Flüchtlingsleben

Nachdenkung über die gerechte Sprache und das gerechte Flüchtlingsleben

Unsere Sprache ist angereichert mit Begriffen, die oft so merkwürdig aufgeladen sind, dass das Gespräch darüber in die Irre führt. An einigen Stellen gerät Bewegung in die Sprache, wenn es beispielsweise um eine geschlechtsgerechte Sprache geht oder die Übersetzung historischer Texte für den heutigen Gebrauch. Für solche Richtigstellungen gibt es eine Lobby. Gleichwohl gibt es immer wieder Moden und Nachlässigkeiten, in denen beispielsweise eine „Wertigkeit“ inszeniert wird, obwohl es doch nur Hochwertigkeit und Minderwertigkeit gibt, in denen man sich „gut aufgestellt“ präsentiert und damit die Militärsprache gebraucht, die die Truppenanordnung für den Sieg beschreibt. Man „erinnert“ und läßt den reflexiven Zusatz zum Verb „erinnert sich“ einfach weg, und imitiert dabei die englische Sprache.
Aktuell gibt es einen Sprachmissbrauch, bei dem sich in den Schlagzeilen direkt zwei Kandidaten treffen, die in die Irre leiten. Es wird getitelt: „Hartz IV für Asylbewerber“.

  1. Asylbewerber
    Politisch verfolgte Menschen erhalten Asyl und sind deshalb bei einem noch ungeklärten Status Asylbewerber. Es ist aber nicht so – wie vermittelt wird – dass der Flüchtling in einem besseren Leben tatsächlich ein Asylbewerber ist. Er wird bureaukratisch erst dazu gemacht. Flüchtlinge sind froh, ihre Haut gerettet zu haben. Nur verschwindend wenige orientieren sich am geltenden Asylrecht und definieren sich selbst als politisch Verfolgte. Der Flüchtling – egal, was er denkt – wird bei der Ankunft sofort vom Bittsteller zum Antragsteller. Die deutschen Behörden machen ihn zum Asylbewerber, damit sein Status bis zur Ablehnung die Zahlungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz rechtfertigt. Abgelehnt wird er fast immer (98,5%), weil seine Flucht ins bessere Leben erst gar nicht anerkennensfähíg ist. Fast alle Flüchtlinge hören das Schlüsselwort Asyl bei der Ankunft zum ersten mal und erfahren meist nicht, was es bedeutet. Sie sind und bleiben Flüchtlinge. In der gerechten Sprache sind und bleiben sie das auch.
  2. Hartz IV
    Der Volksmundbegriff „Hartz IV“ bezeichnet das „Arbeitslosengeld II“. Er übernimmt den Namen seines Schöpfers. Herr Hartz ist ein rechtskräftig wegen Untreue verurteilter ehemaliger Personalvorstand von Volkswagen. Weil er keinesfalls als Vorbild taugt und ein Personenkult in der bürgerlichen Demokratie fehlplatziert ist, ist „Hartz IV“ ein Unwort und eigentlich nicht zu gebrauchen. In der gerechten Sprache kann es deshalb nur um Arbeitslosengeld II gehen.

3 Hartz IV für Asylbewerber
Das Arbeitslosengeld II definiert das Existenzminimum. Mit der Einführung des Asylbewerberleistungsgesetzes 1993 wurde festgelegt, dass dieses Existenzminimum für Asylbewerber – also Flüchtlinge – pauschal nicht gilt. Schließt mal einmal eine rassistische Begründung aus, die davon ausgehen müsste, dass Menschen, die geflüchtet sind, weniger zur Existenzsicherung brauchen, dann hat diese nun schon jahrewährende Festlegung folgende Konsequenzen: Flüchtlinge sterben nach und nach, Flüchtlinge flüchten abermals oder Flüchtlinge sichern sich ein ergänzendes Einkommen. Die Sicherung des ergänzenden oder gar ersetzenden Einkommens auf legalem Weg, stößt dabei mangels Arbeitserlaubnis an ein nahezu unüberwindbares Hindernis. Bei einem dauerhaft überlebenden Flüchtling bietet sich also die Unterstellung an, er würde sich mit illegalen Einkünften sein Überleben sichern. Daran schließt sich dann gedanklich eine Ausweisung an, weil er mit seiner Kriminalität die Gastfreundschaft missbraucht. Das heißt: Mit dem Asylbewerberleistungsgesetz war es bisher vor allem möglich, Menschenströme an der Mitmenschlichkeit vorbei zu leiten.

4 Die Geschichte
Nun ist die ausweglose Einkommenslage der Flüchtlinge seit fast 20 Jahren festgeschrieben. Die Ungerechtigkeit auf der Grundlage einer fehlerhaften Gesetzesnorm hat lange Zeit nur Flüchtlingsaktivisten interessiert. Erst mit einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts am 18.7.2012, das der universellen Geltung des Existenzminimums folgt, ist nun auch die Regelung für Flüchtlinge als verfassungswidrig festgestellt. Flüchtlinge teilen nun das gleiche Existenzminimum mit allen anderen Menschen. Die Behörden sind schon dabei, die Nachzahlung (ab Januar 2011) vorzubereiten. Das hört sich gut an! Bisher ist allerdings nur das monatlich zu zahlende Geld um ca. 40% angehoben. Alle anderen Leistungen für Flüchtlinge unterliegen den überkommenen Restriktionen weiterhin: Die gesetzliche Krankenversicherung bleibt verschlossen. Es gibt keine Darlehen bei besonderen Notlagen usw. Es ist die Aufgabe des Gesetzgebers, die Analogie zum Arbeitslosengeld insgesamt zu beschließen, dann gehört das Asylbewerberleistungsgesetz nach 20 Jahren der Vergangenheit an.

Würde man Hartz IV durch ALG II und Asylbewerber durch Flüchtling ersetzen, wäre die Debatte allerdings immer schon einfacher und sachgerechter.