Schweigen ist Silber

Frau Merkel ist nicht mächtig! Die öffentliche Darstellung einer Macht ist kaum zu begründen. Sie hat nämlich nur ein Mandat auf Zeit, das an den Willen der Bundestagsabgeordneten und der wiederum gebunden an die Wahlentscheidung der Bürger gebunden ist. Mit einer neuen Wahl wird neu gemischt.

Der Bürger ist dabei frei. Wenn er nicht wählt, dann kann das sogar prinzipiell eine politisch verantwortete Entscheidung sein, auch wenn andere sie nicht teilen.
Dass man nicht weiß, was der Nichtwähler will, verleiht der Kanzlerin keine neuen Freiräume, es beschneidet ihre Legitimation. Man kann also die Prozente, nach denen sich die Parteien manchmal erfolgreich fühlen, gerechterweise auf die Gemeinschaft aller Wahlberechtigten umrechnen, dann halbieren sie sich in der Regel. Wer also 50% der Wähler hinter sich vereint, findet aber immer öfter nur 25% der wahlberechtigten Bürger wieder, die sich hinter so einer Partei vereinen.
Die pragmatische Politik mag den Bürger jedoch nur dann, wenn man sich seiner Zustimmung sicher ist. Egal wer da kommt, er muss am besten treu und unkritisch sein. Die Nichtwähler sind dabei das größte Risiko. Deshalb werden sie einerseits gelockt, meistens also sogenannte potentielle Wechselwähler mit Wahlversprechen, und andererseits madig gemacht.
  • Sie werden als Nichtwählerpartei verunglimpft, obwohl es ja offensichtlich ist, dass sie weder als Partei antreten noch wie Parteigänger verrechnet werden wollen.
  • Sie werden als Politikverdrossenheit gebrandmarkt, obwohl sie vielfach nur die Konsequenz aus der Bürgerverdrossenheit der Politiker ziehen.
  • Sie werden als Verweigerer grundlegender Bürgerpflichten stigmatisiert, obwohl sie sich einwandfrei im Raum des Wahlrechts bewegen, das auch zulässt, dass man nicht wählt.
  • Sie werden als weniger intellektueller Bodensatz der Gesellschaft, der vielleicht an ihre individuellen Freuden, aber nicht an das gesellschaftliche Wohlergehen denkt, mitgeschleppt, obwohl sie trotz gegenteiliger Beteuerungen systematisch aus den s fern gehalten werden.
Die Regierung ist legitimiert, wenn ein breiter gesellschaftlicher Konsens darüber besteht, dass Wohlstand, Gerechtigkeit und Gesundheit, also die Basics des sozialen Lebens, von ihr verwirklicht werden. Es mehren sich die Beispiele dafür, dass diese Legitimation Lücken aufweist. Man sieht sie in den nackten Zahlen, zum Beispiel der Einkommensverteilung und in der schlichten Rechtfertigungsrhetorik, wenn es um öffentlich thematisierte Krisen geht. Vermeintliche Freunde hören ab und die Kanzlerin sagt: „Ausspähen unter Freunden – das geht gar nicht!“ und dann wird ohne Unterlass weiter abgehört und man erfindet sogar ein No-Spy-Abkommen mit den Abhörern. Die Kanzlerin sagt: „Mit mir wird es eine Pkw-Maut nicht geben.“ Und alle Parlamente stimmen einer Maut zu.
Es ist also eng geworden mit der Legitimation. Es gibt eine Legitimationskrise. Zur Krisenbewältigung hilft nun der Bürger mit, der sie täglich erlebt und auch die Politik aufgearbeitet werden will. Er möchte ja auch nur seinen Frieden und geht deshalb dem Widerspruch (wählen) wie der Verweigerung (nicht wählen) aus dem Weg und orientiert sich an der herausragenden Qualifikation der Kanzlerin. Sie ist in der Welt geachtet und hoch angesehen, weil sie sich mit einer Wirtschaftskraft im Rücken kalkulierbar im Mainstream bewegt. Ihr nichtssagendes Aussitzen gilt als klug, wie auch der Philosoph und der Rabe vor allem dann als klug gelten, wenn sie nichts sagen. Die These des Bürgers lautet, dass es sinnvoller ist, so weit es geht diese Erfolgsreise der Kanzlerin zu begleiten und die Belastungen von Wohlstand, Gerechtigkeit und Gesundheit als Kollateralschaden und Bestandteil des Erfolgsrezepts zuzuordnen. Wir bleiben also gespannt, wie lange die Reise gut geht, denn sie ist innovationsfeindlich, weil sie auf die endlose Fortführung der Gegenwart ausgerichtet ist.

Vernünftig nicht wählen

Nach den aktuellen Landtagswahlen in Sachsen, Brandenburg und Thüringen ergibt sich eine Wahlbeteiligung von 50% und weniger.
Das wird ziemlich einstimmig als sehr bedenklich eingestuft.
Wenn also eine Partei die absolute Mehrheit von 50% plus einer Wählerstimme erreicht, hat sie bei dieser Wahlbeteiligung lediglich 25% der Wahlberechtigten auf ihre Seite gezogen. Dabei sind noch nicht einmal die Nichtwahlberechtigten, also alle Kinder und viele Mitbürger ohne deutschen Pass mitgerechnet. Es wird also auch für die „siegreichen“ Parteien schwer, den Wählerwillen im Wahlergebnis wieder zu finden, wenn man das Parlament dominiert, aber nur jeden fünften Menschen hinter sich weiß.
Da haben wir das allgemeine, freie und gleiche Wahlrecht über Jahrhunderte erstritten und sogar in den neuen Bundesländern seit 1989 zur Anwendung gebracht. Und nun ist der Bürger anscheinend undankbar und macht nicht mehr mit!?
Es gibt nun Anregungen, den Wähler mit Geschenken zur Wahl zu locken [Tagesspiegel] oder gar nach belgischem Vorbild die Wahlpflicht einzuführen.

Das Nichtwählen kann jedoch ebenso eine vernünftige Wahlentscheidung sein, wie das Wählen. Beides muss aber nicht unbedingt vernünftig sein. Diese Freiheit (wählen zu können und auch unvernünftig sein zu können) ist Menschenrecht. Eine Wahlpflicht würde also dem Wähler eine Entscheidungsmöglichkeit rauben und ist menschenrechtlich nicht akzeptabel. Geschenke würden in spätkapitalistischer Manier neue merkwürdige Motive einführen, sich zur Wahlurne zu begeben, ohne wenigstens der bedachten Wahlentscheidung den Weg zu ebnen.
Der Weg zur hohen Wahlbeteiligung ist im Grund ganz einfach und auch wenig spektakulär. Er setzt an bei einer Erziehung und Bildung zur Teilhabe und setzt sich dann schon automatisch fort in einer Politik, die sich nicht spitzfindig rechtfertigt und damit auf jegliche Erneuerungen verzichtet und dem Bürger stattdessen zuverlässig offenbart, dass es in Parteien und Parlamenten einzig und allein um das Wohl des Volkes geht.
Es ist schon heute so, dass es der Bürger in Wahlen honoriert, wenn ein Politiker sich authentisch von den aufgewärmten Instantpolitpositionen entfernt oder das real existierende und saturierte System des Regierens und Verwaltens in Frage stellt. Neue Parteien erhalten deshalb gern die Zustimmung des unverstandenen bis verzweifelten Bürgers als Vorschuss.