig zu verantwortenden Massensterbens bleibt es allerdings fragwürdig, ob sich die Hamas – vielleicht nach dem Vorbild der Fatah – wandeln kann und will, zumal sie hauptsächlich ideologisch und materiell durch die Moslembrüder aus Ägypten und die Herrscher Katars belebt wird und ihre Existenz bereits durch Friedfertigkeitsversuche aufs Spiel setzen würde.
im Gegensatz zum Gazastreifen verfügt Israel über eine demokratische Willensbildung, die allerdings in ständiger Angst und mit einer bestimmten Geschichte auch nicht so einfach mit friedfertigeren Impulsen fortgeschrieben werden kann. Jeder Israeli kennt persönlich Menschen, die zu Opfern von Attentaten wurden. Angesichts eines nicht endenden Raketenbeschusses und wildester Tunnelgraberei unter der Grenze neigt auch der wohlwollende Israeli dazu, damit mit allen Mitteln ein für alle mal Schluss machen zu wollen. Weil die Hamas unendlich nachgerüstet wird, ist so ein Erfolg aber wohl unrealistisch.

Aktuelle Proteste in anderen Ländern weisen zurecht darf hin, dass es so nicht weitergehen kann. Einseitige Stellungnahmen, die offenbar überwiegen, die also einen der Kontrahenten verurteilen und den andern loben, sprechen eigentlich für die Gewalt, die zum Problem geworden ist. Das Szenario wirkt in diesen Tagen insgesamt wie eine fast weltumspannende Kampagne gegen „die Juden“. Der Einsatz von Kindern bei diesen Protesten zeigt, dass für eine weltweite Stimmungsmache jedes Mittel Recht ist. Die Kinder werden instrumentalisiert, wie offenbar auch mit mehr oder weniger Druck zahlreiche Exilpalästinenser und Moslems unterschiedlicher Herkunft. Mit dieser Art des Protestes werden die Bürgerrechte extensiv ausgenutzt. Es wird nicht nur dazu aufgerufen, im Namen der Menschenrechte die Menschenrechte des eingerichteten Feindes zu unterbinden, es werden eben auch die Rechte der eigenen Kinder derart unterlaufen, dass es an einen Missbrauch des Sorgerechts grenzt, wenn Eltern ihre Kinder für so einen Protest auflaufen lassen.

Der Protest meiner Wahl wäre die öffentlich exponierte Präsentation einer Nähe zwischen Juden und Palästinensern als Semiten, wie ich sie selbst aus Israel und Palästina kenne und wie es sie vielerorts auf der Welt gibt.

Macht das doch einfach mal!