Seltene Erden

Mir kommt der Begriff „seltene Erden“ schon sehr lange recht merkwürdig vor. Erde ist ja nun fast alles unter der Luft. Daran kann ja eigentlich nichts seltenes sein, wenn es Erde in Hülle und Fülle gibt. Ginge es um etwas spezifisches aus der Erde, ist es doch ziemlich verwirrend, wenn man das Spezifische als das Seltene bezeichnen müsste. Redlich wäre es, das spezifische in der Erde einfach mit dem Namen eines Elements oder einer spezifischen Verbindung von Elementen näher zu bezeichnen. Dann könnte man ja danach suchen. Es wäre dann ja auch nicht Erde schlechthin, sondern einer der Bodenschätze, wie es sie immer schon gibt. Selbst wenn es um mehrere Elemente geht, ist die Erde selbst nur deren nebulös formulierter Aufenthaltsort.

Ich habe nun einmal den sich nervend anbiedernden Gefährten Chat Gpt gefragt. Er sagt ohne Umschweife, dass die „seltenen Erden“ eigentlich mehrere präzise bestimmte Stoffe sind, die ziemlich unspezifisch überall auf der Welt in kleinen Dosierungen so rumliegen und bergmannstechnisch eingesammelt werden müssen. Das kann man auch überall machen. Man muss aber – noch mehr als schon beim vorindustriellen Goldsuchen bekannt – solche Unmengen von Erde bewegen, dass der vereinzelte Sucher nicht entscheidend fündig wird und unvorstellbar große Teile unserer Erde als Kollateralschaden derart erodieren würden, dass sich das Umweltproblem nicht mehr verträglich bewältigen ließe.

Wir sind also gut beraten, die seltenen Erden in undemokratisch verfassten Ländern mir vielen armen und ungebildeten Menschen und finanzkräftigen Investoren zu Tage zu fördern und dann am Weltmarkt zu Geld zu machen.

Wir behalten dann wenigstens die Illusion, dass seltene Erden leider immer nur woanders sind. Wir kaufen dann lediglich geschürfte „seltene Erden“ und verbasteln sie zur Hochtechnologie. Wenn mein abtelefoniertes Handy dann in einem armen Land der Erde zu Tode telefoniert worden ist, wird das Handy selbst direkt zum Rohstoff, dem die seltenen Erden für eine Kreislaufwirtschaft die „seltenen Erden“ entzogen werden. Es gibt eine beruhigende Arbeitsteilung in einer geteilten Welt. Der Bergbau ist in den reicheren Ländern der Welt Gottzeidank und endlich Geschichte. Aber sie telefonieren sich dort nun zu Tode und fixen damit die ganze Welt an. Das Reden von den „seltenen Erden“ ist zum Märchen verkommen und rettet das Gefühl der Gemütlichkeit, fast ohne sich um das Erdenrund zu scheren.

Nachtrag: Der besagte Chat Gpt löst zumindest die heiligen Erden auf. Er sagt, es gehe um „eine Gruppe von 17 chemischen Elementen, meist die Lanthaniden (von Lanthan bis Lutetium) plus Scandium und Yttrium. Beispiele: Neodym, Cer, Dysprosium, Europium, Terbium usw.“

Hängen im Schacht – ein paar Kohlen aus einem Leben …

Die Kohleförderung im Ruhrgebiet ist nach 200 Jahren beendet. Ich bin ja mitten im Ruhrgebiet groß geworden. Da ist man am Bergbau nur selten vorbeigekommen. Es hat sehr lange gedauert, bis mir klar war, dass das mit der Kohle eine Episode von geschichtlich sehr übersichtlicher Dauer war und bleiben würde.

Der Schacht, in dem ich einmal besuchsweise auf 1000 Meter durfte, der stand sogar auf einer grünen, umwaldeten Wiese. Da fiel es nicht schwer, zu rekonstruieren, dass die ganze Gegend noch zu Urgroßvaters Zeiten insgesamt grün und bäuerlich geprägt war. Und trotz aller urbanen Verdichtung kannte und kennt dort jeder irgendeinen Bauernhof in seiner Nähe.

Auf so einem ehemaligen Bauernhof in unmittelbarer Nachbarschaft der Zeche Rosenblumendelle habe ich meine Kindheit verbracht. Mein Vater hatte dort auch seinen Handwerksbetrieb, direkt gegenüber der Wohnung. Ich spielte auf dem Land und war doch ein richtiges Kind der Stadt. Beim Schichtwechsel töte die Sirene in einer Lautstärke, dass bis zum Abschwellent jedes Gespräch unmöglich war. Man stellte auch seine Uhr danach oder setzte mit der Sirene die Kartoffeln auf.

Wann das in meiner Familie mit dem Bergbau angefangen hat, das weiß ich nicht. Meine Oma sagte immer: „Wir dienen dem Hause Stinnes schon seit 150 Jahren.“ Sie hat dabei wohl alle Beschäftigungszeiten in der Verwandtschaft zusammengezählt. Mein Großvater väterlicherseits war Bergmann. Ich habe ihn noch 5 Jahre erlebt. Er war mit seiner Staublunge schon lange in Rente und total witzig. Er trug aus Zweckmäßigkeitsgründen eine Glatze, unterhielt die ganze Hausgemeinschaft, erledigte Einkäufe und kroste im Garten. Das war die Zeit, in der man auch noch gern als Selbstversorger Tabak anbaute. Für die Hühner und für mich schnitt er immer die Brotkrusten klein. Zum Geburtstag bekam ich einmal eine Riesentüte mit getrockneten Brotkrusten. Es war ein Spaß, aber ich habe mich gefreut. Einmal schickte er mich und die anderen Kinder durch die Nachbarschaft. Wir sollten Persil besorgen, um die Hühner zu waschen. Eines meiner Spielzeuge war eine Hühnerpfote, die man bewegen konnte, wenn man an der Sehne zog. In unmittelbarer Nähe – erzählte man – wurde infolge plötzlicher Bergschäden ein ganzes Fuhrwerk verschluckt. Das war mir unheimlich, machte aber niemanden ängstlich.

Mein anderer Opa arbeitete in weißem Hemd und Anzug in der Bergschädenabteilung. Irgendwo steht, er sei „Bergwerksbeamter“ gewesen. Er war wohl wichtig, aber was er genau gemacht hat, weiß ich nicht. Er hatte aber ein Telefon im Bureau. Er war ebenfalls frühzeitig, allerdings wegen einer Herzerkrankung, Rentner und für mich immer etwas unnahbar. Meine Oma erzählte noch lange, dass er bei seinem Betriebsjubiläum geweint habe, als der Bergmannschor das Steigerlied gesungen habe.

Mein Vater war auch auf dem Pütt. Als er mit 25 Jahren aus dem Krieg kam, war für ihn nicht daran zu denken, sein Maschinenbaustudium fortzusetzen. Essen, trinken und wohnen waren wichtig, garniert von kleinen Alltagsfreuden. Die Opas hatten ihm einen Job unter Tage besorgt, da konnte er erst einmal als gelernter Schlosser arbeiten. Es gab zunächst nur dort gutes Geld, ein Kohledeputat und allerlei Lebensmittelunterstützungen. Meine Mutter bekam wohl während der Schwangerschaft mit mir die legendären Butterbrote von der Zeche, weil sie die am besten vertrug. Nach zwei Jahren wechselte mein Vater zur AEG und bereitete unsere Auswanderung nach Kanada vor. Er hatte schon das Schiff gebucht. Mein Vater konnte gut französisch, meine Mutter gut englisch. Das hätte gepasst. Und das Ein- und Auswandern passt ja immer schon ins Ruhrgebiet.

Als dann beide Großväter 1952 starben, war das Familienkapitel Bergbau beendet und die Auswanderung auch, bevor sie begonnen hatte. Denn die Omas wollten nicht allein bleiben. Überliefert sind die Bergbaugeschichten meines Vaters. Ich habe viele davon gehört. Am meisten beeindruckt haben mich die Grubenpferde, die ihr Leben unter Tage beendeten, dort aber bestens versorgt und umsorgt wurden. Im Tageslicht wären sie erblinden und hätten auch sonst kaum kaum gesundheitlich überleben können.
Ebenfalls beeindruckt hat mich, dass man unter Tage von Zeche zu Zeche fahren konnte, also praktisch durch die ganze Stadt. Für mich war das eine fantasievolle Alternative zur Straßenbahn.
Heute erzähle ich alle Geschichten sehr gern weiter.

Nur mal so …

Ach, das passt doch auch zum Aufbruch ins neue Jahr 2019 …
begeht es mit Freude, achtsam und nachhaltig.