Monströse Lichterfahrten

Wenn ich die dösigen Lichterfahrten der Monstertrecker durch die niederrheinischen Dörfer mit blinkenden Krippenlandschaften auf den Schaufeln sehe, dann nehme ich nur noch lärmende, stinkende und gleißende Emissionen war. Mit Weihnachten und Besinnlichkeit hat das wohl nichts zu tun. 

Wenn schon der Wegfall der Steuerbegünstigung für landwirtschaftliche Dieselfahrzeuge die Veranstalter nicht ausbremst, dann hat die Steuerbelastung ihr Ziel noch nicht erreicht. Man sollte wohl noch etwas mehr an der Steuerschraube drehen, bis der letzte Bauer seiner Selbstinszenierung den Zündschlüssel zieht.

Nachtrag am 6.1.2024:

Zwischenzeitlich sausen diese Trecker bundesweit über alle Straßen und blockieren bisweilen strategische Punkte, um ihre Forderung – es soll unbedingt alles beim alten bleiben – durchzusetzen. Mir dem Piratenakt am 4.1.2024 wurde die Frage aufgeworfen, die Bauern würden rechtsradikal unterwandert. Die Bauern hatten nämlich einen Schiffsanleger blockiert, um ein Schiff mit dem Wirtschaftsminister Habeck gegen den Polizeischutz des Ministers zu entern. Die These von der Unterwanderung schützt die Bauern vor der Verantwortung für das was sie machen. Sie erlaubt aber auch eine große Solidarität aller Demokraten zu denen sich auch erkannte Rechtsradikale strategisch zurechnen. Nach meinem Geschmack ist aber wohl eher der Vermutung nachzugehen, dass es tatsächliche rechtsradikale Bauernkreise gibt.

Eine Grenzen des Sports

Gehören Berichte über Sportfunktionäre eigentlich ins Sportressort der Medien oder doch viel besser in das Ressort der Politik und in weniger schweren Fällen ins Feuilleton?

Wenn also der ewige Olympiafunktionär Bach an der Unvergessbarkeit seiner Amtszeit arbeitet, dann spielt der Sport doch nur eine leidende Rolle. Bei allem Respekt davor, dass der verbindliche Überbau der Sportverbände auch erstklassigen Sport hervorruft, wenn der Sportler das Zentrum des öffentlichen Interesses verlässt, dann wird der Sport auch uninteressant. Nun gehört ja alles rund um den Sport als eine Bedingung zum Sport dazu. Aber es nimmt überhand. Das Fußballspiel oder die Turnübung landet im Business und der naive Sportsfreund neigt dazu sich abzuwenden.

Die Circe

„Mit eurem Charme werdet ihr die Händler becircen.“ sagt ein gewisser Horst Lichter in der Moderation der ZDF-Sendung „Bares für Rares“. Ich halte den Satz ja für extrem geschlechtsdiskriminierend. Mir tut das schon fast so weh, dass ich geneigt bin, mich zu schämen.

Ich sag mal so: Hier geht es ja eigentlich um Geschlechterrollen. Das Rollenverständnis unterliegt – wie vieles andere auch – der Entwicklung. In wohlintegrierten mittelalterlichen Gesellschaften herrschte für Kinder und Erwachsene eine eher leicht erlernbare Rollenidentität vor. Bestimmend waren relativ feste Vorstellungen von den Geschlechtern, die im normalen Alltag keine Abweichung duldeten und die gegebenenfalls sanktioniert wurden. Dieses Modell funktioniert heute noch bei Kindern bis zur Adoleszenzkrise, bei Entwicklungshemmnissen auch darüber hinaus. Mit der Industrialisierung und der Auseinandersetzung um Menschenrechte ist es allerdings in der steigenden Vielfalt von Erwartungen erforderlich, eine flexible ich-geleitete Identität zu verfolgen, um in der zunehmend komplexen Welt zurecht zu kommen. Man spielt also wagnisreich mit den nicht mehr kompatiblen Erwartungen der anderen und gleicht sie ständig mit den Erwartungen an sich selbst ab. Die Identität ist also nie im sicheren Besitz, so wie es die Rollenidentität sein konnte. Wer die aktuell erforderliche Entwicklung nicht erreicht, bleibt vorerst in einer Rollenidentität verhaftet. Man merkt es ja auch nicht sofort, wenn jemand Wahrheitsangeboten hinterher hechelt oder sich mit 40 Jahren immer von der Mutter bekochen und bebügeln lässt.

Jetzt komme ich zu den Menschen, die nicht gleichermaßen flexibel und prinzipiengeleitet mit Rollen umgehen können: Man erkennt sie also an mittelalterlichen, respektive kindgerechten Mustern von gut und böse, richtig und falsch. Bei dem Geschlechterrollenverständnis wird das besonders deutlich, weil die Entwicklung seit 200 Jahren läuft aber bis heute nicht abgeschlossen ist. Denn  viele sehen sich nicht in der Lage oder sind auch nicht in der Lage, diese Entwicklung autonom zu meistern. Es sind nicht nur Reichsbürger und andere Bewahrer, sondern eben auch sympathische Kinder mit 50 Jahren.

Was der Herr Lichter da gesagt hat, ist in den Rückzugswehen aus einer männerdominierten Gesellschaft entstanden und hat wohl bis heute zunächst in Kneipen und Betrieben, dann aber auch in Familien und der Volksfestkultur überlebt – und in unglaublich vielen Nischen der digitalen Selbstfindung. Nun könnte das ZDF dem Herrn Lichter Entwicklungshilfe geben oder ihn ganz einfach vor die Tür setzen. Aber er ist ja mutmaßlich ein wertvoller Sympathieträger und Quotenkönig, der alle zusammenhält, die, aus welchen Gründen auch immer, gern ihre Unmündigkeit beibehalten und fröhlich fortsetzen.

Es ist ja richtig, dass eigentlich jeder Mensch im Prinzip becircenden Charme einsetzen kann. Wenn man dann aber nach dem erkenntnisleitenden Interesse fragt, bleibt das Ergebnis aber mager. – Und hier geht es ja auch eher um das Reden über becircen und nicht um das Becircen selbst.

Brauchtümer

Die Idee vom Brauchtum wandelt sich im Zeitgeist. Dabei gilt das Brauchtum eigentlich als stark veränderungsresistent. Das Ergebnis ist, dass fast alle Brauchtumssegmente sehr viele Innovationen aufnehmen, aber das Brauchtum insgesamt mit dem Gütesiegel uralt und unverrückbar zur Imagepflege hochgehalten wird. Da ist es kein Wunder, dass auch Events zurechtgebastelt werden, die dann mit der ersten Wiederholung direkt als Brauchtum angekündigt werden.

Halloween ist so eine typische Sache. Es sind aber auch die zahllosen Events, die erst durch die LED-Technologie möglich wurden. Der Martinszug mit elektrischer Laterne ist fragwürdig, der Weihnachtsmann ohnehin. Die ganzen Weihnachtsmärkte haben keine Tradition, die wirklich traditionell wäre. Und das, was dort vermarktet wird orientiert sich fast ausschließlich am Zeitgeist, der sich gar von Jahr zu Jahr wandelt. Es ist zu einfach, die Erscheinungen, die in den Markt der Traditionen drängen ein oder aus zu sortieren. Es würde aber reichen, die Wandelbarkeit des Brauchtums wertzuschätzen. Dann kann man sich immer noch von Fall zu Fall abwenden, vor allem, wenn man die Trittbrettfahrer erkannt hat. Verbindlichkeit gibt es da nicht.

Leuchtende Untersetzer 

Die Batterieproduzenten haben die Knopfzellen als hervorragende Einkommensquelle entdeckt. Diese kleinen runden Dinger sind vergleichsweise teuer und meist wackelig hinter winzigen Schrauben verbaut. Sie werden in ihrer Vielfalt in seltsam zusammengestellten Verpackungen unter die Leute gebracht, so dass meist mehr als die Hälfte ungenutzt altert und nutzlos als Sondermüll entsorgt werden muss. Damit sind die Bewirtschafter unserer Gier nach Licht und allerlei Automatismen ohne ein Stromnetz aber nicht zufrieden Sie überlegen sich Tag für Tag neu Gimmicks auf Batterieknopfbasis. Das sind natürlich auch massenweise Grablampen und Teelichter, die nur den Anschein von Wärme verbreiten und ständig nachgefüttert werden müssen. Wegen des Überflusses werden sie schon lange nicht mehr von den Gräbern geklaut.

Heute ist wohl der Höhepunkt erreicht! Vor allem, für den Fall, dass ich Besuch habe empfiehlt sich mir ein Untersetzer mit eingebautem Licht. Erst wenn ich ein Bier oder einen edlen Schaumwein drauf setze, am besten bei gedämpften Licht, erstrahlt das Glas mit seiner prickelnden Fülle. Wer will da noch die Niagarafälle oder andere Wunder dieser Erde sehen?

Würde ich solche Dinger haben, würde ich mich allerdings furchtbar schämen. Wenn mein Nachschub an Batterien stockt, dann würde es wieder gehen. Niemand merkt dann, dass ich immer noch das Bierfilz alter Prägung bevorzuge.

Light up your drinks!…

Die vagabundierenden Zwerge

Ich finde heute in meiner Timeline ein Kaufangebot für Gartenzwerge mit einer AK47 dem Urvater der russischen Handfeuerwaffen und folgenden Text:

„😍🔥🎁Lassen Sie die militärischen Gartenzwergstatuen zum Highlight Ihres Gartens werden🪴💣 und zeigen Sie Ihren einzigartigen Geschmack und Ihre Persönlichkeit. Betreten Sie jetzt mit Ihrer Neugierde diese geheimnisvolle und wunderschöne Welt💖!✨“

Das erinnert doch stark an Mutter Courage, der Marketenderin, die gut vom Krieg lebt aber letztlich ohne ihre Kinder dasteht. Eine Mahnung an alle, die Geschäfte mit dem Krieg machen.

Mein „einzigartiger Geschmack“ veranlasst mich, die kämpfenden Gartenzwerge geschmacklos zu finden und vom Kauf abzuraten. – Es ist nicht lustig!

Die fette Beute

Ich habe schon oft etwas über Beutekunst und die Beninbronzen geschrieben.

Das Fazit ist – ganz kurz: 

1 Kunst gehört der Öffentlichkeit. Erst die Vermarktung erschafft Preise, die von ausgesuchten Kunstwerken losgelöst sind.

2 Kunst hat selten einen festen Ort und kann im Prinzip fest überall öffentlich verfügbar sein.

3 Geraubte Kunst ist kein Sonderfall. Vielmehr gehört es immer schon zur Kriegsführung (im weitesten Sinn) staatlich und auch privat Kunst zu enteignen oder mit Druckmitteln billig zu bekommen.

4 Meist kann man Beutekunst gar nicht zurückgeben, weil es Zweifel am rechtmäßigen Vorbesitzer gibt oder weil sich durch den Gang der Geschichte kein ehemaliger Eigentümer feststellen lässt. 

5 Das Königreich Benin – dem die besagten Bronzen entstammen – hat als zweifelhaften Rechtsnachfolger Nigeria, das noch in den 60er Jahren die Neugründung des Staates Benin mit Gewalt verhindert hat und nun die Schätze droht zu verscherbeln.

Das aus dem Fenster lehnen

Ich habe in den 50er und 60er Jahren an ziemlich einsamer Stelle in der Großstadt gewohnt, eingerahmt von drei Bahndämmen mit vielen Gleisen und diversen Abwasserbächen. Die D-Zugstrecke führte nahe am Haus über eine Stahlbrücke, deren donnerndes Geräusch für mich zum täglichen und nächtlichen Alltag gehörte. Mit dem Fahrplan in der Hand konnte man mit etwas interpolierendem Geschick danach sogar die Uhr stellen. Wir spielten an den Dämmen und in einem Waldstück, das nur über die Gleise zu erreichen war. Zu der Zeit war es noch häufig, dass man mit dem Zug fuhr. Mit 11 oder 12 Jahren bin ich in den Sommerferien ganz allein mit dem großen Koffer zu Freunden nach Frankreich gefahren und am Anfang oder Ende jeder Fahrt kam ich an unserem Haus vorbei.

Auf all meinen Zugfahrten hatte ich nie ein Buch dabei. Vielmehr war das Abteilfenster mein bunter Fernseher in die Welt. Ich habe ohne Langeweile geguckt und geguckt, niveauvoll und ohne Sinn für Medienkritik. An jedem Fenster stand so eine international aufgebrezelte Bedienungsanweisung.

Ich konnte den Textauszug, den nur eine professionelle Übersetzungsapp geliefert haben konnte, schnell auswendig. Das ganze war mir vertrauenswürdig. Es kam ja von der Deutschen Bundesbahn. Mit der Zeit wurde das Zugfahren durch das Trampen und danach durch das Autofahren ersetzt. Ich bin allein und mit anderen sicherlich zigtausend Kilometer durch ganz Europa getrampt, voller Abenteuer und Erlebnissen. In Norwegen wurde sogar mal unser Fahrer auf freier Strecke verhaftet und in Schweden hielt ein Fahrer ständig eine Dose Bier zwischen den Beinen standfest bereit und verbrauchte davon ca. 2 Dosen für 100 Kilometer – und die Strecke war lang. Das mit den treuen Auto wurde und wird zunehmend uninteressanter. Mit dem obligatorischen Käfer der 80er Jahre musste man bei feuchten Wetter noch mit dem Heck zur Mauer parken, damit der Verteiler nicht nass wurde und man musste an heißen Sommertagen zur Kühlung des Motors die Heizung an machen und im Winter dann die Heizung abdrehen – mit einer Schraube im Fußraum – damit der Motor Betriebstemperatur aufbauen konnte.

Bei allen Mobilitätseskapaden war die Zeit mit der Bahn nicht unübel. Ich habe dort mein reisetaugliches Fernsehen erfunden. Ab und zu kommt mir noch das Schild an den Zugfenstern in den Sinn. Ich kann es noch auswendig vortragen: Nicht hinauslehnen usw.

Der Beginn der Gegenoffensive 

In den letzten Tagen kommt es mir vor, als warte die ganze Welt auf den Beginn der lange angekündigten Gegenoffensive der Ukrainer gegen die übergriffigen Russen.

In jeder auch nur etwas politisch angehauchten Sendung in Funk und Fernsehen wird jedenfalls nach dem Zeitpunkt gefragt und danach, ob die im Moment zu verzeichnenden Waffenbewegungen der Beleg dafür sind, dass der Gegenangriff bereits läuft. Man wäre ein schlechter Krieger, wenn man seine Waffengänge punktgenau ankündigt.

Hass vom Hater

Der diesjährige Evangelische Kirchentag endete in einer Pressemitteilung mit der Überschrift „Hass ist keine Meinung“, die wieder einmal die Rede vom Hass in die Öffentlichkeit trug. Das war einfach zu viel.

Niemand hat je ernsthaft behauptet, dass Hass eine Meinung sei. Aber der Hass hat jedenfalls Konjunktur und gehört mittlerweile in jeden Text, der wichtig sein will. Seitdem Gefühle aus dem Innersten als gesellschaftlich relevant konnotiert sind, suchen wir sie zusammen, erfinden auch Worte, um sie – oft erstmalig – zu benennen und sortieren sie, um unsere Welt zu optimieren. Gefühle deuten wir positiv, stören uns aber daran, dass sie unübersehbar oft auch negativ zu deuten sind. In der Sprachlosigkeit über Gefühle sind die Cluster der negativen Gefühle wahre Kramkisten. Da kommt das Wort Hass gerade recht, um die Kramkiste erst gar nicht zum Gegenstand einer Untersuchung zu machen. „Wir hassen es alle zu verlieren.“ sagte Robin Gosens am 18.6. 2023 nach einem verlorenen Fußballländerspiel und findet sich unweigerlich direkt neben dem Evangelischen Kirchentag in der Kramkiste Hass.

Eine Meinung ist eine begründete Stellungnahme, die der Nachdenklichkeit bedarf, um in die Welt zu purzeln. Nachdenklichkeit ist bei dem Gebrauchswort Hass vermutlich nicht sehr verbreitet. Das belegt immer sehr gern Martina Hill in ihrer Comedy als Youtuberin Larissa mit dem Satz: „Isch hasse disch – ehrlisch!“

Hass scheint mir ein Wort für eine Kiste zu sein, in die niemand gern reinguckt und die auch keiner aufräumen will. Unserem historisch verschütteten Umgang mit den Gefühlen fehlen eben die Worte. Wir äußern Gefühle, die wir nicht haben – der Klassiker lautet „Mama ist traurig…“ und wir haben für den Privatgebrauch nicht einmal den Ansatz einer kleinen Bibliothek. Wenn nun tagtäglich in unzähligen Medien Hass entdeckt und eingeordnet wird, dann geht es wild durcheinander. Freude, Angst und Hilflosigkeit sind weitaus gefühlsnäher als Hass.  

Hass ist mir ein Placebo. Es wirkt gegen jede Vernunft. Im Fall des Hasses muss ich also lange überlegen, was dahinter steckt. Dabei ist der Erfolg nicht garantiert. Um die Situation eines vermeintlich Hassenden zu beschreiben, benötigt man das Wort Hass nicht.