Als Liebhaber der Kultur bin ich nicht wählerisch, sondern immer nur wohlwollend. Es ist ein Geschenk, nahe dabei sein zu dürfen, wenn etwas über die Bühne geht und dabei das Leben streift. Selbst vermeintlich schlechten Darbietungen kann ich viel abgewinnen. Es reicht mir schon, wenn sich jemand traut, den Weg der öffentlichen Inszenierung zu gehen. Wenn es gelingt, irgendein Theater dort stattfinden zu lassen, wo die Menschen leben, also abseits aller Kulturtempelchen mit raffinierter Technik, dann ist das schon lobenswert, ohne dass man sein spezifisches Erlebnis dort dann auch abgeholt hat.

In dieser Woche zeigt ein Medienmaler die Bauwerke der Stadt Mönchengladbach auf der unglaublichen Fassade eines völlig überdimensionierten Gebäudes vis à vis des Hauptbahnhofs. Es ist seine Kunst. Die ehemals zweckdienliche Nachkriegsarchitektur mit hunderten identischer Fenster und des dazu erforderlichen Laibungsbauwerks als einer Art Gerüst, dient als Leinwand und zerreißt die neuen Bilder für die Nachkriegswelt des rechten Winkels gnadenlos in Vexierstücke. Vom farblosen Entwurf sieht man die herausragenden Bauwerke der Stadt bis zum farbenfrohen Gemälde, an dem der Künstler im Bild unaufhaltsam arbeitet. Der Akteur wächst mit seinen Bildern. Man vergisst für die Zeit der Darbietung, dass der Hauseigentümer ein sehr eigentümlicher Investor ist, von dem jeder Mensch seit ewigen Zeiten erwartet, dass er den ganzen Komplex in bester Citylage abreißt und etwas Neues schafft. Die Kommunalpolitik inszeniert also sehr stark mit. Das ist in diesem Fall ein Segen. Sie setzt trotz gleicher Stilmittel mit beeindruckend starken Beamerwürfen nicht auf immersive Darbietungen der endlosen Archivbilder aus den Museen der Welt – man kennt das ja schon – sondern arbeitet schöpferisch.
Der Bereich zwischen Bahnhof und dem Haus „Haus Westland“ ist als Actionarea abgezäunt, aber doch frei zugänglich. Es gibt Bratwurst und Bier, Liegestühle und eine karnevalesk zusammengeschraubte Tribüne. Hinter dem Zaun halten Buslinien, die das Bahnhofsleben mit dem Hinterland verbinden und störungsfrei arbeiten. Man reist zur Show also bevorzugt nicht mit dem Privatauto an.

Mir hat es gut gefallen. Meiner zehnjährigen Begleiterin fehlte einfach so ein Theatervorhang, der unmissverständlich zeigt, dass es los geht und dass von Anbeginn das Publikum verzaubert wird. Ihre ständige Frage nach der Uhrzeit vermittelte Zweifel daran, dass wir wirklich im richtigen Film waren. Es gab schon im Halbdunkel Probeschnipsel aus dem Beamer und danach eine ebenfalls gebeamte, aber überflüssige Selbstdarstellung des Künstlers in „seiner“ Stadt in zwei Episoden. Es war für diesen Zweck die falsche Zeit und die falsche Leinwand. Die gute Hauptdarbietung ließ aber schnell vergessen, dass man gerade einmal ohne Sitzkissen im Leben war. Die Musik war zur pointierten Verstärkung der sich entwickelnden Bilder eingesetzt. Als eigentlich alles gezeigt war, da kam noch eine Orgie der Übergänge, die jedes Medienbearbeitungsprogramm im Rechner in rauhen Mengen zur Verfügung gestellt. Die Bilder wurden verformt, zerschnitten, getauscht und überblendet und der Ton hatte damit auch seinen größten Auftritt, obwohl ja zuvor schon alles gesagt war. Der Abschluss war also ein Sündenfall! Man hätte diesen Schluss einfach weglassen sollen. Er reißt zudem auch den lobenswerten Künstler Leon Löwentraut mit in den Abgrund. Man muss eben nicht alles machen, nur weil es technisch möglich ist. Das ist eben keine Kunst, obwohl es so aussehen mag.
Nach der Aufführung hatten wir am abgekühlten Herbstabend noch Spaß mit einem Bällchen Eis aus dem Bahnhofsviertel für 1,50€. Das ist ja nichts. Kunst zum Nulltarif – wann und wo gibt es das schon?

