Ich bin verhältnismäßig reich

Eine bestimmte Nachricht überrascht mich in jedem Jahr irgendwann im April. Sie erfüllt mich mit Freude. Der frische hiesige Spargel startet in seine Saison. Er ist bei langsam steigendem Angebot zunächst verdammt teuer. Während ausgebeutete Tagelöhner aus fremden Ländern den Spargel stechen, kramen alle Medien wieder die alten Spargellieblingsrezepte der Deutschen hervor. Mir ist der Spargel gleichgültig. Ich esse ihn zur Not, finde aber geschmacklich keinen außergewöhnlichen Gefallen daran. Würde man ihn mit Eierlikör pimpen, könnte ich schwach werden, weil ich seit Jahrzehnten  erfolgreich an einem Image als verwegener Eierlikörliebhaber arbeite. In der Spargelzeit lebe ich also weiterhin als Querulant in der Spargelwelt und kann das Geld für nichtgekauften Spargel auf die hohe Kante legen. Damit sammelt sich dann doch ein gewisser Reichtum an. Wenn mir die Leute allenthalben sagen: „Dir geht es wohl zu gut!“ ,dann haben sie sich ja vielleicht nur mit Spargelkrediten verschuldet und laufen in Lumpen, während ich meinen Reichtum zelebriere.

Ich bin verhältnismäßig reich …

Mein Jungenspielzeug

Es war in den frühen 50er Jahren des letzten Jahrhunderts, als ich zu Weihnachten einen Metallbaukasten bekam.

So sah der aus:

Dazu gehörte ein – auch damals schon – ziemlich armseliger Schraubenzieher, den man heutzutage Schraubendreher nennt. Mein Vater – als selbständiger Schlossermeister – hatte daran keinen Gefallen und hat mir direkt einen Schraubenzieher dazu gelegt, der auch seinen Ansprüchen gerecht wurde. Der Baukasten ist in den Wirren der Jahrzehnte abhanden gekommen. Wahrscheinlich waren die Teile irgendwann verrostet.

Der Schraubenzieher ist aber geblieben!

Seit jener Zeit ist er in meiner Nähe und immer noch griffbereit und wirksam zu nutzen. Das ist aus der heutigen Sicht eine vorzügliche Premiumerinnerung an meinen Vater und meinen Kindheit in den 50ern.

Ich füge das Ding gern samt seiner Geschichte der kollektiven Familienerinnerung hinzu. 

Meine Rechtschreibung

Rechtschreibung ist geschichtsvergessene Konvention – nicht mehr. Alles, was neu ist, kommt nicht aus der Rechtschreibung selbst, sondern aus der Missachtung der Rechtschreibung. Zum Glück ist eine gezielte Missachtung ab und zu auch dabei.

Mit der Rechtschreibung habe ich zudem noch ein nicht unbedeutendes Problem: Manchmal gibt es Wörter in zwei „richtigen“ Ausführungen, von denen ich aber meist nur eine Ausführung für richtig annehmen mag. Deshalb gehöre ich beispielsweise zu jenen, die dafür in Frage kommen, auf dem beliebten Schild „Türe bitte schließen“ mit einem x die Türe zur Tür zu machen. Denn genug ist genug. Türe würde ich lediglich in einer dem Reim verpflichtenden Lyrik als vollwertig akzeptieren, wenn es sich eben nur dadurch reimt. Aber das macht der Dichter schon autonom, auch ohne sich um die Rechtschreibung zu kümmern. Dieses Ausdenken von Reimen hat beispielsweise Heinrich Heine perfektioniert, ohne die Rechtschreibung oder die Verständlichkeit zu schädigen, weil er aus seinen Findungen keine Allgemeingültigkeit ableitet, aber die Verständlichkeit trotzdem im Blick behält.

Zurechtgenähter Sieg

Das Skispringen ist ein Sport, bei dem Wetter, Kleidung und der Sportler selbst in einer extrem eigentümlichen Wechselwirkung entscheiden, wer siegt. Um vom Sport selbst nicht abzulenken, wurde die Kleidung irgendwann genormt und die Norm wird überwacht. Trotzdem gibt es unentdeckte Freiräume so einen Anzug schneller zu nähen, ohne dass die geprüften Kriterien zu Auffälligkeiten führen oder aber absichtlich übersehen werden. Jetzt gibt es aus einer Schneiderwerkstatt  des norwegischen Teams einen Film, der entsprechende Manipulationen  zeigt. Skandal!

Sehe ich recht, dass in diesen Tagen die Funktionäre der norwegischen Skispringer für die Russen in die Bresche springen, die in den meisten Sportarten ausgeschlossen sind, weil sie die unsportlichen Manipulationsmöglichkeiten ausgeschöpft hatten? – Gute Nacht!

Das doppelte Schippchen

Vor ein paar Tagen habe ich an Aldi-Süd geschrieben:

„Guten Tag! • Ich habe vor ein paar Tagen eine kleine Schaufel für die Gartenarbeit gekauft. Wie sie dem beigefügten Kassenzettel entnehmen, wurden mir aber zwei Schaufeln berechnet. Ich unterstelle da jetzt auch keine Absicht. So eine Doppelbuchung kann ja mal passieren. Ich habe den Fehler erst zu Hause gemerkt. Am nächsten Tag habe dann mit dem Kassenzettel bei Aldi das Gespräch gesucht, um die Fehlbuchung zu korrigieren. Es folgte mitten im Kassenbetrieb eine eingeübte abweisende Antwort, dass es eben keine Beweismittel dafür gibt, dass es so ist, wie ich es sage. Gleichermassen könnte ich allerdings sagen, dass der freundliche Mann an der Kasse, die Quittung nach dem Ausdruck noch einmal selbst hätte prüfen müssen. Das wäre natürlich so lebensfremd, wie der Hinweis, dass ich im Kassenbereich zunächst einmal den ganzen Kassenzettel durcharbeiten soll.

Bisher ist bei mir Aldi immer als äußerst kulant in Erscheinung getreten. Ich rechne damit, dass das auch weiterhin zu bleibt und bitte um die Erstattung des Betrags von 4,99 €.

Mit freundlichem Gruß …“

Und heute bekam ich einen kulanten Gutschein über 5€ und eine freundlichen Antwort, die nicht nur Textbausteine hat. – Da kann ich nicht meckern. Aber was mache ich mit dem einen Cent?

Über selbstgemachte Heilsversprechen 

Wenn man 75 Jahre investiert, einem  immerwährend treuen großen Bruder zu huldigen, der transkontinentalen verankert ist und alle Eisen aus dem Feuer holt, dann fällt man aus allen Wolken, wenn er sich unübersehbar als egomanischer Scharlatan entpuppt. Man muss dann 75 Jahre verschlafener Emanzipation nachholen. Am besten im Zeitraffer. Aber den gibt es bei komplexen Entwicklungen nicht. Das Leiden an der selbstverschuldeten Unmündigkeit nimmt seinen Lauf und gebärt laufend neue, unechte Heilsbringer, bis die Entwicklung abgeschlossen ist.

Aus dem Gestöber 

Beim Skisport war es in dieser Saison wieder so, dass das typische Winterwetter mit ordentlich Schneegestöber nicht so gern gewollt war. Mit so einem Schnee kann der hochspezialisierte Schneesportler unverständlicherweise einfach nicht so viel anfangen.

Selbst die Reporterspeach litt heuer doch sehr: „Nicht nur wegen des Wetters, sondern auch wegen dem Schnee …“ (Zitat) lagen Sieger und Follower doch weit auseinander. Selbst das gesprochene Wort vermittelt diesmal Hoffnung, um dann jedoch von Fall zu Fall total neben der Spur abzustürzen.

Wir haben die Wahl

Heute war ich mal wieder wählen. Ich habe wohl zeitlebens an allen Wahlen teilgenommen, an denen ich teilnehmen konnte. Ich bin da ein alter Hase.

Weil der Wähler der Souverän ist, kommt es ja nicht darauf an, dass er immer brav wählen geht, sondern dass er mühsam wie freudig an einer eigenen Position arbeitet, die seine Wahlentscheidung begründet. Wenn es so ist, kann man dem Wähler seitens der zur Wahl stehenden Parteien nichts vormachen. 

Ich bin also heute mit meiner selbst erarbeiteten politischen Position zum Wahllokal gegangen. Ich konnte nicht umhin, so ein laternenumhüllendes Sandwichplakat der CDU mit dem Merz und dem Ortskandidaten Krings auf meiner Augenhöhe wirken zu lassen. Auf dem Weg zu meinem Wahllokal hatte der Wähler keine Chance, dem Plakat gedankenlos aus dem Weg zu gehen. Die Vorschrift, dass Parteienwerbung in der Bannmeile von Wahllokalen nichts zu suchen hat, blieb wohl unbeachtet. Ich brauchte nicht lange, um der Aufforderung der CDU, ihr direkt beide Stimmen zu geben, eine begründete Absage zu erteilen. Dem geblendeten Souverän, wird das Plakat wohl den letzten Schubs geben. Der selbst- und mitverantwortliche emanzipierte Souverän wendet sich nur angewidert ab. Von Rechts wegen hätte der Wahlvorstand das Plakat bereits vor 8 Uhr entfernen müssen.

Zu Hause habe ich lange überlegt, ob ich noch einmal zum Wahllokal gehe, um diese Übergriffigkeit der CDU vorzutragen und um Abhilfe zu bitten. Meine Erfahrungen mit Bureaukratie haben mir abgeraten. In eine Querulantenecke abgeschoben hätte ich bestenfalls als Beschmutzer einer CDU geprägten Lebenswelt den schriftlichen Bescheid bekommen, dass die Werbung ganz knapp außerhalb der (nicht näher definierten) Bannmeile befestigt ist.

Ja, ja – die Bürgerverdrossenheit von Verwaltung und Politik wird fälschlicherweise so gedeutet, als sei der Bürger seinerseits politikverdrossen. Das war freilich noch nie so.