Über die Weihnachtsgurke

Was – um Gottes Willen – hat die Weihnachtsgurke mit Weihnachten zu tun?

Weihnachten ist ein optimaler Christallisationspunkt (sic!) für Legenden. Es gibt mittlerweile die Gewissheit, dass nahezu alles, was aus kommerziellen Gründen oder nur zur Verschönerung das Weihnachtsfest anreichert, gern ohne Abschiebung integriert wird und in kürzester Zeit den Traditionsstempel aufgedrückt bekommt. Alles das lässt sich in allen Kombinationen gut vermarkten und wird nur sehr selten wieder aussortiert. Wir stellen also einen Baum in die Behausung und verzichten darauf, im Austausch vielleicht einen alten Weichholzschrank zurück in den Wald zu stellen. Um die diversen Zuordnungen zum Weihnachtsfest auch fest mit ihm zu verbinden, werden Ausflüge in die Geschichte unternommen, um alle diese Erscheinungen dort irgendwo in der Vergangenheit aufzuspüren oder hilfsweise eine Legende zu stricken. Legenden sind nichts Schlechtes, zumindest aber das Gegenteil von einem historischen Beleg. Betrachten wir den Weihnachtsmarkt: Den ältesten gibt es angeblich seit dem Jahr 1296 in Wien. Allerdings war es ein Markt im Dezember und die Nähe zu Weihnachten ist mehr als vage. Weihnachtsmärkte heutiger Art dienen dagegen dem Vergnügen mit etwas Volkskunst, die sich oft als billige Importware aus armen Ländern entpuppt. Dazu gehören auch viel Essen und Trinken mit reichlich fetter Fastfood und süßlichem Alkoholgepansche ohne jede Tradition sowie Musik von der Speicherkarte.

Die Weihnachtsgurke ist nun der heisse Scheiß, der einfach nur dem Weihnachtsmann auf dem Weg durch die Welt folgt.

In Deutschland kennen die Weihnachtsgurke bisher nur zwei Prozent der Bevölkerung, allerdings mit zunehmender Tendenz. Im Laden für Weihnachtszubehör sind sie aber auch bei uns längst etabliert. Diese Gurke kommt aus den USA und ist dort ein Weihnachtsvolksgut. Sie wird, gleich einer Weihnachtskugel, als Baumschmuck verwandt, aber an einer eher unauffälligen Stelle. Im Tannengrün sticht sie in ihrer grünen Farbe nicht so einfach ins Auge. Der amerikanische Brauch ist es nun, dass am ersten Weihnachtstag zur Bescherung ein Kind, das als erstes die Gurke entdeckt, bevorzugt wird. Es darf zuerst die Geschenke auspacken und ihm wird für das folgende Jahr sehr viel Glück zugesprochen. Derartige Rituale kommen ohne eine Legende nicht aus. Heutzutage sagt man, die Gurke bedarf einer Erzählung, in der Sprache der Sozialforscher, eines Narrativs. Das Narrativ geht so: Die Gurke am Weihnachtsbaum kommt aus Deutschland und wurde von deutschen Einwanderern nach Amerika mitgebracht. Das reicht für die Gurkentruppe in den USA vollkommen aus. Man kann sich aber auf die Spur der Glasgurke an deutschen Weihnachtsbäumen begeben. Dabei kommt dann heraus, dass möglicherweise einmal eine Weihnachtskugelfabrik wegen der Eintönigkeit ihrer Produkte auf Gemüse umgestiegen ist, um den Markt anzukurbeln. Dazu wurde auch die Glasblastechnologie erweitert. Neben der mundgeblasenen Kugel gab es bald Formen, in die das Glas hineingeblasen wurde. Dass irgendwo der eine oder andere Weihnachtsbaum mit so einer Gurke verziert worden ist, ist höchst wahrscheinlich. Dass solche Gurken nach Amerika gelangt sind und nun mit Ritualen und Erzählungen nach Deutschland zurück kommen, ist mehr als wahrscheinlich. Diese Gurke teilt ihr Schicksal – wie gesagt – mit dem Nikolaus, der in die neue Welt kam und plötzlich als roter Weihnachtsmann mit Rauschebart und Mütze aus Amerika zurück kommt. Was heutzutage so alles aus aller Welt am Baum hängt, gehört für die Geschichtsschreibung in einen eigenen Bildband mit Ortsangaben. Denn die ganze Welt ist mittlerweile mit dem Weihnachtsschmuck befasst.

Ich sage das alles nur, weil ich ein einziges Mal für meine flapsige Wortwahl um Entschuldigen bitten will. – Ich finde es aber gut, wenn meine Bitte um Entschuldigung nicht angenommen wird.

Brauchtümer

Die Idee vom Brauchtum wandelt sich im Zeitgeist. Dabei gilt das Brauchtum eigentlich als stark veränderungsresistent. Das Ergebnis ist, dass fast alle Brauchtumssegmente sehr viele Innovationen aufnehmen, aber das Brauchtum insgesamt mit dem Gütesiegel uralt und unverrückbar zur Imagepflege hochgehalten wird. Da ist es kein Wunder, dass auch Events zurechtgebastelt werden, die dann mit der ersten Wiederholung direkt als Brauchtum angekündigt werden.

Halloween ist so eine typische Sache. Es sind aber auch die zahllosen Events, die erst durch die LED-Technologie möglich wurden. Der Martinszug mit elektrischer Laterne ist fragwürdig, der Weihnachtsmann ohnehin. Die ganzen Weihnachtsmärkte haben keine Tradition, die wirklich traditionell wäre. Und das, was dort vermarktet wird orientiert sich fast ausschließlich am Zeitgeist, der sich gar von Jahr zu Jahr wandelt. Es ist zu einfach, die Erscheinungen, die in den Markt der Traditionen drängen ein oder aus zu sortieren. Es würde aber reichen, die Wandelbarkeit des Brauchtums wertzuschätzen. Dann kann man sich immer noch von Fall zu Fall abwenden, vor allem, wenn man die Trittbrettfahrer erkannt hat. Verbindlichkeit gibt es da nicht.

Jahresendmarktgeschehensvorerwartung oder: Süßer die Glocken nicht klinge(l)n …

Die jetzt wieder aufkommenden Weihnachtsmärkte sind optimal konfektioniert.

Selbst für das frische Grün muss man nicht noch extra sorgen. Die üblichen Verdächtigen warten auf ihren Einsatz. Nur die Preislisten müssen wohl erneuert werden.

Tollstücke zum Weihnachtsmarktkomplex • #breitscheidplatz

Vorgestern hat ein Mensch mit einem Sattelschlepper einen Weihnachtsmarkt in Berlin auf brutalste Weise geschreddert, dabei  12 Menschen ermordet und 48 Menschen lebensgefährlich verletzt.

Ich habe mich in den letzten Stunden durch die Nachrichten, Kommentare und Mutmaßungen zum Anschlag gearbeitet und zu einzelnen Aspekten Stellung bezogen.

Wenn plötzlich unvorhergesehene Dinge passieren, ist der Umgang damit überhaupt nicht sortiert oder im Gewandt politischer Korrektheit so hergerichtet, dass es über die endlose Floskel vom Trauern kaum hinaus geht.

Es war mir bei allem Elend eine wichtige Aufgabe, den einen und anderes Aspekt aufzuhellen.

Breitscheidplatz • Berlin

1 Zur sich langsam entwickelnden Datenlage bei allen möglichen Katastrophen
oder
Über die prefaktische Vorbeugung gegen postfaktische Erkenntnisse

Wenn man mehr sagt, als man weiß, dann ist man unseriös.

Manchmal kann man aber 1 und 1 zusammenzählen und weiß dann doch mehr, als gesagt wird. Viele Wahrscheinlich, Mutmaßlich, Eventuell, Möglich und Nicht-mit-letzter-Sicherheit vernetzen sich in der Fuzzylogic des menschlichen Gehirns schnell zu einer Gewissheit, die man dann aber nicht ausspricht, weil man nicht unseriös in Erscheinung treten will. Dabei rettet uns gerade diese spezifisch menschliche Leistung vor ziemlich viel gefährlichem Wahnsinn.


2 Über das Beten ohne Religion

Religionen empfehlen nur bestimmte Adressaten für unsere Gebete.

Den Empfehlungen muss man nicht unbedingt Folge zu leisten.


3 Die Polizeigewerkschaften sind immer mal wieder eingeladen, sachfremd einzugreifen

Wenn die Polizei Poller vor Weihnachtsmärkten gut findet, die Polizeigewerkschaft aber nicht, dann ist die Polizeigewerkschaft fest in ihrem Zuständigkeitsspektrum geblieben. Ihre Vertreter sagen immer nur, dass sie mehr Polizisten brauchen, niemals auch etwas anderes. Das ist ihr Job, aber ich möchte das wirklich nicht mehr hören!


4 Fantasie über das Gesetz und seine Anwendung

„Den Mörder dieser entsetzlichen Tat muss die volle Härte unserer Gesetze treffen.“

Das sagt der Zentralrat der Muslime in Deutschland.

Der Rechtsstaat zeichnet sich allerdings dadurch aus, dass das Gesetz eben nicht „hart“ angewandt wird. Das Strafrecht gibt einen Rechtsrahmen vor, der mit den Mitteln des Rechts im jeweiligen Fall präzisiert wird. Die Idee von der „vollen Härte“ gründet sich auf ein angenommenes Volksempfinden, das völlig anders zustande kommt als ein Urteil im Namen des Volkes.

Ich halte solche Sätze für einen populistischen Unsinn.


5 Postfaktisches Trauern

Postfaktisch trauert man nicht. Man drückt Trauer aus.

Ich meine, dass man ohne direkte Verbindung zum Opfer weniger trauern kann, aber um so besser über Trauer reden kann.

Trauer ist zudem viel stummer als eine Schweigeminute.


6 Kanzlerinnenworte

„Ich weiß, dass es für uns alle besonders schwer zu ertragen wäre, wenn sich bestätigen würde, dass ein Mensch diese Tat begangen hat, der in Deutschland um Schutz und Asyl gebeten hat.“ Das sagt die Kanzlerin Merkel. 

Die Wirklichkeit ist, dass ankommender Flüchtlinge nur in wenigen Fällen Asyl suchen, sondern Sicherheit. Das gilt ausdrücklich auch für gebildete Flüchtlinge, die über das, was Asyl ist, Bescheid wissen könnten. Die Praxis ist, dass Flüchtlinge durch ein Verwaltungsverfahren zu Asylbewerbern werden, das ihnen eine Unterkunft und einen Lebensunterhalt als Flüchtling sichert. Was sollten sie auch sonst tun?

Die Worte der Kanzlerin sind also weit weg von der Praxis und kontrafaktisch aufgeladen mit einer gehörigen Portion Undankbarkeit.

Wenn die Kanzlerin weiter sagt: „Dies wäre besonders widerwärtig gegenüber den vielen, vielen Deutschen, die tagtäglich in der Flüchtlingshilfe engagiert sind, und gegenüber den vielen Menschen, die unseren Schutz tatsächlich brauchen und die sich um Integration in unser Land bemühen.“, dann mag ich so eine Widerwärtigkeit nicht erkennen.