Auf der Lichtung

Im Licht der Freiheit betrachtet, braucht der demokratische Staat keine Monarchie. Manche Länder leisten sie sich trotzdem als historischen Zopf, der prunkvoll die nüchterne Sachpolitik dekorativ anrichtet. In demokratischen Verfassungen haben solche Monarchien nie eine entscheidende Bedeutung. Sie sind nur zum Schein eingebunden und ersparen ein gewähltes Staatsoberhaupt. Es wäre insgesamt ebenfalls prunkvoll aber auch sachgerechter, würde man Schützenfeste oder Ritterspiele als Festtage im Jahr verankern und damit an die Vorgeschichte der Demokratie erinnern. Damit würden dann Könige als Bürger mit Wahlrecht ausgestattet.

Und so stapfen nun Meghan und Harry Windsor nach ihrer Selbstbefreiung aus einem mit Geld beatmeten Königshaus durch die schöne Welt. Sie lernen den Zufall kennen und zeigen kleine bürgerliche Attitüden. Sie leben aber notgedrungen von ihrem Kapital, irgendwie extraordinär und einfach durch ihre Existenz wertvoll zu sein. Sie fallen also doch nicht so ganz aus der Rolle. Sie geben ein Interview zur besten Sendezeit und berichten zunächst ein Kapitel aus dem endlosen Fundus ihres sagenumwobenen Lebens. Danach können sie wieder für eine Weile sorgenfrei die Grenzen ihres Wohnanwesens ausloten und den Kindern wohlmöglich Spielgefährten dorthin einladen, die dann prompt das Königliche suchen würden, das ja eigentlich bereits aufgegeben war.

Es gibt auch Königinnen, die mit dem Fahrrad Brötchen holen oder für Zwerge kochen. Alles zwecklos … So einfach wird man das alles wirklich nicht los. — Und stets berichtet die Presse darüber und erinnert uns tagtäglich an die Vorkommnisse im Hochadel.

Neomarianer

Maria 2.0 will die Demokratie in die Katholische Kirche tragen. Nun ist es ja vor allem auch erstrebenswert, die Demokratie in die ganze Welt zu tragen. Aber warum sollte man damit in einer Organisation des Religiösen anfangen, die von altersher und absichtsvoll auf Ewigkeit theozentristisch ausgerichtet ist und damit keine Handhabe bietet, irgend etwas demokratisch zu ändern?

Ich meine, dass man für eine beabsichtigte Wirkung doch eher Orte aufsuchen müsste, die grundsätzlich wenigstens einigermaßen für demokratische Bestrebungen empfänglich sind. Die im Grunde lobenswerten Initiativen von Maria 2.0 werden unter Demokraten ja gut geheißen und deshalb auch öffentlich beachtet. Das Objekt der Initiative, die Katholische Kirche, kann sich bei dem Angriff der Neomarianer nur wegducken, rechtfertigen oder auflösen, wenn sie ihren Kern nicht verlieren will.

Wie wäre es denn, eine andere Organisation aufzusuchen oder eine neue zu gründen, die Theologie, Demokratie und Glaube im Portfolio verbindet? Das könnte uns ersparen, die Katholische Kirche stärker zu beachten als es ihr zusteht. Das könnte uns aber gleichfalls ermöglichen, die Welt praktisch zu verbessern.

Ich bin sogar der Meinung, dass Maria 2.0 – wenn auch unbeabsichtigt – den Zustand der Katholischen Kirche auch in der Peripherie verhärtet und zementiert. Warum machen die das? Mir ist es ein Rätsel.

Weihnachtsfreuden

„Harter Lockdown ab Mittwoch“
(Zitat aus den Schlagzeilen vieler Zeitungen)

Die Wochenenden der Adventszeit sind für den Handel die wichtigste Zeit des Jahres. Er macht an diesen Tagen den größten Umsatz. Manche Branchen leben allein vom Weihnachtsgeschäft.

Die Verkäufe dieser Zeit fallen nun weg, weil die Coronalage so prekär ist, dass alles an Geselligkeit entzerrt und stillgelegt wird, was die Infektion mit Viren begünstigt. Gerade das Weihnachtsgeschäft ist voller zufälliger und unplanbarer Begegnung wildfremder Menschen. Und der Virus hat dabei beste Gelegenheiten zu einem Hopping von Wirt zu Wirt.

Endlich haben wir Ruhe vor dem Weihnachtsgeschenkerummel, vor Bratwürsten in Lebkuchensoße, vor der grenzenlosen Auffächerung unbedeutender dem Weihnachten wahllos zugeordneter Objekte für Deko- oder Geschenkzwecke in irgendwelchen Buden. Wir verzichten auf die Menschenmassen in den Innenstädten, die ihr sauer verdientes Geld zu Grabe tragen, nur weil das Fest vor der Tür steht. Wir verzichten auch auf Fahrten durch die Dämmerung, um in überfüllten Wohnungen mit Omas und Opas unsere Mägen zu überfüllen, dort quäkenden Kindern die frische Luft für den nächsten Tag zu versprechen und mit der Schwägerin zu zanken, während Oma sich einen Weg durch Bauklötze und Geschenkpapier bahnt.

Wir haben bereits jetzt die Ruhe vor dem Sturm, der aber diesmal ausfällt. Wir haben ja über viel Jahrzehnte beklagt, dass die Festvorbereitungen uns so sehr viel abverlangen, dass wir an den Feiertagen selbst ein bisschen zu kollabieren drohen. Und wir haben mit Sorge gesehen, dass eine Weihnachtstradition Jahr für Jahr durch sinnlose Elemente angereichert und aufgeblasen wird. Es sind Elemente, die wir ganz schnell in die Tradition einvernehmen, so als wären die Wettbewerbe mit illuminierten Häusern eine direkte Folge eines Lebens an der Krippe des Heilands mit Esel und Schaf unter dem Licht des Mondes.

Nach meinem Geschmack kommt der aktuelle Bruch in der Weihnachtswelt zum richtigen Zeitpunkt. Ich habe mir nichts anderes gewünscht. Allerdings kommt der Anlass leider nicht als Neubesinnung aus der Weihnachtswelt selbst, sondern aus der aktuellen Gefährdung einer Virenpandemie.

Wenn wir nun nichts einkaufen, was wir zum Fest glauben haben zu müssen, dann sind wir doch auch reich und zudem auch etwas gleich. Weihnachten wird billiger. Daran können nun sehr viel mehr Leute standesgemäß teilnehmen. Wir können frei über unser materielles und immaterielles Vermögen verfügen, ohne es unter Bäume zu legen. Wem der eine oder der andere Dealer leid tut, kann ihn sogar vom eingesparten Geld finanzieren. Ich sehe aber eher die Möglichkeit, dass der Handel mit Waren, die der Mensch nicht braucht, auch ersatzlos einschlafen kann. Er existiert ja auch nur, um den Menschen drei Staubsauger und fünfzig Paar Schuhe zu verkaufen, obwohl sie ja nur einen Staubsauger und drei Paar Schuhe brauchen. Warum sollte ich in der vorletzten Adventswoche zum Herrenaustatter gehen mit anschließendem Seelebaumeln auf dem Glühweinstrich? Ich habe gerade mal überlegt, an welche Weihnachtsgeschenke, die ich bekommen habe, mich noch erinnere. Da fällt mir wirklich nicht sehr viel ein. Vor allem aber fällt mir ein Zusatzminischraubenzieher mit dem Kaufpreis von 1 DM für mein Taschenmesser ein, den meine Kinder mir gemeinsam zu Weihnachten geschenkt habe, als sie noch ziemlich klein waren. Das Messer habe ich  heute noch mit allen Funktionen ständig in Gebrauch. Es hat sich vom Weihnachtsfest gelöst.

Ich glaube, wir brauchen eine virenunabhängige Neuausrichtung des Einzelhandels, der fortan von den existenziell wichtigen Produkten lebt und die schöne Welt des Weihnachtsscheins für ein jederzeit verzichtbares Zubrot verkauft. Es wäre nicht zuletzt auch krisensicher, auf Gewinnanfälligkeit zu verzichten. Der Einzelhandel gründet seine Expansionen zu sehr auf die Vereinnahmung lästiger Konkurrenten mittels weitläufiger Glitzerwelten und staatlichen Hilfen, wenn der Riese dann strauchelt. Nachdem bereits bemerkenswert viele Arbeitsplätze in feindlichen und freundlichen Übernahmen vernichtet wurden, droht der angefressene Riese gern mit der Insolvenz und dem Verlust von Arbeitsplätzen. Leute, die beispielsweise einmal einen der sinnlichen Arbeitsplätze im Buchhandel hatten, können ein Lied davon singen und wenden sich vergrämt dem Onlinehandel zu, für ein gutes Buch zum Fest.

Entzauberte Weihnacht

Ich bin dabei …

Als Kind glänzten mir wahrscheinlich auch die Augen, als ich auf dem Arm von Vater oder Mutter auf die brennenden Kerzen und das silberne Lametta geguckt habe. Später kamen noch selbst gebastelte Sterne aus Strohhalmen dazu. Damals waren Strohhalme ausschließlich aus Stroh. Die Omas kamen zu Besuch. Es wurde eine Schippe Kohlen extra in den Ofen geschoben und alle freuten sich auf ein sehr gutes, leckeres und reichhaltiges Essen. Dann wurden aber zunächst in endlosen Strophen Weihnachtslieder gesungen. Die eine Oma hatte ein erstaunlich umfangreiches Repertoire und ich konnte bei der Gelegenheit sogar meinen Vater singen hören. Das gab es nur an Weihnachten. Über das warme und leckere Leben hinaus habe ich mich daran gefreut, dass mit der einen Oma sogar deren Fernseher im Auto meines Vaters abgeholt wurde. Weihnachten war also Fernsehzeit. Dann gab es noch Geschenke. In einem Jahr war das Schenken für mich einfach. Ich hatte zufällig einen Vetter meines Vaters getroffen, der mir unverhofft und sagenhaft 10 Mark für Weihnachtsgeschenke gegeben hatte. Meine Mutter bekam also Kölnisch Wasser und mein Vater ein Päckchen seiner Zigarettenmarke. Sonst bekam von mir niemand ein Geschenk. Das war eben so. Dann gab es aber Geschenke von den Erwachsenen an die Kinder. Es waren Spielsachen und auch ein paar Wintersachen, die man wohl auch ohne Weihnachten bekommen hätte. Ganz verrückt war ja, dass man als Junge so etwas wie Schokoladenzigaretten und andere Süßigkeiten bekam. Die Spielsachen haben mich sehr lange begleitet und mir Freude gemacht. Mit 5 Jahren bekam ich so einen „Stabilbaukasten“ mit Metallteilen, Rädern, Achsen, Schrauben usw. Mein Vater hatte einen Schraubenzieher dazu gelegt, der wohl besser war, als der dazugehörige. Ich habe ihn heute noch griffbereit auf meinem Schreibtisch. Späterhin machte mir Weihnachen im Vorfeld zu schaffen. Ich habe mit mehreren Einkaufslisten täglich mehrere lange, mühsame Wege mit einer Einkaufstasche laufen müssen. Allein 2 Liter Milch in der Glasflasche waren so schwer, dass ich zum Tragen ständig die Tasche absetzen und die Hand wechseln musste. Zwischendurch habe ich dann alle Schuhe geputzt oder dann irgendwann eine Kanne Öl für den Ölofen im sonst ungeheizten Wohnzimmer geholt. Die Kirche spielte an Weihnachten eigentlich keine Rolle. Mein Vater hatte in der Kriegsgefangenschaft vollgefressene und predigende Pfarrer erlebt und mit dem Glauben wie auch mit dem Militär abgeschlossen. Das beste Erlebnis in der Weihnachtszeit waren die Essener Lichtwochen. Da lief die Familie staunend durch die ganze Stadt, bewunderte die thematisch aus Glühbirnen und Metallschienen gestalteten Lichtbilder und landete zum Abschluss am Limbecker Platz an einer Wasserorgel. Es war nicht überlaufen, obwohl die Besucher von weit her kamen. Dort spielten Weihnachtslieder, zu denen bunt angestrahlte Fontänen sich rhythmisch bewegten. Manchmal war auch eine Operettenmelodie dabei. Zu Hause gab es dann noch eine Tasse mit warmer Milch mit einem Butterbrot. Als ich dann älter wurde, gab es immer weniger Spielzeug und aber auch immer mehr Kleidung. Ich war 12 Jahre, als mir dieser Wandel zum ersten Mal sogar gefiel. Ich hatte mich – auch entwicklungsbedingt – gewandelt. Damit einher lief eine Entzauberung des Weihnachtsfestes. Ohnehin notwendige und verfügbare Kleidung hat ja auch nichts mit Weihnachten zu tun, wenn man einfach mal von den musikgeladenen Elchsocken absieht, die ich einmal unter weitgehend fremden Leuten aus aller Welt erwichtelt habe.

Die Zwischenbilanz: Das Thema Weihnachten hatte ich so mit 18 Jahren zufriedenstellend bewältigt.

Doch dann kam Weihnachten zu mir zurück. Eingebunden in soziale Lebenswelten kann man sich dem nicht entziehen. Die eigenen Kinder wurden beschenkt. Ab und zu gab es hinter dem Haus eine Lichterkette. Und weil an den Tagen ohnehin alle frei hatten und man rechtzeitig einkaufen musste, lud man auch gleich die Verwandten ein, für die sonst wenig Zeit blieb. Dann wurde der Weihnachtsmann gegen das Christkind platziert und er kurbelte die Geschäfte an. Weihnachten wurde mit zahlreichen untraditionellen Elementen ausgestattet, blinkendem, buntem Licht und dem Geruch von Printen und anderem süßen Naschwerk, der seinerseits im Geruch von Bratwürsten und exotisch aufgemachten Kartoffeln in Alufolie versank. Der Weihnachtsmarkt war geboren und erinnerte mit bewegten Pappfiguren am Rand an die ergreifend würdevolle Armut der Geburt Christi. Es gab verkaufsoffene Sonntage und die Paketboten schufteten sich krank und arm durch das Leben. Auch im Fernsehen brannten viele Kerzen und jeder Musiker hatte dort einen würdevollen Beitrag, den Konsum zu verkleistern. Die Trendartikel der Elektronikbranche gingen gut weg. Rezepte mit Weihnachtsausrichtung überschwemmten die heimische Küche und dekomäßig musste eh alles stimmen. Keine Serviette war ohne aufgedruckte Rentiere und Tannengrün weihnachtswürdig. Und die armen Menschen spendeten für die noch ärmeren Menschen in der Welt und ließen die Charitybewegung auf dem Weihnachtstrittbrett aufblühen wie noch nie.

Ich bin ja fest der Meinung, dass die Entwicklungen der letzten 50 Jahre wohl unvermeidlich waren, dass sie aber in keiner Weihnachtstradition stehen. Man darf es sich nicht so leicht machen, dass man die eine oder andere Wiederholung für Tradition hält, nur weil sie sich gut rechnet. Selbst der gute Tannenbaum, ein Kernpunkt aller Feierlichkeiten, der in großen Städten heutzutage gigantisch hoch aufgeschichtet wird, wurde erstmals im 19. Jahrhundert erwähnt.

Jetzt – AD 2020 – erfordert der Coronavirus die Vernunft, zwischenmenschliche Kontakte zu reduzieren, um Menschenleben zu retten. Vom Weihnachtsfest bleibt nur der Kern zurück. Das ist nicht unsympathisch. Alle Weihnachtserrungenschaften der letzten Jahrzehnte sind jetzt der Nährboden für den Coronavirus. Weihnachten ist irgendwie abgesagt, weil jede Form von Geselligkeit tötet.

Mich ärgert sehr, dass sich Menschen dagegen wehren und ihr subjektiv gültiges Bild von Weihnachten unbedingt retten wollen, notfalls auch gegen Viren. Da hilft selbst beten nicht. Ich bin heilfroh, dass die grenzenlose Auffächerung von vermeintlichen und unbedeutenden Weihnachtsaccessoires ein Ende hat. Und ich bin geneigt, Weihnachten wieder neu zu entdecken.

Fröhliche Weihnachten! • AD 2020

Harry & Meghan

Es gibt eine Trennung in einer königlichen Familie.

Die aktuelle Aufführung von Harry und Meghan Sussex erinnert mich an eine Erzählung von Heinrich Böll. Sie heißt: „Nicht nur zur Weihnachtszeit“ und ist einfach zusammengefasst:

Die Mutter der Familie zelebriert ihr Weihnachten nach einem bestimmten Muster und alle ringsum machen mit. In der schlechten Zeit damals neigt die Mutter dazu, die Feierrituale zu verlängern und immer weiter zu verlängern, weil das ihr Glück immer wieder für einen Moment rettet. Irgendwann können die Schauspieler nicht mehr bezahlt werden, die die Plätze und Rollen der Familienmitglieder irgendwann einnehmen und am Ende sitzen nur noch Puppen am Tisch. Das Ritual überlebt die handelnden Personen. Alle Kinder gehen ihren Weg außerhalb der unendlichen Feierei.

Die britische  Königsfamilie lebt in einer weitgehend ritualisierten Welt, die in Traditionen gründet, die man besser nicht befragt. Sie werden begleitet von einer Hofberichterstattung, die darauf achtet, dass niemand mit Extravaganzen ausschert und das System und seine Gewinner gefährdet.

Da ist es doch vollkommen normal, dass Harry und Meghan mit ersten Erfahrungen in der Erwachsenenwelt nach Unabhängigkeit streben und ihr eigenes Ding machen. Da will man ihnen respektvoll nicht einmal vorschreiben, wie das eigene Ding auszusehen hat.

Ich vermute, sie machen es goldrichtig, obwohl es ihnen letztendlich unmöglich sein wird, vom Gold und anderem Reichtum wegzukommen und wirklich eigenständig zu sein. Das ist eine schwere Hypothek. Vielleicht gelingt es ihnen ja, ihr Vermögen auf dem Weg zur unbedingten Freiheit runterzudampfen.

Affen im Krefelder Zoo sind in der Silvesternacht verbrannt.

Wer Tiere einsperrt, braucht dazu eine Rechtfertigung. Die Rechtfertigung in der Zoobewegung hat zur historischen Grundlage vor allem, eine Exotik fremder Welten in einer Zeit einzufangen und zu präsentieren, in der man nicht einmal eben durch die Welt reisen konnte. Die Rechtfertigung wurde jeweils im Zeitgeist ausgebaut und gibt heute vor, Arten zu erhalten. Im Jahr 1966 hat noch der Zoodirektor aus Duisburg mit dem sinnfälligen Namen Dr. Gewalt ohne Gewissensbisse auf einen Belugawal im Rhein geschossen, der sich nur etwas verschwommen hatte. Dass man alle Arten von Tieren wirksamer in ihren natürlichen Lebenswelt fördert und erhält, das ist die Gegenthese, die die Zoobewegung bis heute nur zögerlich aufnimmt. Manche Zoos leisten sich deshalb kleine Projekte in der Heimat bestimmter Tiere. Gegen die Einstellung der dämlichen, aber einträglichen Delfinshows hat man sich gewehrt, bis sie selbst vom Zeitgeist geächtet worden sind. Es tut sich etwas, aber wenig. Man merkt das, wenn süße(!?) Tierbabys für das Publikum aufbereitet und durch die Medien getrieben werden.

Neben der Rechtfertigung gibt es aber auch eine erhöhte Verantwortung für Gefangene. Jedes Gefängnis hat einen Notfallplan. Dem schlimmste Verbrecher würden die Türen geöffnet, bevor er verbrennt. Bei dem Wesen nach stets unschuldigen Tieren kann das im Prinzip nicht anders sein. Es gibt allerdings die Erschwernis, dass exotische Tiere in der Freiheit nur selten überlebensfähig sind und aber auch von Fall zu Fall gefährlich sein können.

Ungeachtet der Rechtfertigung gibt es auf der Ebene der Verantwortung die Frage, was man hätte tun müssen, um den Tod vieler Primaten im Krefelder Zoo, mutmaßlich verursacht durch Silvesterfeuerwerk, zu vermeiden. Eigentlich muss es unmittelbar benachbarte Ausweichquartiere geben, die im Fall eines Brandalarms automatisch für die Tiere zugänglich werden. Das klingt aufwändig und teuer, ist es aber nicht, wenn es um ein Leben geht. 

Ich bin gespannt, wie die Zoos nun reagieren.

Aktualisierende Ergänzung:
In der Pressekonferenz mit Polizei- und Zoovertretern am 1.1.2020 ergibt sich, dass wider Erwarten zwei Schimpansen verletzt überlebt haben. Über 30 Tiere sind aber tot. Als Ursache des Brandes wird zunächst eine Himmelsfackel angenommen. Diese Fackeln fliegen relativ weit und sind verboten. Das abgebrannte Gebäude war aus den 70er Jahren. Ein herkömmlicher Brandmelder funktioniert dort wegen der Staubentwicklung nicht und ist auch nicht vorgeschrieben. Es gab also nur eine Sicherung durch nachts patroullierendes Personal.

FAC SIMILE

Am Jahresende überlegt man bisweilen auch, wie die Zeit vergeht.

In dem Zusammenhang denke ich an meinen Faksimilestempel. Er ist aus den Stempelzeitalter und alle Menschen zeigten damals Stempeln gegenüber eine hohe Wertschätzung. Eine ganz besondere Wertschätzung hatten Dienstsiegel und Faksimilestempel, also Stempel mit einer echten Unterschrift, obwohl eine Stempelung ja streng genommen gar keine echte Unterschrift ersetzen kann. Es was Anfang der 80er Jahre, als ich ihn bekam. Das ist ja noch nicht so lange her. Er wurde ganz besonders registriert und sollte verschlossen aufbewahrt werden. Ich hatte den Stempel, um Unmengen von Briefen mit meiner persönlichen Unterschrift zu versehen. Die Zeiten haben sich damals schnell gewandelt und die Unterschrift wanderte in den PC. Dieser Wandel war bedenklich, weil die Unterschrift das ist, was einem auch dann gehört, wenn man gar nichts mehr hat. Aber dieser Bedeutungsschwund galt ja auch eigentlich schon für meinen Faksimilestempel. An den Faksimilestempel wurde ich dann 30 Jahre später erinnert, als mein Arbeitgeber fast schon entschuldigend seine ausgegebenen Faksimilestempel wieder einsammeln wollte. Wo meiner war, wusste ich auch nicht. Aber weil ich ja nichts wegwerfe, werde ich nun mal gucken, wo er ist. Ich bin hoffnungsfroh, ihn zu finden. Heutzutage haben Stempel bestenfalls eine dekorative Bedeutung und dienen dem Kinderspiel. Selbst Briefe vom Finanzamt gelten ohne Unterschrift. Mit der Zeit hat sich doch ne ganze Menge geändert, dafür wiederholt sich das Fernsehprogramm stetig.

Mein Gruß geht in die Welt …

Gott ist überall

Der Berliner Fernsehturm ist ja ein Wahrzeichen sozialistischer Überlegenheit. Für die Verkleidung der Kugel wurde allerdings seinerzeit ganz heimlich rostfreier Edelstahl aus dem anderen Deutschland verbaut. Seitdem erscheint bei Sonneneinstrahlung ein Kreuz auf der Kugel, das immer wieder gern christlich und als Makel des sozialistischen Wahrzeichens interpretiert wird. Mit etwas Anstrengung kann man es sogar sehen. Es soll vor der deutschen Wiedervereinigung Versuche gegeben haben, mittels einer Manipulation der Oberfläche des systemfremden Metalls die Erscheinung des Kreuzes zu verhindern.

Für diesen Effekt gibt es spezielle Filter für digitale Fotoaufnahmen. Man kann sich so ein Kreuz damit überall hin zaubern. Und dann ist Gott plötzlich überall …

Um von Tradition reden zu können, dauert es meist länger

Aus dem Zentrum für Türkeistudien und Integrationsforschung in Essen kommen in diesen Tagen Informationen, die den Autokorsos bei türkischen Hochzeiten eine kulturelle Deutung türkischer Lebenswelten hinzu fügen. Das ist – wenn ich es richtig verstehe – so ähnlich, wie mit dem mittlerweile abgeschafften öffentlichen Aufgebot bei Hochzeiten in Deutschland – das aller Welt zu verstehen geben sollte, dass Braut und Bräutigam jetzt einen besiegelten Neuanfang einer Beziehung ohne eben die materiellen und emotionalen Beziehungslasten der Vergangenheit starten. Wenn man die öffentliche Diskussion um diese Autokorsos wirklich auf dem Hintergrund einer Kultur deutet, dann erscheint das alles als eine öffentlich bewegende Inszenierung, die zumindest in den angewandten Mitteln die Tradition verlässt, gleichwohl aus der Tradition ihre Rechtfertigung bezieht. Ein eher dörflich überschaubares Spektakel mit Fußgängern aus der großen Verwandtschaft, vielleicht auch noch Reitern und regionaler Festkleidung wird zum Donutfahren über alle Spuren der Autobahn mit Pistolenschüssen in den Himmel: „Seht, Mustafa und Aische kriegen für einen unvergesslichen Tag alles vorgeführt, was wir haben!“, nämlich gepflegte Autos und die Bereitschaft, die Autobahn zu sperren und abschließend noch einmal alle Waffen zu präsentieren und eigentlich für jetzt und immer alles zu geben.
Dagegen steht die Entwicklung vieler Gesellschaft, die Ehe und Familie privat werden lässt, in Deutschland ebenso wie in der Türkei. An den Hochzeiten der Fremden in der Nachbarschaft besteht kein großes Interesse mehr. Man ist da lediglich tolerant. Wenn man an den Rechtsnormen vorbei eine Privatschau abzieht, die meistens auch noch strafrechtlich zu verfolgende Elemente enthält, dann darf man nicht mit Zuspruch rechnen, nicht einmal mit Toleranz.

Das Werkzeug Auto gibt es seit etwa 100 Jahren. Der Tatort Autobahn ist noch neueren Datums. Traditionen sind Autokorsos sicher nicht, schon gar nicht, wenn sie strafrechtlich oder ordnungsrechtlich sanktionierte Elemente beinhalten.
Dass auch nichttürkische Hochzeitsgesellschaften hupend durch die Straßen fahren, ist auch nicht zu tolerieren und genauso wenig mit einer wirklichen Tradition zu belegen. Vor allem kann ein Fehlverhalten nicht genutzt werden, die Gleichheit vor dem Gesetz der Art einzufordern, dass man eben selbst einfach mal rumhupt. Wir geben uns unsere Rechtsnormen im Gemeinwesen selbst. Das ist ein guter Grund, sich daran zu halten. Wer bestimmte Normen nicht mag, aus welchen Gründen auch immer, kann sich für eine Gesetzesänderung engagieren. Das ist so vorgesehen.
Ich warte jetzt auf den Beerdigungskorso und den Kindergeburtstagskorso und äußere schon mal vorsichtshalber mein Desinteresse.

| Zigarre verpasst |

Ich mag Geschenke!
Seit verdammt vielen Jahren werde ich nun beschenkt. Ich sehe im Rückblick eine Entwicklungslinie des Schenkens, von der ich mich aber immer weiter entferne.

Die Geschenke und auch die tragende Philosophie des Schenkens haben sich so sehr gewandelt, dass ich alte Geschenke und neuere Entwicklungen so sehr beklage, dass ich immer mehr aus der Zeit falle, ohne mir aber die Freude an Geschenken nehmen zu lassen.

In meiner Kindheit waren Geschenke bescheiden. Deren Hauptzweck war – sehen wir einmal von den Sonderfällen der Bestechung und der Versorgung mit überfälligen neuen Kleidungsstücken ab – dass der Schenkende an einer Verbindung weiter knüpft, die ihn mit dem Beschenkten verbindet. Dabei waren und sind Einfühlsamkeit und aber auch Selbstdarstellung gefragt. Denn es geht ja immer um zwei Menschen, die ein Geschenk verbindet. Das Risiko bleibt dabei, dass die Verbindung nicht immer gestärkt wird, nämlich dann, wenn das Geschenk nur einem oder gar keinem der Schenkungsbeteiligten gefällt. Man hat in zurückliegender Zeit dann einfach gesagt: „Ach, das gefällt mir, Danke!“,  und alles blieb vorübergehend in Ordnung. 

Mittlerweile gibt es ja Geschenke auf Bestellung, die man in freiheitlichen Zusammenhängen sogar noch aus einer vorbereiteten Liste aussuchen darf. Das ist dann industriell eingedampfte Einfühlsamkeit und die Selbstdarstellung des Schenkenden bleibt gänzlich auf der Strecke. Die Beziehung zwischen den Geschenkbeteiligten ist dabei jedenfalls unwichtiger als der Rahmen, den das Geschenk kosten darf. Ein selbstgeschriebenes Gedicht, das manchmal lebenslang beglücken kann, steht auf solchen Listen kaum. Man kann auch alles bequem über einen Geschenkladen – gern auch online – abwickeln, der auch Anteilsscheine an größeren Geschenken verkauft. Wer so reich ist, dass ihm die Annahme von Geschenken peinlich wäre, der leitet die in Finanzströme konvertierten Geschenke ohnehin auf das Konto eines Anbieters im globalen Altruismusgewerbe und hat sich das lästige Unboxing und folgende Unannehmlichkeiten erspart. Das mache ich alles nicht mit! Auch Origamigeldscheine habe ich bei aller Unberechenbarkeit nicht im Portefeuille.

In meiner Kindheit waren noch Geschenke gern gesehen, die für Kinder aus der Erwachsenenwelt entlehnt wurde und heute als bösartige Manipulation gedeutet würden. Ich erwähne nur nebenbei den funkensprühenden Panzer, der ab und zu mit seinen Ketten über meine Bettdecke fuhr, wenn ich krank war. Als Kind bekam ich nicht selten Schokoladenzigaretten geschenkt. Die Geschenkindustrie und die korrespondierenden Geschenkmoden haben zwar ihre Zielgruppen im Griff wie nie zuvor, aber eine segensreiche Wirkung von Kinderzigaretten zu inszenieren, war dann wohl doch zu teuer. Man hätte ja auch gleich die gesundheitspolitische Debatte um das Rauchen für Erwachsene ausrotten müssen, um Kinderzigaretten gewinnbringend verkaufen zu können. Und nun ist die Schokoladenkinderzigarette ersatzlos vom Markt verschwunden und die echte Zigarette folgt ihr mit zeitlichem Abstand sogar gehorsam und ohne Qualm zu hinterlassen.

Ich erzähle das nur, weil mir in Kindertagen meine Oma zu Weihnachten gar Schokoladenzigarren geschenkt hatte. Sie waren so täuschend echt rekonstruiert, dass sie von echten Zigarren in ihrem gediegenen Kistlein nicht zu unterscheiden waren. Ich merkte dann aber bald, dass sie gar nicht aus Schokolade waren. Ich habe mich vorschriftsmäßig bedankt und die heiße Ware schmerzlos an meinen Vater weitergegeben. Enttäuscht war ich nicht. Meine Oma hatte sich eben geirrt. Aber sie war insgesamt irgendwie lustig, beanspruchte meine Toleranz aber bis zum Äußersten, als sie mir an meinen Cowboyhut Federn des verstorbenen Kanarienvogels annähte, um mir eine Freude zu machen. Heutzutage betone ich meine Seelenverwandtschaft mit den Indianern …