Cannes steht jährlich im Fokus der Cineasten. Wie bei vielen, aber beileibe nicht allen Festivals dieser Art, ist es eingekleidet in ein Showlaufen auf rotem Teppich, auf dem dann sogenannte Stars der Filmszene sich so aufregend zurecht machen, dass sogar auch die Yellow Press anrückt. Es wird auf allen Kanälen berichtet, wer für welches Outfit läuft und sich dann auch noch pudelwohl fühlt.
In diesem Jahr ist es anders. Es wurde mit einem Schwerpunkt für Frauen eine Kleidervorschrift erlassen. Es soll ob sofort sehr wenig Haut gezeigt werden, es soll keine Kleider geben, die viele Raummeter bedecken und die High Heels sind durch Schuhe mit flachen Absätzen zu ersetzen.
Es scheint so, dass die Betroffenen das die Vorschrift sehr begrüßen.
Mich entsetzen solche Vorschriften und würde mich ihnen niemals beugen. Es gibt ja keinen Grund, für Festivalbesucher die Freiheitsrechte einzuschränken. Dass man dort nicht unbedingt in unbequemer Kleidung auftritt, dann sehr vernünftig sein. Aber das kann jeder selbst regeln. Dazu braucht sie keine Vorschriften. Die Chance zur Vielfalt regiert von jeher die Kultur. Und deshalb falle ich auch immer ganz besonders auf!
Man hat mir irgendwann mühsam beigebracht, dass ich mit meiner Besserwisserei nicht andere Menschen belästige und einfach mal sieben gerade sein lasse.
Nun sehe ich, dass jemand an seinem Verkaufsstand eine beschriftete Abhängung befestigt. Ich sehe auch sofort, dass er das Ding falsch herum aufhängt. Die Schrift steht auf dem Kopf.
Früher wäre ich zu dem Mann hingegangen und hätte ihn darüber aufgeklärt, was er da falsch macht.
Das habe ich aus Gründen aber heute nicht gemacht und stattdessen mit einem breiten Grinsen gemutmaßt, wie die Geschichte weitergeht: Der Mann wird erst am Ende seiner Aktion merken, dass er unten und oben verwechselt hat. Dann wird er alles wieder abmachen und erneut andersherum befestigen. Damit wird 20 Minuten Lebenszeit vergeudet haben.
Und plötzlich springe ich laut gestikulierend in die Luft: „Yes, yes – ich habe es gewusst!!“ – und bringe in meiner freudigen Erregung leider nur ein unscharfes Foto zustande:
Krokodilsarg – so etwas ist kaum noch in Gebrauch …
So heißt die aktuelle Ausstellung mit archäologischen Fundstücken in Köln zwar nicht, sie ist aber als ein Objekt der Begierde so aufgebaut, als ob es genau darum gehen würde. Man gerät in der Ausstellung sehr schnell in eine Situation, die als Überfall mit haufenweise selektiven Informationen, dudeliger bis welterschütternder Musik, ständiger Bewegung greller Bildanimationen aus dem Colt der Multimediabefeuerer angerauscht kommt. Davon ab setzen sich mit brauchbarem Licht inszenierte Artefakte, denen bereits über 3000 Jahre derartige Inszenierungen vorenthalten waren. Sie halten das stoisch aus, auch wenn – aus ihrer Sicht – gänzlich aus der Zeit gefallene Menschen nicht aufhören, sie auf Fotos in die heimischen Datenbanken zu tragen. Ich bin nicht einmal sicher, ob die Objekte der Ausstellung wirklich so alt sind.
Die würdevolle Schlange an der Stirn ist unverzichtbar.
Mir ist bekannt, dass bei ausgewählten Prunkbauten des geldbeschwerten Adels der teure Marmor aus Italien nicht hochwertig genug war und durch mühsam veredelten Handwerksputz ersetzt wurde, der die Macken der Natur ausmerzte und einen Marmor suggerierte, der wirklich makellos gleichförmig und aber teurer war, als der echte Marmor selbst. Es geht dabei um eine Handwerkstechnik, die bei fälligen Renovierungen immer wieder verschollen sind und mühsam neu erlernt werden müssen.
Der Skarabäus – also der Mistkäfer – war der Star im alten Ägypten und hat die Jahrtausende überdauert.
Warum sollte man also nicht täuschend echte Mumien, Särge und alle anderen gestaltete Materialen wie Schmuck und Steine mit neuesten Technologien nachgestalten? Es würde kein Auge vor der Showvitrine beleidigen und die Versicherung von unbezahlbaren Ausstellungsobjekten preiswert und akzeptabel gestalten. I‘m fine with that. Überprüfen kann ich es in der Ausstellung eh nicht. Am Ende der Ausstellung sagte aus dem Off eine bedeutungsgeladene sonore Männerstimme über Hern Ramses: „Nach seinem Tod war er unsterblich!“ Da wusste ich, dass die ganze Show mit einer derart heißen Nadel gestrickt worden war, dass es ungewollt sogar lustig rüberkommt. Nach dem Ende gab es – mit einer erheblichen Verzögerung in einer Schlage von Ausstellungsbesuchern – zum Aufpreis noch ein „immersives VR- Erlebnis“ als Aperçu auf einem bewegungsgesteuerte Sessel mit passendem Sehgerät und Kopfhörer: Die wohlgeformte Frau Ramses führte vor 3000 Jahren durch zahlreiche Räume mit ein paar Erschreckungseffekten. In den engen Durchgängen von Raum zu Raum hatte ich wohl stets die Angst, ich würde mir an den Mauerecken die empfindlichen Knie aufschlagen. Puhhhh – es ist noch mal gut gegangen.
Ach – das muss ich noch sagen: Den dramaturgisch erforderlichen Feind mussten übrigens leider mal wieder die Hethiter abgeben. Sie wurden von den heroisch überlegenen Ägyptern übelst massakriert. Deshalb konnte der Rest als reines Gold, zumindest aber wirklich sehr, sehr schön rüber kommen. In einer Ausstellung über die Hethiter wäre es sicher andersrum. Aber dazu fehlen ausreichend Fundstücke.
Wir verkleiden uns gern. Wir verkleiden uns, um aufzufallen. Wir verkleiden uns, um nicht aufzufallen. Im Straßenkarneval wechseln die Verkleidungen, wie im Theater. Man hat Freiräume, alle möglichen Rollen mal auszuprobieren und auszufüllen. Wie im Theater auch, sind die Kostüme vordergründig stilecht, ab so billig, dass sie ihren Zweck erfüllen, aber auch nicht mehr.
Beim Oktoberfest ist es anders. Man lockt weltweit finanzkräftiges Publikum auf den bekannten Münchener Festplatz und sorgt dafür, dass sich bloß nicht jemand mit einem Faschingsdirndl oder mit einer Latexkrachlernen an den Zelebrationsort begibt. Nein, dort muss alles „echt“ sein. Auch Leute aus anderen Ländern bemühen den Dirndlfachhandel und lassen sich nicht lumpen. Notfalls gibt es auch im Versandhandel ausgewählt gediegene Kleidung zu erwerben. Ist man erst eingekleidet, dann schocken auch die Bierpreise nicht mehr.
Merkwürdig bleibt, dass bestimmte Trachten ehedem eine sehr enge regionale Verbreitung hatten und die Dirndl auch. Die bayrischen Textilexperten behaupten zwar, dass Trachten und Dirndl nichts miteinander zu tun haben. Außerhalb Bayerns bleibt das allerdings unverständlich. Es wurde stets darauf geachtet, dass alles in Grenzen gehalten wurde und die Unterscheidung zum Nachbarort blieb – bei der Tracht und beim Dirndl. Es gab also keine Ambition, die Trachten oder Dirndl über die Welt zu ergießen und die letzte Ecke der Welt dirndlfröhlich zu machen. Man war lediglich stolz, die eigene regionale Kleidung am eigenen Körper anderenorts zu zeigen und in der Fremde Zugehörigkeit zu markieren.
Aber vielleicht ist ja die alte Dirndlregel an der Beliebten Eintrittskarte in die Bierzelte schuld, dass man nämlich als Jungfrau die Schürzenschleife auf der anderen Seite trägt, als eine verheiratete Frau. Dadurch kann man idealerweise und zur eigenen Entlastung die Aktivitäten aller Schürzenjäger wirksam steuern. Wenn das nicht so ist, ist die Gewinnanfälligkeit der Dirndlindustrie Schuld daran, dass das bayrisches Textilvolksgut internationalisiert wird – bis auf das dirndlzugehörige Kropfband.
Ich habe – wie sollte es auch anders sein – das Urheberrecht für dieses Foto von meinem Feigenblatt aus eigenem Anbau. Man kann damit auf einem Bild stilecht das, was man hervorheben will, ausgezeichnet verdecken. Die Kunst bedient sich des Feigenblattes schon seit langer Zeit. Wer jetzt auf den Geschmack gekommen ist, pflanzt einen Feigenbaum, oder aber erwirbt bei mir eine Lizenz zur Nutzung meines Feigenblattes. Die Lizenz ist kostenfrei, wenn ich die angestrebte Verwendung für förderungswürdig halte. Man soll ja stets seine Kinder hoffnungsfroh in eine bunte und gedeihliche Lebenswelt entlassen.
Was aus dem Rahmen fällt, doch sich im Rahmen hält.
Das moderne Hobby Horsing ist beeindruckend und albern.
In seiner Albernheit schließt es an kurzzeitige Kinderspiele in begrenzten Lebensphasen an, die schließlich das kommerzielle Steckenpferd hervorgebracht haben und in den Kokosnussschalen der Ritter der Kokosnuss veredelt wurden. Beeindruckend ist seine Nähe zum Tier, ohne diesem weh zu tun und sind seine phantasievollen und lehrreichen Leibesübungen, die das Wiehern nicht ausschließen.
Ich befürchte nur, dass das unsägliche Reglement allen Pferdesports (sic!) nun auch noch Kinder und Erwachsene zugrunde richtet.
Abgebildet ist mein Steckenelch (ein altes Geschenk) und mein selbstgefertigtes Hufsimulationsequipment nach Monty Pyton. Man braucht allein dafür schon bei gleichzeitigem Einsatz mindestens zwei Personen. Es ist absolut tourniertauglich, wenn auch nicht zugelassen.
Merke: Wer ein Steckenpferd hat, ist gegen Hobby Horsing gewappnet und holt das Beste aus der deutschen Sprache hervor.
Nachtrag: Die Tagesschau berichtet am 14. 9. 2024 „Der Trend kommt angeblich aus Finnland und wird auch in Deutschland beliebter: Hobby Horsing. In Frankfurt finden an diesem Wochenende die Deutschen Meisterschaften statt. Die Gewinner:innen werden in drei Kategorien ermittelt: Zeitspringen, Stilspringen und Dressur. Echte Pferde bleiben im Stall, stattdessen „reiten“ die Teilnehmenden auf Steckenpferden.“
Auch wenn es draußen einmal etwas kühl ist, nutze ich jede Möglichkeit, kurzärmelig durch die Welt zu gehen. Der Grund ist eines meiner überragenden Alleinstellungsmerkmale. Viel Passanten tuscheln dann: „Mensch guck mal, der hat überhaupt kein Tattoo…“
Analysierende Zungen verorten mich gar in der Generation Tipp-Ex, weil die Wunden meiner Seele immer so schön verdeckt sind.
Also stimmt das gar nicht, dass ich der Generation Montageschaum angehöre? Oder habe ich mir das wieder einmal ausgedacht, um einer Generation mit nur einem einzigen Mitglied zugehörig zu sein?
Im Eingangsbereich sitzen stets Leute auf sehr niedrigen Fensterbänken eingenischt und rauchen und telefonieren. Ich guck mir die Leute immer genau an. Heute war mir am auffälligsten eine Frau, die einerseits an der rechten Hand eine Zigarette hatte und andererseits einen angewachsenen Unterarm, auf dem reich verziert „Dieter“ stand.
Ich weiß nicht, was ich damit anfangen soll. Dieters kommen doch immer nur als Loser in Comics vor. Im normalen Leben kenne ich überhaupt keinen Dieter.