Journalismus anno 2025

Früher war der Journalismus mit dem Qualitätsmerkmal „Neutralität“ ausgestattet. Diese Idee wirkt bis heute fort. In der Praxis des Journalismus hat sich aber nach und nach ein vollkommen anderes Qualitätsmerkmal durchgesetzt, nämlich die „Allparteilichkeit“, die die emotionale Distanz durch eine einfühlsame Nähe zu allen Protagonisten ersetzt und damit beobachtbaren Sachverhalten eine humane Tiefe hinzufügt und insgesamt das Rezipientenverständnis erweitert.

Es ist wie im Theater, in dem der gute Vortrag durch das Erleben in der Rolle zu einem vertieften Erleben führt. Und es ist sogar wie in der Psychotherapie, in der der Therapeut erst durch eine Allparteilichkeit den beteiligten Menschen zu einem erweiterten und neuen Erleben tradierter Muster verhilft.

Ich sage das nur als kleinen Beitrag zu der Debatte um die jetzt mit dem Hanns-Joachim-Friedrichs-Preis ausgezeichnete ZDF-Korrespondentin Sophie von der Tann. Sie wird in einer Medienkampagne als „nicht neutral“ abgewertet, weil im Nahostkonflikt in ihrer Berichterstattung die Palästinenser bevorzugt werden und Israel zu kurz kommt. Dies alles mit dem Tenor, dass die Berichterstattung früher besser war. Diese Kritik entbehrt der Grundlage und hat die Idee der Allparteilichkeit nicht verstanden. Sie folgt einem überholten Deutungsmuster. Die journalistischen Beiträge von Frau von der Tann erweisen sich mir als wirklich rundum preiswürdig.