Frau Baerbock ist gar nicht böse

Dass es für die Nebeneinkünfte der Abgeordneten Regeln gibt, das ist ja richtig. Das ist ja wohl auch Konsens im Parlament. Weil Abgeordnete frei sind – streng genommen sogar frei von ihrer eigenen Fraktion – passt es nichts ins Bild, typisch deutsche Kontrolllinien einzurichten und die Verfolgung zu institutionalisieren. In der aktuellen Situation sehen wir, dass es öffentlich auffällt, wenn jemand schludert. Die Öffentlichkeit allein ist viel wirksamer als Instrumente des Misstrauens. Jeder hat so seine Schludrigkeiten, bis es dem Mitmenschen auf den Geist geht. – Also ich sehe keinen weitergehenden Regelungsbedarf, weil es so oder so klappt und der Souverän weiß, was er davon halten soll. Er merkt auch sofort, wenn da irgendwo Geld verschoben wird. Denn er kann es lesen. Aber bei Frau Baerbock – Kanzlerkandidatin der Grünen – ist ja am Geld selbst nicht gerüttelt worden.

That’s it: Brexit!

Der Wille des Volkes gilt den Demokraten als der Kern jeder Politik.

Volksabstimmungen, wie jetzt in Großbritannien, deuten wir deshalb gern als der Weisheit letzter Schluss. Die praktische Annäherung an den Volkswillen hat dagegen auch andere Spielarten der Demokratie hervorgebracht, allen voran den für den Einzelnen repräsentativen Parlamentarismus. Es ist ja an Beispielen schnell klar, dass das Mittel der Volksbefragung schnell in die Irre führt. Gefragt, ob man Steuern zahlen will, sagen alle gleich nein. Und bei der Bestimmung des Fernsehprogramms per Abfrage wäre das Ergebnis gleich den Einschaltquoten. Sport und seichte Unterhaltungen kicken Kultur und mit ihr die ganze Vielfalt in politischen Magazinen, Kleinkunst und alle Themen von und über Minderheiten ins Off. Filme mit Tieren gehen natürlich auch immer.
In der Schweiz, die sich auch aus Gründen der Überschaubarkeit einen Rest direkter Demokratie traditionell erhält, sieht man in der letzten Zeit das Gleiche wie jetzt in Großbritannien: Nationalistische Gruppierungen mit festem Feindbild sorgen für Stimmung gegen Minderheiten und suchen damit die Volksabstimmung. Von den Grundrechten bleiben ihnen nur noch die groteske Überhöhung der abgefragten Selbstbestimmung, in der Rassismus, Minderheiten und die Verantwortung für das große Ganze als Themen keine Rolle spielen. Man will einfach nur — und denkt an den Verfassungen und Menschenrechten dieser Welt vorbei.
In Großbritannien ist es nun so, dass man sich auf einen Parlamentarismus geeinigt hat, an dem der Bürger vor allem über Wahlen und die Teilhabe an der Politikgestaltung von Parteien, Verbänden usw. beteiligt ist. Das parlamentarische System hat den Vorteil, dass im Kräfteverhältnis der Wahlergebnisse sehr viel mehr Sachverstand und Meinungsbildung die Chance auf eine gute und verantwortbare Politik erhöht. Es ist allerdings nicht zwangsläufig so. Es gibt ganze Kabarettprogramme darüber, wie der Profipolitiker den Kontakt zum Volk verliert und es zum Opfer seiner Entscheidungen macht. Das funktioniert nicht nur am Beispiel des EU-Parlaments. Menschenwerk ist fehlbar und überall der Kritik auszusetzen. Gleichwohl gilt der Parlamentarismus als eine gut bewährte Form der Demokratie, aber eben nicht als der Weisheit letzter Schluss.
Das Konzept der Rätedemokratie zeigt sich zwar noch weit demokratischer, hat sich aber trotz einiger Versuche bisher nirgendwo etabliert. Es setzt auf den mündigen Bürger, der allerorts sein politische Position prüft und zielgerichtet und aktiv einbringt. Bürger im lustig chilligen Rückzug oder Bürger, die bereits anderweitig ausgelastet sind, wären mit einem Rätesystem per se überfordert und würden eines Tages bestimmt randständige beklagen, dass alles anders läuft als als sie eigentlich wollen würden.

Großbritannien hat mit der Volksbefragung gegen den Verbleib des Landes in der Europäischen Union eigentlich noch gar keine Entscheidung getroffen, sondern lediglich des Volkes Stimme auf den Punkt gebracht. Damit hat man eine moralisch verbindliche Position organisiert, die die zweifelhafte Qualität aller Entscheidungsargumente und Entscheidungsmotive schnell vergessen lässt. Im Parlament ist also jeder Abgeordnete frei, sich auch gegen die Stimme des Volkes zu positionieren. Es ist also besonders spannend und entscheidend, wie nun das Parlament abstimmen wird. So, wie die Dinge liegen, wird das Parlament ohnehin zu 48% gegen die Vorgaben des Volkes sein, das ja, wenn es jünger wäre mit Sicherheit die gegenteilige Entscheidung getroffen hätte. Das belegen die Wahldaten.
Es ist also beileibe nicht so, wie es auf den ersten Blick den Anschein hat, dass das Parlament das Votum des Volkes nur verwaltet und in diesem Fall einmal dem Volk zu folgen hat. Die Parlamentarier haben nämlich „im Namen des Volkes“ selbst ein Mandat, das eigentlich auch korrigierend wahrgenommen werden kann. Parlamentarismus und direkte Demokratie können im Widerspruch stehen und zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen. In diesem Fall ist aber der Widerspruch nach der Verfassung, also in diesem Fall parlamentarisch zu bewältigen. Bei der nächsten Wahl kann dann der Bürger wieder in das Geschehen eingreifen.

Wenn man nun bedenkt, dass vor der Volksbefragung der Briten, also in der Wahlwerbung, mit geradezu irrsinnigen Argumenten und gegen die Faktenlage die EU zum Feindbild stilisiert wurde und der kulturfremde Flüchtling als Angreifer auf die gute britische Tradition gebrandmarkt wurde, dann könnte man das alles als eine Inszenierung mit dem willfährigen Bürger begreifen: Man will von den Unzulänglichkeiten in parlamentarischen Entscheidungsfindungen ablenken und den Weg wertkonservativer und rücksichtsloser Rassisten gehen. Die ebenfalls rücksichtslose und hochgerechnete Einzelmeinung zur traditionsfesten Abwehr von Feinden wird als Entscheidung durchgesetzt.
Wer die Tür zuschlägt, ohne den Schlüssel bei sich zu haben, hat ein Problem. Wenn es allerdings alle so machen, dann wird es trotzdem lustig.

Rousseaus unterschied vorausschauend schon im 18. Jahrhundert zwischen dem Willen aller Einzelnen und dem Gemeinwillen. Das sind eben zwei völlig,unterschiedliche Dinge, obwohl sie sich zum Verwechseln ähnlich sehen.

Frau Merkel skandalisiert sich nun selbst

Sie will direkt mit dem Bürger sprechen und übergeht damit die Volksvertreter.

Die Regierung sucht also jetzt den Dialog mit dem Bürger. Die Kanzlerin Merkel betont heute, dass man dem Bürger ohne Filter zuhören wolle um zu erfahren, was er will. Sie kündigt aber auch an, dass man das alles auch fachgerecht verrechnen muss, damit die Eindrücke handhabbar werden. Die Besonderheit des Dialogs, nämlich die Wechselseitigkeit, wird dabei umgedeutet, weil es offenbar ja gar nicht darum geht, was die Regierung den Bürgern zu sagen hätte.
Entweder will die Bundesregierung das Parlament entmachten, denn dort sitzen doch, wie in der Verfassung vorgesehen, die Volksvertreter, oder aber der Regierung und dem Parlament ist es ganz egal, was die Bürger denken. Deshalb bastelt man sich mit empirischen Verfahren den neuen Modalbürger. Es ist auch denkbar, dass sie das parlamentarische Prinzip mit der Volksvertretung in der Regierung überhaupt nicht verstanden haben.
Wir sehen schon seit Jahren, dass Expertenkommissionen und Gutachter Politik machen. Und wir warten ja schon lange darauf, dass die Meinungsforschungsinstitute die Parlamente besetzen. Sie wissen ja, wie Google und Konsorten auch, wen und was wir eigentlich wollen. Unser Widerspruch ist zwecklos! Und jetzt brauchen wir ja das bewährte Verfassungssystem nicht einmal mehr mit unserer Stimmabgabe zu den üblichen Wählen zu speisen, weil wir ja den direkten Kanal zur Kanzlerin bekommen.

Ich halte dagegen viel davon, wenn der eine oder andere Volksvertreter sich sein Mandat verstärkt bei den Bürgern holt und der Bürger ihm auf die Pelle rückt, um sein Mandat mit Inhalt und Ziel auszustatten.
Es könnte alles so bleiben wie es ist, wenn wir das ausfüllen, was das Grundgesetz vorgibt. Es ist unbestritten, dass es so schlecht nicht ist.

Der Dialog mit dem Bürger mag Sympathien für die Politik wecken. Das täuscht aber darüber hinweg, dass der Bürger immer mehr mit guten Gefühlen ausgestattet wird, die zu haben, es keinen guten Grund gibt.
Die Verdrossenheit der Politik gegenüber dem Bürger steuert auf einen Höhepunkt zu.