„Harter Lockdown ab Mittwoch“
(Zitat aus den Schlagzeilen vieler Zeitungen)
Die Wochenenden der Adventszeit sind für den Handel die wichtigste Zeit des Jahres. Er macht an diesen Tagen den größten Umsatz. Manche Branchen leben allein vom Weihnachtsgeschäft.
Die Verkäufe dieser Zeit fallen nun weg, weil die Coronalage so prekär ist, dass alles an Geselligkeit entzerrt und stillgelegt wird, was die Infektion mit Viren begünstigt. Gerade das Weihnachtsgeschäft ist voller zufälliger und unplanbarer Begegnung wildfremder Menschen. Und der Virus hat dabei beste Gelegenheiten zu einem Hopping von Wirt zu Wirt.
Endlich haben wir Ruhe vor dem Weihnachtsgeschenkerummel, vor Bratwürsten in Lebkuchensoße, vor der grenzenlosen Auffächerung unbedeutender dem Weihnachten wahllos zugeordneter Objekte für Deko- oder Geschenkzwecke in irgendwelchen Buden. Wir verzichten auf die Menschenmassen in den Innenstädten, die ihr sauer verdientes Geld zu Grabe tragen, nur weil das Fest vor der Tür steht. Wir verzichten auch auf Fahrten durch die Dämmerung, um in überfüllten Wohnungen mit Omas und Opas unsere Mägen zu überfüllen, dort quäkenden Kindern die frische Luft für den nächsten Tag zu versprechen und mit der Schwägerin zu zanken, während Oma sich einen Weg durch Bauklötze und Geschenkpapier bahnt.
Wir haben bereits jetzt die Ruhe vor dem Sturm, der aber diesmal ausfällt. Wir haben ja über viel Jahrzehnte beklagt, dass die Festvorbereitungen uns so sehr viel abverlangen, dass wir an den Feiertagen selbst ein bisschen zu kollabieren drohen. Und wir haben mit Sorge gesehen, dass eine Weihnachtstradition Jahr für Jahr durch sinnlose Elemente angereichert und aufgeblasen wird. Es sind Elemente, die wir ganz schnell in die Tradition einvernehmen, so als wären die Wettbewerbe mit illuminierten Häusern eine direkte Folge eines Lebens an der Krippe des Heilands mit Esel und Schaf unter dem Licht des Mondes.
Nach meinem Geschmack kommt der aktuelle Bruch in der Weihnachtswelt zum richtigen Zeitpunkt. Ich habe mir nichts anderes gewünscht. Allerdings kommt der Anlass leider nicht als Neubesinnung aus der Weihnachtswelt selbst, sondern aus der aktuellen Gefährdung einer Virenpandemie.
Wenn wir nun nichts einkaufen, was wir zum Fest glauben haben zu müssen, dann sind wir doch auch reich und zudem auch etwas gleich. Weihnachten wird billiger. Daran können nun sehr viel mehr Leute standesgemäß teilnehmen. Wir können frei über unser materielles und immaterielles Vermögen verfügen, ohne es unter Bäume zu legen. Wem der eine oder der andere Dealer leid tut, kann ihn sogar vom eingesparten Geld finanzieren. Ich sehe aber eher die Möglichkeit, dass der Handel mit Waren, die der Mensch nicht braucht, auch ersatzlos einschlafen kann. Er existiert ja auch nur, um den Menschen drei Staubsauger und fünfzig Paar Schuhe zu verkaufen, obwohl sie ja nur einen Staubsauger und drei Paar Schuhe brauchen. Warum sollte ich in der vorletzten Adventswoche zum Herrenaustatter gehen mit anschließendem Seelebaumeln auf dem Glühweinstrich? Ich habe gerade mal überlegt, an welche Weihnachtsgeschenke, die ich bekommen habe, mich noch erinnere. Da fällt mir wirklich nicht sehr viel ein. Vor allem aber fällt mir ein Zusatzminischraubenzieher mit dem Kaufpreis von 1 DM für mein Taschenmesser ein, den meine Kinder mir gemeinsam zu Weihnachten geschenkt habe, als sie noch ziemlich klein waren. Das Messer habe ich heute noch mit allen Funktionen ständig in Gebrauch. Es hat sich vom Weihnachtsfest gelöst.
Ich glaube, wir brauchen eine virenunabhängige Neuausrichtung des Einzelhandels, der fortan von den existenziell wichtigen Produkten lebt und die schöne Welt des Weihnachtsscheins für ein jederzeit verzichtbares Zubrot verkauft. Es wäre nicht zuletzt auch krisensicher, auf Gewinnanfälligkeit zu verzichten. Der Einzelhandel gründet seine Expansionen zu sehr auf die Vereinnahmung lästiger Konkurrenten mittels weitläufiger Glitzerwelten und staatlichen Hilfen, wenn der Riese dann strauchelt. Nachdem bereits bemerkenswert viele Arbeitsplätze in feindlichen und freundlichen Übernahmen vernichtet wurden, droht der angefressene Riese gern mit der Insolvenz und dem Verlust von Arbeitsplätzen. Leute, die beispielsweise einmal einen der sinnlichen Arbeitsplätze im Buchhandel hatten, können ein Lied davon singen und wenden sich vergrämt dem Onlinehandel zu, für ein gutes Buch zum Fest.