Die Grabpflege ist eine ursprünglich unbestrittene Aufgabe der Hinterbliebenen. Die Gräber waren für sie meist bodenständig und über Jahrhunderte gut zu erreichen. Das ist vorbei. Alle Bundesländer versuchen die gesetzliche Lage rund um die Friedhöfe und die Sorge der Hinterbliebenen an den Zeitgeist und auch an den Markt anzupassen. Die Schweiz und die Niederlande machen es vor, wie man heutzutage beerdigt und auch noch Geld daran verdient. Ohne Rechtsgrundlage, aber klammheimlich toleriert, werden die Friedhöfe zu Parks, während die Hinterbliebenen, die Asche des Verstorbenen mit genauer Ortsangabe auf Schweizer Almwiesen ausstreuen lassen und einen Erinnerungsschrein zu Hause pflegen. Die Grabgebühren und die Grabpflege werden gerade wegrationalisiert. Die Kommunen und die Friedhofsgärtner wollen sich freilich nicht aus dem Markt drängen lassen und suchen den politischen Einfluss als Lobby in den Länderparlamenten. Die Bestatter sind da eher in einer günstigen Position. Sie haben den angesichts eines verstorbenen Menschen verpflichtenden Leichenwagen und unterhalten grenzüberschreitende Kontakte, um die abenteuerlichsten Beerdigungen zu ermöglichen. In sofern sind sie Trendsetter zur Realisierung jedes letzen Willens. Derweil sind die Gräber auf den Friedhöfen Relikte, die sich durch eine neue Beerdigungskultur nicht mehr einfangen lassen. Man sieht vermehrt Gräber, die das ganze Dilemma gut dokumentieren. Offenbar sind Angehörigen immer noch gut in der Lage, eine würdige Beerdigung zu inszenieren. Der gute Wille, über viele Jahre sich um jemanden zu kümmern, der bereits verstorben ist, wird aber gern vom schnöden Alltag der Überlebenden ausgebremst. Dem Leben zugewandt, überlässt man gern das Grab im Laufe der Jahreszeiten dem maroden Charme des Vergänglichen. Die mobile Welt versprengt die lebensfrohen Angehörigen in alle möglichen Gegenden der Welt. Zum Grab kommen sie nur selten. Noch vor wenigen Jahrzehnten waren die Friedhöfe an Allerheiligen zugeparkt, weil es auch alle Angehörigen mit längeren Anfahrten auf den Friedhof drängte. Das ist vorbei. Die Parkplätze bleiben zum Totengedenken ziemlich leer.
Hier habe ich einmal willkürlich unter vielen ein Grab fotografiert, das die Relikte der Zuwendung zu einem einmal geliebten Menschen zeigt, das aber nach und nach mit dem Willen der Natur zugedeckt und eingeebnet wird. Nur der Name überdauert, bis die Friedhofsverwaltung auch die überdauernd bearbeiteten Grabsteine wegräumt.
Sie werden im besten Fall Rohmaterial für Steinmetze, meist aber für den Straßenbau geschottert.
Im Naherholungsgebiet Friedhof, der immer noch mit einem Zaun und einem Regelwerk eingefriedet ist, zeigen sich aber bereits Lücken. Das Tor für Leichenwagen und Arbeitsfahrzeuge für Gärtner steht eigentlich immer offen. Es hat sich eingebürgert, dass nun Grabbesucher häufig direkt an den Gräbern parken. Im Nebeneffekt wirkt das sehr behindertenfreundlich. Aber Behinderte parken dort meist nicht, andere doch manchmal mehrere Autos an einem Grab. Radfahrer, die ja auch schon die Bürgersteige erobert haben, nutzen den weitläufigen Friedhof ebenfalls als genehme Abkürzung und klingeln auch gern einmal Fußgänger beiseite, für die der Friedhofsbesuch eigentlich vorgesehen ist. Aber es gibt auf dem Friedhof hier einiges zu sehen. Es gibt beispielsweise eine groß Grabstätte für die Fans eines weltbekannten Fußballvereins der Stadt. Sie ist mit den Symbolen und Farben des Vereins ausgestattet und verfügt über zahlreiche urnengängige Fächer für die verstorbenen Fans. An einer anderen Stelle des Friedhofs wurde und wird weiterhin eine sehr große Siedlung mit meist begehbaren aber mit einem Schloss gesicherten Häusern gebaut, die als Gräber Verstorbener Roma, Kalderasch, Manuouches, Kalé, Sinti, Gitanos, Ashkali und andere dienen. Da wird betoniert und mit gediegenem Marmor verkleidet, verglast, geklempnert und gereinigt. Es wirkt irgendwie bombastisch fremd und gehört aber trotzdem in die Vielfalt, die einen Friedhof ausmacht.
[Spoiler: Ich habe interessengeleitet auf meinem Referenzfriedhof fotografiert und stelle das Ergebnis bei Interesse gern als PDF oder ePub zur Verfügung.]
Friedhöfe sind also lebhafter als man denkt und ein Ende ist nicht abzusehen. Sie haben einen Ewigkeitswert, obwohl gesellschaftliche Entwicklungen saisonal rücksichtslos veranstaltet werden.
Die Kriegsgräber sind an einer weiteren besonderen Stelle einheitlich angelegt und werden von der Friedhofsverwaltung gepflegt. Die Grabsteine sind kyrillisch beschriftet und mit Geburtstag- und Sterbedaten versehen und man hat unmittelbar eine Ahnung davon, was zwischen Leben und Tod so alles möglich ist.
Man kann den Ewigkeitswert von Grabstätten gut an jüdischen Friedhöfen ablesen, die in Jahrhunderten gedacht, immer mal wieder eingeebnet werden. Die Natur wird und darf unvermeidlich an Friedhöfen arbeiten. Die Aufgabe der Menschen bleibt es, die Erinnerungen zu pflegen und zu bedenken, wo wir her kommen. Die Namen auf den Grabsteinen sollten nach alter jüdisch-christlichen Tradition ein Ankerpunkt sein, die Geschichte(n) wach zu halten und aus Erfahrungen zu lernen. Die Lesbarkeit der Namen hat einen hohen Stellenwert.