Die Grabredner

Aus sehr traurigem Anlass habe ich gestern auch eine Grabrednerin bei der Arbeit beobachtet. Solchen Menschen höre ich immer gut zu und habe auch stets eine Menge kritisch anzumerken. Ich behalte meine Anmerkungen aber rücksichtsvoll für mich. Im Grunde habe ich sehr viel Respekt vor solchen Grabrednern. Ich habe auch keine unterschiedlichen Anforderungen an konfessionell gebundene und freie Grabredner. Ich könnte so etwas gar nicht, obwohl ich das Reden vor Publikum stets angstfrei bewältige. Es gibt zwei Standardsituationen, die mich hemmungslos emotional und fast unfähig machen zu reden. Das sind Beerdigungen, die mich stets innerlich stark treffen und sehr viel Kraft kosten. Ich verstehe das alles irgendwie nicht und habe trotzdem die Erfahrung, dass das alltägliche Leben unbeeindruckt davon nicht einmal für eine kurze Zeit stehen bleibt. Als Ergebnis bleibt, dass jemand dauerhaft wie von Erdboden verschluckt ist und der Alltag einfach darüber hinweg geht. Die andere Standardsituation – das hier nur zur Vollständigkeit – sind spielende Kinder, die noch ohne weitgehende Prägung durch das Leben der Erwachsenen grenzenlos vertrauensvoll, selbstbewusst und zukunftsfroh vor sich hin spielen. Da bekomme ich immer feuchte Augen, also genau genommen immer in der Nähe zum Anfang und zum Ende des Lebens.

Nein, Grabredner wäre ich nur gern in einem Auftritt satirischer Zielrichtung, also in der professionellen Distanz zum Ereignis des Todes.

Dass mich gerade Grabreden beeindrucken, hat nicht nur mit meiner emotionalen Ausnahmesituation zu tun, sondern auch mit einem Jahre zurückliegenden Erlebnis bei der Beerdigung einer nahestehenden Person.

Nach langem hin und her hatte sich der Pfarrer der Gemeinde, der die Person bis drei Jahre vor ihrem Tod zugehörig war, bereit erklärt, das Begräbnis „zu machen“. Ich hatte dann diesbezüglich mit ihm ein Gespräch. Von der Person wusste er nichts und ich dachte, er könnte da etwas von mir erfahren. Aber er hatte eigentlich nur die Frage, ob die Person oft und gern verreist ist. Ja, das war wohl so. Am Tag der Beerdigung gab es eine universelle Textbausteinrede in dem nur für ein X der Name einzusetzen war. „X ist sehr gern und viel gereist, und das ist hier und heute die letzte Reise.“ 

Die Verbetriebswirtschaftlichung der Welt macht auch angesichts des Todes keine Verrenkungen, beeindruckt aber sehr.

Wenn ich also Grabredner höre und sehe, habe ich viel Respekt, sehe aber immer wieder diese elenden Textbausteine, die zudem oft als falsche Zitate eingekleidet werden: „Ein kluger Mensch hat einmal gesagt: …“ und mutmaßlich aus der Trauerfachliteratur stammen.

Mein Leben wäre um einiges einfacher, wenn ich auch einfacher zufrieden zu stellen wäre. Die Algorithmen zur Vermessung der Welt spüren mir zwar nach, sollen aber auch zukünftig an Einzigartigkeiten scheitern.