Meine Rechtschreibung

Rechtschreibung ist geschichtsvergessene Konvention – nicht mehr. Alles, was neu ist, kommt nicht aus der Rechtschreibung selbst, sondern aus der Missachtung der Rechtschreibung. Zum Glück ist eine gezielte Missachtung ab und zu auch dabei.

Mit der Rechtschreibung habe ich zudem noch ein nicht unbedeutendes Problem: Manchmal gibt es Wörter in zwei „richtigen“ Ausführungen, von denen ich aber meist nur eine Ausführung für richtig annehmen mag. Deshalb gehöre ich beispielsweise zu jenen, die dafür in Frage kommen, auf dem beliebten Schild „Türe bitte schließen“ mit einem x die Türe zur Tür zu machen. Denn genug ist genug. Türe würde ich lediglich in einer dem Reim verpflichtenden Lyrik als vollwertig akzeptieren, wenn es sich eben nur dadurch reimt. Aber das macht der Dichter schon autonom, auch ohne sich um die Rechtschreibung zu kümmern. Dieses Ausdenken von Reimen hat beispielsweise Heinrich Heine perfektioniert, ohne die Rechtschreibung oder die Verständlichkeit zu schädigen, weil er aus seinen Findungen keine Allgemeingültigkeit ableitet, aber die Verständlichkeit trotzdem im Blick behält.

Finale Verhöhnung

Ich halte ja sehr viel davon, wenn der sprechende Mensch sich nicht nur reproduzierend weiter entwickelt. Er sollte sicher auch durch Spracherfindungen und modifizierte Sprachverwendungen Aufmerksamkeit erarbeiten – solange er im Sinn hat, sich irgendwie verständlich zu machen. Ist der innovative Sprachgebrauch erst einmal hörbar verständlich, ist er für den allgemeinen Sprachgebrauch freigegeben. Eine (kulturelle) Aneignung gibt es im Sprachgebrauch per se nicht, sonst gäbe es ja ein Patent für ein Wort und wir würden fortan stumm agieren.

Es bedarf allerdings einer gewissen Aufmerksamkeit, wenn scheinbare Sprachinnovationen werbewirksam vermittelt durch Massenmedien von oben in den Sprachmarkt gedrückt werden. Dadurch werden Sprachentwicklungen scheinbar und mit autoritärer Absicht umgangen. Dagegen sollte man sich wehren.

Ein Beispiel:
Der Plural von Finale lautet Finale. Daran kann man sinnvollerweise nicht rütteln. Jetzt gibt es „Die Finals“, eine publikumsnah ausgerichtete Sportveranstaltung, bei der – medial gewollt und gefördert – in einem kurzen Zeitraum die deutschen Meisterschaften sehr vieler unterschiedlicher Sportarten in der Öffentlichkeit stattfinden, also tatsächlich dort, wo die Menschen eh schon sind. Diese Veranstaltungsform finde ich gut und längst überfällig. Dass es nicht „Die Finale“ heißt, ist aber nicht begründet. Es liegt wohl daran, dass sich Werbetexter nur noch in der englischen Sprache wohlfühlen. Damit disqualifizieren sie sich aber für ihren Job und verkaufen ihren mutmaßlich naiven Auftraggebern, dass es so sein müsste. Ich kann beim besten Willen keine Innovation in „Die Finals“ ausmachen, bestenfalls eine arroganter Verhöhnung des Publikums, gleichgültig, ob man den deutschen oder den englischen Zungenschlag verwendet.

Ai Weiwei packt die Koffer

GermanEatArt

Als großer und sensibler Künstler unserer Zeit durfte Ai Weiwei irgendwann die Drangsal in seiner chinesischen Heimat verlassen. Das gilt wohl dauerhaft. Berlin war der Zufluchtsort seiner Wahl. Immerhin gilt Berlin ja auch nicht zufällig als Metropole der Entfaltung und des innovativen Geschmacks. Aber – wie das so ist – auch in Berlin ist nicht alles gut. Und sogar auch die Entfaltung hat Widersacher. Ai Weiwei stört sich daran nicht, sondern ausdrücklich an so etwas wie konkrete Taxifahrer mit fragwürdiger Weltanschauung und übergriffigem Argumentationsgehabe und einem dazu passenden Deutschland, das ihm tatsächlich nicht offen für Innovationen vorkommt. Von Taxifahrern der beschriebenen Art gibt es sicher eine Menge, auch in Berlin. Gleichwohl ist – dies nur als Beispiel – die Spekulation mit Wohnraum das weitaus größere Problem in Berlin, wenn man denn damit konfrontiert wird. In der Lebenswelt Ai Weiweis war es nun der eine und andere Taxifahrer. Um das Wesen der Deutschen zu ergründen hätte er sicherlich auch etwas mehr Zeit und einen gehörigen Blick in die Tiefe investieren müssen. Wenn Ai Weiwei nun ankündigt, den Ort zu wechseln, dann kann man nichts dagegen sagen. Wenn er allerdings den Beweggrund ohne Blick auf die Fülle urbanen Lebens von bestimmten Taxifahrern ableitet, dann klingt das aber etwas armselig und erscheint als Lösungsversuch am falschen Objekt.

Wer hypersensibel leidet und als Lösung den Ort wechselt, der kann das machen, verfehlt aber auf Dauer ein pragmatisches Glück. Da bin ich ziemlich sicher. Oder packst du auch die Koffer?

Ai Weiwei sagt ja: „Wer sein Ziel kennt, ist kein Flüchtling mehr.“ Er zeigt uns allen deutlich, dass er als ewiger Flüchtling agiert und nicht so ganz heimatfähig sein will. Es wäre schade, wenn es nicht doch ein Geschäftsmodell für herausragende Artisten ist.