Pfleglicher Umgang

In diesen Tagen bin ich mit dem Thema Pflege befasst. Je nach Leid uns Lebensumstand gibt es Pflegegeld für den, der pflegt und einen Zusatzbeitrag für Ausgaben, die darüber hinaus erforderlich sind. Wenige Länder sind damit so großzügig wie Deutschland. Deutschland ist aber  auch federführend im Datenschutz. Es gibt stets rechtliche Bedenken, wenn es um Gesundheitsdaten konkreter Menschen geht. Das ist richtig, führt aber meist zu einem Stau von Merkwürdigkeiten, damit umzugehen. Der zu pflegende Mensch und sein Pfleger werden dadurch zum Opfer. Jede Übergabe von Daten wird vermieden und wenn sie unvermeidlich wird mit einer Datenschutzerklärung verbunden. Das alles passiert dann fast immer von Angesicht zu Angesicht. Dass die Post zur Vereinfachung genutzt wird, ist selten und kostet Porto. Die mediale Datenübermittlung gibt es im Grunde nicht. Der von mir bewunderte Fortschritt ist allerdings das E-Rezept. Daran wurde jahrelang gearbeitet. Die Kritik aus den Arztpraxen verstummt langsam und das Verfahren wird in der Anwendung optimiert. Für den Patienten ist es ein Segen. Er bestellt mit oder ohne Hilfe online und geht kurz danach zur Apotheke – fertig. Für Überweisungen zu Fachärzten und Verordnungen von Hilfsmitteln und Pflege bleibt das Oldschoolmodell: Der Kranke parkt sein Auto für Geld, geht mühsam durch die Straßen der Stadt zur Arztpraxis und holt die Verordnung ab und bringt sie dann auch noch irgendwo hin. In der Praxis ist es allerdings so, dass das ein Angehöriger oder eine pflegende Person macht, sofern sie auf ihrer Reise nicht am Datenschutz scheitern.

Um das offensichtliche Problem aus der Welt zu schaffen, gibt es eben Geld. Das wissen aber auch die mittlerweile betriebswirtschaftlich hochprofessionalisierten Arztpraxen und Pflegedienste. Die Arztpraxen könnten das eine oder andere in die Post geben, sind aber gehalten, nun auch das als selbstständiges Produkt gerechnete Porto zu sparen und die kostenlose (sic!) Abholpflicht des Patienten zu nutzen. So ein Brief kostet den Umschlag und ein Porto ab 0,85€. Das ist viel, vor allem, wenn man viele Patienten hat. Aber weil viele Patienten auch viel Geld bringen, ist das wohl nicht erwähnenswert. Der Aufwand für den Überbringerdienst des Kranken und seines Beauftragten kostet dagegen ein Vielfaches. Die Situation ist für den Kranken unausweichlich und despektierlich. Zurückliegend war es so, dass die Pflegedienste die Kontakte zu den Ärzten gepflegt haben und dann immer auch gern die Verordnungen für ihre Patienten mitgenommen haben. Jetzt ist es so, dass Arztpraxen gar nicht oder nur noch mühsam zu erreichen sind und dass oft eine datenschutzrechtliche Befugnis zum Abholen angezweifelt wird und die Pflegedienste gezwungenermaßen sich darauf zurückziehen, dass sie lediglich einen Deal mit dem Patienten haben, der also die Verordnungen wohl oder übel vorzulegen hat. Anderenfalls ist die Hilfe zu Ende. Deshalb sind Pflegedienste und Ärzte sich pragmatisch einig, dass der Ergänzungsbeitrag zur Pflege am besten angezapft wird. Entweder deponiert der schwerkranke Mensch geldwerte, frankierte Umschläge beim Arzt, der dann aus reiner Gefälligkeit das verschickt, was eigentlich abzuholen wäre oder den Pflegedienst gegen Geld beauftragt, die Papierstück für ihn abzuholen. Das transportieren über den Pflegedienst erscheint dabei noch unwirtschaftlicher als die anderweitig stellvertretende Wanderung zum Arzt.

Dass es ein Segen wäre, dererlei Kommunikation per Boten statt dessen als E-Variante anzubieten, ist richtig und passt auch eher in die Zeit als die Begehrlichkeit auf Geld, das einem anderen zur Verfügung steht.

Letztens wollte sich ein gepflegter Mensch mit Briefmarken beim Personal einer Arztpraxis für ein entgegenkommendes Zuschicken eines neuen  Medikamentenplans bedanken. Ich fand das kleinkariert und würde mich schämen, wenn ich so etwas tun oder erhalten würde. Mittlerweile ist es aber wohl ratsam, beim Arzt des Vertrauens ein gepflegtes Guthabenkonto zu unterhalten, um ab und zu die gute alte Post und ihre sprichwörtliche Zufriedenheit für einen Übermittlungsdienst zu nutzen.

Ich vermisse eine allgemeine Aufklärung über die neuen Produkte im Medizinmanagement, in denen Herzschrittmacher neben Briefmarken abgerechnet werden. Der Bürger soll doch wissen, von wem er im Gesundheitsbereich erwartet wird und warum.

Was Zeitungen nicht schreiben …

Das ist eine ganze Menge, was Tag für Tag so in Zeitungen so geschrieben wird. Die Texte sind manchmal gut und verständlich, manchmal aber auch schlecht oder nur mühsam zu verstehen. Einige Zeitungen gelten für ihre potentiellen Leser als besonders gut, andere wiederum als hauptsächlich schlecht. In solchen Beurteilungen spiegeln sich nicht nur prüfbare Fakten sondern auch Vorlieben der Leser. Der Leser entscheidet im Idealfall, welche Zeitung er liest und nicht die Zeitung, von wem sie gelesen wird. Wie dem auch sei, man muss sich allererst die Zeitung kaufen, um einem Thema oder einer sichtbaren Schlagzeile auf die Spur zu kommen. Meistens ist man dann aber enttäuscht. Denn viele Schlagzeilen locken in die Irre und man kauft dazu auch eine Menge weiterer Texte mit, die das eigene Interesse meist nur peripher streifen.

Wer die einzeln gekaufte Zeitung eigentlich nicht braucht, interessiert sich aber doch für deren Onlineausgabe. Ich habe damals mein Jahrzehnte währendes Abo einer allgemein hochgeschätzten Zeitung gekündigt, als ich nach einer kostenlosen Anfixphase die inhaltlich identische Onlineausgabe noch einmal zusätzlich hätte abonnieren müssen. Das fand ich extrem abgeschmackt und war verärgert.

Ich schätze seitdem die absolute Vielfalt der kostenlos und online verfügbaren Presseartikel sehr. Zu allen Themen gibt es kostenlose Texte bester Qualität. Es gibt auch viel Mist, aber daran kann man in alter Tradition gut vorbei lesen. Nun ist es aber so, dass Zeitungen nur widerwillig von ihrer Printabteilung Abschied nehmen und weiterhin mit gedruckten Texten Geld verdienen wollen, das sie dem Leser abverlangen. Dabei hat der Leser auch früher bestenfalls den Zeitungsboten bezahlt. Die Werbung und eine Vielfalt von Anzeigen haben aber die Wirtschaftlichkeit sichergestellt. Werbung und Anzeigen haben mittlerweile kaum noch eine Bedeutung für Zeitungen. Sie sind abgewandert. Und das Geld, speziell für Journalistentexte – das eigentliche Produkt – will auch nicht so recht fließen. 

Einige Zeitungen folgen jetzt dem Grundsatz der unbeschränkten Zugänglichkeit im Internet. Die TAZ argumentiert beispielsweise, dass es nicht sein soll, dass die Ergebnisse journalistischer Arbeit der allgemeinen Öffentlichkeit vorenthalten bleiben. Die meisten Zeitungen aber klammern sich an die Paywall, um Geld zu generieren, das wahrscheinlich kaum verfügbar ist. Sie überschwemmen mit Andeutungtexten die sozialen Netzwerke und werden bei geschickter Überschriftengestaltung und mit verheißungsvollen Teasern immer wieder beachtet. Doch dann beginnt der Konsument, sich für das Thema zu interessieren. Es klickt auf die Seite, die den Artikel verspricht. Er landet in einem Text, der nach einigen Zeilen bis ins Unlesbare seine Farbe verliert. Dahinter steht das Angebot, den Text zu kaufen oder gar direkt ein Abo abzuschließen, also direkt für tausende von unbekannten und noch nicht geschriebenen Texten. Der Leser hat mal wieder einige Minuten investiert – und findet das sehr, sehr ärgerlich. Er wird in der Paywallfalle einen Teufel tun und auch noch Geld bezahlen. Zum Thema findet er auch lesbare Texte, wenn er den Notausgang aus der Fälle wählt und anderenorts stöbert.

Aber es ist ja noch schlimmer. Denn die Überschrift, der Teaser und meist ein Symbolbild fluten bereits unbegrenzt die Welt aller sozialen Netzwerke. Und wie es in solchen Kommunikationsmedien so ist, wird auf dieser Basis über einen Artikel diskutiert und gemutmaßt, obwohl er gar nicht verfügbar ist. Es geht also plötzlich auch ganz ohne Text und man vergisst bald zu fragen, ob die Journalistenarbeit überhaupt gebraucht wird oder auf dem Friedhof allerbester aber ungelesener Texte auf Dauer verweilen darf. Jedenfalls ist der ungelesene Text per se wertlos. Bei so manchen Gesprächsbeitrag in den sozialen Netzwerken kommt dann zwar der Gedanke, dass ein guter Text auch zu einer besseren Diskussion führen würde. Aber das ist allzu hypothetisch. Die einfältige Zeitung bricht jedenfalls einen Disput vom Zaun ohne selbst Argumente zu seiner Bewältigung zu liefern. Manchmal ist es gar so, dass ein Thema von herausragendem kommunalen Interesse mittels Paywall nicht zum Zuge kommt und der interessierte und betroffene Bürger erst seine Volksvertreter bemühen muss, weil die Lokalausgabe einer Zeitung eben nichts liefert.

Am 3. März 2021 gab es in einer Lokalausgabe der Rheinischen Post unter der Titelzeile: „Urteilsspruch am Landgericht Mönchengladbach: „Fabio wurde Tag für Tag gequält“ wieder so ein Paywallplacebo mit weitreichender Wirkung. Es ging um den Tod eines 5-Jährigen, der vom Freund der Mutter zu Tode misshandelt wurde, wobei die Mutter nichts unternommen hat, das zu verhindern. In den sozialen Netzwerken gab es also nur die Überschrift und es gesellten sich dazu eine unüberschaubare Zahl von Hobbyrichtern, die ohne Kenntnis des Falls mit rassistischer und menschenverachtender Attitüde noch mehr als die Todesstrafe forderten und die Justiz beschimpften. Und dann kam auch noch die Drohung aus der Szene: „Ich sage jetzt besser nicht, was ich denke!“ Die Zeitung konnte sich über zahlreichen Klicks freuen, hat aber überhaupt nichts dazu beigetragen, die Kommentare zur Überschrift mit Verantwortung so zu moderieren, dass man hätte zufrieden sein können. 

Eine Zeitung, die nichts liefert, ist ziemlich unbrauchbar und überflüssig. 

Jetzt nur mal so als Experiment: Du darfst das hier eigentlich gar nicht lese – bis auf die Überschrift. Du musst erst einmal, sagen wir 3,80€, auf mein Konto überweisen.
Ich bin gespannt …