Knallkörper

Durch Beobachtungen in der Vorsilvesterzeit kommt man schnell zu der Erkenntnis, dass gerade Menschen, die immer wieder finanzielle  Engpässe zu verkraften haben, auch eine Vorliebe für Knallkörper haben. Wenn sie diese Vorliebe zu dem Verkauf von Feuerwerken aller Art führt und sie zum Fest gegebenenfalls auch reichlich Tabak und Bier brauchen, dann wird es finanziell doch sehr eng. Ich habe in dieser Neujahrsnacht beobachtet, dass sich der Bürgersteig bereits 15 Minuten vor Mitternacht mit Menschen füllte. Es gab dabei keine zwischenmenschlichen Kontakte mit besten Wünschen, wie sie zum Jahreswechsel üblich sind. Etwa 10% der Leute waren selbstzündelnde Hauptfeuerwerker, die anderen Hilfsfeuerwerker oder angstfreie Schaulustige. Die Hauptfeuerwerker hatten nichts anderes im Sinn, als noch vor dem Jahreswechsel erste Geschossbatterien auf der Straße anzuordnen und zu zünden. Da war es mal grade fünf vor zwölf. Alle Feuerwerker hatten Material für eine Stunde Knallerei ohne Unterbrechung. Die Hälfte von ihnen aber für jeweils zwei Stunden. Bierkästen dienten teilweise als Startrampen. Autofahrer mussten mutig sein, um die Straße zu passieren. Überall lagen sich entwickelnde oder sterbende Silvesterartikel in den merkwürdigsten Zuckungen herum.

Es ist ja weitestgehend erforscht, dass eher arme Menschen eine andere Prioritätensetzung haben, als man es von ihnen im Mainstream erwartet. Ein Budget für Spaß und Freude wird ihnen nicht zugestanden. Man erwartet sogar, dass sie von dem errechneten Kulturanteil im Bürgergeld ihren Kindern gesundes Gemüse kaufen. Die Praxis ist es aber, dass arme Leute sich eher vermeintlich lustige Erlebnisse erkaufen. Damit markieren sie ihren Anteil in der Welt der Konsumenten auch dann, wenn sie einmal kostenfrei einen Spaß haben, für den man eher Phantasie braucht.

Wenn nun die allgemeine Preisentwicklung von ihnen nicht mehr aufgefangen werden kann, was sich empirisch belegen lässt, dann kaufen arme Menschen ihr Feuerwerk auf Kosten ihrer eigenen Grundversorgung. Insofern wäre es sinnvoll, die nach amerikanischem Muster sprießenden Tafeln mit einem kulturfördenden Zweck auszugestalten und aber zunächst die milden Gaben zur Speisung in das Bürgergeld überzuführen und diesen Bedarf gesetzesgerecht auszugestalten.  Das ist längst überfällig. Fortan könnten die Tafeln als Agenturen zur Ausgestaltung des kulturellen, nichtmateriellen und kommunikativen Lebens ausgebaut werden. Um die bösen Geister in den rauhen Nächten zwischen den Jahren mit Freude und Zuversicht auszutreiben, bedarf es keiner Feuerwerksindustrie für Amateure.

Heute Morgen sah ich aus dem Fenster eine Gruppe Kinder mit Plastiktüten, brauchbare Teile aus dem Müll der Nacht aufzuklauben, bevor der Wagen der Stadtreinigung kommt. Die Kinder hatten scheinbar einen fachmännischen Optimismus, die fehlgezündeten Anteile zu finden. Ich bilde mir ein, dass es die Kinder der Väter waren, die noch am Vortag mit dem großen Peng in den Augen ihr kostbares Geld für die F3 Polenböller über die Verkaufstheke geschoben haben. Ich befürchte das Schlimmste. In der Vergangenheit hatte ich keinen Erfolg, solche Kinder zu schützen und von der Sammelleidenschaft abzubringen.

Hier kämen jetzt logischerweise noch die guten Vorsätze für AD 2025.

Helfen Tafeln den Armen? – Nicht unbedingt!

Der tumbe Tafelchef aus Essen mit dem ewig rotkugeligen Outfit hat ja bisher wirklich nicht viel gesagt, ist dabei aber unbeugsam. Das ist ein gefundenes Fressen für alle Kommentatoren, ihre Leserschaft pro und contra zu versorgen.  In diesen Tagen sind die Medien voll davon und alle reden mit. Zur Erklärung seiner sonderlichen Vorstellungen vom fremden Menschen hat besagter Tafelchef dann auch noch einen Einblick in seine gentheoretische Denkwelt gegeben und das Nehmer-Gen zur Vereinnahmung von Obst, Gemüse und anderen Gütern bei Syrern und Russlanddeutschen beklagt. Es klingt bereits der „lebensbejahende, afrikanische Ausbreitungstyp“ an, wie ihn der rechtsradikale Thüringer Bernd Höcke ausgemacht haben will.

Kann es nicht sein, dass der ungebändigte Run auf die Tafeln ein Problem zur Ursache hat, das den Tafeln vorausgeht?
Kann es gar sein, dass der Tafelmann unter einem großen Irrtum arbeitet und ein Opfer eines naiven Hilfearrangements ist, bei dem das Kistenschleppen irgendwann unvorbereitet zum Nachdenken über große Fragen auffordert?

Im Rahmen der Gesetzgebung werden die Leistungen für ein menschenwürdiges Leben festgelegt. Das soll also nicht nur so sein, das ist so! Derzeit gilt, dass 416€ für den einzelnen erwachsenen Menschen dazu ausreichen. Dazu gibt es aus Expertenkreisen und Sozialverbänden erheblichen Widerspruch: Es ist zu wenig!

Unabhängig davon ist, dass ein Minimum, gleichgültig wie es ausfällt, immer als zu wenig erlebt wird. Man hat also gern etwas mehr. Das ist sehr verständlich.

Eigentlich bedarf es also der Tafeln nicht, wenn die 416€ ausreichen. Es ist sogar gesetzlich vorgesehen, dass andere Einkünfte und Zuwendungen ihrem Wert entsprechend von den 416€ abgezogen werden. Die Grundidee des Gesetzgebers ist es nämlich, dass das Existenzminimum so exakt bestimmt ist, dass es nicht durch alle möglichen Quellen und Gaben ausufert.

Wir brauchen also eine ständige Verbesserung der Regelsätze auf einem akzeptablen Niveau. Wenn die Bundespolitik nach schwarzen Nullen jagt, ist es regelmäßig so, dass das knappe Geld nicht so gern in die Überbrückung der Armut investiert wird. Dagegen wird vor Gerichten ständig geklagt, meistens erfolgreich. Doch dem Empfänger von Sozialleistungen bleiben im Moment erst einmal trotzdem nur die 416€.

Betrachtet man also die Verschwendung von Lebensmitteln von der Grundversorgung armer Menschen getrennt, dann können wir uns unabhängig darauf konzentrieren, die Verschwendung anzugehen. Dass die Verschwendungen zu den Armen umgeleitet werden, ist eine überaus beliebte Möglichkeit. Wie beim Müll, wäre aber eine Überschussvermeidung die erste Wahl.

Die Idee, „Gutes“ zu tun, ist in alter christlicher Tradition auch dann unangreifbar, wenn sich das Gute als das Schlechte, oder als Verhinderung des Guten herausstellt. Und so wächst zusammen, was nicht zusammengehört, der Anspruch auf Hilfe und die kostenfreie Verteilung von Lebensmitteln.

Daraus ergeben sich viele scheinbare Vorteile, die aber in Wirklichkeit nur das System der Hilfe außer Kraft setzen.

  • Der Gesetzgeber kann sich bei der Neubestimmung der Regelsätze stark zurück nehmen, weil wirklich Bedürftige und auch kritische arme Menschen bei der Tafel das erhalten, was ihnen eigentlich als Regelsatz zusteht.
  • Wechselfälle des Lebens, die einer spontanen Hilfe bedürften können behördlicherseits oft unbearbeitet bleiben, weil die Tafel einspringt.
  • Arme Menschen, die einen Anspruch haben, können häufig von der Behörde einfach so an die Tafel weitergereicht werden.
  • Die Behörde spart in erheblichem Rahmen Personal und Finanzmittel ein, weil die Tafeln ehrenamtlich deren Arbeit ersetzen.
  • Für Tafeln, Behörden, Tafellieferanten, die Presse und hilfsbedürftige Menschen wird die Idee gepflegt, dass das Ehrenamt gut und wirksam arbeitet.
  • Es warten ab und zu ein Dankeschön und möglicherweise das Seelenheil für die vielen ehrenamtlichen Helfer.

Der Herr von der Tafel und seine Kumpanen sollten einfach nur die Arbeit einstellen. Überproduzierte Lebensmittel lassen sich mit logistischen Mitteln reduzieren. Lebensmittel werden zudem billiger, wenn – wie in einigen anderen Ländern – die Überproduktion sanktioniert wird. Jedem Bäcker steht es beispielsweise zudem frei, Ware vom Vortag billiger abzugeben oder Zeiten für einen reduzierten Restverkauf anzubieten. Hinzuweisen ist auch noch auf zahlreiche Food-Sharing-Projekte. Und wenn der Nachbar arm ist, dann kauft man für ihn zum Grillen ein paar Würste mehr.

Da fällt mir eine Geschichte ein, die auf den ersten Blick mit der Essener Tafel nichts zu tun hat:
Vor vielen Jahren habe ich einmal mit ein paar Mitarbeitern ein Sommerfest auf dem Außengelände einer Flüchtlingsunterkunft organisiert. Es war schön und gut. Es gab viele Gespräche zwischen den Kulturen und künstlerische Darbietungen auffällig hohen Niveaus. Die Würste, das Brot und die Getränke waren kostenfrei, sollten aber im Festzusammenhang konsumiert werden. Es war dann zu beobachten, dass bestimmte Untergruppen wohlorganisiert waren. Zunächst wurde eine Wurst auf dem Teller zu einer kranken Frau ins Haus getragen, dann wurde ein Kasten Getränke weggetragen und schließlich ein Teller mit unüberschaubar vielen Würsten. Es war also erforderlich, das Fest über Eingriffe in diesen Ablauf und Gespräche zu retten. Das ist dann auch gelungen. Es gab genügend Flüchtlinge, die so einen destruktiven Selbstbedienungsladen auch nicht wollten und sich entsprechend eingebracht haben. Der Gesprächsrahmen reichte aus, um den Konflikt gut zu bewältigen. Ob so oder so, etwas Tafel ist immer und alle Beteiligten lernen daraus.