Regierung sucht Geld

„Könnte 1,8 Milliarden Euro

pro Jahr einsparen

REGIERUNG PRÜFT 

STREICHUNG VON 

PFLEGEGRAD 1“

FOCUS 28.9.2025

Wird eine Pflegebedürftigkeit beantragt und ist sie auch begründet, dann stellt ein Gutachter zum Einstieg den Pflegegrad 1 fest. Er macht das meistens auch dann, wenn ein höherer Pflegegrad gerechtfertigt wäre. Offenbar stärkt das seine Position im Verfahren zur Feststellung der Pflegebedürftigkeit. Der Pflegebedürftige selbst ist damit in der Regel zufrieden. Er kennt ja nur sein eigenes Leid. Und es mag ja immer sein, dass es anderen Menschen noch schlechter geht. Die an der Einschätzung beteiligten Angehörigen sehen es meist nicht anders. Für den Pflegegrad 2 muss alles weitaus schlimmer werden. Ich weiß das, weil ich aus Gutachten und gutachtendienlichen Gesprächen um die fehlende Beurteilungstiefe weiß. Die Gutachten sind in der Regel formal und verrechnen Antworten auf vorgegebene Abfragen nach einem spitzfindig durchdachten Punktesystem. Der grundempathische Mensch könnte damit auch ohne Fachkenntnis ein Gutachten fertig bringen.

Wenn nun aber die Regierungsfraktionen – so wie es in diesen Tagen diskutiert wird – den Pflegegrad 1 abschaffen würden, um 1,8 Milliarden Euro einsparen zu können, dann würde  das Pflegesystem nicht verbessert, sondern einfach nur der Pflegegrad 2 zum Einstiegspflegegrad werden. Die Variabilität der Pflege würde eingegrenzt und kein einziger Euro eingespart. Weniger Pflegebedürftige gäbe es ja dadurch nicht. Die Qualität der Gutachten ließe sich allerdings verbessern, wenn man das Abfragekorsett aufweichen würde, um die Fachlichkeit der Gutachter höher wert zu schätzen. Das würde gerechter und wohl auch teurer. Gerechtigkeit und Hilfe haben einen Preis.

Von einem nichtfiktiven Fall weiß ich zu berichten. Ich tue das hier nur, um einmal abseits aller Pflegegrade für eine angemessene Pflege zu sensibilisieren:

Der Patient hatte lebenslang eine schwere, angeborene Herzerkrankung kompensiert und  nach langen Krankenhausaufenthalten als Kind ein gesundes und eher extrem aktives Leben geführt. Ärzte hatten ein kurzes Leben vorausgesagt und die Familie hatte weitestgehende Normalität zur Orientierung vorgegeben. Mit dem Rentenalter hörten aber trotzdem aus heiterem Himmel die Kompensationsmöglichkeiten des Körpers und auch der Seele auf. Alle Organe des Körpers hatten ihre Grenze erreicht, allen voran eben das Herz. Von der Antragstellung einer Pflegebedürftigkeit bis zum Tod, dauerte es gerade einmal drei Monate. Gewährt wurde – zügig nach der Antragstellung – der Pflegegrad 1. Dann kam ein erster unumgänglicher Krankenhausaufenthalt. Es ging etwas besser und es war hoffnungsfroh. Doch dann konnte man von Tag zu Tag zunehmende Belastungen und Einschränkungen miterleben und es wurde ein Pflegedienst für ausgewählte Hilfen bestimmt. Als dann fast nichts mehr ging, blieb nur der Wunsch des Patienten zu leben und das zu Hause. Eine dann notfallmäßig eingeleitete Krankenhausbehandlung konnte den Tod nach wenigen Tagen nicht verhindern. Drei Wochen vor dem Tod wurde eine Überprüfung des Pflegegrads beantragt, die dann nach dem Tod bearbeitet wurde. Mangels einer Möglichkeit der Begutachtung mit dem Patienten, sollten dann die Angehörigen das für Gutachter konzipierte Kategoriensystem mit Inhalten für eine Entscheidung füllen. Die Angehörigen haben sich geweigert, weil es nicht möglich ist, eine Momentaufnahme zu machen, um einen Status-quo festzustellen, wenn in Windeseile alle Grade bis zum Tod durchlaufen werden. Das wurde dann aber akzeptiert mit der Entscheidung, dass ab Antragstellung der Pflegegrad 5 gilt, also die Endstufe. Es gab also posthum das zum Pflegegrad gehörige Pflegegeld. Die dazu passende Pflege wurde also notgedrungen ohne Pflegedienste geleistet.

Fazit: Geld ist wirklich nicht alles, aber alles ist ohne Geld nichts. Praktische Hilfe kann man nur vielleicht kaufen.

Den Pflegegrad 1 zu streichen ist eine technokratische Zerstörung hilfsbedürftiger Lebenswelten.

Über die Gesundheitskarte

Da hat die Krankenkasse ja lange, aber schließlich erfolgreich daran gearbeitet, von einer Krankenkasse zu einer Gesundheitskasse zu werden. Genau betrachtet, hat sich aber doch nur die Wortwahl geändert. Und damit wird dann das Image ganz einfach auf das Schöne und Gute im Leben ausgerichtet. Mit diesem Image läßt sich also sehr viel erfolgreicher operieren als würde man die Heilung von fiesen Krankheiten im Schilde führen.

Jetzt schrauben die Krankenkassen noch einmal am Image. Dabei haben sie ihre Kunden im Visier und trauen ihnen mittlerweile zu, dass sie ihrer tollen Kasse auch zujubeln. Das festigt das Verhältnis von Kasse und Kunde.

Seit geraumer Zeit sendet mir meine Krankenkasse nun schon Briefe, in denen sie eine ganz besondere Gesundheitskarte anbietet  (eGK) und schmackhaft macht. Es ist stets der gleiche Brief. Diese Gesundheitskarte ist – Kinder bitte weg hören – ELEKTRONISCH — woooow! Nachdem ich mich schon fast nicht mehr traue, „Krankenkasse“ zu sagen, werde ich nun geprüft, ob ich dem Gedankengang der Kasse zur ultimativen Innovation auch schon folgen kann. Man zählt zunächst ganz viele Vorteile dieser Karte auf. Sie speichert unter anderem Krankenakten und trägt mein Bild, damit ich mich davor hüte, auch noch einen Unversicherten damit zum Arzt zu schicken. Ich kann die vermeintlichen Vorteile drehen und wenden wie ich will. Ich mag keine Vorteile erkennen. Verschwiegen wird, dass die seit  2006 immer wieder verschobene Einführung dieser Gesundheitskarte bis zum heutigen Tag umstritten ist, weil weder technische Standard eingehalten werden, noch die uneingeschränkte Nützlichkeit belegt ist.

Nun sagt mir die Krankenkasse, dass sie anbietet, was ich vermutlich schon immer haben wollte. Sie wirbt für die Karte, sehr plump, sonst nichts! Und zum Schluss gestattet sich die Krankenkasse einen Würgegriff auf meine Autonomie: Ich möge doch einen Antrag stellen, damit die begehrte Karte auch zu mir kommt. Fehlt nur noch, dass sie mich zum bemitleidenswerten Zauderer macht, weil man Nachbar diese Karte schon längst hat.

Offenbar will mir die Krankenkasse hier eine wertlose Verpackung andrehen, und mich zum aktiven Zugriff überreden, ohne Argumente aber mit endlosen Wiederholungen.

Nee — liebe Krankenkasse: Wenn du mir die Karte andrehen willst, dann sag das doch so. Ich stelle doch keinen Antrag, weil du mir was aufschwatzen willst. Und wenn ich dein Elekronikum  beantragen würde und erst später als Mogelpackung reklamieren würde, dann würdest du doch verständnislos sagen, dass ich die doch unbedingt so haben wollte und belegst das mit meinem Antrag.

 Ich bin der Herr der Daten und brauche nicht zu raten. Deshalb habe ich notwenige Arztunterlagen (nicht mehr und nicht weniger) bei Bedarf stets auf dem Stick in der Jackentasche. Damit kann ich nachbehandelnde Ärzte gut in Szene setzen und direkt auch mit ihnen darüber sprechen. Sie saugen bei mir keine Karte aus und finden das selbst auch ziemlich cool so.

 Unangenehm finde ich, dass sich nun die Barmer auch noch einreiht in die Wolke von Telefonvermarkter, Pizzaservice, Apotheke und vielen anderen, die um mein Heil besorgt zu sein vorgeben. Da ist mir der gute alte Staubsaugervertreter vergleichsweise ja doch noch ziemlich seriös.

Nachtrag:
Zum Datenschutz berichtet ZDF-Heute am 24.6.2015 folgenden Ablauf, um ihn einfach und effektiv zu umgehen: Sie rufen für einen anderen Menschen bei dessen Krankenkasse an und geben sich auch als dieser aus. Sie sagen, dass sie umgezogen sind und deshalb eine neue Gesundheitskarte brauchen. Und schon wird die Karte ohne jede Identitätspberprüfung an die angeblich neue Adresse versandt. Sie brauchen nur die Karte auslesen und haben damit einen exklusiven Zugang zu denKrankendaten des anderen.