Über das Verbieten

Der erwachsene Mensch lässt sich nichts verbieten und sieht grundsätzlich auch keinen Sinn in Verboten. Lediglich die im Strafrecht traditionell aufgelisteten Verbote sind eine Ausnahme, obwohl auch sie einem Wandel unterliegen: Man reagiert zunehmend durch Einsicht und weniger aus Angst vor Strafe.

Nun hat es sich aber in der Vielfalt der bürgeroffenen Kommunikationskanäle über die Jahre eingebürgert, dass man seiner Meinungsposition nicht in der Analyse des Sachverhaltes schärft, bevor man sie loslässt. Man sagt einfach irgendwas. Und es ist ja meist auch niemand von Angesicht zu Angesicht in der Lage Paroli zu bieten. Die sozialen Netze zerplatzen mittlerweile in einer stattlichen Welle ungefragter Meinungen. Stellungnahmen zu geäußerten Meinungen sind selten. Meinungen, die Shitstorms auslösen, sind auch selten, finden aber wenigstens Beachtung. Die Vielzahl der unbeachteten Meinungsäußernden fühlt sich daraufhin gern als eine Randgruppe, die systematisch übergangen wird.

Wenn sie zufällig Bauer sind, fahren sie plötzlich nicht mehr mit dem Traktor über den Acker, sondern durch die große Stadt und prahlen mit ihrer Meinung auf Papptafeln, die den Traktor zum Hingucker werden lassen.

Sie sind damit in einer Kehrtwende angekommen und deuten die ursprüngliche Nichtbeachtung als Verbot, das ihnen zuversichtlich schon bald nichts mehr anhaben wird. Wenn wir von der repräsentativen Demokratie absehen oder sie geringschätzen, nennen wir alle gern dazu mächtige Landmaschinen ins Feld zu führen und damit unsere Meinung durchzusetzen. Es ist dann gleichgültig, was wir einmal gewählt haben. Und schließlich haben die Volksvertreter ihre Diäten wohl auch nicht verdient, weil wir jetzt wieder alles fein selbst machen.

Über die freie Meinungsäußerung

Die freie Meinungsäußerung kommt gerade in den sozialen Medien ins Gerede, weil die einen den schwerverletzten Promi Michael Schumacher mit einem routinierten „RIP“ zum Toten stilisieren und weil die anderen einfordern, man möge doch durch eine Verfügung der Obrigkeit die unzähligen RIPs aus dem gesammelten sozialen Wissen auslöschen.
Die einen haben bisher offenbar versäumt, RIP bei Wikipedia nachzuschlagen. Die anderen spielen sich in besserwisserischer Manier nur auf, die Ethik des nahen Todes mit internationalisierten Gefühlsstandards auszustatten. Beiden gemeinsam ist, dass sie einen Hype am ungeeigneten Objekt aufziehen. Denn eigentlich gibt es nichts zusagen. Das sagen dann auch immer alle, die fortwährend in sämtlichen Medien berichten.
Die Meinungsfreiheit geht übrigens kommunikative Wege und sperrt sich grundsätzlich der Verdinglichung:
„Ich bin nicht deiner Meinung, aber ich werde mich jederzeit dafür einsetzen, dass du sie sagen darfst.“ Dieses Zitat wird in unterschiedlicher Ausformulierung sowohl Voltaire als auch Rosa Luxemburg zugeschrieben. Es steht für eine unbedingte Meinungs- und Pressefreiheit. Unbedingt sind dabei auch schlechte Texte und falsche Aussagen schützenswert. Das Mittel der Auseinandersetzung ist nämlich der Widerspruch und nicht der obrigkeitliche Eingriff. Die Bildung einer gut vertretbaren Meinung setzt geradezu eine unzensierte Vielfalt von Qualitäten und Inhalten voraus.