Mein Feigenblatt

Ich habe – wie sollte es auch anders sein – das Urheberrecht für dieses Foto von meinem Feigenblatt aus eigenem Anbau. Man kann damit auf einem Bild stilecht das, was man hervorheben will, ausgezeichnet verdecken. Die Kunst bedient sich des Feigenblattes schon seit langer Zeit. Wer jetzt auf den Geschmack gekommen ist, pflanzt einen Feigenbaum, oder aber erwirbt bei mir eine Lizenz zur Nutzung meines Feigenblattes. Die Lizenz ist kostenfrei, wenn ich die angestrebte Verwendung für förderungswürdig halte. Man soll ja stets seine Kinder hoffnungsfroh in eine bunte und gedeihliche Lebenswelt entlassen.

Was aus dem Rahmen fällt, doch sich im Rahmen hält.

Die Uhr ist unbarmherzig

Als technische Erfindung läuft sie ab – ohne innezuhalten. Wir schaffen uns ganz schnell billige Symbole, so als könnten wir damit die Zeit für die ja die Uhr steht, für ein paar Extrasekunden eintauschen und eine Besinnung einschieben. Aber auch darüber geht die Zeit achtlos hinweg. Als hätten wir es gewusst, haben wir die Brille mit dem Blick ins neue Jahr äußerst preiswert und gleichwohl zu teuer ausgewählt. Sie wird schneller ausgedient haben als wir denken können, derweil das Modell fürs folgende Jahr zuversichtlich bereits in Arbeit ist. 

Die Uhr hat uns die vielgelobte Pünktlichkeit beschert. Aber wäre es nicht besser, wir würden zuerst einmal das Silvesteressen, den ultimativen Jahresendschaumweintrunk nicht an der Uhr ausrichten, sondern das neue Jahr in unsere selbstgewählten Tagesabläufe  einbauen – oder auch nicht? Das Böllerevent würde sich zumindest als unbrauchbar erweisen, wenn jeder Mensch sich seine Böllersekunde frei in der Zeit selbst einrichten könnte – wenn er will. Die Kunstform des Feuerwerks bekäme ihren mittlerweile zerböllerten Freiraum zurück. Man kann ja sogar den Jahresbeginn verschlafen, ohne damit den Einfluss auf bessere Zeiten einzubüßen. 

Bleibt locker, cool, gesund und menschenfreundlich – 2024 und danach wie zuvor.

Immer der Dieter

Heute war ich bei Aldi.

Im Eingangsbereich sitzen stets Leute auf sehr niedrigen Fensterbänken eingenischt und rauchen und telefonieren. Ich guck mir die Leute  immer genau an. Heute war mir am auffälligsten eine Frau, die einerseits an der rechten Hand eine Zigarette hatte und andererseits einen angewachsenen Unterarm, auf dem reich verziert „Dieter“ stand.

Ich weiß nicht, was ich damit anfangen soll. Dieters kommen doch immer nur als Loser in Comics vor. Im normalen Leben kenne ich überhaupt keinen Dieter.

Befeuerung

Tja, das passiert unweigerlich, wenn ein Symbol, wie die Notre Dame in Paris, abbrennt:

Die Süddeutsche floskelt los:
„Der Großbrand in dem Wahrzeichen Frankreichs kam aus dem Nichts und hielt die ganze Welt in Atem. Sechs Stunden später ist klar: Die Kathedrale ist gerettet, die Wunde ist dennoch tief.“

Und prompt wird die Süddeutsche noch im Kommentar getoppt:
„Funkenflug mitten ins Herz.“

Und der Tagesspiegel sowie die Welt beklagen voyeuristisch, dass die öffentlich-rechtlichen Medien gar das Ereignis verschlafen haben, weil keine Sondersendung nach Art des „Brennpunkts“ (sic!) ausgepackt wurde: „Notre-Dame brennt – und die ARD pennt.“

Und allerlei reiche Leute laden auch noch zu Spende ein:
Der ambitionierte CDUler Friedrich Merz tut das auch.

Dabei ist es ja so:
Floskeln verstopfen nur die Kommunikationskanäle und Spendenaufrufe gaukeln Solidarität vor, um den Abstand zwischen Arm und Reich zu vergrößern, wie bei jeder Sammelaktion und jeder Lotterie. – Unter gerechten Lebensbedingungen wäre das ja wirklich ganz okay. Floskeln könnten dann auch im Giftschrank bleiben.

Ich glaube aber fest, dass die mediale Berichterstattung ein Volk von Schaulustigen und Gaffern züchtet, die bei Verkehrsunfällen in ihrer Lebenswelt noch geächtet werden, aber gebraucht werden, um selbstredende endlose Flammen einer Kirche zu betrachten, denen kein Journalist etwas hinzu zu fügend vermag, damit die Trauerquote der Betroffenheit und Anteilnahme hoch gehandelt werden kann.

Nikolaus 3.0

Die kolportierten Divergenzen zwischen Nikolaus und Weihnachtsmann beruhen auf einer einprägsamen Irreführung.

Hier der Katholische Bischof mit Mitra und Stab, der Kinder beschenkt. Dort der von Coca-Cola eingefärbte Weihnachtsmann, der das Weihnachtsgeschäft ankurbelt.

Aber so ist das nicht.

Bereits in den Alltagsbegegnungen mit den beiden überwiegen die Überschneidungen. Kinder verwenden die beiden Namen wahllos und das, was damit verbunden ist, geht praktisch wild durcheinander. Lediglich den Begleiter für den Nikolaus sieht man beim Weihnachtsmann so nicht. Er ist weitaus softer und könnte bestenfalls gestylte Engel und Rentiere vertragen, während der Nikolaus mit dem Zwarte Piet, dem Knecht Ruprecht oder dem Krampus kollaboriert, die nicht selten Angst und Schrecken verbreitet, wenn der Nikolaus sie nicht zur Ordnung ruft. Aber im oberflächlichen Erleben sind auch solche Unterschiede unbedeutend für eine Unterscheidung zwischen den beiden Herren.

Mit der Reformation wurde das traditionelle Wirken des Nikolaus erstmalig beschädigt. Weil die Welt der Heiligen in vielen Teilen Europas in die Kritik geraten war, wurde das Christkind als Geschenkebringer kultiviert und der Nikolaus in seiner Aufgabe erheblich zurechtgestutzt. Seitdem heißt es vielerorts, aber nicht überall: An Nikolaus gibt es kleine, an Weihnachen große Geschenke. Mit der Besiedlung der USA durch Europäer kam auch das Brauchtum und damit der Nikolaus dort hin. Der Nikolaus musste, so wie die anderen Einwanderer auch, eine länger Integrationsanpassung durchlaufen, um sich für alle Amerikaner empfehlen zu können. Dazu gehörte, dass er in den Metropolen interkulturell fit gemacht wurde und schließlich seine Einbindung in industrielle Produktions-, Werbe- und Verkaufsabläufe erfuhr, ohne dass er danach gefragt wurde, ob das in seinem Interesse ist. Die Bibel als Urgrund des nikolausischen Selbstverständnisses hatte nach und nach eine eher marginale Bedeutung. Um selbst zur Ware zu werden und seinerseits für Konsumwaren zu werben, eroberte er die Geschenkanteile des Christkindes zurück und wurde vollends zum Vehikel des umfassenden Weihnachtsmarketings: Er stand in grellem rot überall vor Kaufhäusern. Daran knüpfte die Mär an, der Weihnachtsmann sei eine Erfindung des Konzerns Coca-Cola. Richtig daran ist nur, dass Coca-Cola einer der aufstrebenden Konzerne war, die den Nikolaus ausgeschlachtet und für ihre Zwecke wieder gefüllt und hergerichtet haben. Mit der Expansion Coca-Colas hatte man direkt auch einen Weihnachtsmann für die ganze Welt.

Um das Schenken selbst dann auch noch rational an die christliche Familien heran zu führen hat man nach englischem Vorbild die amerikanischen Hauskamine in Szene gesetzt. Durch die Kamine werden bis heute – wie auch immer – alle vom Weihnachtsmann geförderten grellen Geschenkpakete in die gute Stube transferiert.

Wenn nun der amerikanisierte Weihnachtsmann über internationale Konzerne nach Europa reimportiert wird, dann stehen sich plötzlich Nikolaus und Weihnachtsmann gegenüber und finden es einfach unglaublich, dass einer wie der andere dem ursprünglichen Nikolaus entstammt. Seit 1950 ist der Weihnachtsmann in Europa auf dem Vormarsch. Das, was die amerikanische Variante durchgemacht hat, trifft die europäische Variante hart. Er beugt sich einfach nicht einem entfesselten Konsum. Lediglich sein Pferd hat sich im urbanen Lebensraum als unpraktisch erwiesen und wurde durch einen himmelsgängigen Schlitten mit allerlei Rentieren ersetzt, wie wir es vom Weihnachtsmann kennen.

Kinder sehen das sehr pragmatisch. Sie können mit diesem und jenem gut und widerspruchsfrei leben und sehen beide gut sozio-kulturell integriert. Sie bauen Ihnen sogar Brücken und weichen die Trennschärfe bereits im Sprachgebrauch auf.

Ich mag den Nikolaus mit Mitra und Stab sehr, weil er zur Gesellschaftskritik weitaus fähiger ist und damit auch zur Kindergerechtigkeit. Brav, dick und schrill, ist mir zu langweilig.

Geschenke verpacken

Beim Verpacken von Geschenken scheiden sich ja die Geister. Gerade habe ich gelesen, dass da jemand eine Leidenschaft zum Verpacken zur Profession gemacht hat und seine Phantasie in das Anwendungsfeld der Geschenkverpackung umleitet. Ich sehe auch ein, dass eine Kaufware erst zur Geschenkware hergerichtet werden muss. Es kann aber auch sein, dass einmal ein Geschenk angesichts der Verpackung zur Nebensache wird, weil die Verpackung alles überstrahlt und sich anbietet separat archiviert zu werden, weil sie eher Kulturfragment als Sondermüll ist. Das Gegenteil ist der nach Art des Origami gefaltete Geldschein, der nur ohne Verpackung etwas ausstrahlt, aber im engeren Sinn gar kein Geschenk ist und nur eine multisinnlichere Form der Geldüberweisung.

Als Kind hatte ich zu allen Gelegenheiten für den Vater Zigaretten und für die Mutter irgendein Parfüm aus der gleichen Preisklasse als Geschenk. Das war im Rückblick extrem einfallslos, fast schon bösartig. Aber das habe ich erst sehr viel später gemerkt. Jedenfalls war das ja alles bereits schön verpackt und ein weiters Papier darum erschien mir unnötig.

In späteren Jahren hatte ich überzählige Tapetenrollen mit einem quadratischen Muster. Die ließen sich entlang des Musters gut für Geschenke zuschneiden. Ich habe dann das sperrige Papier über dem Geschenk zusammengetackert  und mit dicken Filzstiften alles noch ordentlich aufgepimpt. Über Jahre bestand in meinem sozialen Netz Gewissheit, wie meine Geschenke verpackt waren.

Kommen wir zur Philosophie: Es hat sich rumgesprochen, dass ich niemals verschenken würde, was sich jemand wünscht und auch niemals etwas verschenken würde, was mir selbst nicht überaus gut gefallen würde. Gängige Geschenkphilosophien lehne ich ab, aber ich schenke auf der Basis meines Verständnisses vom Schenken sehr gern.

Als dann meine Standardtapete aufgebraucht war, habe ich die Doubletten in meiner Hundekottütensammlung als Geschenkverpackung entdeckt. Mir ist bekannt, dass etliche Kommunen planen, ihre Hundkottütenspender wieder abzubauen, weil die Tüten häufig zweckentfremdet werden. Der planerische Viersatz, „Kack, Sack, Pack, Zack“, hat wohl mit vielen intervenierenden Variablen zu kämpfen und wird nicht so ganz von den Hundehaltern angenommen. Das alles muss mich aber nicht treffen, weil die Kunst ja frei ist und allein in Deutschland jährlich 500 Millionen solcher Tüten der Anwendung harren. Meine Geschenke finden jedenfalls vergleichsweise eine hohe Beachtung und eine komplexe Verpackungstechnologie ist mit diesen Tüten nicht einmal erforderlich. Die schlichte Eleganz und die bestechende Funktionalität im Bauhausstil sind nicht zu übersehen. Geschenke in Luftballons habe ich auch schon gesehen. Das sind für mich nur Glitzerfürze zur Vermüllung der Weltmeere. Das müssen die erst einmal verpacken.

Russisch Brot

Mit der uralten Industriebackware „russisch Brot“ werden die wehrlosen Kinder im Erstleseunterricht kontaminiert, meistens aber bereits im Kindergärten und in ehrgeizigen Elternhäusern.

Bei näherer Betrachtung müsste der kritische Mensch aber sofort merken, dass es sich bei diesem Produkt um einen Beitrag zur Weltverschwörung handelt, weil der Russe ja in kyrillischen Buchstaben schreibt. Entsprechend sind die Ergebnisse!

Meistens kommen ja auch nur Worte dabei heraus, wie


Babuschka lassen wir mal weg.