Übergang zum Übergangsmantel

Damit wir uns nicht falsch verstehen: Jeder mag anziehen, was er will und ich schätze jede Initiative, dabei ohne Übergang vom Mainstream abzuweichen.

Letztens las ich etwas von einem Übergangsmantel und war allein deshalb fasziniert, weil ich das Wort aus einer längst vergangenen Zeit wiedererkannte. Das Wort ist mir schon lange nicht mehr aktiv verfügbar, aber ich erinnere mich genau: Früher wurde die Kleidung den extremen Jahreszeiten Sommer und Winter zugeordnet. Der Frühling und der Herbst wurden aus alltagspraktischen Erwägungen weitgehend Sommer oder Winter zugeschlagen. Der verbleibende Rest des Jahres nannte man Übergangszeit, die man auch gern noch zugeteilt hätte. Aber das Klima folgt nun mal nicht dem bipolaren denken der Menschen und nutzt fließende und oft auch überraschende Übergänge. Jedenfalls wurde die Kleidung, und damit die Mode, an Sommer und Winter ausgerichtet. Es gab auch nur Sommer- und Winterschlussverkäufe. Es war üblich, die Bestückung des Kleiderschranks zweimal jährlich so komplett zu ändern, dass im Sommer einfach kein warmer Pullover zur Verfügung stand. Er war in einer Kiste im Keller. Man richtete sich gern, aber auch zwangsläufig, nach den Vorgaben. Eine neue Marktlücke bestand nun darin, die Übergangszeit beim Namen zu nennen und aufzuwerten und für diejenigen, denen die Kleidung für Sommer und Winter nicht genug sein konnte, etwas für die Übergangszeit anzubieten. So entstand der Übergangsmantel zwischen Sommermantel und Wintermantel. Und es gab schnell alle denkbaren Kleidungsstücke mit dem Übergangsfeeling. Man kann sich die Vorzüge des Übergangsmantels ausmalen lassen, benötigt ihn aber nicht wirklich, weil er die Bewegungsfreiheit einschränkt und praktisch nur lästig ist. Zudem kostet er Geld und verstopft den Kleiderschrank besonders, weil es sich der Zuordnung auf Sommer und Winter widersetzt.

Der Übergangsmantel ähnelt in gewisser Weise dem Kleinwagen, der die Stadtmobilität sicherstellt, während die Reiselimousine und der SUV für ihren spezifischen Einsatz auf standby stehen.

Meine Idee war schon als Kind eine vollkommen andere: Ich bestehe darauf, dass der Körper mit dem Geist die Klimaschwankungen an sich heran lässt und im Prinzip eine Ganzjahreskleidung favorisiert, die sicherlich in Extremfällen etwas abgefedert oder beiseite gelegt werden kann. Ich finde Kälte gut und Wärme auch. Deshalb bin ich auch weitestgehend unempfindlich gegen Wetter. Das Wetter ist mein Freund. Mein Garten teilt diese Position. Ich brauche also auch keinen Regenschutz, weil ich keine Dauerwelle trage und geschickt durch den urbanen Dschungel gehe. Wasser in der Kleidung trocknet schnell. Auf die Fragen: „Ist dir nicht zu kalt?“ oder „Ist dir nicht zu warm?“ Antworte ich stets: „Nächste Frage!“

Ich weiß nicht, wann ich einen Übergangsmantel tragen sollte. Besonders schlimm finde ich allerdings die in der Antarktis getesteten Funktionsjacken, die nur noch als Sondermüll entsorgt werden können. Sie würden mich von meiner Lebenswelt isolieren und kontrollieren. Ich sehe sie besonders geballt in den deutschen Seebädern als Rentneruniform und nehme dann Reißaus. Wer solche Jacken trägt, zahlt auch gern überhöhte Kuchenpreise. Aber das ist ein anderes Thema.

Wie weise Wahl Werbung wäre, wenn …

Ist euch das auch schon aufgefallen? In der Wahlwerbung vieler Parteien findet sich immer wieder ein Satz in zwei unterschiedlichen Varianten:

Variante 1: Linksextremismus ist zu lange verharmlost worden.

Variante 2: Rechtsextremismus ist zu lange verharmlost worden.

Beide Sätze schließen sich nicht aus. Für beide Sätze gibt es jeweils  Belege. In dieser Form regen Sie aber an, nur einen Satz so zu deuten, als sei der andere falsch oder zumindest bedeutungslos.

Beide Varianten entstammen einer unfassbar verschwurbelten Bedeutungswolke mit Rohmaterial, um die politische Stimmung nach rechts oder links zu drehen. Dabei ist das über 100 Jahre gepflegte Rechts-Links-Deutungsschema längst ausgemustert, weil es in der Gesellschaft darum geht, ob Freiheitsrechte geachtet und Gerechtigkeit durchgesetzt werden. Zudem ist es eine Binsenweisheit, dass bei näherer Betrachtung stets der Eindruck entsteht, dass etwas mehr hiervon oder davon besser wäre. Siehe auch: Horst Schlämmer – Isch kandidiere! 2009. Der Protagonist Schlämmer überzeugt im Film allein damit, dass da, wo irgendetwas ist, mehr werden muss.

Weg mit den Nichttextfloskeln!

Dieses Foto hat sich ziemlich autonom pixelweise transformiert.

Stell dir vor, du schreibst einen Text über das Impfen oder die Drogensucht. Dann brauchst du ein Bild, das symbolhaft dein Thema auf den Punkt bringt, ohne dass du nun eine konkrete Person mit der Spritze zeigst. Jeden bedeutende Text soll in der heutigen Zeit zumindest ein Bild zugeordnet sein.

Nun ist es aber das Problem, dass solche Bilder, die kurz vor der Verletzung des Körpers angesiedelt sind, nie so ganz wirkungslos sind, es sie aber hunderttausendfach gibt und sie auch nicht wirklich originell sind. Sie sind nie das Ergebnis einer fotografischen Glanzleistung. Sie tragen zum Thema eigentlich nichts bei.

Ich kann solche Bildschablonen einfach nicht liebgewinnen. Ich will diese bescheuerten Bilder einfach nicht mehr sehen!

Es sind Nichttextfloskeln.

Du Feigling!

Es ist immer mal wieder von einem „feigen Anschlag“, manchmal auch vom „feigen Täter“ die Rede, wenn die Presse über Terroranschläge berichtet oder Politiker dazu Stellung nehmen.

Ich verstehe das nicht.

Feige ist man doch dann, wenn man sich ängstlich aus der Verantwortung stiehlt und etwas nicht macht, was geboten wäre. Man kommt damit eher schlecht als recht damit klar und gilt fortan als Feigling.

Ich finde, dass Terroristen ziemlich mutig sind, ihren Mut allerdings am vollkommen am falschen Objekt und mit dem falschen Mittel praktizieren.

Fressen oder gefressen werden

Do lunch or be lunch

oder

linearer Energie- und Stoffflüsse im Ökosystem

Die Abtrünnigen werden nicht gemocht, aber man berichtet gern über sie

In Niedersachsen wechselt die politische Mehrheit im Parlament, weil eine Abgeordnete ihre Position jetzt in einer anderen Partei vertritt.

Politische Mandatsträger werden nicht in Parteien hinein geboren. Sie werden aus freien Stücken Mitglied, jedenfalls unter demokratischen Verhältnissen. Sie wechseln sogar auch ab und zu die Partei. Danach zeigt sich stets, dass die Partei eigentlich mit einer Leibeigenschaft kalkuliert hatte und mit jedem Abgeordneten deshalb auch ein Sicherheitsrisiko ins Rennen schickt. In der irgendwie beschädigten Partei ist nach so einem Parteiwechsel stets vom Verrat am Wählerwillen, von einem skandalösen, unwürdigen und schmutzigen Spiel und fehlendem Rückgrat die Rede. Das machen eigentlich alle Parteien so, während die jeweils gegnerischen Parteien Freude haben. Nur das Direktmandat schützt den Abtrünnigen noch etwas vor dem Vorwurf, er sei ja eigentlich gar nicht gewählt worden und solle sich deshalb auch nicht so aufführen.
Wenn es auf einen einzigen Mandatsträger ankommt, weil an ihm eine Mehrheit hängt, dann wird besonders dramatisch reagiert.
Dabei wird der Bürgerwille sehr gut und vollkommen emotionsfrei im Grundgesetz und den Verfassungen der Länder geregelt. Der Abgeordnete ist niemandem gegenüber verantwortlich. Es soll das ganz einfach so machen können und es zeigt sich danach stets, dass Parlamente insgesamt stets so gut sind, dass sie solche unvorhergesehenen Situationen gut bewältigen können. Für einen Wechsel gibt es keine Zeitvorgaben, keine moralischen Maßstäbe und nicht einmal eine grundlegende Vernunft, die vorgeschrieben wäre. Das will also der Wähler! Und er wird meistens nicht enttäuscht. Bei der nächsten Wahl wird er auch sein Votum im Licht von Parteiwechseln und deren Bewältigung abgeben. Dass der Souverän gewollt haben soll, dass ein Parteiwechsel nicht stattfindet und alte Mehrheiten im Sinn des Wählers erhalten werden sollen, ist viel zu kühn auf eine statische Machterhaltung bezogen. Man sollte darüber nicht ernsthaft reden wollen wenn man will, dass die Politik etwas bewegt und dass der freie Abgeordnete auf Zeit das machen kann, was er will.

Ganz nebenbei: Als Wähler würde mir jedenfalls sauer aufstoßen, dass die besagte Abgeordnete im sicheren Hafen der ausersehenen neuen Partei ihre gewandelte Position vorgetragen hat. Eine selbstverantwortliche, freie Abgeordnete hätte auch auf sich selbst gestellt eine Lautsprecheranlage finden müssen.


Nachtrag am 6. August 2017:
Wie die Presse jetzt berichtet, hat der mittlerweile ohne Mehrheit regierende Ministerpräsident Weil eine Regierungserklärung zur Korrektur dem für Niedersachsen besonders bedeutungsvollen Industriekonzern Volkswagen vorgelegt. Es ging wohl darum, den Abgasskandal „richtig“ darzustellen. Nun kann er zwar sagen, er habe trotzdem die Sichtweise der Regierung für die Endfassung durchgesetzt. Das wird ihm aber niemand abnehmen. Unter solchen Bedingungen ist eine Gefolgschaft einer Parlamentsmehrheit ohnehin mehr als fragwürdig.

menschliche Störungen: Die Russophobie

Journalisten bedienen sich gern bestimmten Bildern psychischer Störungen, um dem potentiellen Leser eine solche Störung zu empfehlen oder gar kollektiv anzudichten. Es fördert nämlich den Umsatz, wenn man dem Leser – oder zumindest seinem Nachbarn – ans Seelenleben greift. So entstand vermutlich wohl auch das Reden von der Russophobie.

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Leitkultur

In den Versuchen einer Debatte zur Leitkultur höre ich nur banale Selbstverständlichkeiten und Vorgedachtes, das der Bürger so ohne weiteres nicht nachdenkt und das bei ihm auch keine Debatte auslöst. Die Idee dahinter ist es wohl, aus einer höchst dynamischen Kultur eine statische Kultur zu formen, die unwidersprochen für irgendwelche Neulinge zu gelten hat. Das muss ja scheitern!

Integration ist in Wahrheit Inklusion! Da wird nicht jemand in eine unbeschreiblich vielfältige Kultur eingebaut, sondern es treffen sich schon lange viele Kulturen mit je und je eigenen undurchschaubaren Parametern, die tagtäglich ihre Verständigung aushandeln.

Zu integrieren wäre bestenfalls der fehlgeleitete Deutsche, der die Bundesdienstflagge auf den Balkon gehängt hat und anstatt sich als Deutscher zu präsentieren, eine Ordnungswidrigkeit begeht.

  • Krass, solche Typen!

Aus dem Zyklus: Einmischung in innere Angelegenheiten

Im Kalten Krieg, als es noch den Ostblock und den selten so benannten Westblock gab, wurden grenzüberschreitende Themen stets von der anderen Seite mit der Bemerkung gekontert, man verbitte sich eine Einmischung in innere Angelegenheiten. „Aus dem Zyklus: Einmischung in innere Angelegenheiten“ weiterlesen

Radikalismus als Entwicklungsstörung

Der Glaube an einen einzigen Gott, der zudem Inbegriff alle Guten ist, bringt es mit sich, dass einzelne Menschen sich ihm so nahe wähnen, dass sie ihn fast schon im sicheren Besitz zu haben glauben. Dann wandelt der Gott plötzlich seine Bedeutung und wird zur Ware. Er ist verfügbar und nicht mehr der unantastbare Garant einer heilen Welt. Die monotheistischen Religionen haben immer wieder große bis dominante Strömungen, das dialogisch-dialektische Verhältnis zu ihrem Gott auf die Erde zu holen, ihn in Institutionen zur Verwaltung des Glaubens als heißestes Eisen unterzubringen und dann in seinem Namen für ein Heil zu sorgen, das sich nach der Besitznahme als das Gegenteil, also als Unheil entpuppt. Insbesondere Menschen, deren Entwicklung noch nicht – oder immer noch nicht – abgeschlossen ist, suchen Antworten in einfachen Lösungen nach dem Modell der Rollenidentität und lassen sich, wie in der Kindheit von den Eltern, vorschreiben, wie die Welt zu deuten ist. Der auf der Erde vermarktet Gott ist ihnen sympathischer als ein Gott, der mit theologischer Annäherung immer bunter schillert und im positiven Sinn frag-würdig ist wie der eschatologische Vorbehalt, die allerletzten Dinge des Lebens und des Glaubens nicht wissen zu können. Eine prinzipiengeleitete und flexible Ich-Identität, die in modernen Gesellschaften grundsätzlich  überlebensnotwendig ist, steht für die Freunde der einfachen Lösung nicht an. Damit gäbe es für sie zeitgemäße Voraussetzungen, Friedfertigkeit in eigener Verantwortung und trotzdem kompatibel mit kollektiven Strömungen zu gestalten. Aber sie sind ja noch nicht so weit. „Radikalismus als Entwicklungsstörung“ weiterlesen