Heute war ich beim Bäcker, um Brötchen zu kaufen. Es war wieder so ein Aufbackfilialist im Ausgangsbereich des Supermarkts. Backende Bäcker sind sehr selten geworden. Die Brötchen dort sahen nicht irgendwie extravagant aus. Da sagte die Verkäuferin: „Brötchen hab ich leider nicht da. Sie können aber die Krustis hier haben.“ – und zeigte auf die Brötchen. Da habe ich dann zwei genommen. Sie entsprachen meinen Erwartungen, die ich an Brötchen habe. Eines wog 62 Gramm und beim Aufschneiden flogen mir die Krustensplitter gefährlich um die Ohren.

Aber: Das Brötchen kostete etwas mehr als doppelt soviel, wie das gelistete, aber nicht vorrätige Brötchen, nämlich einen ganzen Euro. Das Gewicht könnte man ohne Probleme auch noch den Normalbrötchen zuordnen. Und zwei kleine Brötchen hätten gemeinsam ohnehin erheblich mehr Oberfläche zur Verkrustigung zum letztendlich günstigeren Preis. Ich hatte doch etwas Angst, mir beim Biss ins Brötchen die Mundwinkel zu verletzen. Aber da habe ich dann doch Glück gehabt.
Wenn ich darüber nachdenke, ist ja doch kaum damit zu rechnen, dass das Kernprodukt aller Backwaren, das Brötchen, nicht verfügbar ist. Ein Substitutionsbrötchen kommt dem Backunternehmer dabei nun aber gelegen. Er macht damit den Mangel schnell vergessen und verdient doppelt und mehr zu Lasten des Kunden. Das ist ein betriebswirtschaftlich genialer Schachzug.
Ich gehe da aber wohl nicht mehr hin, zumal mir auch die Sprachinnovative Kraft nahezu aller Backunternehmer nervt, die selbst für traditionelle und gut eingeführte Produkte Eigennahmen erfinden und damit auch Unbedeutendes grenzenlos auffächern und den Kunden darauf prägen, die vorgegebene Wortwahl fortzuführen.
Und weil es irgendwie dazu gehört, hier noch ein fertiger Text aus den letzten Wochen:
•Der Name des Brotes•
Brote sind mit gutem Grund ein nur schwer verzichtbares Lebensmittel. Die Brotsorten gehen in die Tausende. Früher wurden Brote nach dem Herstellungsverfahren, nach den Zutaten und später dann oft nach den Orten bezeichnet, an denen sie ursprünglich besonders viel Beachtung fanden. Es war bei der Verständigung im Bäckerladen alles noch sehr einfach. Selbst Zugereiste aus fernen Ländern konnten ohne weitreichende Probleme mitreden.
Mittlerweile ist es anders. Man verlässt mit dem Eintritt in den Bäckerladen seinen angestammten Sprachraum weitgehend und lässt sich mit Backwerkbezeichnungen eindecken, für die es kein allgemein gültiges Wörterbuch gibt. Man ist also sprachlos zwischen Weltmeisterbrot, Fitnessbrötchen, Mini-Sonne, scharfem Griechen, Nonnenfurz und Ostblock. Es ist offenbar so, wie es auf Speisekarten schon länger üblich ist: Es werden Kosakenzipfel kreiert und sie dürfen vom Foodartisten dann so ausgerufen werden. Er bastelt also, um es dann im Jargon der Betriebswirtschaft zu sagen, einen Namen als Alleinstellungsmerkmal. Perfide wird die ganze Sache, wenn der Kunde an dieser Bezeichnung nicht vorbei kommt. Das beliebteste Brot ist deshalb seit Jahren das Das-da. Der emanzipierte Gesprächsteilnehmer verweigert es also, den Sprachgebrauch um sinnlose Vokabeln zu erweitern und stößt damit auf Unverständnis im Bäckerladen. Er steht zwischen den anderen Kunden in einer Sackgasse und versteht nichts mehr. Dem Menschen aus einem fernen Land wird auch der Mönchsstengel nur schwer zu vermitteln sein. Ich habe mich entschlossen, eine präzise Zeigefingergestik einzuüben und arbeite damit. Die Antwort war heute: „Meinen sie die Bauernwecken? – mit oder ohne?“
Ich bin uneingeschränkt dafür, dass der Kunde sagt, was er will und ihm nicht vorgegeben wird, was er sagen soll. Der Rest regelt sich von allein: „Geben sie mir bitte ein Onjeschwedde!“ Meine Höchststrafe wäre es, wenn ich zu einer unbekannten Bäckerei mit dem Auftrag geschickt würde, ein Radlerbrot mitzubringen.
Da fällt mir noch eine Geschichte ein: Vor vielen Jahren war der Hans aus Düsseldorf auch dabei, als wir mit einer großen Gruppe in den Schwarzwald fuhren. Wir waren so sehr gebildet, dass wir wussten, dass Holländer Kirsch in Düsseldorf Tusnelda heißt. Hans war aber offenbar die Ausnahme. Er bestellte im Café also eine Tusnelda und war fortan in ein erkenntnisleeres Gespräch verwickelt, das noch andauerte, als alle anderen bereits jeweils ein Stück Schwarzwälder Kirsch gegessen hatten. Übrigens: Man sollte stets das Bier trinken, das am Ort gebraut wird.
Spoiler für die nächsten Tage:
„Ich möchte 10 Brötchen.“
„Wir haben nur noch 9.“
„Dann nehme ich die.“
„Ich berechne ihnen trotzdem nur 10, weil 9 teurer wären, weil 5 im Angebot sind.“

